Skip to main content

RBOG 2020 Nr. 19

Rechtsmittel gegen den Entscheid betreffend Feststellung neuen Vermögens; Bestätigung der Praxis gemäss RBOG 2011 Nr. 20


Art. 265 a Abs. 1 SchKG, Art. 265 a Abs. 4 SchKG


1. a) Der Schuldner erhob im gegen ihn ausgestellten Zahlungsbefehl für eine Forderung aus Verlustschein Rechtsvorschlag, wobei er geltend machte, er sei nicht zu neuem Vermögen gekommen. In der Folge legte das Betreibungsamt den Rechtsvorschlag dem Bezirksgericht vor.

b) Das Bezirksgericht trat auf den Rechtsvorschlag «kein neues Vermögen» nicht ein (Ziff. 1). Der Schuldner habe die Betreibungskosten zu tragen (Ziff. 2) und die Gerichtsgebühren zu bezahlen (Ziff. 3). Der Entscheid werde den Parteien und dem Betreibungsamt mitgeteilt (Ziff. 4). Gemäss Rechtsmittelbelehrung sind die Ziffern 1 und 2 endgültig, weshalb kein ordentliches kantonales Rechtsmittel gegeben sei. Gegen die Ziffern 3 und 4 könne binnen zehn Tagen Beschwerde beim Obergericht erhoben werden. Eine allfällige Klage auf Bestreitung oder Feststellung neuen Vermögens sei innert 20 Tagen auf dem ordentlichen Prozessweg beim Gericht des Betreibungsortes anhängig zu machen.

c) Anschliessend erhob der Schuldner beim Bezirksgericht Klage auf Bestreitung neuen Vermögens. Er beantragte, «sein Konkurs sei anzuerkennen und der Rechtsvorschlag noch einmal zu überprüfen». Das Bezirksgericht leitete die Eingabe an das Obergericht weiter; es sei davon auszugehen, dass der Schuldner damit Beschwerde habe erheben wollen.

2. a) Gemäss Art. 265 Abs. 1 SchKG erhält jeder Gläubiger bei der Verteilung (der Konkursmasse) für den ungedeckt bleibenden Betrag seiner Forderung einen Verlustschein. In diesem wird angegeben, ob die Forderung vom Gemeinschuldner anerkannt oder bestritten worden ist. Im ersteren Fall gilt der Verlustschein als Schuldanerkennung im Sinn von Art. 82 SchKG und berechtigt damit zur provisorischen Rechtsöffnung. Der Verlustschein berechtigt gemäss Art. 265 Abs. 2 SchKG zum Arrest und hat die in den Artikeln 149 Abs. 4 und 149a SchKG bezeichneten Rechtswirkungen. Jedoch kann gestützt auf ihn eine neue Betreibung nur eingeleitet werden, wenn der Schuldner zu neuem Vermögen gekommen ist. Als neues Vermögen gelten auch Werte, über die der Schuldner wirtschaftlich verfügt.

Erhebt der Schuldner Rechtsvorschlag mit der Begründung, er sei nicht zu neuem Vermögen gekommen, legt das Betreibungsamt den Rechtsvorschlag gemäss Art. 265a Abs. 1 SchKG dem Richter des Betreibungsortes vor. Dieser hört die Parteien an und entscheidet; gegen den Entscheid ist kein Rechtsmittel zulässig. Der Richter bewilligt laut Art. 265a Abs. 2 SchKG den Rechtsvorschlag, wenn der Schuldner seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse darlegt und glaubhaft macht, dass er nicht zu neuem Vermögen gekommen ist. Bewilligt der Richter den Rechtsvorschlag nicht, stellt er gemäss Art. 265a Abs. 3 Satz 1 SchKG den Umfang des neuen Vermögens fest. Vermögenswerte Dritter, über die der Schuldner wirtschaftlich verfügt, kann der Richter nach Art. 265a Abs. 3 Satz 2 SchKG pfändbar erklären, wenn das Recht des Dritten auf einer Handlung beruht, die der Schuldner in der dem Dritten erkennbaren Absicht vorgenommen hat, die Bildung neuen Vermögens zu vereiteln. Der Schuldner und der Gläubiger können laut Art. 265a Abs. 4 SchKG innert 20 Tagen nach der Eröffnung des Entscheids über den Rechtsvorschlag beim Richter des Betreibungsortes Klage auf Bestreitung oder Feststellung des neuen Vermögens einreichen.

