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RBOG 2018 Nr. 5

Verlegung der Kosten eines Schiedsgutachtens als Teil der Gerichtskosten


Art. 95 ZPO, Art. 183 ff. ZPO, Art. 189 f ZPO


1. Im Rahmen einer Streitigkeit betreffend Forderung aus Werkvertrag zwischen der Beschwerdeführerin und der X GbR einigten sich die Parteien anlässlich der Hauptverhandlung darauf, ein Schiedsgutachten einzuholen. In der Folge stimmten beide Parteien einer "Vereinbarung betreffend Einholung eines Schiedsgutachtens nach Art. 189 ZPO" zu. Sie bestellten einen Sachverständigen und vereinbarten, die anfallenden Gutachterkosten seien im Endentscheid des gerichtlichen Verfahrens nach Obsiegen und Unterliegen aufzuerlegen. Mit Entscheid vom 12. März 2018 schrieb die vorsitzende Richterin des Bezirksgerichts das Verfahren zufolge Gegenstandslosigkeit am Protokoll ab und auferlegte den Parteien die Kosten des Schiedsgutachtens je zur Hälfte. Am 30. April 2018 ging beim Bezirksgericht eine Rechnung des Sachverständigen für die von ihm erbrachten Leistungen zur Begleitung der Instandsetzung und Mängelbeseitigung ein. Mit Entscheid vom 4. Juni 2018 ergänzte die vorsitzende Richterin Dispositiv-Ziff. 2 ihres Entscheids vom 12. März 2018 und auferlegte den Parteien auch die weiteren Kosten des Schiedsgutachters je zur Hälfte. Dagegen erhob die Beschwerdeführerin Beschwerde.

2. a) Die Beschwerdeführerin bringt vor, das Gericht sei nicht dafür zuständig gewesen, die Kosten des Gutachters in den gerichtlichen Kostenspruch aufzunehmen. Die Parteien hätten eine Vereinbarung über ein Schiedsgutachten getroffen; der Gutachter sei von den Parteien im Rahmen dieses privatrechtlichen Auftrags zu entschädigen.

b) aa) Nach Art. 189 Abs. 1 ZPO können die Parteien vereinbaren, über streitige Tatsachen ein Schiedsgutachten einzuholen. Das Schiedsgutachten bindet das Gericht hinsichtlich der darin festgestellten Tatsachen, wenn die Parteien über das Rechtsverhältnis frei verfügen können, gegen die beauftragte Person kein Ausstandsgrund vorlag, und das Schiedsgutachten ohne Bevorzugung einer Partei erstellt wurde und nicht offensichtlich unrichtig ist[1].

bb) Beim Schiedsgutachten handelt es sich nicht um ein Beweismittel im engeren Sinn, sondern um ein eigenständiges Institut, mit dem die Parteien bezwecken, eine rechtserhebliche Tatsache (oder Rechtsfrage) durch einen Dritten verbindlich feststellen zu lassen[2]. Die Einholung eines Schiedsgutachtens beruht auf einer Vereinbarung der Parteien, streitige rechtserhebliche Tatsachen durch eine vom Gericht verschiedene Drittperson verbindlich feststellen zu lassen (Schiedsgutachtensvereinbarung)[3]. Davon abzugrenzen ist der Schiedsgutachtervertrag, welchen die Parteien mit dem Schiedsgutachter abschliessen; dieser untersteht dem Auftragsrecht[4]. Die Pflicht der Parteien ist es, den Schiedsgutachter zu entschädigen. Haben sich die Parteien nicht bereits in der Schiedsgutachtensvereinbarung über die Kostentragung verständigt, sollten sie sich darüber spätestens mit der Mandatserteilung an den Schiedsgutachter einigen und diesem die Rechnungsadresse bekanntgeben. Für das Schiedsgutachten nicht entscheidend ist, welche Partei die Kosten trägt. Möglich ist die Kostenübernahme durch die am stärksten interessierte Partei, eine hälftige Kostenteilung oder eine Kostenverteilung nach Ergebnis des Schiedsgutachtens. Ist die Kostentragung ungeregelt geblieben, entspricht dem gemeinsamen Auftrag die hälftige Kostenteilung, wobei beide Parteien dem Beauftragten je für den gesamten Betrag haften[5].

