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RBOG 2016 Nr. 28

Parteistellung und Rechtsmittellegitimation eines Berufsverbands


Art. 104 f StPO, Art. 115 StPO, Art. 382 Abs. 1 StPO, Art. 9 f UWG, Art. 23 UWG


1. Ein Berufsverband erhob Strafanzeige gegen eine Gesellschaft wegen Verstosses gegen Art. 86 lit. a, b und c HMG[1], §§ 26 und 33a GesG[2] und Art. 3 UWG[3]; in der Folge stellte die Staatsanwaltschaft das Strafverfahren ein. Gegen diese Einstellungsverfügung reichte der Berufsverband Beschwerde ein.

2. a) Zur Einlegung von Rechtsmitteln sind nur bestimmte Personen berechtigt, da es andernfalls zu einer untragbaren Zahl von Anfechtungen käme. Diese Berechtigung beziehungsweise Legitimation wird vom Gesetz in den Art. 381 f. StPO geregelt. Die Legitimation ist eine Prozessvoraussetzung; fehlt sie, wird auf die Beschwerde nicht eingetreten[4].

b) Die Strafprozessordnung enthält keine abschliessende Liste der nicht behördlichen[5], zur Beschwerde legitimierten Personen[6]. Vielmehr kann gemäss Art. 382 Abs. 1 StPO jede Partei, die ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung eines Entscheids hat, ein Rechtsmittel ergreifen. Der Parteibegriff ist hier umfassend im Sinn von Art. 104 und 105 StPO zu verstehen; das heisst, es kann nebst der beschuldigten Person, der Staatsanwaltschaft und der Privatklägerschaft auch jeder anderen Person die Rechtsmittellegitimation zukommen, sofern sie vom angefochtenen Entscheid berührt ist und ein rechtlich geschütztes Interesse geltend machen kann. Konkret kann es dabei um Geschädigte, Opfer, Zeugen, Auskunftspersonen, Sachverständige, Anzeigeerstatter oder durch Verfahrenshandlungen beschwerte Dritte gehen[7]. Bei sämtlichen Parteien und Verfahrensbeteiligten bilden gemeinsame und kumulative Voraussetzungen für die Beschwerdebefugnis das Vorliegen der Rechtsfähigkeit[8], der Prozessfähigkeit[9] und der Beschwer[10].

c) aa) Parteien sind nach Art. 104 StPO die beschuldigte Person, die Privatklägerschaft, im Haupt- und Rechtsmittelverfahren die Staatsanwaltschaft sowie Behörden, die öffentliche Interessen zu wahren haben und denen das Bundesrecht oder das kantonale Recht volle oder beschränkte Parteirechte einräumt. Andere Verfahrensbeteiligte sind nach Art. 105 Abs. 1 StPO die geschädigte Person, die Person, die Anzeige erstattet, die Zeugin oder der Zeuge, die Auskunftsperson, die oder der Sachverständige sowie die durch Verfahrenshandlungen beschwerten Dritten.

bb) Als geschädigte Person gilt gemäss Art. 115 Abs. 1 StPO die Person, die durch die Straftat in ihren Rechten unmittelbar verletzt worden ist. Unmittelbar verletzt ist, wer Träger des durch die verletzte Strafnorm geschützten oder zumindest mitgeschützten Rechtsguts ist. Als Geschädigter ist somit anzusehen, wer Träger des Rechtsguts ist, das durch die fragliche Strafbestimmung vor Verletzung oder Gefährdung geschützt werden soll. Bei Strafnormen, die nicht primär Individualrechtsgüter schützen, gelten nur diejenigen Personen als Geschädigte, die durch die darin umschriebenen Tatbestände in ihren Rechten beeinträchtigt werden, sofern diese Beeinträchtigung unmittelbare Folge des tatbestandsmässigen Handelns ist. Werden dagegen durch Delikte, die (nur) öffentliche Interessen verletzen, private Interessen auch, aber bloss mittelbar beeinträchtigt, so ist der Betroffene nicht Geschädigter im Sinn von Art. 115 Abs. 1 StPO[11].

cc) Die Legitimation einer Partei oder einer anderen verfahrensbeteiligten Person setzt zur Beschwerdeführung voraus, dass sie ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung eines Entscheids hat, mit anderen Worten beschwert ist. Das ergibt sich aus dem Wesen der Beschwerde als Rechtsmittel, das naturgemäss darauf gerichtet ist, eine günstigere Entscheidung für den Beschwerdeführer herbeizuführen. Daraus folgt zweierlei: Zum einen fehlt es an einem rechtlich geschützten Interesse und damit an einer Beschwer, wenn mit der Beschwerde lediglich die Bestätigung einer hoheitlichen Verfahrenshandlung verlangt wird. Zum anderen liegt keine Beschwer vor, wenn der Entscheid (nur) für andere nachteilig ist[12].

