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RBOG 2021 Nr. 4

Ungeechtfertigte Bereicherung bei der Genossenschaft


Art. 63 Abs. 1 OR, Art. 67 Abs. 1 OR


A. Ersparnisbereicherung der Genossenschaft bei Überwälzen eigener Beitragspflichten auf ihre Genossenschafter ohne statutarische Grundlage (Art. 63 Abs. 1 OR)

1. a) Der Berufungskläger ist Landwirt und Mitglied der Berufungsbeklagten, einer Genossenschaft. Letztere ist ihrerseits Mitglied der Genossenschaft C. Die Genossenschaft C gründete im März 2014 mit den grössten regionalen Milchvermarktungsorganisationen die D AG, eine Selbsthilfeorganisation mit dem Ziel, saisonale Ungleichgewichte auf dem Markt abzufedern. Anlässlich einer Delegiertenversammlung im November 2014 beschlossen die Delegierten der Genossenschaft C, einen Beitrag von maximal 0.35 Rappen pro Kilogramm vermarkteter Milch zu erheben; das "Inkasso" erfolge unter anderem durch die Mitgliederorganisationen der Genossenschaft C. So zog die Berufungsbeklagte diese Beiträge auch beim Berufungskläger - via die E AG, mit der der Berufungskläger einen Milchkaufvertrag abgeschlossen hatte – ein und leitete sie an die Genossenschaft C weiter.

b) Ein (anderer) Landwirt wehrte sich erfolgreich gegen die von der Berufungsbeklagten zugunsten der D AG erhobenen Beiträge. Am 18. Oktober 2017 schützte das Obergericht seine Beschwerde gegen den anderslautenden Entscheid des Einzelrichters des Bezirksgerichts vom 9. Juni 2017 und entschied, die Statuten der Berufungsbeklagten räumten kein Recht ein, die Beiträge für die D AG bei ihren Mitgliedern einzuziehen[1]. Auf eine dagegen erhobene Beschwerde der Berufungsbeklagten trat das Bundesgericht nicht ein[2].

c) Nachdem der Berufungskläger im September 2018 ein Betreibungsbegehren gegen die Berufungsbeklagte eingereicht hatte, klagte er am 19. März 2019 auf Rückzahlung der erhobenen Beiträge. Er begründete seine Klage damit, es stehe nunmehr rechtskräftig fest, dass die Berufungsbeklagte die Beiträge für die D AG zu Unrecht eingefordert habe. Mit Entscheid vom 26. August 2020 wurde die Klage abgewiesen. Dagegen erhob der Berufungskläger Berufung und beantragte die Aufhebung des angefochtenen Entscheids.

2. a) aa) Wer in ungerechtfertigter Weise aus dem Vermögen eines andern bereichert worden ist, hat die Bereicherung zurückzuerstatten[3]. Insbesondere tritt diese Verbindlichkeit dann ein, wenn jemand ohne jeden gültigen Grund oder aus einem nicht verwirklichten oder nachträglich weggefallenen Grund eine Zuwendung erhalten hat[4].

Bereits vor Vorinstanz war unbestritten, dass der Berufungskläger die Beiträge, welche er nun klageweise zurückfordert, an die Berufungsbeklagte bezahlte beziehungsweise ihm diese in der Milchabrechnung vom Milchgeld abgezogen wurden. Ebenfalls unbestritten ist im Berufungsverfahren die Feststellung der Vorinstanz, dass der Berufungskläger die eingeklagten Beiträge ohne gültigen Grund an die Berufungsbeklagte leistete und die Berufungsbeklagte damit an sich bereichert ist. Die Vorinstanz stützte sich dabei zutreffend auf den Entscheid des Obergerichts vom 18. Oktober 2017, wonach die Statuten der Berufungsbeklagten dieser kein Recht einräumten, die Beiträge für die D AG bei ihren Mitgliedern einzuziehen, weil dazu ein entsprechender Beschluss der Mitglieder fehle[5].

