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RBOG 2020 Nr. 7

 Anfechtung der Erbschaftsausschlagung; Ausnahme vom Grundsatz, dass eine einmal erklärte Ausschlagung unwiderruflich ist


Art. 23 ff. OR, Art. 566 ff. ZGB


1. a) Die Erben erwerben die Erbschaft als Ganzes mit dem Tod des Erblassers kraft Gesetzes[1]. Mit Vorbehalt der gesetzlichen Ausnahmen gehen die Forderungen, das Eigentum, die beschränkten dinglichen Rechte und der Besitz des Erblassers ohne weiteres auf sie über, und die Schulden des Erblassers werden zu persönlichen Schulden der Erben[2].

b) Die gesetzlichen und die eingesetzten Erben haben die Befugnis, die Erbschaft, die ihnen zugefallen ist, auszuschlagen[3]. Ist die Zahlungsunfähigkeit des Erblassers im Zeitpunkt seines Todes amtlich festgestellt oder offenkundig, so wird die Ausschlagung vermutet[4]. Die Ausschlagung ist vom Erben bei der zuständigen Behörde mündlich oder schriftlich zu erklären[5]. Sie muss unbedingt und vorbehaltlos geschehen[6].

c) Wird die Erbschaft von allen nächsten gesetzlichen Erben ausgeschlagen, so gelangt sie zur Liquidation durch das Konkursamt[7]. Ergibt sich in der Liquidation nach Deckung der Schulden ein Überschuss, so wird dieser den Berechtigten überlassen, wie wenn keine Ausschlagung stattgefunden hätte[8].

2. a) Weder ist ersichtlich noch geltend gemacht, dass die Vorinstanz zu Unrecht von den Ausschlagungserklärungen Vormerk nahm und infolgedessen den Konkurs über den Nachlass zu Unrecht eröffnete. Die Beschwerdeführer wollen jedoch auf ihre Ausschlagungserklärungen zurückkommen, weil sie sich nicht bewusst gewesen seien, dass nach dem Ausschlagen des Erbes ein Konkursverfahren gegen ihre Mutter eröffnet und dies in einer Zeitung oder einem Amtsblatt publik gemacht werde.

b) Die Ausschlagung ist ein Gestaltungsrecht. Sie ist als solche ein einseitiges, empfangsbedürftiges und bedingungsfeindliches Rechtsgeschäft. Die einmal erklärte Ausschlagung ist unwiderruflich; eine Ausnahme bildet die nachträgliche Annahme, wenn die Ausschlagung durch alle Erben zur konkursamtlichen Liquidation geführt hat, wobei für die Bezahlung der Schulden Sicherheit zu leisten ist[9]. Die Ausschlagungserklärung kann in sinngemässer Anwendung[10] von Art. 23 ff. OR wegen Willensmängel angefochten werden[11]. Es muss dabei im Sinn von Art. 23 OR ein wesentlicher Irrtum vorliegen. Unbeachtlich ist gemäss der Rechtsprechung des Bundesgerichts ein Irrtum über die rechtlichen Wirkungen der Ausschlagung[12].

c) Es ist offensichtlich, dass die Beschwerdeführer über die Bedeutung und Wirkungen der Ausschlagung nach Art. 566 ff. ZGB irrten; sie glaubten, mit der Erklärung der Ausschlagung eines Nachlasses, bei welchem weder Vermögen noch Schulden vorhanden sei, sei die Sache erledigt. Dabei handelt es sich aber nicht um einen wesentlichen Irrtum im Sinn von Art. 23 OR, und eine Anfechtung der Ausschlagungserklärungen wegen Willensmängel ist somit nicht möglich.

3. a) Allerdings ist gemäss der Rechtsprechung des Zürcher Obergerichts ein Widerruf der Erbausschlagung bei Zustimmung aller Erben zuzulassen, sofern nicht ein nachberufener Erbe infolge der Ausschlagung selbst Erbansprüche geltend machen kann und das Konkursamt nicht bereits eingegriffen hat, indem es die Liquidation des Nachlasses öffentlich bekanntgegeben und den Schuldenruf erlassen hat[13].

b) Die Gründe dafür überzeugen: Der Widerruf aller Erben und die damit begründete Erbenhaftung ist für die Erbschaftsgläubiger nur von Vorteil, stellt doch die Ausschlagung bloss eine den Erben zur Verfügung gestellte Schutzmassnahme dar, von welcher sie Gebrauch machen, auf welche sie aber auch verzichten können. Die Stellung der Erbschaftsgläubiger wird also eher verstärkt, wenn sich die Ausschlagenden nachträglich doch noch als Erben behandeln lassen und für die Erbschaftsschulden einstehen. Der nachträgliche Erbschaftsantritt kann freilich nur berücksichtigt werden, solange sich der Konkurs noch verhindern lässt, sprich das Konkursamt die Liquidation noch nicht öffentlich bekannt gegeben und den Schuldenruf erlassen hat[14].

c) Zufolge der Erteilung der aufschiebenden Wirkung hat das Konkursamt bislang die konkursamtliche Liquidation weder öffentlich bekannt gemacht noch einen Schuldenruf erlassen. Sodann haben alle gesetzlichen Erben der Erblasserin die Ausschlagungserklärung zurückgenommen und die Erbschaft ausdrücklich angenommen; nachberufene Erben sind nicht bekannt. Weiter sind den Akten keine Hinweise auf eine Überschuldung der Beschwerdeführer zu entnehmen. Der Nachlass würde durch die Zulassung des Widerrufs der Ausschlagungserklärungen nur Haftungssubstrat gewinnen, und die Gläubigerinteressen erscheinen bei einem Widerruf der Ausschlagungserklärung nicht als gefährdet. Entsprechend ist hier den Beschwerdeführern zu gestatten, ihre Ausschlagungserklärungen zurückzunehmen.

Obergericht, 2. Abteilung, 24. Januar 2020, BR.2019.55 und ZR.2019.37


[1] Art. 560 Abs. 1 ZGB

[2] Art. 560 Abs. 2 ZGB

[3] Art. 566 Abs. 1 ZGB

[4] Art. 566 Abs. 2 ZGB

[5] Art. 570 Abs. 1 ZGB

[6] Art. 570 Abs. 2 ZGB

[7] Art. 573 Abs. 1 ZGB

[8] Art. 573 Abs. 2 ZGB

[9] Art. 196 SchKG; Häuptli, in: Praxiskommentar Erbrecht (Hrsg.: Abt/Weibel), 3.A., Art. 566 ZGB N. 2

[10] Art. 7 ZGB

[11] BGE vom 20. April 2010, 5A_594/2009, Erw. 2.1; Häuptli, Art. 566 ZGB N. 2; Schwander, Basler Kommentar, 5.A., Art. 566 ZGB N. 4; Wolf/Hrubesch-Millauer, Grundriss des Schweizerischen Erbrechts, Bern 2017, N. 1392

[12] BGE vom 5. April 2007, 5P.38/2007, Erw. 4; Häuptli, Art. 566 ZGB N. 2; Schwander, Art. 566 ZGB N. 4

[13] ZR 1972 Nr. 91 und ZR 1973 Nr. 42; Entscheid des Obergerichts des Kantons Zürich vom 9. Juni 2016, LF160034, Erw. 3.2.1

[14] ZR 1972 Nr. 91

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