dd) Ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung eines Entscheids und damit eine Beschwer ist (nur dann) gegeben, wenn der Beschwerdeführer selbst in seinen eigenen Rechten unmittelbar und direkt betroffen ist[13]. Die Voraussetzung der unmittelbaren Betroffenheit in eigenen Rechten grenzt von Fällen ab, in denen Personen bloss faktisch und nicht in einer eigenen Rechtsposition oder bloss mittelbar oder indirekt in ihren Rechten betroffen sind; die angefochtene hoheitliche Verfahrenshandlung muss mit anderen Worten einen direkten, sofort ersichtlichen Einfluss auf die eigene Rechtsstellung des Beschwerdeführers (und somit auf seine rechtlich geschützten Interessen) haben. Eine blosse Reflexwirkung genügt nicht[14]. Für die Frage, wann eine unmittelbare Betroffenheit in eigenen Rechten und damit eine Beschwer vorliegt, kann man sich – jedenfalls in Bezug auf die anderen Verfahrensbeteiligten gemäss Art. 105 StPO – auf die Lehre und Rechtsprechung zur unmittelbaren Verletzung oder Beeinträchtigung der Privatklägerschaft und der geschädigten Person (und damit auch des Opfers) in ihren eigenen Rechten abstützen, da sich sowohl Art. 115 wie Art. 116 StPO einer entsprechenden Terminologie bedienen. Wie bei diesen Personen dürfte auch bei den anderen, als Beschwerdeführer auftretenden Verfahrensbeteiligten oftmals gerade umstritten sein, ob sie in ihren Rechten unmittelbar betroffen sind oder nicht. Hier wie dort muss dabei grundsätzlich genügen, dass die Person plausibel und schlüssig Tatsachen behauptet, die sie – wenn zutreffend – als im Sinn des Gesetzes in ihren Rechten unmittelbar betroffen erscheinen lassen[15].

ee) Die Wahrung überindividueller Rechte und die Durchsetzung des Strafanspruchs ist Sache der Staatsanwaltschaft und weiterer Behörden nach Art. 104 Abs. 2 StPO[16]. Konsumentenschutzorganisationen, Umwelt- und Tierschutzverbände erhalten gemäss StPO keine besonderen Parteirechte und damit keine Rechtsmittelmöglichkeiten. Im Gegensatz zu Rechtsgebieten, die eine Verbandslegitimation kennen, ist im Straf- und Strafprozessrecht bereits die Staatsanwaltschaft für die Wahrung der allgemeinen, überindividuellen Rechte verantwortlich und hat den Strafanspruch – gegebenenfalls auf private Strafanzeige hin – von Amtes wegen durchzusetzen. Die Zulassung privater Verbände als weitere Parteien hätte eine wesentliche Erschwerung des Verfahrens zur Folge, die mit den dadurch erzielten Vorteilen in einem Missverhältnis stehen würde[17]. Im Vorfeld der Schaffung der StPO wurde diskutiert, ob und inwieweit Vereinigungen und Verbänden, die sich die Verfolgung allgemeiner Interessen zur Aufgabe machen, Parteistellung einzuräumen sei. Der Gesetzgeber verwarf jedoch dieses Postulat. Entgegen anderen Rechtsgebieten, die ein Verbandsbeschwerderecht kennen (z.B. Art. 10 UWG), sei im Gebiet des Strafrechts mit der Staatsanwaltschaft eine Behörde vorhanden, die allgemeine, überindividuelle Rechte zu wahren und den Strafanspruch von Amtes wegen durchzusetzen habe[18].

d) aa) Bei dieser Betrachtungsweise müsste die Parteistellung der Beschwerdeführerin unabhängig davon, welche Strafbestimmungen verletzt sein könnten, verneint werden. Das hätte zur Folge, dass auf die Beschwerde mangels Parteistellung der Beschwerdeführerin nicht eingetreten werden könnte. Die Beschwerdeführerin als privater Verband ist nur wie jede Person berechtigt, Straftaten bei einer Strafverfolgungsbehörde anzuzeigen[19]. Sie hat Anspruch, dass ihr die Strafverfolgungsbehörde auf Anfrage mitteilt, ob ein Strafverfahren eingeleitet und wie es erledigt wird[20]. Weitergehende Verfahrensrechte stehen ihr nicht zu[21].

