RBOG 2020 Nr. 25
Mitarbeiter einer Tochtergesellschaft der Privatklägerin sind als Zeugen einzuvernehmen.
1. Der Berufungskläger brachte vor, X und Y seien Auskunftspersonen gemäss Art. 178 lit. g StPO, weil sie Mitarbeiter der Privatklägerin seien. Fälschlicherweise seien die beiden von der Staatsanwaltschaft aber als Zeugen befragt worden.
2. a) Zeugin oder Zeuge ist eine an der Begehung einer Straftat nicht beteiligte Person, die der Aufklärung dienende Aussagen machen kann und nicht Auskunftsperson ist[1]. In der gesetzlichen Konzeption nimmt die Auskunftsperson eine Stellung ein, welche zwischen derjenigen der beschuldigten Person und der Zeugin oder dem Zeugen anzusiedeln ist. Anders als die beschuldigte Person wird sie keiner Straftat konkret verdächtigt[2], sie ist aber im Unterschied zur Zeugin oder zum Zeugen an der zu untersuchenden Straftat auch nicht völlig unbeteiligt[3].
b) X und Y arbeiten bei der Z AG, deren Muttergesellschaft die Privatklägerin ist. Dadurch werden X und Y jedoch nicht zu Privatklägern im Sinn von Art. 178 lit. a StPO; anders als die Privatklägerin haben sie denn auch kein oder zumindest kein vergleichbares Interesse am Ausgang des Strafverfahrens[4]. Auch ist nicht ersichtlich, dass X und Y als Täter oder Teilnehmer an der abzuklärenden oder einer anderen damit in Zusammenhang stehenden Straftat – wie dies Art. 178 lit. d StPO vorsieht – in Frage kommen könnten. Konkret macht der Berufungskläger einen Verstoss gegen Art. 178 lit. g StPO geltend. Danach wird als Auskunftsperson einvernommen, wer in einem gegen ein Unternehmen gerichteten Strafverfahren als Vertreter des Unternehmens bezeichnet worden ist oder bezeichnet werden könnte, sowie ihre oder seine Mitarbeiter. Zur Vertretung berechtigt ist eine Person, welche über eine Vollmacht zur generellen Vertretung des Unternehmens verfügt, mithin also eine Person, die in zivilrechtlichen Angelegenheiten für das Unternehmen handelt beziehungsweise handeln würde. Im Vordergrund stehen Personen, denen Organfunktion zukommt; bei der Aktiengesellschaft sind dies Verwaltungsräte und Geschäftsleiter (Direktoren) mit allgemeiner Vertretungsbefugnis. Falls kein Vertreter des Unternehmens bezeichnet worden ist, kann diejenige Person als Auskunftsperson befragt werden, welche nach den zivilrechtlichen Regeln zur selbstständigen Vertretung des Unternehmens berechtigt ist. Als Mitarbeiter gelten sowohl Personen, welche im Zusammenhang mit dem Berufsgeheimnis[5] als Hilfspersonen bezeichnet werden, als auch solche, die aufgrund ihres direkten – in der Regel berufsmässigen – Zusammenwirkens mit dem Vertreter des Unternehmens über ähnliche Kenntnisse zum Verfahrensgegenstand verfügen wie jener selbst[6]. Aufgrund ihrer Stellung im Unternehmen als Mitarbeiter ohne erkennbaren Kontakt zum Verwaltungsrat oder zu Geschäftsleitern (Direktoren) der Privatklägerin fallen X und Y daher nicht unter Art. 178 lit. g StPO. Im Ergebnis wurden sie zu Recht als Zeugen und nicht als Auskunftspersonen einvernommen.
Obergericht, 1. Abteilung, 26. März 2020, SBR.2019.62
[1] Art. 162 StPO
[2] Vgl. Art. 111 Abs. 1 StPO
[3] BGE 144 IV 31
[4] Kernen, Basler Kommentar, 2.A., Art. 178 StPO N. 5
[5] Vgl. Art. 171 Abs. 1 StPO; Art. 321 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
[6] Donatsch, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung (Hrsg.: Donatsch/Hansjakob/Lieber), 2.A., Art. 178 N. 44