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RBOG 2016 Nr. 36

Internationale Freizügigkeit eines deutschen Rechtsanwalts


Art. 5 ff. BGFA, Art. 21 ff. BGFA, Art. 27 ff. BGFA, Art. 30 BGFA


1. Die Beschwerdegegnerin bestritt wie bereits vor Vorinstanz die Vertretungsbefugnis des deutschen Rechtsvertreters des Beschwerdeführers. Dieser Rechtsbeistand, der nicht in der EU- oder EFTA-Anwaltsliste des Kantons Thurgau eingetragen sei, wirke in mindestens sieben Verfahren im Kanton Thurgau als Rechtsvertreter des Beschwerdeführers mit. Damit habe er die Grenze von der dienstleistungserbringenden Anwaltstätigkeit zur ständigen Vertretung überschritten, weshalb in diesem Verfahren eine Vertretung des Beschwerdeführers nicht (mehr) zulässig sei.

2. a) Mit Recht wies die Vorinstanz auf die Abgrenzung zwischen der ständigen Ausübung des Anwaltsberufs durch Anwältinnen und Anwälte aus Mitgliedstaaten der EU oder der EFTA im Sinn von Art. 27 ff. BGFA[1], die eintragungspflichtig ist, und der Ausübung des Anwaltsberufs im freien Dienstleistungsverkehr nach Art. 21 ff. BGFA, welche keine Eintragung bei der kantonalen Aufsichtsbehörde voraussetzt, hin. Die Tätigkeit im freien Dienstleistungsverkehr erlaubt bis zu 90 Arbeitstage in der Schweiz, ohne Aufenthaltserlaubnis und ohne Eintragung in die kantonalen Anwaltsregister. Die "ständige" Vertretung von Parteien vor Gerichtsbehörden in der Schweiz erfordert hingegen eine Eintragung in einer öffentlichen Liste bei einer kantonalen Aufsichtsbehörde; diese Liste unterscheidet sich vom kantonalen Anwaltsregister im Sinn von Art. 5 ff. und 30 BGFA. Ausserdem bedürfen die Anwälte einer Aufenthaltserlaubnis. Ob die Anwaltstätigkeit "ständig" nach Art. 27-29 BGFA oder lediglich "vorübergehend" im Rahmen des Dienstleistungsverkehrs nach Art. 21-26 BGFA – und damit ohne Eintragung in die Liste sowie ohne Aufenthaltserlaubnis – ausgeübt wird, ist nach ihrer Häufigkeit und Dauer zu beurteilen. Die Einschätzung als vorübergehende Dienstleistung wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass sich der betreffende Anwalt in der Schweiz mit einer bestimmten Infrastruktur ausstattet (zum Beispiel Büro)[2].

b) Gemäss der Beschwerdegegnerin wirkte der deutsche Rechtsanwalt in mindestens sieben Verfahren im Kanton Thurgau als Rechtsvertreter des Beschwerdeführers mit. Diese Häufung ist allerdings nicht als "ständige" Anwaltstätigkeit im Sinn von Art. 27 ff. BGFA zu qualifizieren; vielmehr ist hier noch von einer Tätigkeit im freien Dienstleistungsverkehr, mithin von einer vorübergehenden Beschäftigung, auszugehen. Aus dem Umfang der Rechtsvertretungen vor dem Obergericht[3] lässt sich nichts anderes ableiten.

Obergericht, 2. Abteilung, 19. Mai 2016, BR.2016.24


[1] Anwaltsgesetz, SR 935.61

[2] BGE vom 9. August 2004, 2A.536/2003, Erw. 3.2.1 f.

[3] Es waren seit 2011 insgesamt sieben Verfahren, an denen der Rechtsvertreter mitwirkte; in den Jahren 2011, 2012, 2013 wurden je ein und im Jahr 2016 drei Verfahren eingeleitet.

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