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RBOG 2021 Nr. 37

Keine Anwendbarkeit der subsidiären Aufsichtsbeschwerde gemäss § 16 ZSRV gegen den Willensvollstrecker; Rechtsmittel gegen Beschwerdeabweisung


Art. 518 Abs. 1 ZGB, Art. 595 Abs. 3 ZGB, § 16 ZSRV, § 33 ZSRV


1. Der Berufungskläger ist einer von sieben Nachkommen, die alle gesetzliche und zugleich eingesetzte Erben ihrer verstorbenen Mutter sind. Der Berufungsbeklagte ist der im Testament bezeichnete Willensvollstrecker. Die Erben und der Willensvollstrecker unterzeichneten einen Erbteilungsvertrag. Der Berufungskläger erhob eine Aufsichtsbeschwerde beim Bezirksgericht gegen den Willensvollstrecker. Der Einzelrichter des Bezirksgerichts wies die Aufsichtsbeschwerde ab, soweit er darauf eintrat. Dagegen erhob der Berufungskläger Berufung.

2. a) aa) Verfahrensgegenstand ist die Aufsichtsbeschwerde eines Erben gegen den Willensvollstrecker.

bb) Die Vorinstanz wandte in Füllung einer echten kantonalen Gesetzeslücke sinngemäss die Bestimmungen der ZPO für die freiwillige Gerichtsbarkeit, insbesondere das summarische Verfahren aufgrund von Art. 248 lit. e ZPO, als kantonales Verfahrensrecht an. In der Rechtsmittelbelehrung bezeichnete die Vorinstanz die Berufung als Rechtsmittel, ohne dies näher zu begründen.

cc) Der Rechtsmittelkläger wirft in der Berufungsschrift die Frage nach dem korrekten Rechtsmittel auf. Die Vorinstanz habe in der Rechtsmittelbelehrung die Berufung als Rechtsmittel angegeben. Die Anwendung von § 16 ZSRV sei mit der Begründung abgelehnt worden, dass diese Bestimmung auf den Willensvollstrecker keine Anwendung finde, eine Lücke vorliege und im Rahmen der richterlichen Lückenfüllung die Bestimmungen über die freiwillige Gerichtsbarkeit der ZPO anzuwenden seien. Damit werde eine Unterscheidung und Spaltung der Rechtsmittel für Willensvollstrecker, Erbenvertreter und Erbschaftsverwalter vollzogen. Für Erbenvertreter scheine im Kanton Thurgau nach RBOG 2013 Nr. 7 zum Beispiel die Beschwerde das korrekte Rechtsmittel zu sein. Für den Kanton Zürich, der über eine ähnliche Regelung wie der Kanton Thurgau verfüge[1], sei jedenfalls das Rechtsmittel der Beschwerde zu wählen[2]. Anders habe das Kantonsgericht St. Gallen entschieden[3]. Ob die erstinstanzliche Rechtsmittelbelehrung zutreffe oder nicht, lasse sich – soweit ersichtlich – weder nach Konsultation der Rechtsgrundlagen noch nach Sichtung der Rechtsprechung und Doktrin mit Bestimmtheit sagen. Gestützt auf Art. 9 BV und im Vertrauen in die Richtigkeit der Rechtmittelbelehrung werde die Rechtsschrift deshalb als Berufung mit Rücksicht auf die einschlägigen Bestimmungen dieses Rechtmittels[4] eingereicht.

b) aa) Gemäss Art. 518 Abs. 1 ZGB stehen die Willensvollstrecker, soweit der Erblasser nichts anderes verfügt, in den Rechten und Pflichten des amtlichen Erbschaftsverwalters. Wie die Vorinstanz zutreffend erwog, untersteht der Willensvollstrecker durch die Verweisung in Art. 518 Abs. 1 ZGB auf die Bestimmungen betreffend den amtlichen Erbschaftsverwalter einer Behördenaufsicht analog zu Art. 595 Abs. 3 ZGB. Gemäss dieser Bestimmung steht der Erbschaftsverwalter unter der Aufsicht der Behörde, und die Erben sind befugt, bei dieser gegen die von ihm beabsichtigten oder getroffenen Massregeln Beschwerde zu erheben. Diese Behördenaufsicht ist zwingendes Recht und kann trotz des Wortlauts von Art. 518 Abs. 1 ZGB durch den Erblasser in der Verfügung von Todes wegen nicht wegbedungen oder eingeschränkt werden[5].

