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RBOG 2021 Nr. 25

Detaillierungsgrad der Angaben im Durchsuchungsbefehl zur Verhinderung einer "fishing expedition"; Informationspflicht der Untersuchungsbehörden betreffend Siegelung im Rahmen der vorläufigen Sicherstellung


Art. 241 ff. StPO, Art. 248 StPO


1. a) Der Beschwerdeführer verursachte mit seinem Fahrzeug auf der Kantonsstrasse einen Selbstunfall. Die Staatsanwaltschaft eröffnete gegen ihn eine Strafuntersuchung betreffend grobe Verletzung der Verkehrsregeln.

b) Mit Durchsuchungsbefehl beauftragte die Staatsanwaltschaft die Polizei, das Mobiltelefon des Beschwerdeführers nach folgenden Daten zu durchsuchen: Foto- oder Videomaterial, WhatsApp-Chats und Chats bei anderen Anbietern, die im Zusammenhang mit dem Verkehrsunfall stehen (auch gelöschte Dateien) sowie sämtliche weiteren deliktsrelevanten Daten. Der Beschwerdeführer habe an der Erstbefragung einer Auswertung seines Mobiltelefons zugestimmt. In der Folge dehnte die Staatsanwaltschaft die Strafuntersuchung auf weitere neun Lebenssachverhalte aus. Die Tatvorwürfe basieren auf im Mobiltelefon des Beschwerdeführers gefundenen und sichergestellten (Video-)Dateien.

c) Der Beschwerdeführer beantragte bei der Staatsanwaltschaft unter anderem, sämtliche auf Grundlage des Durchsuchungsbefehls auf dem Mobiltelefon gefundenen Dateien seien aus den Verfahrensakten zu entfernen, was die Staatsanwaltschaft ablehnte. Dagegen erhob der Beschwerdeführer Beschwerde.

2. Der Durchsuchungsbefehl bezeichnet laut Art. 241 Abs. 2 StPO die zu durchsuchenden oder zu untersuchenden Personen, Räumlichkeiten, Gegenstände oder Aufzeichnungen, den Zweck der Massnahme und die mit der Durchführung beauftragten Behörden oder Personen. Er hat, ausser bei Dringlichkeit, gemäss Art. 241 Abs. 1 i.V.m. Art. 80 StPO in Form der Verfügung, das heisst schriftlich und mit einer Begründung versehen, zu ergehen. Er muss so abgefasst sein, dass der Betroffene die Tragweite der Verfügung erkennen und diese entsprechend anfechten kann. Es müssen wenigstens kurz die Überlegungen ersichtlich sein, von denen sich die anordnende Behörde leiten liess und auf die sie ihren Entscheid stützt. Dazu braucht es mindestens summarische Ausführungen zum vorgeworfenen Sachverhalt und zu der den Tatverdacht begründenden Faktenlage. Die Notwendigkeit inhaltlicher Mindestangaben erlaubt es, den Umfang der Zwangsmassnahme zu definieren. Sie bezweckt, eine Beweisausforschung[1] zu verhindern, in der ohne hinreichenden Tatverdacht nach Beweisen für strafbares Verhalten gesucht wird. Der erforderliche Detaillierungsgrad der Angaben definiert sich nach der beschriebenen Begrenzungsfunktion und muss eine nachträgliche Überprüfung der Zwangsmassnahme erlauben. Er variiert von Fall zu Fall[2].

