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RBOG 2014 Nr. 18

Der reduzierte Honoraransatz für den Offizialverteidiger gilt unabhängig vom Verfahrensausgang; Praxisänderung


§ 13 Abs. 2 AnwT, Art. 135 Abs. 1 StPO


1. Der Beschwerdeführer wird durch einen Offizialverteidiger vertreten. Das Obergericht schützte die Beschwerde.

2. a) Bei diesem Verfahrensausgang trägt der Staat die Kosten des Beschwerdeverfahrens, und der amtliche Verteidiger ist zu entschädigen[1].

b) In einem Entscheid aus dem Jahr 2013 erwog das Obergericht, der Offizialanwalt sei unterschiedlich zu entschädigen, je nach dem, ob sein Klient verurteilt oder freigesprochen beziehungsweise ob das Verfahren eingestellt werde. Bei Freispruch oder Verfahrenseinstellung sei der amtliche Verteidiger mit dem Stundenansatz von Fr. 250.00 (anstatt von Fr. 200.00) zu entschädigen. Mit der Ernennung eines amtlichen Verteidigers entstehe ein besonderes Rechtsverhältnis öffentlich-rechtlicher Art zwischen dem Staat und dem betreffenden Anwalt. Der Offizialverteidiger stehe deshalb zu seinem Mandanten nicht in einem privatrechtlichen Verhältnis. Anders präsentiere sich die Rechtslage bei einem Freispruch der beschuldigten Person oder bei einer Verfahrenseinstellung. Die Parteientschädigung diene hier dem Ausgleich des durch staatliches Handeln entstandenen Schadens im haftpflichtrechtlichen Sinn. Von diesem Standpunkt aus betrachtet, bestehe bei einem Freispruch oder einer Verfahrenseinstellung sowohl bei einer privaten als auch bei einer amtlichen Verteidigung Anspruch auf vollumfänglichen Ersatz des Schadens, mithin Anspruch auf eine volle Parteientschädigung.

c) Diese Argumentation lässt sich vor dem Hintergrund der jüngsten Rechtsprechung des Bundesgerichts nicht mehr halten. In BGE 139 IV 262 ff. – dieser Entscheid betraf den Kanton Graubünden – stellte das Bundesgericht klar, die amtliche Verteidigung werde gemäss Art. 135 Abs. 1 StPO nach dem Anwaltstarif des Bundes oder desjenigen Kantons entschädigt, in dem das Strafverfahren geführt worden sei. Rechtsgrundlage für die Entschädigung bilde das öffentlich-rechtliche Verhältnis zwischen Bund oder Kanton und amtlicher Verteidigung. Für die Entschädigung hafte allein der Staat. Die Verteidigung erhalte das tariflich festgelegte Honorar für die Übernahme einer öffentlichen Aufgabe und trage nicht das Risiko der Uneinbringlichkeit. Mit dem Freispruch oder der Verfahrenseinstellung wandle sich das öffentlich-rechtliche Verhältnis zwischen Staat und amtlicher Verteidigung nicht in ein Privatrechtsverhältnis zwischen Verteidigung und Mandanten um. Die Entschädigung der amtlichen Verteidigung richte sich allein nach Art. 135 StPO, weshalb die Rechtsprechung zu den kantonalen Strafprozessgesetzen insoweit überholt sei. Entgegen der früher vertretenen Auffassung lässt sich eine volle Entschädigung bei Freispruch beziehungsweise Verfahrenseinstellung gemäss Bundesgericht auch nicht mit Art. 135 Abs. 4 lit. b StPO begründen, wonach die zu den Verfahrenskosten verurteilte beschuldigte Person bei wirtschaftlicher Besserstellung "der Verteidigung die Differenz zwischen der amtlichen Entschädigung und dem vollen Honorar zu erstatten hat". Das Bundesgericht führte in diesem Zusammenhang aus, Art. 135 Abs. 4 lit. b StPO wolle nach der gesetzgeberischen Konzeption sicherstellen, dass eine beschuldigte Person mit amtlicher Verteidigung finanziell nicht besser gestellt werde als eine mit privater Verteidigung. Es gehe um eine Gleichstellung der zu den Verfahrenskosten verurteilten Person und nicht um eine Gleichstellung der amtlichen mit der privaten Verteidigung. Dass die amtliche Verteidigung bei Verurteilung des Mandanten zu den Verfahrenskosten im Prinzip finanziell besser gestellt werde (weil sie die "Differenz" einfordern könne) als bei Freispruch oder Verfahrenseinstellung, wo in der Regel keine Kosten auferlegt würden (und entsprechend die "Differenz" nicht zu erstatten sei), müsse als gesetzliche Konsequenz hingenommen werden. Abschliessend hält das Bundesgericht fest, der Gesetzgeber habe auf eine Durchsetzung der vollen Entschädigung in der StPO verzichtet[2].

d) Damit richtet sich die Antwort auf die Frage, ob der amtliche Verteidiger im Fall des Obsiegens im Beschwerdeverfahren zum Stundenansatz von Fr. 200.00 oder Fr. 250.00 zu entschädigen ist, allein nach dem kantonalen Recht[3]. Sieht das kantonale Recht ein reduziertes Honorar vor, gelangt es unabhängig vom Prozessausgang zur Anwendung[4]. Im Kanton Thurgau legt § 13 Abs. 2 AnwT den Honoraransatz von Offizialverteidigern auf Fr. 200.00 pro Stunde fest. Damit unterscheidet der Anwaltstarif nicht nach Obsiegen oder Unterliegen; er trifft auch keine (besondere) Regelung für den Fall einer Verfahrenseinstellung[5]. Der Ansatz für die Entschädigung des amtlichen Verteidigers beträgt somit in jedem Fall Fr. 200.00 pro Stunde. Folglich ist die Praxis des Obergerichts, wonach bei Obsiegen die amtliche Verteidigung mit dem (höheren) Ansatz von Fr. 250.00 pro Stunde zu entschädigen ist, überholt.

Obergericht, 2. Abteilung, 6. März 2014, SW.2014.14


[1] Art. 428 Abs. 1 StPO

[2] BGE 139 IV 264

[3] Art. 135 Abs. 1 StPO

[4] BGE 139 IV 261 (Regeste)

[5] Gleich verhält es sich mit der Regelung im Kanton Graubünden, worauf sich BGE 139 IV 261 ff. bezog.

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