bb) Die Beschwerdeführerin wendet dagegen ein, die erwähnten Lehrmeinungen vermittelten – bei oberflächlicher Lesart – vielleicht den Eindruck, privaten Verbänden könnten in Straf- und Rechtsmittelverfahren gemäss StPO nie Parteirechte zustehen. Diese Interpretation erweise sich bei näherem Hinsehen als haltlos. Die Materialien, insbesondere die Botschaft des Bundesrates zur StPO, und die zitierten Lehrmeinungen äusserten sich nur zur ideellen Verbandslegitimation im Strafprozessrecht. Nicht angesprochen sei hingegen die Prozessstandschaft in Form der egoistischen Verbandslegitimation oder die Legitimation, die sich aus einer direkten Betroffenheit eines Verbands ergeben könne. Das zeige sich bereits aufgrund des einleitenden Satzes in der Botschaft zur StPO, wonach sich die entscheidende Frage stelle, ob neben den Behörden auch Vereinigungen, die sich dem Schutz allgemeiner Interessen verpflichtet hätten, Verfahrensrechte oder sogar Parteistellung zuzugestehen sei. Die Annahme einer pauschalen Ausnahme von privaten Verbänden von Partei- und Beschwerderechten gemäss StPO würde auch heissen, dass generell juristische Personen von der Parteistellung im Strafverfahren ausgeschlossen wären. Es sei nämlich nicht einzusehen, weshalb der Verein als juristische Person im Vergleich zu anderen juristischen Personen keine Parteirechte haben sollte. Vorliegend gehe es um die egoistische Verbandslegitimation, die bei der Beschwerdeführerin zu bejahen sei. Die Beschwerdeführerin sei ein Berufsverband und keine ideelle Vereinigung, die sich zur Wahrung überindividueller Rechte statutarisch verpflichtet sehe. Der Zweck der Beschwerdeführerin liege in der Schaffung von Voraussetzungen, damit die Berufsleute ihre beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten unter Wahrung der für die Berufsausübung notwendigen Unabhängigkeit und Verantwortung zum Wohl der Allgemeinheit einsetzen könne, sowie in der Vertretung der Interessen seiner Mitglieder. Weil die Beschwerdeführerin juristische Persönlichkeit besitze, zur Wahrung der Interessen ihrer Mitglieder auch in den hier interessierenden Bereichen statutarisch ermächtigt sei und eine Grosszahl der Verbandsangehörigen selbst mittels Anzeige der zur Diskussion stehenden Delikte (insbesondere der UWG-Tatbestände) strafrechtlich im Sinn des vorliegenden Straf- und/oder Rechtsmittelverfahrens vorgehen könnte, sei eine "egoistische" Verbandslegitimation hier gegeben. Die Beschwerdeführerin mache nicht ihre eigenen Interessen als Verband geltend, sondern beziehe sich auf die Interessen ihrer Mitglieder, was prozessökonomisch auch sinnvoll erscheine. Würde nun die Legitimation des Verbandes tatsächlich verneint, sähe sich die Beschwerdeführerin gezwungen, ihren Mitgliedern einzeln die Einreichung einer exakt gleich lautenden Strafanzeige zu empfehlen und danach auf die Durchführung des Strafverfahrens in Hunderten von Fällen zu pochen.

e) aa) Ob eine "egoistische" Verbandslegitimation zu bejahen ist, kann hier offen bleiben. Gemäss Art. 115 Abs. 2 StPO gilt nämlich die zur Stellung eines Strafantrags berechtigte Person in jedem Fall als geschädigte Person. Erklärt die geschädigte Person ausdrücklich, sich am Strafverfahren als Straf- oder Zivilklägerin zu beteiligen, ist sie Privatklägerschaft im Sinn von Art. 118 Abs. 1 StPO und damit Partei. Somit wird der Kreis der geschädigten Personen bei allen Strafantragsdelikten nicht durch Art. 115 Abs. 1 StPO mit der Voraussetzung der unmittelbaren Verletzung in den eigenen Rechten bestimmt, sondern durch Art. 115 Abs. 2 StPO[22].

