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RBOG 2013 Nr. 2

Gemeinsame elterliche Obhut im Eheschutzverfahren


Art. 176 Abs. 3 ZGB


1. Die Berufungsklägerin stellte im Eheschutzverfahren den Antrag, ihr sei die Obhut über die drei gemeinsamen Kinder jeweils von Montag bis Freitag, ab ungefähr 6.30 Uhr bis ungefähr 19.00 Uhr, in der Familienwohnung sowie an mindestens einem Wochenende pro Monat bei sich zu Hause zuzuteilen, wohingegen der Vater die Kinder in der verbleibenden Zeit betreuen solle. Sie sei im Weiteren zu berechtigen, ihre Kinder jährlich während vier Wochen in den Schulferien zu sich in die Ferien zu nehmen. Der Berufungsbeklagte war mit dieser Regelung grundsätzlich einverstanden, brachte aber gewisse Vorbehalte betreffend die Erwerbstätigkeit und den persönlichen Unterhaltsanspruch der Berufungsklägerin an. Damit stellten die Parteien letztendlich übereinstimmend den Antrag, es sei ihnen die gemeinsame Obhut über die drei Kinder einzuräumen.

2. a) Die Vorinstanz erwog in einem Satz, dass eine gemeinsame elterliche Obhut gesetzlich nicht möglich sei, und verwies dabei auf Six[1]. Diese Auffassung widerspricht aber der herrschenden Lehre[2] und – soweit ersichtlich – auch der Rechtsprechung[3].

b) Es entspricht dem grundsätzlich auf die Erhaltung der Ehe ausgerichteten Zweck eines Eheschutzverfahrens, dass die richterliche Instanz möglichst wenig autoritativ eingreifen und keine einschneidenden Änderungen anordnen sollte. Eheschutzmassnahmen müssten, soweit möglich, das Auseinanderfallen der Familie vermeiden und die Voraussetzungen für eine Bewältigung der ehelichen Schwierigkeiten schaffen. In der Lehre wird daher gefordert, die Eltern seien im Hinblick auf die Kontinuität der Beziehung zu ihren Kindern möglichst stark an der weiteren Betreuung und Erziehung zu beteiligen. Sind die Eltern bereit, im Interesse der Kinder weiterhin zusammenzuwirken, kann es sich rechtfertigen, im Eheschutzverfahren ein gemeinsames elterliches Obhutsrecht anzuordnen. Voraussetzung ist, dass dies die Eltern beantragen und das Wohl des Kindes nicht eine andere Regelung erfordert. Es bestehen für eine solche Regelung, im Unterschied zur Kinderzuteilung bei der Scheidung, keine rechtlichen Hindernisse. Der Begriff "nötige Massnahmen" kann daher auch die Anordnung einer gemeinsamen elterlichen Obhut bedeuten[4]. Die Bestimmungen über das Kindesverhältnis[5] sehen zudem vor, dass bei Aufhebung des gemeinsamen Haushalts die elterliche Sorge einem Ehegatten allein zugeteilt werden kann, wobei auch nur die Obhut einem Ehegatten allein zugeteilt werden kann (in maiore minus). Der Gesetzestext schliesst damit – als Kann-Vorschrift – nicht aus, die elterliche Sorge bei den Ehegatten gemeinsam zu belassen. Oberste Richtschnur ist auf jeden Fall das Kindeswohl. Unter diesem Gesichtspunkt wäre die gemeinsame elterliche Obhut im Hinblick auf die Kontinuität der Beziehung der Kinder zu beiden Eltern an sich zu begrüssen. Die gemeinsame elterliche Obhut stellt jedoch hohe Anforderungen an die getrennt lebenden Elternteile und deren Gesprächs- und Kooperationsbereitschaft und dient nur dann dem Kindeswohl, wenn sie einigermassen harmonisch ausgeübt wird. Dies heisst nicht, dass die Eltern in allen das Kind betreffenden Fragen gleicher Meinung sein müssen; jedoch sollte zumindest in den zentralen Fragen – wozu auch gehört, ob die Obhut über das Kind gemeinsam ausgeübt werden soll – ein grundsätzlicher Konsens bestehen[6].

