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RBOG 2017 Nr. 34

Stundenansatz für die Entschädigung des Offizialanwalts in Strafsachen


§ 5 Abs. 1 AnwT, § 5 Abs. 2 AnwT, § 6 lit. a-c AnwT, § 13 Abs. 2 AnwT


1. Rechtsanwältin X erhob Beschwerde gegen die Festsetzung der Entschädigung und beantragte, die angefochtene Verfügung sei aufzuheben, und sie sei mit Fr. 5'512.70 (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu entschädigen.

2. a) Die Honorarnote der Beschwerdeführerin von insgesamt Fr. 5'512.70 enthält ein Honorar von Fr. 4'883.35, basierend auf einem Aufwand von 24 Stunden und 25 Minuten, Fr. 221.00 Barauslagen und Fr. 408.35 Mehrwertsteuer.

b) Die Staatsanwaltschaft referierte die einschlägigen Bestimmungen des Anwaltstarifs sowie die Vorwürfe an den Beschuldigten und das bisherige Verfahren. Sie kam zum Schluss, es handle sich nicht um einen aussergewöhnlichen Fall im Sinn von § 5 Abs. 2 AnwT. Damit sei die Verteidigerin im Rahmen der Pauschale nach § 5 Abs. 1 AnwT zu entschädigen, ohne dass die von ihr geltend gemachten Aufwandpositionen im Einzelnen geprüft werden müssten. Angemessen erscheine eine Entschädigung mit dem Maximalbetrag von Fr. 4'000.00. Schliesslich sei in Nachachtung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu berücksichtigen, dass zwar eine anwaltliche Honorarbemessung nach Pauschalen zulässig sei, dass diese sich jedoch als verfassungswidrig erweise, wenn sie auf die konkreten Verhältnisse in keiner Weise Rücksicht nehme und im Einzelfall ausserhalb jedes vernünftigen Verhältnisses zu den vom amtlichen Verteidiger geleisteten Diensten stehe[1]. So sei von einer Verletzung des Willkürverbots auszugehen, wenn die zugesprochene Entschädigung die Selbstkosten nicht zu decken und einen zwar bescheidenen, nicht aber bloss symbolischen Verdienst nicht zu gewähren vermöge. Im Sinn einer Faustregel habe sich die Entschädigung gemäss höchstrichterlicher Rechtsprechung in der Grössenordnung von Fr. 180.00 pro Stunde zu bewegen. Vorliegend mache die Beschwerdeführerin einen Zeitaufwand von rund 24,5 Stunden geltend. Würde ihr wie dargestellt ein Pauschalhonorar von Fr. 4'000.00 ausbezahlt, entspräche dies bei entsprechender Umrechnung einem Stundenansatz von rund Fr. 163.00 (Fr. 4'000.00 geteilt durch 24,5 Stunden) und würde damit gegen die bundesgerichtliche Rechtsprechung verstossen. Dementsprechend sei das Honorar über die Pauschale hinaus auf Fr. 4'410.00 (Fr. 180.00 multipliziert mit 24,5 Stunden) zu erhöhen. Das Honorar werde um die ausgewiesenen Barauslagen von Fr. 221.00 sowie um die Mehrwertsteuer von 8% (Fr. 370.50) ergänzt, was gesamthaft Fr. 5'001.50 ergebe.

3. a) aa) Nach Art. 135 Abs. 1 StPO wird die amtliche Verteidigung nach dem Anwaltstarif des Bundes oder desjenigen Kantons entschädigt, in dem das Strafverfahren geführt wurde.

bb) Im Kanton Thurgau werden Offizialverteidiger und Offizialvertreter von Opfern und Geschädigten in Strafsachen gemäss § 13 Abs. 2 AnwT nach dem notwendigen Zeitaufwand entschädigt, wobei die maximale Gesamtgebühr gemäss den ordentlichen Ansätzen nicht überschritten werden darf. Sie haben eine Schlussrechnung einzureichen, welche eine spezifizierte Aufstellung der mandatsbezogenen Tätigkeiten einschliesslich Barauslagen enthält. Der Honoraransatz beträgt Fr. 200.00 pro Stunde. Die ordentlichen Ansätze betragen laut § 5 Abs. 1 AnwT für die Vertretung im Ermittlungs- und Untersuchungsverfahren bis Fr. 4'000.00 und für die Vertretung im Gerichtsverfahren bis Fr. 5'000.00; für die Vertretung im Untersuchungs- und im Gerichtsverfahren macht die Grundgebühr bis Fr. 7'000.00 aus. In aussergewöhnlichen Fällen, insbesondere in Verfahren mit unverhältnismässig grossem oder fremdsprachigem Aktenmaterial, mit sehr umfangreicher Korrespondenz, mit aufwändiger Instruktion, mit zahlreichen Einvernahmen oder bei in anderer Weise komplizierten Verfahren kann gemäss § 5 Abs. 2 AnwT das Maximum überschritten werden. Bei gerichtlichen Beweisverfahren, die erheblichen Zeitaufwand verursachen, werden nach § 6 lit. a-c AnwT für jede zusätzliche Verhandlung oder für an deren Stelle angeordnete Schriftsätze sowie bei aufwendigen Instruktionen (beispielsweise in auswärtigen Anstalten oder unter Beizug eines Dolmetschers) Zuschläge von je 10% bis 40% berechnet.

