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RBOG 2018 Nr. 11

Beschwerdelegitimation eines Verbandes


Art. 104 f StPO, Art. 115 StPO, Art. 118 Abs. 1 StPO, Art. 382 Abs. 1 StPO


1. Die X AG ist im Handel mit pharmazeutischen Produkten und Kosmetika tätig; Y ist Mitglied des Verwaltungsrats. Der schweizerische Verband Z ist ein im Handelsregister eingetragener Verein; dessen Zweck ist es, die beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten seiner Mitglieder zu fördern und deren Interessen zu vertreten. Der Verband Z erhob gegen die X AG und Y Strafanzeige wegen Verstosses gegen Art. 86 lit. a, b und c HMG[1], §§ 26 und 33a GG[2] und Art. 3 UWG[3] im Zusammenhang mit dem Versand von nicht verschreibungspflichtigen oder rezeptfreien Arzneimitteln. Die Staatsanwaltschaft stellte das Strafverfahren wegen Vergehen und Übertretungen gegen das Heilmittelgesetz, wegen Verletzung des Berufsgeheimnisses und Verstössen gegen das Gesundheitsgesetz des Kantons Thurgau sowie wegen unlauteren Wettbewerbs im Zusammenhang mit dem Versand und der Werbung nicht verschreibungspflichtiger Medikamente ein. Dagegen erhob der Verband Z Beschwerde.

2. Beschwerdegegenstand ist die Frage, ob die Staatsanwaltschaft das Strafverfahren gegen die Verantwortlichen der X AG und gegen Y betreffend die Sachverhalte im Zusammenhang mit dem Versandhandel mit OTC[4]-Präparaten, einschliesslich der Werbung für diesen Versandhandel, zu Recht einstellte.

3. a) aa) Die Beschwerdegegner X AG und Y bestreiten die Beschwerdelegitimation des Verbands Z. Dieser habe es insbesondere unterlassen, das rechtlich geschützte Interesse zu begründen. Ungeachtet der nicht substantiiert behaupteten Beschwerdelegitimation fehle dem Beschwerdeführer jedenfalls aber die Beschwer für die von ihm geltend gemachten Beschwerdegründe. Das Obergericht habe festgehalten, dem Beschwerdeführer komme in Bezug auf Zuwiderhandlungen gegen das HMG keine Parteistellung zu. Deshalb fehle ihm das rechtlich geschützte Interesse, die Einstellungsverfügung anzufechten, soweit die Staatsanwaltschaft eine Zuwiderhandlung gegen das HMG verneint habe. Genau dies tue aber der Beschwerdeführer: Er beanstande ausschliesslich die Würdigung der Staatsanwaltschaft in Bezug auf das HMG.

bb) Die Staatsanwaltschaft bestreitet die Beschwer des Beschwerdeführers nur in Bezug auf die Anfechtung von Ziff. 1 des Dispositivs der angefochtenen Verfügung (HMG-Delikte etc.), nicht aber in Bezug auf Ziff. 2 (UWG-Delikte).

b) Jede Partei, die ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung eines Entscheids hat, kann gemäss Art. 382 Abs. 1 StPO ein Rechtsmittel ergreifen. Die Rechtsmittellegitimation ist eine Prozessvoraussetzung und daher vorab von der mit der Sache befassten Rechtsmittelinstanz von Amtes wegen zu prüfen. Fehlt sie, ist auf die Beschwerde nicht einzutreten[5]. Ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung eines Entscheids und damit eine Beschwer ist (nur) gegeben, wenn der Beschwerdeführer selbst in seinen eigenen Rechten unmittelbar und direkt betroffen ist[6].

c) aa) Parteien sind die beschuldigte Person, die Privatklägerschaft sowie (im Haupt- und Rechtsmittelverfahren) die Staatsanwaltschaft; Bund und Kantone können weiteren Behörden, die öffentliche Interessen zu wahren haben, volle oder beschränkte Parteirechte einräumen[7]. Sogenannte andere Verfahrensbeteiligte bilden die geschädigte Person, die Person, die Anzeige erstattete, die Zeugin oder der Zeuge, die Auskunftsperson, die oder der Sachverständige sowie der oder die durch Verfahrenshandlungen beschwerte Dritte. Werden die Verfahrensbeteiligten in ihren Rechten unmittelbar betroffen, stehen ihnen die zur Wahrung ihrer Interessen erforderlichen Verfahrensrechte einer Partei zu[8].