3. a) Angesichts der Feststellung der Vorinstanz, wonach im Rahmen des Eheschutzes eine gemeinsame Obhut der getrennt lebenden Eltern rechtlich nicht möglich sei, beantragte die Berufungsklägerin im Berufungsverfahren die Übertragung der elterlichen Obhut. Im Eventualstandpunkt verlangte sie die Einräumung eines Besuchsrechts im Rahmen der bisher von ihr für die Betreuung der Kinder aufgewendeten Zeit in der ehelichen Liegenschaft, welchen Antrag auch der Berufungsbeklagte als Hauptantrag übernahm. Nach wie vor sind beide Parteien aber offensichtlich der Auffassung, dass das Wohl der Kinder am besten gewahrt wäre, wenn die bisher gelebte Rollenteilung beibehalten würde, wonach die Berufungsklägerin jeweils von Montag bis Freitag tagsüber die Kinder in der ehelichen Wohnung betreut und nach Rückkehr des Berufungsbeklagten von der Arbeit sich in ihre eigene Wohnung zurückzieht, wohingegen dieser die Betreuungsaufgabe über Nacht bis zum Morgen übernimmt.

b) Trotz dieser Praxis und obwohl die Berufungsklägerin in der bisherigen Rollenteilung mehrheitlich für die Kinderbetreuung verantwortlich war, stellte die Vorinstanz die Kinder unter die Obhut des Berufungsbeklagten, welcher aufgrund seiner Erwerbstätigkeit in Zürich nicht in der Lage sein dürfte, die Kinder tagsüber zu betreuen. Würde nicht die Berufungsklägerin unter der Woche die Kinder betreuen, wäre der Berufungsbeklagte diesbezüglich auf die Hilfe Dritter angewiesen. Eine persönliche Betreuung durch den Berufungsbeklagten in dieser Phase wäre somit nicht möglich, weshalb sich die von der Vorinstanz getroffene Lösung mit Blick auf das Kindeswohl von vornherein als problematisch erweist[7]. Es stellt sich deshalb einzig die Frage, ob die bisher im gegenseitigen Einvernehmen praktizierte Regelung weitergeführt oder ob die Obhut auf die Mutter übertragen werden soll, was auch eine Zuweisung der Familienwohnung an die Berufungsklägerin zur Folge hätte. Die bisher gelebte Regelung ist zu bevorzugen, da sie grundsätzlich letztlich dem Wunsch beider Parteien entspricht und dem Wohl der Kinder am besten Rechnung trägt. Einer solchen Lösung steht auch der Umstand nicht entgegen, dass mit dem Hauptantrag der Berufungsklägerin die alleinige Übertragung der Obhut verlangt war, während im Eventualstandpunkt die Einräumung eines Besuchsrechts an den Wochentagen sowie an jedem zweiten Wochenende verlangt wurde, da mit diesen Begehren offensichtlich auf die (unzutreffende) Feststellung der Vorinstanz reagiert wurde, wonach eine gemeinsame Obhut rechtlich gar nicht möglich sei. Da in Kinderbelangen von Amtes wegen das Kindeswohl gewahrt werden muss[8], und weil der Richter dementsprechend nicht an die Begehren der Parteien gebunden ist, kann er ohne weiteres auch auf frühere Anträge zurückkommen und eine gemeinsame Obhut anordnen. Die Regelung einer gemeinsamen Obhut hat gegenüber der alleinigen Zuteilung der Obhut an den Vater den Vorteil, dass sie den bisherigen Verhältnissen entspricht und die (wechselseitige) Betreuung der Kinder durch einen Elternteil persönlich sicherstellt.

c) Zusammenfassend ist die Obhut über die Kinder den Parteien gemeinsam zuzuteilen. Die Berufungsklägerin übernimmt die Betreuung der Kinder von Montag bis Freitag jeweils morgens ab etwa 6.30 Uhr bis abends etwa 19.00 Uhr in der Familienwohnung sowie an zwei Wochenenden pro Monat bei sich zu Hause. Der Berufungsbeklagte betreut die Kinder in der übrigen verbleibenden Zeit in der Familienwohnung. Jeder Elternteil ist berechtigt, mit den Kindern jährlich während vier Wochen in den Schulferien die Ferien zu verbringen.

Obergericht, 1. Abteilung, 5. Februar 2013, ZBR.2013.1


[1] Six, Eheschutz - Ein Handbuch für die Praxis, Zürich/Basel/Genf 2008, N 2.07

[2] Bräm, Zürcher Kommentar, Art. 176 ZGB N 83 f.; Hausheer/Reusser/Geiser, Berner Kommentar, Art. 176 ZGB N 44a; Dolder/Diethelm, Eheschutz, in: AJP 2003 S. 665

[3] Vgl. BGE vom 28. August 2001, 5P.173/2001, Erw. 7; BGE 123 III 452; ZR 103, 2004, Nr. 25

[4] Bräm, Art. 176 ZGB N 83

[5] Art. 297 Abs. 2 ZGB

[6] ZR 103, 2004, Nr. 25

[7] Hausheer/Reusser/Geiser, Art. 176 ZGB N 45

[8] Bräm, Art. 176 ZGB N 75 und 78

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