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RBOG 2021 Nr. 27

Beschwerdelegitimation der Privatklägerschaft bei Amtsmissbrauch


Art. 312 StGB, Art. 382 Abs. 1 StPO


1. a) Der Beschwerdeführer ist Privatkläger in einem Strafverfahren gegen mehrere beschuldigte Personen wegen Amtsmissbrauchs zugunsten des Beschwerdeführers sowie Gehilfenschaft zu einer Straftat. In Rahmen dieses Strafverfahrens stellte die Kantonspolizei gestützt auf einen Hausdurchsuchungsbefehl in den Räumlichkeiten des kantonalen Amts A Unterlagen und Gegenstände sicher.

b) Der Beschwerdeführer verlangte bei der Staatsanwaltschaft im Verlauf des Verfahrens Einsicht in sämtliche Verfahrensakten. Dabei waren sich die Staatsanwaltschaft und der Beschwerdeführer in Bezug auf den Umfang der Gewährung des Akteneinsichtsrechts und die Aktenführungs- und Dokumentationspflicht der Staatsanwaltschaft uneinig, woraufhin das Obergericht eine vom Beschwerdeführer erhobene Beschwerde diesbezüglich schützte[1]. Die Staatsanwaltschaft hatte daraufhin zu entscheiden, was definitiv zu den Verfahrensakten gehörte, und diese dem Beschwerdeführer ordnungsgemäss zu eröffnen. Die nicht relevanten Akten hatte sie auszuscheiden beziehungsweise zurückzugeben.

c) Daraufhin hob die Staatsanwaltschaft die Beschlagnahme der anlässlich der Hausdurchsuchung bei A sichergestellten Unterlagen und Daten von A auf und ordnete deren Retournierung beziehungsweise Vernichtung an. Dagegen erhob der Beschwerdeführer wiederum Beschwerde.

2. a) aa) Jede Partei, die ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung eines Entscheids hat, kann gemäss Art. 382 Abs. 1 StPO ein Rechtsmittel ergreifen. Die Rechtsmittellegitimation ist eine Prozessvoraussetzung und daher vorab von der mit der Sache befassten Rechtsmittelinstanz von Amtes wegen zu prüfen. Fehlt sie, ist auf die Beschwerde nicht einzutreten[2]. Es obliegt dem Rechtsmittelkläger, seine Parteistellung und die damit verbundene Legitimation darzulegen beziehungsweise rechtsgenügend zu begründen[3].

bb) Die Privatklägerschaft ist Partei[4]. Als Privatklägerschaft gilt gemäss Art. 118 Abs. 1 StPO die geschädigte Person, die ausdrücklich erklärt, sich am Strafverfahren im Straf- oder Zivilpunkt zu beteiligen. Dies tat der Beschwerdeführer.

cc) Geschädigt ist nach Art. 115 Abs. 1 StPO, wer durch die Straftat in seinen Rechten unmittelbar verletzt worden ist. Das Wort "unmittelbar" bezieht sich auf die durch die Straftat verletzten Rechte und hat damit die Funktion, den Kreis der zur Privatklägerschaft prozessrechtlich legitimierten Personen einzuschränken[5]. In seinen Rechten unmittelbar verletzt ist, wer Träger des durch die verletzte Strafnorm geschützten oder zumindest mitgeschützten Rechtsguts ist, das durch die fragliche Strafbestimmung vor Verletzung oder Gefährdung geschützt werden soll. Bei Strafnormen, die nicht primär Individualrechtsgüter schützen, gelten praxisgemäss nur diejenigen Personen als Geschädigte, die durch die darin umschriebenen Tatbestände in ihren Rechten beeinträchtigt werden, sofern diese Beeinträchtigung unmittelbare Folge der tatbestandsmässigen Handlung ist[6]. Im Allgemeinen genügt es, wenn das von der geschädigten Person angerufene Individualrechtsgut durch den verletzten Straftatbestand auch nur nachrangig oder als Nebenzweck geschützt wird, selbst wenn der Tatbestand in erster Linie dem Schutz von kollektiven Rechtsgütern dient. Werden indes durch Delikte, die nur öffentliche Interessen verletzen, private Interessen bloss mittelbar (als Reflex) beeinträchtigt, ist der Betroffene nicht Geschädigter im Sinn des Strafprozessrechts[7].

b) aa) Den Tatbestand des Amtsmissbrauchs nach Art. 312 StGB erfüllt, wer vorsätzlich als Mitglied einer Behörde oder als Beamter seine Amtsgewalt missbraucht, um sich oder einem andern einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen oder einem andern einen Nachteil zuzufügen. Tatbestandsmässig ist entgegen der Marginalie (in der deutschen Fassung) nicht der Missbrauch des Amtes, sondern derjenige der Amtsgewalt[8]. Unter Amtsgewalt wird die Summe aller Machtmittel verstanden, die zur Durchführung einer amtlichen (hoheitlichen) Handlung eingesetzt werden können[9].

