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RBOG 2021 Nr. 34

Filmen einer "Raserfahrt" als Gehilfenschaft zu einer qualifiziert groben Verletzung der Verkehrsregeln


Art. 25 StGB, Art. 90 Abs. 3 SVG, Art. 90 Abs. 4 SVG


1. Die Staatsanwaltschaft erhob beim Bezirksgericht Anklage gegen den Berufungskläger und beantragte, diesen der Gehilfenschaft zur qualifiziert groben Verletzung der Verkehrsregeln im Sinn von Art. 90 Abs. 3 und 4 SVG i.V.m. Art. 25 StGB schuldig zu sprechen. Sie warf ihm vor, den Haupttäter am Vormittag per WhatsApp-Nachricht vor einem Geschwindigkeitsradar auf der Autobahn gewarnt zu haben. Später am gleichen Tag habe der Haupttäter dem Berufungskläger geschrieben, ob er mit ihm zusammen auf eine Spritztour mit seinem Auto komme, womit dieser sich einverstanden erklärt habe. Während der Fahrt habe der Berufungskläger vom Rücksitz des vom Haupttäter gelenkten Fahrzeugs mit seinem Mobiltelefon ein Video aufgenommen, welches festhalte, wie das Fahrzeug in einem Tunnel bei erlaubten 60 km/h auf 150 km/h beschleunige. Am Abend habe der Berufungskläger das Video dieser Fahrt an den Haupttäter geschickt. Das Bezirksgericht sprach den Berufungskläger wie angeklagt schuldig, wogegen dieser Berufung erhob.

2. a) Nach Art. 90 Abs. 3 SVG wird mit Freiheitsstrafe von einem bis zu vier Jahren bestraft, wer durch grobe Verletzung elementarer Verkehrsregeln das hohe Risiko eines Unfalls mit Schwerverletzten oder Todesopfern eingeht, namentlich durch besonders krasse Missachtung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, waghalsiges Überholen oder Teilnahme an einem nicht bewilligten Rennen mit Motorfahrzeugen. Dabei ist dieser Absatz in jedem Fall erfüllt, wenn die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten wird um: a) mindestens 40 km/h, wo die Höchstgeschwindigkeit höchstens 30 km/h beträgt; b) mindestens 50 km/h, wo die Höchstgeschwindigkeit höchstens 50 km/h beträgt; c) mindestens 60 km/h, wo die Höchstgeschwindigkeit höchstens 80 km/h beträgt, und d) mindestens 80 km/h, wo die Höchstgeschwindigkeit mehr als 80 km/h beträgt[1]. Nach den allgemeinen Regeln[2] muss nicht ein direkter Vorsatz nachgewiesen werden, sondern es genügt Eventualvorsatz[3].

b) Wer zu einem Verbrechen oder Vergehen vorsätzlich Hilfe leistet, wird nach Art. 25 StGB milder bestraft. Die blosse Förderung der Tat genügt. Die Unterstützung muss jedoch tatsächlich zur Straftat beitragen, ihre praktischen Erfolgschancen erhöhen und sich in diesem Sinn als kausal erweisen[4]. Die Förderung der Haupttat kann durch physische Gehilfenschaft beziehungsweise technisch-materielle Unterstützung erfolgen. Möglich ist auch eine rein intellektuelle Beihilfe, wobei der Gehilfe bloss tatfördernde Ratschläge oder Anleitungen gibt. Bei der psychischen Gehilfenschaft wirkt der Gehilfe in affektiv-emotionaler Hinsicht auf den Täter ein: Er bestärkt diesen seelisch in seinem Tatentschluss und erleichtert diesem damit die Durchführung der Straftat. Er bestärkt den Täter in dessen Tatentschluss (etwa durch aktive, motivierende Zustimmung, bestärkendes Lob, Anfeuern etc.). Blosse innere Billigung der Straftat, welche diese nicht kausal fördert, ist keine psychische Gehilfenschaft[5]. Art. 25 StGB erfordert subjektiv, dass der Gehilfe weiss oder damit rechnet, eine bestimmt geartete Straftat zu unterstützen, und dass er dies will oder in Kauf nimmt[6].

3. a) Mit der Vorinstanz ist festzuhalten, dass die Geschwindigkeitsüberschreitung des Haupttäters ausgewiesen ist. Der Videosequenz ist eindeutig zu entnehmen, dass es sich um den Tunnel handelt. Dort gilt unbestrittenermassen ein Tempolimit von 60 km/h. Die Polizei ermittelte die gefahrene Geschwindigkeit nachvollziehbar, indem sie die gefilmte Tacho-Anzeige mit derjenigen eines Modells der gleichen Baureihe des Fahrzeugs verglich. Es ist von ca. 150 km/h auszugehen. Der massive Beschleunigungsvorgang ist überdies im Video sichtbar. Andere Verkehrsteilnehmer fuhren deutlich langsamer. Bereits durch diese Beweismittel ist der Sachverhalt erstellt. Die Kritik des Berufungsklägers an den Ermittlungsergebnissen der Polizei vermag keine relevanten Zweifel zu begründen. Soweit der Berufungskläger im Berufungsverfahren vorbrachte, die Tacho-Anzeige lasse nicht unmittelbar auf die gefahrene Geschwindigkeit rückschliessen, ist sein Einwand ebenfalls unbehelflich. Die maximal zulässige Abweichung zwischen Anzeige und effektiv gefahrener Geschwindigkeit regelt Art. 55 Abs. 2 lit. c VTS[7]. Gemäss der Berechnung der Staatsanwaltschaft, welche der Berufungskläger nicht substantiiert in Zweifel zog, wäre in Anwendung der Formel in Art. 55 Abs. 2 lit. c VTS noch immer von einer Mindestgeschwindigkeit von 130 km/h auszugehen. Nimmt man - zugunsten des Berufungsklägers - diesen tieferen Wert an, bleibt es bei einer massiven Geschwindigkeitsüberschreitung im Sinn von Art. 90 Abs. 3 und 4 lit. c SVG[8]. Eine qualifizierte Verkehrsregelverletzung ist somit ohne jegliche Zweifel ausgewiesen, auf ein diesbezügliches Gutachten kann verzichtet werden.