3. Der Durchsuchungsbefehl ist eindeutig auf Daten (Foto- oder Videomaterial und Chats sowie sämtliche weiteren deliktsrelevanten Daten) im Zusammenhang mit dem Verkehrsunfall des Beschwerdeführers beschränkt. Auch in der Begründung steht ausdrücklich, die Mobiltelefone seien im Hinblick auf allfällige Foto- und Videoaufnahmen von der Unfallfahrt auszuwerten. Diese ereignete sich am Unfalltag etwa um 11.25 Uhr. Unstrittig besuchte der Beschwerdeführer bis 10.50 Uhr einen Vorbereitungskurs für die Lehrabschlussprüfung, fuhr danach eine Kollegin nach Hause, wobei er auf diesem Weg zwei andere Kollegen sah und mitnahm; die Kollegin lud er etwa um 11.10 Uhr ab. Deliktsrelevant war somit nur die Zeit um den Unfallzeitpunkt und eine kurze Zeit davor, etwa ab 11.00 Uhr. Für eine Suche von älteren Daten fehlt es an der Untersuchungsrelevanz.

4. a) Die Staatsanwaltschaft führt dagegen die einfache Möglichkeit ins Feld, Dateien zu verändern (zu verschieben, abzuändern, zu löschen, richtiggehend zu verstecken etc.).

Die von der Staatsanwaltschaft aufgezeigte theoretische Gefahr gibt es durchaus. Allerdings existieren hier keine Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer solche Veränderungen vornahm. Das Grundproblem liegt sodann darin, dass der wichtige Schritt zwischen Sicherstellung und Durchsuchung fehlt, nämlich das Siegelungsverfahren. In diesem Verfahren könnte der Zwangsmassnahmenrichter, allenfalls unter Beizug eines Sachverständigen, diese "Triage" vornehmen und die Entsiegelung nur für Daten, die in Bezug auf den Zeitpunkt untersuchungsrelevant sind, freigeben. Die Staatsanwaltschaft stellt sich indessen auf den Standpunkt, der Beschwerdeführer habe verbindlich auf eine Siegelung verzichtet. Der Beschwerdeführer bestreitet dies und macht geltend, er sei nicht genügend über diesen Rechtsschutz informiert worden.

b) aa) Die Staatsanwaltschaft verweist auf die polizeiliche Einvernahme am Unfalltag. Der Beschwerdeführer habe nach der Konfrontation mit der Aussage einer Auskunftsperson bezüglich der Verwendung des Handys während der Unfallfahrt geantwortet, dass er dies nicht gewesen sei, und dass dies auch kontrolliert werden könne. Er habe den Hinweis des Polizisten, sein Mobiltelefon werde sichergestellt, zur Kenntnis genommen und auf die Frage nach einer Siegelung geantwortet: "Nein. Sie können mit meinem Handy machen, was Sie für nötig halten." Anschliessend sei dem Beschwerdeführer die Aussage der Auskunftsperson erneut vorgehalten worden. Diese habe er erneut bestritten und ergänzt, dass er nie ein Handy in der Hand gehalten habe. Trotz des Verzichts auf eine Siegelung sei dem Beschwerdeführer ein paar Tage später schriftlich mitgeteilt worden, dass sein Mobiltelefon sichergestellt worden sei, und dass es im Hinblick auf die Unfallfahrt ausgewertet werde. Der entsprechende Durchsuchungsbefehl sei diesem Schreiben beigelegen und der Beschwerdeführer sei nochmals auf seine Zustimmung hingewiesen sowie über die Möglichkeit einer Beschwerde in Kenntnis gesetzt worden. Wenn er sich nicht dagegen gewehrt habe und nun geltend mache, er sei nicht korrekt über eine Siegelung aufgeklärt worden, handle er wider Treu und Glauben.