bb) Als Privatklägerschaft (und damit nach Art. 104 Abs. 1 lit. b StPO als Partei) gilt die geschädigte Person, die ausdrücklich erklärt, sich am Strafverfahren als Straf- oder Zivilklägerin zu beteiligen[9]. Als geschädigte Person gilt die Person, die durch die Straftat in ihren Rechten unmittelbar verletzt worden ist, wobei die zur Stellung eines Strafantrags berechtigte Person in jedem Fall als geschädigte Person gilt[10]. Die Umschreibung der unmittelbaren Verletzung in eigenen Rechten geht vom Begriff des Rechtsguts aus. Dementsprechend ist unmittelbar verletzt, wer Träger des durch die verletzte Strafnorm geschützten oder zumindest mitgeschützten Rechtsguts ist. Als Geschädigter ist somit anzusehen, wer Träger des Rechtsguts ist, das durch die fragliche Strafbestimmung vor Verletzung oder Gefährdung geschützt werden soll. Im Zusammenhang mit Strafnormen, die nicht primär Individualrechtsgüter schützen, gelten praxisgemäss nur diejenigen Personen als Geschädigte, die durch die darin umschriebenen Tatbestände in ihren Rechten beeinträchtigt werden, sofern diese Beeinträchtigung unmittelbare Folge des tatbestandsmässigen Handelns ist. Bei Straftaten gegen kollektive Interessen reicht es für die Annahme der Geschädigtenstellung im Allgemeinen aus, dass das von der geschädigten Person angerufene Individualrechtsgut durch den Straftatbestand auch nur nachrangig oder als Nebenzweck geschützt wird. Werden dagegen durch Delikte, die (nur) öffentliche Interessen verletzen, private Interessen auch, aber bloss mittelbar beeinträchtigt, ist der Betroffene nicht Geschädigter im Sinn von Art. 115 Abs. 1 StPO[11].

cc) Bei Straftaten gegen kollektive, gruppenspezifische oder fremde Rechtsgüter, deren Schutz zum statutarischen Zweck von sogenannten Interessenverbänden gehört, sind diese letzteren nicht im Sinn von Art. 115 Abs. 1 StPO unmittelbar in ihren Rechten verletzt. Interessenverbände werden nämlich nicht schon dadurch Träger der Rechtsgüter, dass sie sich der Pflege dieser Rechtsgüter satzungsmässig widmen. Diesfalls sind die Interessenverbände in ihren Rechten - wenn überhaupt - nur mittelbar verletzt und können daher nicht als geschädigte Personen anerkannt werden. Ausnahmsweise ist der Interessenverband als geschädigte Person gestützt auf Art. 115 Abs. 2 StPO zu betrachten, wenn eine gesetzliche Sonderbestimmung vorliegt, die ihm die Strafantragsberechtigung zuspricht. Dies ist etwa der Fall bei Berufs- und Wirtschaftsverbänden, die nach den Statuten zur Wahrung der wirtschaftlichen Interessen der Mitglieder befugt sind, sowie bei Konsumentenschutzorganisationen von gesamtschweizerischer oder regionaler Bedeutung. Diese Interessenverbände sind zwar nicht Geschädigte im Sinn von Art. 115 Abs. 1 StPO, wohl aber gestützt auf Art. 115 Abs. 2 StPO i.V.m. Art. 23 Abs. 2 und Art. 10 Abs. 2 UWG[12].

dd) Die Lehre spricht privaten Verbänden und Vereinigungen, die sich wie Konsumentenschutzorganisationen, Umwelt- und Tierschutzverbände oder Organisationen gegen Rassismus dem Schutz allgemeiner Interessen verpflichten, die Parteistellung ab. Die Wahrung überindividueller Rechte und die Durchsetzung des Strafanspruchs ist ausschliesslich Sache der Staatsanwaltschaft und allenfalls weiterer Behörden nach Art. 104 Abs. 2 StPO – dies im Gegensatz zu Rechtsgebieten, die, wie etwa das Verwaltungsverfahrensrecht, eine Verbandslegitimation kennen[13].