b) Die Regelung in Art. 265a Abs. 1 SchKG, wonach der Richter endgültig darüber entscheidet[1], ob ein Rechtsvorschlag bewilligt wird oder nicht, führt zwar zu einem Ausschluss sämtlicher ordentlicher und ausserordentlicher Rechtsmittel des kantonalen Rechts[2]; indes beschneidet sie den Rechtsschutz der Parteien nicht, da diese das ordentliche Verfahren gemäss Art. 265a Abs. 4 SchKG einleiten können. Dementsprechend betrachtet die Lehre das zweite ordentliche Verfahren als eine Art Fortsetzung des Summarverfahrens oder als zweite Stufe desselben Verfahrens, in welcher der Richter die Funktion einer zweiten Instanz übernimmt. Im Ergebnis dient die Klage auf Bestreitung beziehungsweise auf Feststellung neuen Vermögens nach Art. 265a Abs. 4 SchKG somit als Rechtsbehelf zur Überprüfung des Entscheids über die Bewilligung respektive Nichtbewilligung des Rechtsvorschlags. Sie erfüllt im Verhältnis zum vorausgegangenen summarischen Entscheid über den Rechtsvorschlag die Funktion eines Rechtsmittels. Dies gilt allerdings nicht für die Rüge von Verletzungen des rechtlichen Gehörs, kann doch die Klage auf Feststellung neuen Vermögens nach Art. 265a Abs. 4 SchKG in einem nunmehr abgeschlossenen Verfahren begangene Gehörsverletzungen nicht heilen[3]. Art. 265a Abs. 1 Satz 2 SchKG bezieht sich nur auf materielle Entscheide über das Vorliegen neuen Vermögens; dies ist laut Bundesgericht nicht der Fall, wenn nur die Regelung der Kosten- und Entschädigungsfolgen des erstinstanzlichen Verfahrens streitig ist[4]. Diesfalls kann die im summarischen Verfahren ergangene Entscheidung über die Feststellung neuen Vermögens Gegenstand einer Beschwerde im Sinn von Art. 319 ff. ZPO bilden[5].

Damit hat das Bundesgericht RBOG 2011 Nr. 20 bestätigt, oder die Rechtsprechung des Obergerichts liegt zumindest auf der Linie des Bundesgerichts. In RBOG 2011 Nr. 20 hielt das Obergericht in Bestätigung von RBOG 1998 Nr. 14 (und damit auch von RBOG 1997 Nr. 20 und RBOG 1997 Nr. 22) auch für den per 1. Januar 2011 leicht veränderten Wortlaut von Art. 265a Abs. 1 SchKG[6] daran fest, im Bereich von Art. 265a Abs. 1 SchKG sei eine Beschwerde nach Art. 319 ff. ZPO an das Obergericht zulässig, wenn der erstinstanzliche Richter mangels formeller Voraussetzungen zur Geltendmachung der Einrede des fehlenden neuen Vermögens einen Abschreibungsentscheid ohne Anspruchsprüfung (Nichteintreten, Gegenstandslosigkeit, Anerkennung oder Rückzug) erlassen habe, oder wenn ein Entscheid lediglich mit Bezug auf die Kosten- und Entschädigungsfolgen angefochten werde. Das gelte auch, weil es kaum sinnvoll sei, in solchen Fällen als einziges Rechtsmittel die Verfassungsbeschwerde an das Bundesgericht zur Verfügung zu stellen, zumal der allfällige Gegenstand eines solchen Rechtsmittelverfahrens im Regelfall erfahrungsgemäss als Bagatelle gelten müsse[7]. Ohne Gegenbemerkungen oder Kritik dazu ist RBOG 2011 Nr. 20 zum Leitentscheid im Basler Kommentar geworden[8].

3. Dementsprechend hätte die Vorinstanz die Parteien in der Rechtsmittelbelehrung dahingehend belehren müssen, dass gegen Ziff. 1 des Entscheids, womit auf den Rechtsvorschlag «kein neues Vermögen» nicht eingetreten werde, das Rechtsmittel der Beschwerde nach Art. 319 ff. ZPO offen steht. Daran ändert nichts, dass die Vorinstanz die Endgültigkeit auf die ordentlichen Rechtsmittel beschränkte. Zum einen ist dies, wenn materiell über die Bewilligung oder Nichtbewilligung des Rechtsvorschlags entschieden wird, wie erwähnt, falsch, zum anderen ist auch auf das ausserordentliche Rechtsmittel der Beschwerde hinzuweisen, wenn es - wie hier - ergriffen werden kann[9].

Obergericht, 2. Abteilung, 5. November 2020, BR.2020.44


[1] So noch die bis Ende 2010 geltende Fassung von Art. 265a Abs. 1 SchKG

[2] Dass auch ausserordentliche Rechtsmittel ausgeschlossen sind, übergeht die Vorinstanz im angefochtenen Entscheid. Die Beschwerde nach Art. 319 ff. ZPO ist ein ausserordentliches Rechtsmittel (Spühler, Basler Kommentar, 3.A., Vor Art. 319-327a ZPO N. 1).

[3] BGE 134 III 527 f.

[4] BGE 138 III 131 (= Pra 2012 Nr. 92 S. 613)

[5] BGE 138 III 130

[6] Neu heisst es, es sei gegen den Entscheid kein Rechtsmittel zulässig, und nicht mehr, der Entscheid sei endgültig.

[7] RBOG 2011 Nr. 20 Erw. 3

[8] Bauer, Basler Kommentar, Ergänzungsband zur 2.A., Basel 2017, Art. 265a SchKG ad N. 31

[9] Steck/Brunner, Basler Kommentar, 3.A., Art. 238 ZPO N. 24

JavaScript errors detected

Please note, these errors can depend on your browser setup.

If this problem persists, please contact our support.