b) Der weitere von der Staatsanwaltschaft dargelegte Sachverhalt ergibt sich aus einer lückenlosen Kette von massgeblichen und schlüssigen Indizien:

Am Vormittag warnte der Berufungskläger den Haupttäter vor einem Radar. Dieser antwortete drei Minuten später. In der Folge teilte dieser zudem mit, das Fahrzeug "auf die Piste zu bringen" und forderte den Berufungskläger auf, mitzukommen. Dieser fragte kurz darauf, wo er sei. Damit ist erstellt, dass sich der Haupttäter und der Berufungskläger zu einer Fahrt mit dem Fahrzeug verabredet hatten.

Der Berufungskläger gab sodann in der Einvernahme zu, die Fahrt im Tunnel gefilmt zu haben. Die aufgenommene Videosequenz zeigt, wie der Haupttäter in den Tunnel einfuhr, das Fahrzeug auf der rechten Spur auf mindestens 130 km/h beschleunigte und anschliessend abbremste. Das Video zeigt sonst nichts. Der Fokus des Filmers liegt während der gesamten Dauer des Videos auf dem Tacho. Und am Abend ist dieses Video das Einzige, was vom Berufungskläger gesandt und nach dessen Eingang vom Haupttäter an eine weitere Person weitergleitet wurde. Die Kamera war bereit und hielt nur diese Fahrt fest. Gerade aber die Tatsache, dass der Berufungskläger einzig und allein die ?Raserfahrt? gefilmt hat, widerlegt sämtliche Ausführungen, wonach er vom Geschwindigkeitsexzess nichts gewusst habe und diesen auch nicht habe erahnen können. Es gibt auch keinerlei einleuchtende Gründe, weshalb der Berufungskläger ansonsten Anlass gehabt hätte, ein solches Video im Inneren des Fahrzeugs zu erstellen. Die Umstände lassen nur den Schluss zu, dass der Berufungskläger bewusst und gewollt die massive Geschwindigkeitsüberschreitung auf Video festhielt. Dass er nichts davon gewusst haben will, dass der Haupttäter gerne zu schnell mit seinem Auto unterwegs ist, ist zudem in keiner Weise glaubwürdig, was auch die früher am Tag erfolgte Warnung vor dem Radar belegt. Selbst wenn der Haupttäter nicht der Lenker gewesen sein sollte - was der Berufungskläger auch noch anlässlich der Berufungsverhandlung bestritt - so belegt bereits die einzige und kurze Videosequenz ohne Zweifel, dass eine sogenannte ?Raserfahrt? gefilmt werden sollte, was für eine Gehilfenschaft zu einer groben Verkehrsregelverletzung bereits ausreicht.

Das Video wurde gleichentags an den Haupttäter und danach von diesem an weitere Personen verschickt. Die ?Raserfahrt? sollte also dokumentiert werden, und das Video dürfte sogar der Anlass gewesen sein, diese überhaupt vorzunehmen.

c) Indem der Berufungskläger die ?Raserfahrt? filmte, ermunterte er den Haupttäter, das Vorhaben ?durchzuziehen? und nicht abzubrechen. Wäre er nicht mit der Fahrt einverstanden gewesen, hätte kein Anlass bestanden, so lange zu filmen, wie diese andauerte. Zudem lässt sich dem Video nicht entnehmen, dass der Berufungskläger interveniert und den Fahrer aufgefordert hätte, die ?Raserfahrt? abzubrechen. Mit seinem gesamten Verhalten unterstützte und förderte der Berufungskläger somit den Haupttäter im Begehen der Tat, wobei er aufgrund des vorgängigen WhatsApp-Chats davon ausgehen musste, dass es zu einer massiven Geschwindigkeitsüberschreitung kommen wird. Er ist somit als Gehilfe zur qualifiziert groben Verkehrsregelverletzung zu verurteilen[9].

Obergericht, 1. Abteilung, 4. Oktober 2021, SBR.2021.37


[1] Art. 90 Abs. 4 lit. a-d SVG

[2] Art. 12 Abs. 2 StGB

[3] Fiolka, Basler Kommentar, Basel 2014, Art. 90 SVG N. 147

[4] Forster, Basler Kommentar, 4.A., Art. 25 StGB N. 8

[5] Forster, Art. 25 StGB N. 21 ff.

[6] BGE vom 21. Dezember 2018, 6B_60/2018, Erw. 2.2.2

[7] Verordnung über die technischen Anforderungen an Strassenfahrzeuge, SR 741.41

[8] Eine solche wäre bereits bei einer gefahrenen Geschwindigkeit von 120 km/h gegeben; vgl. Weissenberger, Kommentar Strassenverkehrsgesetz und Ordnungsbussengesetz, 2.A., Art. 90 SVG N. 133

[9] Vgl. Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 30. Oktober 2012, SB120206-O/U

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