ee) Der Botschaft zur StPO ist zu entnehmen, dass im Rahmen der Schaffung der StPO diskutiert wurde, ob nebst Behörden auch Vereinigungen und Verbänden, die sich dem Schutz allgemeiner Interessen verpflichtet hätten, Verfahrensrechte oder sogar Parteistellung zuzugestehen sei. Die Frage sei auch Gegenstand zweier parlamentarischer Vorstösse gewesen, wonach insbesondere antirassistischen Vereinigungen in Verfahren betreffend Rassendiskriminierung die Stellung einer Privatklägerschaft beziehungsweise die Beschwerdelegitimation einzuräumen sei. Allerdings seien diese Vorstösse – so die Botschaft – verworfen worden; vielmehr sei im Entwurf der StPO ausdrücklich darauf verzichtet worden, Verbänden Parteistellung einzuräumen und damit Rechtsmittelmöglichkeiten zu gewähren. Im Straf- und Strafprozessrecht sei, anders als in anderen Rechtsgebieten, die ein Verbandsbeschwerderecht kennen würden, mit der Staatsanwaltschaft eine Behörde tätig, die allgemeine, überindividuelle Rechte zu wahren und den Strafanspruch von Amtes wegen durchzusetzen habe. Falls die Strafverfolgungsbehörden nicht aus eigenem Antrieb ein Verfahren eröffneten – so die Botschaft weiter – könne jede Person und jede Personenvereinigung, die solche Delikte feststelle, gestützt auf Art. 301 StPO eine Strafanzeige erstatten und damit eine Strafuntersuchung auslösen. Die Einführung von Verfahrensrechten für solche Verbände würde im Übrigen den im schweizerischen Strafverfahrensrecht herrschenden Grundsatz durchbrechen, dass als Parteien im Prinzip nur die beschuldigte Person, die Privatklägerschaft und der verfolgende Staat zugelassen seien. Zudem hätte die Zulassung privater Verbände als weitere Parteien eine wesentliche Erschwerung des Verfahrens zur Folge, die mit den dadurch erzielten Vorteilen in einem Missverhältnis stünde[14].

ff) Bezeichnenderweise liess der Bundesgesetzgeber den Kantonen nicht einmal mehr Raum für die Einführung eines unabhängigen oder privaten Tieranwalts. Dementsprechend musste der Kanton Zürich den bereits eingeführten unabhängigen Tieranwalt wieder abschaffen. Vielmehr muss ein öffentlicher Tieranwalt in eine Behörde im Sinn von Art. 104 Abs. 2 StPO eingebunden sein[15]. Mit anderen Worten dürfen die Kantone seit Einführung der StPO privaten Verbänden in Strafverfahren keine besonderen Parteirechte mehr einräumen[16].

d) aa) Der Beschwerdeführer ist ein Verein im Sinn von Art. 60 ZGB und als solcher mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestattet[17]. Dabei steht ausser Frage, dass er weder Beschuldigter im Sinn von Art. 104 Abs. 1 lit. a StPO noch eine Behörde gemäss Art. 104 Abs. 2 StPO ist. Indessen ist der Beschwerdeführer als Anzeigeerstatter nach Art. 105 Abs. 1 lit. b StPO einzustufen. Als Anzeigeerstatter stehen ihm, wenn er weder geschädigt noch Privatkläger ist, keine weitergehenden Verfahrensrechte zu[18].

bb) Zwar kann ein Verband von einer Anordnung oder einem prozessrechtlich relevanten Sachverhalt selbst betroffen sein; in diesen Fällen ist der Verband als juristische Person verfahrensrechtlich wie jede andere (direkt) betroffene Person zu behandeln. Eine solche Situation liegt jedoch in diesem Verfahren nicht vor.