Der hinsichtlich der Tathandlung sehr allgemein umschriebene Straftatbestand ist einschränkend dahingehend auszulegen, dass nur derjenige die Amtsgewalt missbraucht, welcher die Machtbefugnisse, die ihm sein Amt verleiht, unrechtmässig anwendet, das heisst kraft seines Amtes verfügt oder Zwang ausübt, wo es nicht geschehen dürfte. Art. 312 StGB umfasst demnach nicht sämtliche pflichtwidrigen Handlungen, die ein mit Zwangsgewalt ausgestatteter Beamter bei Gelegenheit der Erfüllung seiner Pflichten ausführt. Dieser Bestimmung sind vielmehr nur solche unzulässigen Verfügungen und Massnahmen unterstellt, die der Täter kraft seines Amtes, in Ausübung seiner hoheitlichen Gewalt trifft[10]. Entsprechend erfasst Art. 312 StGB auch nicht die Verletzung von Ausstandsvorschriften für sich allein genommen. Er setzt vielmehr voraus, dass der Täter seine Amtsgewalt in der gesetzlich genannten Absicht missbraucht; das heisst, dass er von der ihm von Amtes wegen zustehenden hoheitlichen Gewalt Gebrauch macht, dass er kraft hoheitlicher Gewalt verfügt oder zwingt, wo es nicht geschehen dürfte[11]. Das Wesen einer jeden normrelevanten Tathandlung definiert sich dementsprechend mittels dreier Merkmale: der Rechtswidrigkeit, des zwingenden Charakters oder der hoheitlichen Natur sowie der Verwendung funktionsgebundener Machtmittel[12]. Verletzt der Täter zwar seine Amtspflichten, liegt darin aber nicht ein Missbrauch von Amtsgewalt, so ist der Tatbestand nicht erfüllt[13].

bb) Der Tatbestand des Amtsmissbrauchs gemäss Art. 312 StGB schützt einerseits den Staat, insbesondere sein Interesse an pflichtbewussten Amtsträgern, welche die ihnen anvertrauten hoheitlichen Befugnisse rechtmässig einsetzen. Andererseits wird der Schutz des Bürgers vor dem missbräuchlichen Einsatz der Staatsgewalt durch Amtsträger und somit das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Integrität der Beamten angestrebt[14]. Personen, deren Rechtsgüter durch einen Amtsmissbrauch beeinträchtigt werden, können sich deshalb grundsätzlich als Privatklägerschaft konstituieren und sich als Strafkläger am Verfahren beteiligen. Eine Beteiligung als Zivilkläger kommt in Betracht, soweit nicht ein Verantwortlichkeitsgesetz eine primäre, umfassende Staatshaftung für deliktisches Verhalten von Amtspersonen vorsieht und demgemäss die Geltendmachung von adhäsionsweisen Zivilforderungen ausser Betracht fällt[15]. Art. 312 StGB schützt damit sowohl individuelle als auch kollektive Interessen. Es gilt allerdings zu berücksichtigen, dass der Tatbestand inhaltlich weit formuliert ist und dementsprechend auf vielfältige Weise begangen werden kann. In vielen Fällen dürfte ein Amtsmissbrauch somit nur rechtlich geschützte öffentliche Interessen verletzen, ohne jegliche Privatinteressen zu beeinträchtigen. In andern Fällen kann eine Verletzung privater Interessen zwar existieren, aber nicht unmittelbar erkennbar sein. Diese Besonderheit der Strafnorm hat deshalb zur Folge, dass die Person, die eine Verletzung privater Interessen durch einen Amtsmissbrauch behauptet, die dafür ausschlaggebenden Tatsachen behaupten und genau darlegen muss, inwiefern die behauptete Missbrauchshandlung ihre rechtlich geschützten privaten Interessen verletzt[16].

