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RBOG 2018 Nr. 18

Beschwerde gegen die im Gutachterauftrag formulierten Fragen


Art. 184 Abs. 3 StPO, Art. 393 Abs. 1 lit. a StPO


1. Die Staatsanwaltschaft eröffnete gegen die Beschwerdeführerin eine Strafuntersuchung wegen fahrlässiger Tötung. Im Rahmen der Untersuchung teilte die Staatsanwaltschaft dem Gutachter mit, sie beabsichtige, ihn als sachverständige Person zur Erstellung eines Ergänzungsgutachtens zu ernennen und nannte die zu beantwortenden Fragen. Die Beschwerdeführerin erhob fristgerecht Beschwerde und beantragte, die angefochtene Verfügung sei aufzuheben, und der Gutachterauftrag sei zu widerrufen, wobei die Verfahrensleitung insbesondere anzuweisen sei, die Fragen an den Gutachter gemäss den Ausführungen in der Beschwerdebegründung zu überarbeiten beziehungsweise neu zu formulieren.

2. a) Die Beschwerde richtet sich gegen eine verfahrensleitende Verfügung der Staatsanwaltschaft, in welcher diese eine sachverständige Person für ein Ergänzungsgutachten ernannte und die zu beantwortenden Fragen stellte. Angefochten sind einzig die in der verfahrensleitenden Verfügung formulierten Fragen. Es ist daher vorab zu prüfen, ob dagegen überhaupt Beschwerde erhoben werden kann.

b) Die Beschwerde ist zulässig gegen Verfügungen und Verfahrenshandlungen von Polizei, Staatsanwaltschaft und Übertretungsstrafbehörden[1]. Im Zusammenhang mit dem durch die Staatsanwaltschaft angeordneten Gutachterauftrag kann gegen die Ernennung der sachverständigen Person sowie gegen den Auftrag an sich, insbesondere auch gegen die darin formulierten Fragen, Beschwerde erhoben werden[2]. Damit ist auf die Beschwerde einzutreten.

c) aa) Mit der Beschwerde können Rechtsverletzungen – einschliesslich Überschreitung und Missbrauch des Ermessens, Rechtsverweigerung und Rechtsverzögerung –, die unvollständige oder unrichtige Feststellung des Sachverhalts und Unangemessenheit gerügt werden[3]. Die Beschwerdeinstanz verfügt in diesem Sinn über freie beziehungsweise volle Kognition[4]. Eine Rechtsverletzung kann etwa in der falschen Ermittlung des massgeblichen Rechts, der unzutreffenden Auslegung oder der unrichtigen Anwendung eines Rechtssatzes auf einen bestimmten Sachverhalt hin bestehen. Ermessensüberschreitung liegt vor, wenn die Strafbehörde Ermessen walten lässt, wo ihr das Gesetz keines einräumt, oder wo sie eine Rechtsfolge anordnet, die von der gesetzlichen Ermessensbestimmung nicht vorgesehen ist. Ermessensmissbrauch ist gegeben, wenn die Strafbehörde zwar im Rahmen des ihr eingeräumten Ermessens bleibt, sich aber von unsachlichen, dem Zweck der massgebenden Vorschriften fremden Erwägungen leiten lässt oder allgemeine Rechtsprinzipien, wie das Verbot der Willkür oder der rechtsungleichen Behandlung, das Gebot von Treu und Glauben oder den Grundsatz der Verhältnismässigkeit verletzt[5]. Nebst der unvollständigen oder unrichtigen Feststellung des Sachverhalts kann mit der Beschwerde auch Unangemessenheit gerügt werden. Eine Verfahrenshandlung ist unangemessen, wenn sie zwar innerhalb des Ermessens- sowie Beurteilungsspielraums liegt und die Verfassungsprinzipien sowie Sinn und Zweck der gesetzlichen Ordnung beachtet, das Ermessen jedoch nicht richtig, das heisst unzweckmässig gehandhabt wird. Wie weit sich die Beschwerdeinstanz diesbezüglich eine gewisse Zurückhaltung auferlegen soll, ist umstritten. Jedenfalls ist nicht zu beanstanden, wenn sich die Beschwerdeinstanz damit begnügt, die Angemessenheit der Verfahrenshandlung zu kontrollieren, – und soweit diese nicht unangemessen ist – von einer Abänderung der angefochtenen Handlung absieht, auch wenn sie selbst, hätte sie als erstinstanzliche Strafbehörde entschieden, möglicherweise eine andere Lösung gewählt hätte[6].