Widerhandlungen gegen das UWG sind laut Art. 23 Abs. 1 UWG Antragsdelikte. Gemäss Art. 23 Abs. 2 UWG kann Strafantrag stellen, wer nach Art. 9 und 10 UWG zur Zivilklage berechtigt ist. Berufs- und Wirtschaftsverbände, die nach den Statuten zur Wahrung der wirtschaftlichen Interessen ihrer Mitglieder befugt sind, und Organisationen von gesamtschweizerischer oder regionaler Bedeutung, die sich statutengemäss dem Konsumentenschutz widmen, räumt Art. 10 Abs. 2 UWG das Klage- und damit das Strafantragsrecht ein[23]. Als Spezialvorschrift geht Art. 23 UWG Art. 30 Abs. 1 StGB mit seiner allgemeinen Umschreibung des Antragsrechts vor[24]. Antragsberechtigt gemäss UWG ist jeder, der in seinen wirtschaftlichen Interessen bedroht oder verletzt wird, ferner die Kunden-, Berufs- und Wirtschaftsverbände sowie Organisationen des Konsumentenschutzes[25].

bb) Die Beschwerdeführerin besitzt die juristische Persönlichkeit und ist zur Wahrung der Interessen ihrer Mitglieder offensichtlich in den hier interessierenden Bereichen statutarisch ermächtigt. Sie behauptet Verletzungen von Art. 3 lit. a, b und h UWG[26], die sie im Interesse ihrer Mitglieder geltend macht. Aus der Strafanzeige vom 2. September 2014 geht der Wille zur Bestrafung unzweifelhaft hervor[27]. Somit hat die Beschwerdeführerin im Bereich der behaupteten UWG-Verletzungen gestützt auf Art. 115 Abs. 2 StPO Geschädigten– und folglich Parteistellung und besitzt damit die Rechtsmittellegitimation.

Obergericht, 2. Abteilung, 6. April 2016, SW.2015.143


[1] Heilmittelgesetz, SR 812.21

[2] Gesundheitsgesetz, RB 810.1

[3] Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, SR 241

[4] Guidon, Die Beschwerde gemäss Schweizerischer Strafprozessordnung, Zürich/ St. Gallen 2011, N 215

[5] Das Gesetz spricht im Randtitel zu Art. 382 StPO von den übrigen Parteien.

[6] Guidon, N 221

[7] Lieber, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung (Hrsg.: Donatsch/ Hansjakob/Lieber), 2.A., Art. 382 N 7; Guidon, N 226

[8] Die Rechtsfähigkeit ist nicht eigens in der Strafprozessordnung geregelt, sondern wird von Art. 382 StPO vorausgesetzt. Sie richtet sich nach den einschlägigen Be­stimmungen des Zivilrechts, das heisst nach materiellem Recht. Rechtsfähig und damit beschwerdefähig sind nicht nur natürliche Personen, sondern auch juristische Personen sowie die Kollektiv- und Kommanditgesellschaften, Stockwerkeigentümergemeinschaften sowie Konkursmassen, obwohl ihnen die juristische Persönlichkeit fehlt (Guidon, N 227).

[9] Rechtsfähigkeit und Prozessfähigkeit sind hier – wie in den meisten Fällen – unproblematisch.

[10] Guidon, N 226

[11] BGE 141 IV 457, 138 IV 263

[12] Guidon, N 232

[13] Lieber, Art. 382 StPO N 7; Schmid, Schweizerische Strafprozessordnung, Praxiskommentar, 2.A., Art. 382 N 1 f.; Guidon, N 233; Oberholzer, Grundzüge des Strafprozessrechts, 3.A., N 1557

[14] Guidon, N 234 ff. mit Beispielen, in denen die Beschwerdelegitimation fehlt

[15] Guidon, N 243

[16] Lieber, Art. 104 StPO N 17

[17] Küffer, Basler Kommentar, Art. 104 StPO N 27; Lieber, Art. 104 StPO N 17

[18] Schmid, Handbuch des Schweizerischen Strafprozessrechts, 2.A., N 637; vgl. Mazzucchelli/Postizzi, Basler Kommentar, Art. 115 StPO N 35

[19] Art. 301 Abs. 1 StPO

[20] Art. 301 Abs. 2 StPO

[21] Art. 301 Abs. 3 StPO

[22] Mazzucchelli/Postizzi, Art. 115 StPO N 94 und 100

[23] Mazzucchelli/Postizzi, Art. 115 StPO N 97 und 100

[24] Vgl. Riedo, Basler Kommentar, Art. 30 StGB N 46

[25] Killias/Gilliéron, Basler Kommentar, Art. 23 UWG N 37

[26] In der Strafanzeige argumentierte die Beschwerdeführerin mit Art. 3 lit. h UWG, eventuell mit lit. a und b.

[27] Riedo, Art. 30 StGB N 49

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