c) Der Beschwerdeführer setzt sich mit dieser Problematik nicht rechtsgenüglich auseinander. Er begründet nicht genügend konkret, dass, wodurch und inwiefern seine privaten Interessen unmittelbar verletzt worden sein sollen. In der Beschwerdebegründung verweist er nur auf seine Beschwerdeberechtigung als Privatkläger. In der Replik führt er zu dieser Problematik lediglich aus, Art. 312 StGB schütze neben den Interessen des Staates direkt auch den Bürger vor dem missbräuchlichen Einsatz der Staatsgewalt durch Amtsträger, weshalb er zur Beschwerde legitimiert sei. Das genügt nicht. Im Übrigen setzt sich der Beschwerdeführer in der Replik nur mit der Argumentation der Staatsanwaltschaft auseinander, mit der diese in der Beschwerdeantwort seine Beschwerdelegitimation bestritt. Dass die Auffassung des Beschwerdeführers diesbezüglich zutrifft – ihm die Beschwerdelegitimation aber aus einem anderen Grund abgesprochen wird –, hilft ihm nicht.

d) Der Beschwerdeführer ruft für seine Beschwerdelegitimation keine weiteren Strafnormen an. Eine Berufung auf das Tierschutzgesetz würde ihm zudem nicht helfen. Entsprechend dem Zweck des Tierschutzgesetzes schützen dessen Strafbestimmungen das Wohlergehen und die Würde des Tieres[17]. Schutzobjekt bilden die Interessen des Tieres. Vom Tierschutzgesetz sind die Eigentümerinteressen nicht geschützt[18].

e) Zusammengefasst ist somit mangels rechtsgenüglich begründeter Beschwerdelegitimation nicht auf die Beschwerde einzutreten.

Obergericht, 2. Abteilung, 26. August 2021, SW.2021.48


[1] RBOG 2021 Nr. 19

[2] Ziegler/Keller, Basler Kommentar, 2.A., Art. 382 StPO N. 1; Guidon, Die Beschwerde gemäss Schweizerischer Strafprozessordnung, Zürich/St. Gallen 2011, N. 215 f.

[3] Lieber, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung (Hrsg.: Donatsch/Lieber/Summers/Wohlers), 3.A., Art. 382 N. 1a; Guidon, N. 216

[4] Art. 104 Abs. 1 lit. b StPO

[5] BGE 138 IV 265

[6] BGE 141 IV 457; BGE 138 IV 263; BGE 129 IV 98 f.; BGE 128 I 223; vgl. BGE 143 IV 78

[7] BGE 141 IV 457; BGE 140 IV 157 f.; BGE 138 IV 263

[8] Heimgartner, Basler Kommentar, 4.A., Art. 312 StGB N. 6

[9] Trechsel/Vest, in: Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar (Hrsg.: Trechsel/Pieth), 3.A., Art. 312 N. 3

[10] BGE 127 IV 211; BGE 114 IV 42; BGE 113 IV 30; BGE 108 IV 49

[11] BGE 101 IV 410

[12] Frey/Omlin, Amtsmissbrauch – die Ohnmacht der Mächtigen, eine Analyse der Amtsmissbrauchsnorm mit Blick auf die Tätigkeit der Strafverfolgungsbehörden, in: AJP 1/2005 S. 86

[13] BGE vom 6. Mai 2021, 6B_825/2019, Erw. 7.2

[14] Heimgartner, Art. 312 StGB N. 4; BGE 127 IV 212; BGE vom 5. Juli 2019, 6B_1212/2018, Erw. 2.3; BGE vom 15. Mai 2019, 6B_214/2019, Erw. 4.7

[15] Heimgartner, Art. 312 StGB N. 30

[16] BGE vom 9. November 2018, 6B_837/2018, Erw. 4.2; BGE vom 9. Februar 2018, 6B_1318/2017, Erw. 7.3; vgl. BGE vom 23. September 2020, 6B_970/2020, Erw. 3.6.2

[17] Art. 1 TSchG; vgl. Bolliger/Richner/Rüttimann/Stohner, Schweizer Tierschutzstrafrecht in Theorie und Praxis, 2.A., S. 115

[18] Vgl. Bolliger/Richner/Rüttimann/Stohner, S. 115 f.

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