cc) Wie bereits im (ebenfalls den Beschwerdeführer betreffenden) Entscheid des Obergerichts vom 6. April 2016, SW.2015.143, Erw. 1d, festgehalten wurde, ist betreffend die behaupteten Widerhandlungen gegen das UWG gestützt auf Art. 115 Abs. 2 StPO eine Parteistellung des Beschwerdeführers und damit seine Rechtsmittellegitimation zu bejahen, da ihm das UWG[19] ein Strafantragsrecht einräumt und er mit der Strafanzeige vom 2. September 2014 (sinngemäss) Strafantrag stellte. Er ist zudem durch den angefochtenen Entscheid, mit dem das Verfahren betreffend die von ihm beanzeigten UWG-Delikte eingestellt wird, auch beschwert. Damit ist die Beschwerdelegitimation des Beschwerdeführers hinsichtlich der Einstellung des Strafverfahrens in Bezug auf die UWG-Delikte ohne weiteres gegeben. Entgegen der Darstellung der Beschwerdegegner beanstandet der Beschwerdeführer nicht ausschliesslich die Einstellung der HMG-Delikte. Vielmehr macht er geltend, die Einstellung des Verfahrens basiere hinsichtlich der zur Anzeige gebrachten UWG-Delikte ausschliesslich auf der falschen Annahme der Staatsanwaltschaft, es liege ein Sachverhalts- und ein Verbotsirrtum bei den Beschuldigten vor. In der Folge setzte sich der Beschwerdeführer ausführlich mit dieser Problematik auseinander. Weil die Staatsanwaltschaft bei den UWG-Delikten den objektiven Tatbestand bejahte, hatte der Beschwerdeführer keine Veranlassung, sich damit konkret zu befassen.

dd) Das Heilmittelrecht schützt keine Rechtsgüter des Beschwerdeführers, auch nicht teilweise. Das HMG soll vielmehr zum Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier gewährleisten, dass nur qualitativ hochstehende, sichere und wirksame Heilmittel in Verkehr gebracht werden[20]. Im HMG gibt es – anders als im UWG – auch kein Strafantragsrecht für Verbände. Daher hat der Beschwerdeführer in Bezug auf die Widerhandlungen gegen das HMG keine Parteistellung, und er ist auch nicht legitimiert, diesbezüglich die Einstellung des Verfahrens anzufechten.

Obergericht, 2. Abteilung, 8. Februar 2018, SW.2017.114


[1] Bundesgesetz über Arzneimittel und Medizinprodukte (Heilmittelgesetz), SR 812.21

[2] Gesetz über das Gesundheitswesen (Gesundheitsgesetz), RB 810.1

[3] Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, SR 241

[4] OTC = "over the counter"; Versandhandel mit nicht verschreibungspflichtigen und rezeptfreien Arzneimitteln sowie Medikamenten

[5] Ziegler/Keller, Basler Kommentar, Art. 382 StPO N 1; Guidon, Die Beschwerde gemäss Schweizerischer Strafprozessordnung, Zürich/St. Gallen 2011, N 215 f.

[6] BGE vom 17. November 2016, 1B_339/2016, Erw. 2.4; BGE vom 22. Oktober 2015, 1B_242/2015, Erw. 4.3.1; Lieber, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung (Hrsg.: Donatsch/Hansjakob/Lieber), 2.A., Art. 382 N 7; Schmid, Schweizerische Strafprozessordnung, Praxiskommentar, 2.A., Art. 382 N 1 f.; Guidon, N 232; Oberholzer, Grundzüge des Strafprozessrechts, 3.A., N 1557

[7] Art. 104 Abs. 1 lit. a-c und 2 StPO

[8] Art. 105 Abs. 1 lit. a-f und 2 StPO

[9] Art. 118 Abs. 1 StPO

[10] Art. 115 Abs. 1 und 2 StPO

[11] BGE 141 IV 457

[12] Mazzucchelli/Postizzi, Basler Kommentar, Art. 115 StPO N 35 f. und 100

[13] Küffer, Basler Kommentar, Art. 104 StPO N 27; Schmid, Praxiskommentar, Art. 104 StPO N 10; Schmid, Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, 2.A., N 637; Riklin, Schweizerische Strafprozessordnung, Kommentar, 2.A., Art. 104 N 3; Lieber, Art. 104 StPO N 17

[14] Botschaft zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts vom 21. Dezember 2005, BBl 2006 S. 1163

[15] Küffer, Art. 104 StPO N 28; Lieber, Art. 104 StPO N 18

[16] Riedo/Fiolka/Niggli, Strafprozessrecht sowie Rechtshilfe in Strafsachen, Basel 2011, N 793

[17] Art. 53 ZGB

[18] Art. 301 Abs. 3 StPO

[19] Art. 10 Abs. 2 i.V.m Art. 23 Abs. 2 UWG

[20] Botschaft zur Änderung des Heilmittelgesetzes vom 7. November 2013, BBl 2012 S. 3; Botschaft zu einem Bundesgesetz über Arzneimittel und Medizinprodukte vom 1. März 1999, BBl 1999 S. 3456

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