bb) Die Bestimmung der sachlich zuständigen Aufsichtsbehörde obliegt den Kantonen, wie auch der Entscheid, ob ein Gericht oder eine Verwaltungsbehörde zuständig sein soll[6]. Die Regelung des dabei massgeblichen Verfahrensrechts ist ebenfalls Sache des Kantons[7]. Wie das Bundesgericht in BGE 139 III 225 entschied, wird das Verfahren nicht dadurch zu einer "gerichtlichen Angelegenheit" im Sinn von Art. 1 lit. b ZPO, dass der Kanton eine gerichtliche Behörde als zuständig erklärt. Art. 1 lit. b ZPO gilt nur dort, wo das Bundesrecht selbst eine gerichtliche Behörde vorschreibt; in den übrigen Bereichen ist gestützt auf Art. 54 Abs. 3 SchlT ZGB das vom Kanton bezeichnete Recht als kantonales Verfahrensrecht anzuwenden[8]. Das Bundesgericht erwog weiter, das kantonale Recht könne eine eigene Regelung aufstellen oder auf eine bestimmte Verfahrensordnung verweisen, nebst Verwaltungsrechtspflegegesetzen insbesondere auf die ZPO, deren Normen diesfalls aber nicht Bundesrecht, sondern kantonales Recht darstellten[9].

cc) Im Kanton Thurgau finden sich weder im EG ZGB[10] noch im ZSRG[11] noch in der ZSRV[12] Bestimmungen, welche ausdrücklich die zuständige Behörde oder das anwendbare Verfahrensrecht für die Aufsichtsbeschwerde eines Erben gegen den Willensvollstrecker regeln. Anders als bei anderen kantonalen Rechtsordnungen[13] findet sich im thurgauischen Recht auch kein allgemeiner Verweis auf die ZPO oder auf andere Verfahrensbestimmungen. Das Obergericht entschied in RBOG 2013 Nr. 7 für die "in gleicher Weise" für den Erbschaftsverwalter, den Willensvollstrecker und den behördlich bestellten Erbenvertreter geltenden Aufsichtsbeschwerden nach Art. 595 Abs. 3 ZGB, gemäss § 33 ZSRV seien – wie in allen Fällen, in welchen die kantonale Gesetzgebung in Angelegenheiten des Zivilgesetzbuchs und des Obligationenrechts die zuständige Behörde nicht bezeichne – die Einzelrichterin oder der Einzelrichter des Bezirksgerichts zuständig. Über das anwendbare Verfahrensrecht äusserte sich das Obergericht in jenem Entscheid nicht.

dd) Mit der Vorinstanz ist festzuhalten, dass die subsidiäre Aufsichtsbeschwerde gemäss § 16 ZSRV hier nicht anwendbar ist, denn diese steht nur "wegen der Verletzung von Amtspflichten durch richterliche Behörden und Beamte" zur Verfügung. Die Willensvollstreckung ist hingegen ein rein privatrechtliches Institut[14].

ee) Bei der Aufsichtsbeschwerde handelt es sich gemäss Lehre und Rechtsprechung um ein Verfahren der freiwilligen beziehungsweise nichtstreitigen Gerichtsbarkeit[15]. Dass die Vorinstanz sinngemäss die entsprechenden Verfahrensbestimmungen der ZPO als kantonales Recht anwandte, ist nicht zu beanstanden, nachdem die Aufsicht ein privatrechtliches Institut betrifft und sie in die Zuständigkeit der Einzelrichterin oder des Einzelrichters des Bezirksgerichts fällt. Sind aber die Bestimmungen der ZPO für das erstinstanzliche Verfahren sinngemäss (als kantonales Verfahrensrecht) anwendbar, so ist sinnvoll, dass dies ebenso für das Rechtsmittelverfahren gilt, zumal das kantonale Recht in diesem Fall auch für das Rechtsmittel keine Regelung trifft.

c) aa) Gemäss Art. 308 Abs. 1 ZPO sind mit Berufung erstinstanzliche End- und Zwischenentscheide sowie erstinstanzliche Entscheide über vorsorgliche Massnahmen anfechtbar. In vermögensrechtlichen Angelegenheiten ist die Berufung nur zulässig, wenn der Streitwert der zuletzt aufrechterhaltenen Rechtsbegehren mindestens Fr. 10'000.00 beträgt[16]. Art. 309 ZPO sieht Ausnahmen von der Zulässigkeit der Berufung vor, welche für diesen Fall allerdings nicht einschlägig sind.

bb) Mit Beschwerde anfechtbar sind nach Art. 319 ZPO nicht berufungsfähige erstinstanzliche Endentscheide, Zwischenentscheide und Entscheide über vorsorgliche Massnahmen[17], andere erstinstanzliche Entscheide und prozessleitende Verfügungen in den vom Gesetz bestimmten Fällen, wenn durch sie ein nicht leicht wiedergutzumachender Nachteil droht[18] sowie Fälle von Rechtsverzögerung[19].

cc) Die ZPO schreibt (mit wenigen, hier nicht anwendbaren Ausnahmen) für alle Arten von Verfahren nur eine einzige Rechtsmittelinstanz vor[20]. Grundsätzlich ist jeder erstinstanzliche Entscheid der streitigen und der freiwilligen Gerichtsbarkeit berufungsfähig. Die Berufung ist nur ausgeschlossen, sofern das Gesetz dies ausdrücklich anordnet[21]. Es spielt keine Rolle, ob es sich um ein Sachurteil oder ein Prozessurteil handelt, und ob dieselbe Rechtssache unter den gleichen Beteiligten in einem weiteren Verfahren erneut anhängig gemacht werden kann oder ob sie sogar in einem anschliessenden Verfahren prosequiert werden muss[22].