bb) Diese Auffassung der Staatsanwaltschaft widerspricht der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zur Informationspflicht der Untersuchungsbehörden. Nach der Praxis des Bundesgerichts hat die Untersuchungsbehörde, die Aufzeichnungen und Gegenstände vorläufig sicherstellt, deren Inhaber (hier anlässlich der Hausdurchsuchung) darüber zu informieren, dass er, falls er Geheimnisrechte geltend machen möchte, die einer Durchsuchung beziehungsweise Beschlagnahme der sichergestellten Unterlagen entgegenstehen könnten, deren Siegelung verlangen könne. Ebenso ist der Betroffene darüber in Kenntnis zu setzen, dass nach erfolgter Siegelung (und auf allfälliges Entsiegelungsgesuch der Untersuchungsbehörde hin) der Entsiegelungsrichter über die Zulässigkeit der Durchsuchung entscheidet, und dass der Betroffene mangels sofortigen Siegelungsgesuchs den Rechtsschutz verwirkt und mit der Durchsuchung der Unterlagen rechnen muss. Die Information des betroffenen Inhabers über seine Verfahrensrechte muss rechtzeitig und inhaltlich ausreichend erfolgen. Das gilt besonders bei juristischen Laien. Ein blosser Abdruck von Gesetzesbestimmungen auf der Rückseite der vom Inhaber unterzeichneten Formulare vermag als ausreichende Orientierung des betroffenen Laien über sein Siegelungsrecht regelmässig nicht zu genügen. Die Untersuchungsbehörde hat vielmehr verständliche Informationen (im oben genannten Sinn) rechtzeitig abzugeben. Dass eine solche Information erfolgte, hat die Untersuchungsbehörde (aus Rechtssicherheitsgründen und in ihrem eigenen Beweissicherungsinteresse) ausdrücklich und nachvollziehbar zu protokollieren. Ohne den Nachweis einer ausreichenden Information des Betroffenen über seine Verfahrensrechte ist eine "konkludente" Einwilligung in die Durchsuchung nicht zu vermuten und liegt kein verspätetes Entsiegelungsgesuch vor[3].

cc) Diesen – zugegebenermassen strengen – bundesgerichtlichen Anforderungen kamen die Strafverfolgungsbehörden im Fall hier nicht nach. Vielmehr ergibt sich aus der Argumentation der Staatsanwaltschaft, dass sie meinte, auf solche Formalien könne verzichtet werden, wenn der Beschwerdeführer sage, man könne mit seinem Handy machen, was man für nötig halte. Die strengen inhaltlichen und formellen bundesgerichtlichen Vorgaben dienen indessen gerade dazu, die schützenswerten Interessen des Betroffenen zu wahren. Dies gilt hier für einen juristisch unerfahrenen Lehrling, der bei der polizeilichen Einvernahme keinen Rechtsbeistand hatte, ganz besonders. Es ist offensichtlich, dass der Beschwerdeführer mit seiner Antwort nicht damit rechnete, eine Zustimmung für eine akribische Untersuchung aller Dateien auf seinem Handy abzugeben. Vielmehr ist die Zustimmung vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Staatsanwaltschaft ihm sagte, sie suche nach einem Film im Zusammenhang mit dem Unfall, und der Beschwerdeführer wusste, dass es keinen solchen Film auf dem Handy gibt, weil er nicht gefilmt hatte. Es fällt denn auch auf, dass die Strafverfolgungsbehörden nicht die detaillierten, einschlägigen Formulare verwendeten, die bei der Hausdurchsuchung benutzt werden und die jegliche Zweifel an einer ungenügenden Information ausschliessen. Es wäre den Strafverfolgungsbehörden möglich und zumutbar gewesen, so vorzugehen. Damit liegt auch kein treuwidriges Verhalten des Beschwerdeführers vor. Vielmehr gilt sein Einwand gegen die Durchsuchung aufgrund der ungenügenden Information durch die Untersuchungsbehörden als rechtzeitig. Das bedeutet, dass es vor einer Durchsuchung des Mobiltelefons ein Entsiegelungsgesuch und einen Entsiegelungsentscheid bräuchte.

Obergericht, 2. Abteilung, 11. März 2021, SW.2021.5


[1] "Fishing expedition"

[2] BGE vom 6. Oktober 2016, 1B_243/2016, Erw. 4.4.2; BGE vom 26. Februar 2013, 1B_726/2012, Erw. 5.2

[3] BGE vom 8. August 2019, 1B_85/2019, Erw. 4.2; BGE vom 4. August 2016, 1B_91/2016, Erw. 4.5

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