cc) Das Schiedsgutachten unterscheidet sich deutlich vom Gutachten, das von einer Partei oder einem Gericht in Auftrag gegeben wird. Das gerichtliche Gutachten im Sinn von Art. 183 ff. ZPO ist Beweismittel, welches der freien richterlichen Beweiswürdigung unterliegt[6]; ein Schiedsgutachten kann hingegen vom Richter nur unter dem Gesichtswinkel der Willkür überprüft werden. Im Fall eines gerichtlichen Gutachtens im Sinn von Art. 183 ZPO bestellt das Gericht die sachverständige Person zu einem bestimmten Beweisthema mit prozessleitendem Entscheid, belehrt diese über ihre Pflicht zur wahrheitsgemässen Berichterstattung und weist sie auf die strafrechtlichen Folgen nach Art. 307 StGB hin[7]. Das Rechtsverhältnis zwischen der sachverständigen Person und dem Gericht ist öffentlich-rechtlicher Natur und richtet sich nach Art. 183 ff. ZPO[8]. Gemäss Art. 184 Abs. 3 ZPO hat die sachverständige Person Anspruch auf eine angemessene Entschädigung; nach welchen Grundsätzen die Entschädigung zu erfolgen hat, kann das kantonale Recht bestimmen[9]. Falls nichts anderes gesetzlich geregelt ist oder zwischen Gericht und sachverständiger Person vereinbart wurde, bemisst sich die Entschädigung nach Aufwand zu einem für die Tätigkeit angemessenen Stundenansatz zuzüglich Auslagenersatz. Unnötiger oder unverhältnismässiger Aufwand ist grundsätzlich nicht zu vergüten[10]. Bei der Entschädigung von Experten sind die branchenüblichen Ansätze anzuwenden[11]. Die Kosten der Beweisführung, insbesondere für die Einholung von Gutachten[12], sind Teil der Gerichtskosten[13]; diese werden von Amtes wegen festgesetzt und verteilt[14].

c) aa) Die Parteien beschlossen anlässlich der Hauptverhandlung vom 7. September 2015, ein Schiedsgutachten im Sinn von Art. 189 ZPO in Auftrag zu geben. Die vorsitzende Richterin des Bezirksgerichts setzte den Parteien anschliessend Frist für die Nennung von Experten. Die Parteien einigten sich auf Y, welcher am 15. Oktober 2015 durch die vorsitzende Richterin kontaktiert wurde. Am 16. Oktober 2015 unterbreitete die vorsitzende Richterin des Bezirksgerichts den Parteien einen Entwurf für eine "Vereinbarung betreffend Einholung eines Schiedsgutachtens nach Art. 189 ZPO", worin sich die Parteien verpflichten sollten, sich in Bezug auf die behaupteten Mängel an der Fassade und an der Terrasse sowie die möglichen Nachbesserungen und einen allfälligen Minderwert der Meinung des Experten zu unterziehen. Die anfallenden Gutachterkosten seien "im Endentscheid des gerichtlichen Verfahrens nach Obsiegen und Unterliegen aufzuerlegen".

bb) Mit Schreiben vom 20. November 2015 erklärte der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin, es fehle ihr angesichts der von der X GbR bereits vorgenommenen zahlreichen erfolglosen Nachbesserungsversuche an Vertrauen in die Leistungsfähigkeit der X GbR. Um der X GbR die Möglichkeit einer weiteren Nachbesserung nach den Vorgaben des Experten einzuräumen, bestehe die Beschwerdeführerin darauf, dass der Experte die Nachbesserungsarbeiten begleite und überwache und nach deren Abschluss bestätige, dass die Nachbesserungsarbeiten sorgfältig, einwandfrei und gemäss seinen Vorgaben durchgeführt worden seien. Unter Einbezug einer entsprechenden Ergänzung der Vereinbarung sei die Beschwerdeführerin mit der vom Gericht vorgeschlagenen Vereinbarung einverstanden. Darauf stellte die vorsitzende Richterin des Bezirksgerichts den Parteien einen angepassten Entwurf der Vereinbarung zu, welche die Parteien jeweils am 2. Dezember 2015 unterzeichneten.