d) aa) Beim angefochtenen Entscheid handelt es sich um einen Endentscheid. Soweit eine Aufsichtsbeschwerde gegen den Willensvollstrecker durch sein Handeln in vermögensrechtlichen Angelegenheiten veranlasst ist, kommt auch ihr vermögensrechtliche Natur zu[23], und die Streitwertgrenze von Art. 308 Abs. 2 ZPO ist erreicht. Somit kommt als Rechtsmittel gegen den angefochtenen Entscheid nur die Berufung als primäres Rechtsmittel[24] in Frage. Dabei sind die Regeln von Art. 314 ZPO in Bezug auf das summarische Verfahren zu beachten.

bb) Kein anderer Schluss ist mit Blick auf den vom Berufungskläger zitierten Entscheid RBOG 2013 Nr. 7 zu ziehen. In jenem Fall ging es um einen Streitwert von weniger als Fr. 2'500.00. Entsprechend kam dort von vornherein die Berufung nicht in Frage. Ein Hinweis darauf, dass das Obergericht die Berufung als Rechtsmittel gegen einen Entscheid des Einzelrichters des Bezirksgerichts als Aufsichtsbehörde des Erbenvertreters (beziehungsweise Erbschaftsverwalters oder Willensvollstreckers, für welche die Bestimmung von Art. 595 Abs. 3 ZGB "in gleicher Weise" gelte) generell ausschliessen wollte, findet sich im Entscheid RBOG 2013 Nr. 7 nicht.

Obergericht, 2. Abteilung, 13. September 2021, ZBS.2021.12


[1] §§ 82 ff. GOG ZH (Gesetz über die Gerichts- und Behördenorganisation im Zivil- und Strafprozess, LS 211.1)

[2] Entscheid des Obergerichts des Kantons Zürich vom 23. Dezember 2013, PF130013

[3] Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen vom 11. April 2012, BS.2012.1

[4] Art. 308 ff. ZPO

[5] Karrer/Vogt/Leu, Basler Kommentar, 6.A., Art. 518 ZGB N. 97; Künzle, Berner Kommentar, Bern 2011, Art. 517-518 ZGB N. 515; Christ/Eichner, in: Erbrecht, Praxiskommentar (Hrsg.: Abt/Weibel), 4.A., Art. 518 ZGB N. 88; vgl. BGE vom 18. April 2016, 5B_136/2015, Erw. 5.1

[6] Art. 595 Abs. 3 ZGB i.V.m. Art. 54 Abs. 1 und 2 SchlT ZGB

[7] Art. 595 Abs. 3 ZGB i.V.m. Art. 54 Abs. 3 SchlT ZGB

[8] BGE 139 III 229 f.

[9] BGE 139 III 231

[10] Einführungsgesetz zum Schweizerischen Zivilgesetzbuch, RB 210.1

[11] Gesetz über die Zivil- und Strafrechtspflege, RB 271.1

[12] Verordnung des Obergerichts über die Zivil- und Strafrechtspflege, RB 271.11

[13] Beispielsweise Zürich: § 2 GOG, St. Gallen: Art. 11 EG-ZGB (sGS 911.1), Graubünden: Art. 2 Abs. 2 EGzZGB (BR 210.100), Bern: Art. 10 EG ZGB (BSG 211.1)

[14] Karrer/Vogt/Leu, Vor Art. 517-518 ZGB N. 6 mit Hinweis auf BGE 138 II 535, BGE 101 II 53, BGE 90 II 380 und weitere; Wolf/Genna, in: Schweizerisches Privatrecht, IV/1, Basel 2012, S. 334; Christ/Eichner, Art. 517 ZGB N. 5

[15] BGE 98 II 265 f.; Künzle, Art. 517-518 ZGB N. 554; Karrer/Vogt/Leu, Art. 595 ZGB N. 33

[16] Art. 308 Abs. 2 ZPO

[17] Lit. a

[18] Lit. b

[19] Lit. c

[20] Sterchi, Berner Kommentar, Bern 2012, Vorbemerkungen zu Art. 308 ZPO N. 5 und Art. 308 ZPO N. 9

[21] Sterchi, Art. 308 ZPO N. 5

[22] Sterchi, Art. 308 ZPO N. 11

[23] BGE vom 23. August 2019, 5A_940/2018, Erw. 1.2; BGE vom 10. April 2018, 5A_628/2017, Erw. 1.1; BGE vom 22. Oktober 2010, 5A_395/2010, Erw. 1.2.2; BGE 135 III 581

[24] Reetz, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung (Hrsg.: Sutter-Somm/Hasen­böh­ler/Leu­en­berger), 3.A., Vorbemerkungen zu den Art. 308-318 N. 16

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