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RBOG 2013 Nr. 14

Kein Rechtsmittel gegen superprovisorische Massnahmen im Eheschutzverfahren


Art. 265 ZPO


1. a) Die Einzelrichterin des Bezirksgerichts verfügte auf Antrag der Beschwerdegegnerin im Rahmen einer superprovisorischen Anordnung im Eheschutzverfahren, die eheliche Wohnung werde der Beschwerdegegnerin zugeteilt, und dem Beschwerdeführer werde verboten, dieses Grundstück und das Haus zu betreten. Der Beschwerdeführer wurde verpflichtet, der Beschwerdegegnerin an ihren und den Unterhalt der vier gemeinsamen, unmündigen Kinder monatliche Unterhaltsbeiträge zu bezahlen. Der Beschwerdeführer wurde aufgefordert, seine Gesuchsantwort innert 14 Tagen zusammen mit bestimmten Belegen einzureichen.

b) Mit Beschwerde beantragte der Beschwerdeführer, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben.

2. Strittig ist im Wesentlichen die Zulässigkeit des angefochtenen Entscheids. Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz stütze sich auf Art. 265 ZPO, was jedenfalls bezüglich Geldzahlungen klar unzulässig sei. Im Eheschutzverfahren seien vorsorgliche Massnahmen nicht zulässig. Die Anordnung von vorsorglichen Massnahmen betreffend Leistung von Geldzahlungen komme nur ausnahmsweise und in den vom Gesetz vorgesehenen Fällen in Betracht; eine solche Anordnung sei auch nicht notwendig, da die Beschwerdegegnerin gegebenenfalls durch die Möglichkeit der rückwirkenden Unterhaltszahlung in ihrem Anspruch geschützt werden könne. Hier sei eine vorsorgliche Massnahme schon deshalb nicht notwendig, weil die Beschwerdegegnerin über genügend eigene Mittel verfüge.

3. a) In der ZPO ist kein Rechtsmittel gegen kantonal erstinstanzliche Entscheide über superprovisorische Massnahmen vorgesehen, wobei auch für den Fall der Ablehnung einer superprovisorischen Anordnung keine Ausnahme gemacht wurde[1]. Zwar stellt eine superprovisorische Verfügung letztlich auch eine prozessleitende Verfügung dar, doch fehlt es am nicht leicht wiedergutzumachenden Nachteil, da mit dem noch folgenden Entscheid über die vorsorgliche Massnahme die Sache ohnehin neu beurteilt wird[2]; jedenfalls müsste ein nicht leicht wiedergutzumachender Nachteil behauptet und substantiiert werden, wofür es nicht genügt, dass Unterhaltsbeiträge allenfalls später zurückbezahlt werden müssten, zumal der Beschwerdeführer selbst behauptet, die Beschwerdegegnerin befinde sich in guten finanziellen Verhältnissen. Nachdem die Vorinstanz eine superprovisorische Anordnung getroffen hat, besteht dagegen keine Beschwerdemöglichkeit. Aus dieser Sicht kann auf die Beschwerde nicht eingetreten werden.

b) Nach früherem kantonalem Recht stand in Fällen, in welchen kein Rechtmittel gegeben war, unter Umständen die Möglichkeit zur Verfügung, Aufsichtsbeschwerde zu führen[3]. Heute ist in Fällen von Rechtsverzögerung und formeller Rechtsverweigerung die Beschwerde gemäss ZPO gegeben[4], während das kantonale Recht eine subsidiäre Aufsichtsbeschwerde bei anderen Amtspflichtverletzungen durch richterliche Behörden vorsieht[5]. Im vorliegenden Fall liegt indessen weder eine Rechtsverzögerung noch eine Rechtsverweigerung vor, und ob von einer anderweitigen Amtspflichtverletzung gesprochen werden könnte, ist mindestens reichlich zweifelhaft. Selbst wenn die entsprechenden Voraussetzungen indessen gegeben wären, könnte das Obergericht als Aufsichtsbehörde nur eingreifen, wenn dafür triftige Gründe bestünden.