bb) Die Staatsanwaltschaft zieht eine sachverständige Person bei, wenn sie nicht über die besonderen Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt, die zur Feststellung oder Beurteilung eines Sachverhalts erforderlich sind[7]. Die Verfahrensleitung ernennt die sachverständige Person[8]. Sie erteilt ihr einen schriftlichen Auftrag, welcher unter anderem die präzis formulierten Fragen enthält[9]. Die Verfahrensleitung gibt den Parteien vorgängig Gelegenheit, sich zur sachverständigen Person und zu den Fragen zu äussern und dazu eigene Anträge zu stellen[10]. Bei der Formulierung der Fragen ist darauf zu achten, dass die Abgrenzung der Kompetenzen zwischen der Justiz und den Sachverständigen klar beachtet wird. Die rechtliche Würdigung des Sachverhalts ist dem Gericht vorbehalten. In der Regel gilt dies auch für die Würdigung der vorhandenen Beweise. Eine rechtliche Subsumtion eines Sachverhalts kann nicht Gegenstand eines Gutachtens sein[11]. So darf zum Beispiel nicht gefragt werden, ob eine Verletzung als schwere Körperverletzung gemäss Art. 122 StGB zu erachten sei oder ob im Fall einer misslungenen Operation eine fahrlässige Tötung nach Art. 117 StGB vorliege. Aufgabe des Sachverständigen kann es in derartigen Konstellationen nur sein, Vorgeschichte, Befund sowie Diagnose festzuhalten, nicht aber, die richterliche Würdigung des Gutachtensergebnisses vorwegzunehmen[12]. Eine Trennung zwischen Rechts- und Tatfragen lässt sich indessen gelegentlich nicht sauber vornehmen. Die Ermittlung der Voraussetzungen eines Entscheids lässt sich nicht klar vom Entscheid selbst auseinander halten. Die Frage nach der Relevanz gutachterlicher Feststellungen setzt bereits rechtliche Überlegungen voraus. Wissenschaftliche und rechtliche Fragestellungen liegen oft sehr nahe beieinander oder überlappen sich sogar[13]. Auch wenn sich die Trennung von Rechts- und Tatfrage praktisch somit nicht konsequent durchführen lässt, ist sie aber als Postulat aufrechtzuerhalten[14].

cc) Wie die Bestellung des Sachverständigen ist auch die Formulierung der Fragen an sich – im Gegensatz etwa zum Zivilrecht – durchwegs Aufgabe von Staatsanwaltschaft oder Gericht. Es besteht kein Anspruch der Parteien auf Beantwortung bestimmter Fragen[15]. Der Gesetzgeber statuiert aber ein Recht der Parteien auf rechtliches Gehör bei der Umschreibung des Beweisthemas. Diese dabei auf die Gelegenheit zu Ergänzungsfragen erst nach Erstellung des Gutachtens zu verweisen, kann wenig effizient sein. Eine grosszügige Zulassung von Fragen der Parteien dürfte unter Umständen im Interesse der späteren Akzeptanz gutachterlicher Feststellungen sachgerecht sein. Dies gilt jedenfalls dann, wenn damit nicht ein unnötiger grosser beziehungsweise unzumutbarer Aufwand verbunden ist[16].

Obergericht, 2. Abteilung, 28. Juni 2018, SW.2018.26


[1] Art. 393 Abs. 1 lit. a StPO

[2] Guidon, Basler Kommentar, Art. 393 StPO N 10; Heer, Basler Kommentar, Art. 184 StPO N 24, 38; Schmid/Jositsch, Schweizerische Strafprozessordnung, Praxiskommentar, 3.A., Art. 184 N 3, 8

[3] Art. 393 Abs. 2 lit. a-c StPO

[4] Guidon, Art. 393 StPO N 15

[5] Guidon, Art. 393 StPO N 15a

[6] Guidon, Art. 393 StPO N 17 f.

[7] Art. 182 StPO

[8] Art. 184 Abs. 1 StPO

[9] Art. 184 Abs. 2 lit. c StPO

[10] Art. 184 Abs. 3 Satz 1 StPO

[11] Heer, Art. 184 StPO N 12

[12] Donatsch, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung (Hrsg.: Donatsch/Hansjakob/Lieber), 2.A., Art. 184 N 20

[13] Heer, Art. 184 StPO N 12

[14] Donatsch, Art. 184 StPO N 20

[15] Donatsch, Art. 184 StPO N 36

[16] Heer, Art. 184 StPO N 24

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