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RBOG 2013 Nr. 15

Anfechtung der Nebenfolgen einer Scheidungskonvention wegen Willensmängeln und Unangemessenheit


Art. 289 ZPO


1. Die Berufungsklägerin beantragt die Aufhebung ihres Verzichts auf einen Unterhaltsbeitrag gemäss Ziff. 3 der Scheidungskonvention wegen Willensmängeln und sinngemäss wegen Unangemessenheit. Die Ehescheidung an sich ficht sie nicht an.

2. a) aa) Gemäss Art. 289 ZPO kann die Scheidung der Ehe auf gemeinsames Begehren nur wegen Willensmängeln mit Berufung angefochten werden. Willensmängel liegen vor, wenn der Entschluss zur Scheidung mit einem Mangel in der Willensbildung behaftet ist. In Analogie zum Obligationenrecht fallen darunter die Übervorteilung[1], die absichtliche Täuschung[2], die Furchterregung[3] und der Grundlagenirrtum[4].

Art. 289 ZPO bezieht sich nur auf den Scheidungspunkt, also auf die Auflösung der Ehe, und ist grundsätzlich nicht anwendbar auf die Nebenfolgen der Scheidung. Entscheidsurrogate wie der Klagerückzug, die Klageanerkennung und der Vergleich beruhen nicht auf eigener materieller Rechtsfindung durch das Gericht, weshalb ihnen keine Entscheidqualität zukommt. Sie unterliegen daher weder der Berufung noch der Beschwerde. In Bezug auf materielle oder prozessuale Mängel des Vergleichs ist die Revision mithin primäres und ausschliessliches Rechtsmittel[5]. Umstritten ist, ob auch die rechtskräftig genehmigte Scheidungsvereinbarung als Entscheidsurrogat zu behandeln ist. Nach der Ansicht eines Teils der Lehre stellt die Scheidungsvereinbarung eine besondere Art des gerichtlichen Vergleichs dar. Da Willensmängel die Unwirksamkeit des Vergleichs begründeten und somit als Revisionsgründe gälten, unterstehe die Scheidungsvereinbarung als gerichtlicher Vergleich nur der Revision gemäss Art. 328 Abs. 1 lit. c ZPO[6]. Für die Anfechtung der Scheidungswirkungen, denen beide Ehegatten ausdrücklich nach reiflicher Überlegung und im Rahmen eines vom Gericht kontrollierten Verfahrens zugestimmt hätten, stehe kein ordent­liches Rechtsmittel zur Verfügung[7]. Demgegenüber kann nach einem anderen Teil der Lehre auch die Scheidungsvereinbarung Gegenstand eines Berufungsverfahrens sein. Entscheidend für diese Frage sei die rechtliche Qualifikation der Scheidungsvereinbarung. Gestützt auf Art. 279 Abs. 2 ZPO sei die genehmigte Vereinbarung über die Scheidungsfolgen in das Urteilsdispositiv aufzunehmen. Mit der gerichtlichen Genehmigung werde die Scheidungskonvention zum vollwertigen Urteilsbestandteil erhoben und verliere im Gegensatz zum Prozessvergleich ihren privatrechtlichen Charakter[8]. Als Bestandteil des Urteils unterstehe somit die genehmigte Scheidungskonvention der Anfechtung mittels ordentlicher Rechtsmittel[9]. Diese Lehrmeinung überzeugt, zumal aus prozessökonomischer Sicht unsinnig wäre, die Parteien zu zwingen, zuerst auf die Rechtskraft des Entscheids zu warten, um dagegen Revision zu erheben[10].

bb) Bei den vereinbarten Scheidungsfolgen steht die Berufung wegen Willensmängeln im Vordergrund. Sodann kann gerügt werden, die richterliche Genehmigung hätte nicht erteilt werden dürfen, weil die Vereinbarung unklar, unvollständig oder offensichtlich unangemessen[11], hinsichtlich der beruflichen Vorsorge gesetzeswidrig[12] oder widerrechtlich sei oder gegen zwingendes Recht verstosse[13]. In Bezug auf die Kinderbelange greifen allerdings die vollen Berufungsgründe nach Art. 310 ZPO, denn hier herrscht die Offizialmaxime, und eine verbindliche Regelung in einer Vereinbarung ist gestützt auf Art. 296 Abs. 3 ZPO nicht möglich[14].

b) Da sich die Berufungsklägerin auf Willensmängel und Unangemessenheit beruft, ist auf die Berufung einzutreten.

Obergericht, 2. Abteilung, 20. August 2013, ZBR.2013.42


[1] Art. 21 OR

[2] Art. 28 OR

[3] Art. 29 f. OR

[4] Art. 24 OR

[5] BGE 139 III 134 mit Hinweisen

[6] Van de Graaf, Schweizerische Zivilprozessordnung, Kurzkommentar (Hrsg.: Ober­hammer), Basel 2010, Art. 289 N 2 mit Hinweisen; Herzog, Schweizerische Zivilprozessordnung (Hrsg.: Baker & McKenzie), Bern 2010, Art. 289 N 5

[7] Graber, Die Berufung in der Schweizerischen Zivilprozessordnung, Zürich/St. Gal­len 2011, S. 151

[8] BGE vom 17. Januar 2013, 5A_721/2012, Erw. 3.2.1; BGE vom 12. Dezember 2011, 5A_493/2011, Erw. 1

[9] Fankhauser, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung (Hrsg.: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger), 2.A., Art. 289 N 7; Bähler, in: Schweizerische Zivilprozessordnung (Hrsg.: Brunner/Gasser/Schwander), Art. 289 N 5; Spycher, Berner Kommentar, Art. 289 ZPO N 7; Bornhauser, Rechtsmittel in konventionsbasierten Scheidungsverfahren, in: FamPra.ch 2013, S. 120 f.

[10] Seiler, Die Berufung nach ZPO, Zürich/Basel/Genf 2013, N 321

[11] Art. 279 Abs. 1 ZPO

[12] Art. 280 Abs. 1 lit. c ZPO

[13] Gasser/Rickli, Schweizerische Zivilprozessordnung, Kurzkommentar, Zürich/St.Gal­len 2010, Art. 289 N 3

[14] Spycher, Art. 289 ZPO N 7 und 9; Bähler, Art. 289 ZPO N 5 und 7 f.; Seiler, N 321; Bornhauser, S. 121; Fankhauser, Art. 289 ZPO N 7; Gasser/Rickli, Art. 289 ZPO N 3

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