cc) Mit Schreiben vom 10. Dezember 2015 stellte die vorsitzende Richterin dem Gutachter die Akten sowie den Fragekatalog zu und wies ihn auf die Straffolgen eines falschen Gutachtens nach Art. 307 StGB hin. Weiter forderte die vorsitzende Richterin den Gutachter auf, dem Bezirksgericht einen ungefähren Kostenvoranschlag zukommen zu lassen. Am 12. Juli 2016 führte das Bezirksgericht einen Augenschein und eine mündliche Experteninstruktion durch. Auf seinem Gutachten vom 5. Januar 2017 bezeichnete der Experte das Bezirksgericht als Auftraggeber und stellte diesem am 8. Januar 2017 auch Rechnung für die Erstellung des Gutachtens. Weiter richtete der Experte auch die Aktennotiz und den Abschlussbericht vom 14. April 2018 sowie die Rechnung vom 24. April 2018 an das Bezirksgericht und nicht an die Parteien.

d) aa) Die Parteien schlossen somit zwar eine Schiedsgutachtensvereinbarung ab. Bei der Einholung des Gutachtens gingen aber sowohl die Parteien als auch das Gericht vor, als handle es sich um ein gerichtliches Gutachten: Das Gericht beauftragte, instruierte und belehrte den Experten entsprechend den gesetzlichen Vorgaben von Art. 183 ff. ZPO; den damals anwaltlich vertretenen Parteien war dieses Vorgehen bekannt, doch wehrten sie sich nicht dagegen.

bb) Zudem einigten sich die Parteien in Ziff. 8 der Vereinbarung darauf, die anfallenden Gutachterkosten seien "im Endentscheid des gerichtlichen Verfahrens nach Obsiegen und Unterliegen aufzuerlegen". Dabei ist offensichtlich, dass zu diesen "Gutachterkosten" auch der Aufwand des Experten für die von der Beschwerdeführerin ausdrücklich verlangte Begleitung der Nachbesserungsarbeiten gehört. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin geht aus dem Wortlaut dieser Bestimmung gerade nicht hervor, die Parteien hätten beabsichtigt, "gerichtlich den Kostenverteiler festzulegen, nicht diese Kosten in den Kostenspruch betreffend Gerichtskosten aufzunehmen". Gegen die von der Beschwerdeführerin vorgenommene Auslegung von Ziff. 8 der Vereinbarung spricht zudem, dass die Beschwerdeführerin den Entscheid der Vorinstanz vom 12. März 2018, worin ihr die Kosten für die Erstellung des Schiedsgutachtens zur Hälfte auferlegt wurden, nicht anfocht.

cc) Da die Parteien damit einverstanden waren, dass die Vorinstanz das Schiedsgutachten nach den Bestimmungen von Art. 183 ff. ZPO einholte, und da sie vereinbarten, die Kosten seien ihnen im Endentscheid aufzuerlegen, war die Vorinstanz befugt, die Kosten des Schiedsgutachters als Teil der Gerichtskosten zu verlegen.

Obergericht, 1. Abteilung, 24. August 2018, ZR.2018.28


[1] Art. 189 Abs. 3 ZPO

[2] Berger, Berner Kommentar, Art. 189 ZPO N 2; Dolge, Basler Kommentar, Art. 189 ZPO N 1 und 3; Weibel, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung (Hrsg.: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger), 3.A., Art. 189 N 3

[3] Weibel, Art. 189 ZPO N 8; Berger, Art. 189 ZPO N 4 ff.; Dolge, Art. 189 ZPO N 10

[4] Weibel, Art. 189 ZPO N 8b; Dolge, Art. 189 ZPO N 28; Berger, Art. 189 ZPO N 8

[5] Dolge, Art. 189 ZPO N 32

[6] Dolge, Art. 189 ZPO N 56

[7] Dolge, Art. 183 ZPO N 32

[8] Dolge, Art. 184 ZPO N 1

[9] Dolge, Art. 184 ZPO N 9

[10] Dolge, Art. 184 ZPO N 10

[11] Rüegg/Rüegg, Basler Kommentar, Art. 95 ZPO N 12

[12] Suter/von Holzen, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung (Hrsg.: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger), 3.A., Art. 95 N 23; Rüegg/Rüegg, Art. 95 ZPO N 11; Sterchi, Berner Kommentar, Art. 95 ZPO N 10a

[13] Art. 95 Abs. 2 lit. c ZPO

[14] Art. 105 Abs. 1 ZPO

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