4. a) Solche triftige Gründe bestehen indessen offensichtlich nicht. Entgegen der Meinung des Beschwerdeführers ist die Rechtslage, was die Anordnung superprovisorischer Massnahmen im Eheschutzverfahren anbelangt, (noch) keineswegs klar:

b) Das Zürcher Obergericht entschied am 8. Februar 2012, LE110069-O, die ZPO sehe im Eheschutzverfahren keine vorsorglichen Massnahmen vor, im Gegensatz zu Scheidungsverfahren oder Unterhaltsklagen; dabei handle es sich nicht um eine Gesetzeslücke, würden doch Scheidungen und Unterhaltsklagen im ordentlichen Verfahren behandelt, während für Eheschutzbegehren das summarische Verfahren zur Anwendung komme. Gemäss der ZPO könne die Leistung einer Geldzahlung nur dann als vorsorgliche Massnahme verfügt werden, wenn dies im Gesetz ausdrücklich so vorgesehen sei, wobei die ZPO die möglichen Fälle abschliessend aufzähle, so dass kein Raum für eine analoge Weichenstellung bestehe, da nicht anzunehmen sei, das Gesetz sei diesbezüglich unvollständig redigiert.

c) Das Bundesgericht entschied am 15. August 2012, dass die Beantwortung dieser Rechtsfragen einer eingehenden Auseinandersetzung mit den einschlägigen rechtlichen Grundlagen bedürfe, insbesondere mit Art. 262 lit. e ZPO, dessen wertungsmässiger Übereinstimmung mit weiteren Normen des Unterhaltsrechts und der Frage, ob im Bereich der Eheschutzverfahren, die trotz ihres summarischen Charakters und der allfälligen Dringlichkeit der Regelung eine gewisse Zeit dauern könnten, eine ungewollte Lücke vorliege. Die Rechtslage sei deshalb nicht dermassen klar, dass entsprechende Rechtsbegehren ohne weiteres als aussichtslos gelten könnten[6].

d) Mit Entscheid vom 21. September 2012, LE120052-O/U, hielt das Zürcher Obergericht zwar daran fest, im Gesetz seien an sich für das Eheschutzverfahren keine vorsorglichen Massnahmen vorgesehen. Gleichzeitig präzisierte es aber, für Kinderbelange (Obhut, Besuchsrecht) könnten sich allerdings Ausnahmen ergeben, soweit das Kindeswohl eine sofortige, vorläufige Regelung dringend erheische. Für diesen Fall sei allerdings regelmässig von den bisher, vor der Trennung gelebten Verhältnissen auszugehen (und seien diese gegebenenfalls wiederherzustellen), dagegen nicht von den von einer Partei eigenmächtig geschaffenen neuen Verhältnissen.

e) In der Literatur wird von nicht wenigen Autoren die Ansicht vertreten, während eines Eheschutzverfahrens seien vorsorgliche oder auch superprovisorische Massnahmen zulässig[7], wobei ein entsprechender Bedarf insbesondere damit begründet wird, dass sich auch Eheschutzverfahren in die Länge ziehen können[8]. Auch bezüglich der Frage des Kindesunterhalts und teilweise auch des Ehegattenunterhalts finden sich Stimmen in der Literatur, die eine entsprechende vorsorgliche Regelung nicht ausschliessen oder befürworten[9].

f) Obwohl auch nach früherem Recht das Eheschutzverfahren dem Summarium unterlag, kamen im Eheschutz ohne weiteres superprovisorische Anordnungen in Betracht. Vorläufige (superprovisorische) Verfügungen, gegen die kein Rechtsmittel gegeben war und welche mit dem Erlass formell rechtskräftig und damit auch vollstreckbar wurden, berechtigten zur definitiven Rechtsöffnung, auch wenn sie im Eheschutzverfahren erlassen wurden. Ebenso wurde es als zulässig betrachtet, im Eheschutzverfahren superprovisorisch Unterhaltsbeiträge zu verfügen. Dabei konnten die entscheidenden Faktoren grob geschätzt werden, einschliesslich des Bedarfs der Unterhaltsberechtigten und der Frage, ob der Unterhaltspflichtige aufgrund seiner Tätigkeit in der Lage sei, diesen Bedarf und seinen eigenen Notbedarf zu decken[10].