b) Die Staatsanwaltschaft bestreitet die Notwendigkeit des geltend gemachten Aufwands von rund 24,5 Stunden nicht. Strittig ist deshalb (lediglich), ob die Staatsanwaltschaft den in § 13 Abs. 2 AnwT festgesetzten Stundenansatz von Fr. 200.00 auf Fr. 180.00 reduzieren durfte.

c) Das Obergericht erwog bereits in seinem Entscheid vom 31. Oktober 2011[2], der Hinweis von § 13 Abs. 2 AnwT auf die ordentlichen Ansätze gemäss §§ 5 und 6 AnwT leide an einem Widerspruch, weil sich eine Entschädigung nach Zeitaufwand jedenfalls in gewissen Fällen nicht in den von § 5 AnwT vorgegebenen Rahmentarif einbetten lasse. Letztlich bleibe gar nichts anderes übrig, als die Entschädigung nach dem Zeitaufwand zu bemessen[3]. Dieser Widerspruch stellte die Staatsanwaltschaft verständlicherweise vor ein Dilemma. Auf der einen Seite enthält § 13 Abs. 2 AnwT den Grundsatz der Entschädigung nach Zeitaufwand mit einem Honoraransatz von Fr. 200.00 pro Stunde. Andererseits darf die maximale Gesamtgebühr gemäss den ordentlichen Ansätzen nicht überschritten werden. Eine strikte Umsetzung dieser Einschränkung würde zu einer Begrenzung des notwendigen Aufwands für die ordentlichen - nicht im Sinn von § 5 Abs. 2 AnwT aussergewöhnlichen - Fälle gemäss § 5 Abs. 1 AnwT führen. Dies ist unzulässig, was auch die Staatsanwaltschaft anerkennt. Wenn nun aber in den aussergewöhnlichen Fällen gemäss § 5 Abs. 2 AnwT der (notwendige) Aufwand der amtlichen Verteidigung mit Fr. 200.00 entschädigt wird, ist es nicht zu rechtfertigen, den (notwendigen) Aufwand der amtlichen Verteidigung für alle übrigen Fälle bis auf einen Ansatz von mindestens Fr. 180.00 pro Stunde zu reduzieren, wenn der als notwendig erkannte Aufwand die ordentlichen Rahmen überschreitet. Für eine solche unterschiedliche Behandlung der Tätigkeit einer amtlichen Verteidigung gibt es keinen sachlichen Grund. Die Tätigkeit der Verteidigung ist in gewöhnlichen Fällen nicht anders als in aussergewöhnlichen. Die Interessen der Klienten sind dieselben, unabhängig davon, ob gemäss Anwaltstarif ein gewöhnlicher oder aussergewöhnlicher Fall gegeben ist. Auch aus Sicht des Staates ist kein Unterschied ersichtlich. Das einzige Argument für eine Ungleichbehandlung ist fiskalischer Natur; ein solches rechtfertigt eine Ungleichbehandlung nicht.

d) Zusammengefasst beträgt der Stundenansatz der amtlichen Verteidigung sowohl in aussergewöhnlichen als auch in gewöhnlichen Fällen grundsätzlich Fr. 200.00. Voraussetzung für die Entschädigung mit dem Stundenansatz von Fr. 200.00 ist und bleibt die Notwendigkeit des geltend gemachten Zeitaufwands. Erscheint eine Honorarnote für einen gewöhnlichen Fall im Sinn von § 5 Abs. 1 AnwT angesichts der Umstände des konkreten Verfahrens zu hoch, bleibt der Staatsanwaltschaft und dem Gericht nichts anderes übrig als den geltend gemachten Zeitaufwand auf seine Notwendigkeit hin zu überprüfen. Dabei bleibt es der Staatsanwaltschaft und dem Gericht unbenommen, Honorarnoten mit ungenügend spezifizierter Aufstellung der mandatsbezogenen Tätigkeiten zur Verbesserung zurückzuweisen oder Fragen zu bestimmten Aufwandpositionen zu stellen.

e) Die Entschädigung der Beschwerdeführerin beträgt somit Fr. 4'883.35[4] und Fr. 221.00 Barauslagen entsprechend Fr. 5'104.35 zuzüglich 8% Mehrwertsteuer.

Obergericht, 2. Abteilung, Einzelrichter, 27. April 2017, SW.2017.105


[1] Mit Hinweis auf BGE 141 I 128

[2] SW.2011.126

[3] Mit Hinweis auf Zweidler, Die Praxis zur thurgauischen Strafprozessordnung, Bern 2005, § 52 N 14 a.E.

[4] 24,417 Stunden à Fr. 200.00

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