g) Ein Bedarf für die Möglichkeit, im Eheschutzverfahren nötigenfalls auch superprovisorische Anordnungen treffen zu können, besteht nach wie vor. Das Argument, diesbezüglich liege keine Gesetzeslücke vor, weil Scheidungen und Unterhaltsklagen im ordentlichen Verfahren behandelt würden, während für Eheschutzbegehren das summarische Verfahren zur Anwendung komme, erscheint einerseits als formalistisch, da dabei nur das Zivilprozessrecht losgelöst vom Familienrecht betrachtet wird, und andererseits als reichlich blauäugig, da Eheschutzverfahren trotz der allfälligen Dringlichkeit der Regelung eine nicht zu unterschätzende Zeit dauern können und in gewissen Fällen der Rechtsschutz deutlich zu spät kommen kann, wenn nicht vorsorgliche oder gegebenenfalls auch superprovisorische Massnahmen getroffen werden dürfen. Falls aber tatsächlich zutreffen sollte, dass das Gesetz superprovisorische Anordnungen im Eheschutzverfahren generell ausschliesst, ist nicht zu erkennen, wie mangels einer genügenden gesetzlichen Regelung für Kinderbelange wie Obhut und Besuchsrecht plötzlich eine Ausnahme (contra legem?) gelten soll, soweit das Kindeswohl eine sofortige, vorläufige Regelung dringend erheischt. Ebenso wenig ist zu erkennen, weshalb, falls solche Ausnahmen denkbar wären, sie alsdann nicht auch für die Leistung von Unterhaltszahlungen, jedenfalls für den Kinderunterhalt, gelten sollten.

Obergericht, 1. Abteilung, 31. Juli 2013, ZR.2013.38


[1] BGE 137 III 419; BBl 2006 S. 7356; Gasser/Rickli, Schweizerische Zivilprozessordnung, Kurzkommentar, Zürich/St. Gallen 2010, Art. 265 N 3; Sprecher, Basler Kommentar, Art. 265 ZPO N 32; Treis, in: Schweizerische Zivilprozessordnung (Hrsg.: Baker & McKenzie), Bern 2010, Art. 265 N 8 f.; Zürcher, in: Schweizerische Zivilprozessordnung (Hrsg.: Brunner/Gasser/Schwander), Zürich/St. Gallen 2011, Art. 265 N 12; Kofmel Ehrenzeller, in: Schweizerische Zivilprozessordnung (Hrsg.: Oberhammer), Basel 2010, Art. 265 N 6

[2] Güngerich, Berner Kommentar, Art. 265 ZPO N 17

[3] Merz, Die Praxis zur thurgauischen Zivilprozessordnung, 2.A., § 234 N 5a; RBOG 2005 Nr. 22, 2003 Nr. 7, 2002 Nr. 20, 1989 Nr. 37

[4] Art. 319 lit. c ZPO; Sterchi, Berner Kommentar, Art. 319 ZPO 16

[5] § 16 ZSRV

[6] BGE vom 15. August 2012, 5A_212/2012, Erw. 2

[7] Pfänder Baumann, in: Schweizerische Zivilprozessordnung (Hrsg.: Brunner/Gas­ser/Schwander), Zürich/St. Gallen 2011, Art. 273 N 10; Schwander, in: Schweizerische Zivilprozessordnung (Hrsg.: Gehri/Kramer), Zürich 2010, Art. 273 N 9; Vouilloz, Les procédures du droit de la famille, in: Jusletter vom 11. Oktober 2010

[8] Gasser/Rickli, Art. 273 ZPO N 5

[9] Spycher, Berner Kommentar, Art. 271 ZPO N 15; Vetterli, in: FamKomm Scheidung (Hrsg.: Schwenzer), Bd. II, 2.A., Art. 271 ZPO N 15; Schweighauser, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung (Hrsg.: Sutter-Somm/Hasen­böhler/Leuenberger), 2.A., Art. 303 N 28; Hegnauer, Berner Kommentar, 1997, Art. 281-284 aZGB N 14

[10] RBOG 2005 Nr. 22

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