bb) Wer eine Nichtschuld freiwillig bezahlt, kann das Geleistete nur dann zurückfordern, wenn er nachzuweisen vermag, dass er sich über die Schuldpflicht im Irrtum befunden hat[6]. Ausgeschlossen ist die Rückforderung, wenn die Zahlung für eine verjährte Schuld oder in Erfüllung einer sittlichen Pflicht geleistet wurde[7]. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung muss der Irrtum, aus dem eine Nichtschuld bezahlt wird, nicht entschuldbar sein; vielmehr berechtigt jede Art von Irrtum - Rechtsirrtum oder Tatirrtum, entschuldbarer oder unentschuldbarer Irrtum - zur Rückforderung. Das Institut der ungerechtfertigten Bereicherung bezweckt die Korrektur einer mit dem materiellen Recht in Widerspruch stehenden, eben "ungerechtfertigten" Bereicherung. Der irrtümlich erbrachten Leistung fehlt die innere Rechtfertigung, und nicht der Irrtum als solcher, sondern vielmehr die Grundlosigkeit der Leistung begründet den Rückforderungsanspruch[8]. Ein Irrtum ist insbesondere anzunehmen, wenn nach den Umständen ausgeschlossen werden kann, dass der Leistende eine Schenkung beabsichtigte, wobei bei Geschäftsbeziehungen grundsätzlich nie von einer Schenkungsabsicht auszugehen ist[9].

b) aa) Im Berufungsverfahren unbestritten ist die Schlussfolgerung der Vorinstanz, dass sich beide Parteien zum Zeitpunkt der jeweiligen Beitragserhebung offensichtlich in einem Irrtum über die Schuldpflicht beziehungsweise die Pflicht zur Beitragsleistung seitens der Milchproduzenten befunden haben. So hatte namentlich der Berufungskläger beim Abschluss des Milchkaufvertrags vom 20. / 26. Mai 2009 mit der E AG noch keine Veranlassung, an der Pflicht zur Beitragsleistung zu zweifeln. Im Übrigen ist der Vorinstanz beizupflichten, dass zwischen den Parteien eine Geschäftsbeziehung bestanden habe, weshalb ausgeschlossen werden könne, dass eine Schenkung beabsichtigt gewesen sei.

bb) Strittig und im Folgenden zu prüfen ist, ob die Berufungsbeklagte sich zu Recht auf die Entreicherungseinrede berief.

c) aa) Die Rückerstattung kann insoweit nicht gefordert werden, als der Empfänger nachweisbar zur Zeit der Rückforderung nicht mehr bereichert ist, es sei denn, dass er sich der Bereicherung entäusserte und hierbei nicht in gutem Glauben war oder doch mit der Rückerstattung rechnen musste[10].

bb) Damit die Rückerstattungspflicht aus Art. 64 OR beschränkt wird, muss einerseits die Bereicherung weggefallen oder vermindert sein, andererseits der Bereicherte, was den erlangten Vermögensvorteil betrifft, in gutem Glauben gewesen sein. Sind beide Voraussetzungen gegeben, steht dem Bereicherten die Einwendung der "nicht mehr vorhandenen Bereicherung" zu, das heisst, er hat nur das zurückzuerstatten, um was er im Zeitpunkt der Rückforderung noch bereichert ist[11].

cc) Ob die Bereicherung weggefallen oder vermindert ist, beurteilt sich aus der Differenz zwischen dem Vermögensstand zur Zeit der Rückforderung und demjenigen, der ohne das bereichernde Ereignis vorläge. Diese Differenz kann sich nicht nur aus einer Vergrösserung, sondern auch aus einer Nichtverminderung des Vermögens ergeben. Im zweiten Fall liegt eine sogenannte Ersparnisbereicherung vor, die entweder auf einer Nichtverminderung der Aktiven oder einer Nichterhöhung der Passiven beruht[12]. Verwendet der Bereicherte das rechtsgrundlos Erlangte beispielsweise für etwas, was er sonst aus eigenen Mitteln hätte bezahlen müssen, so spart er dies bei seinen Ausgaben. Die Ersparnisbereicherung hat zur Folge, dass der Einwand der Entreicherung entfällt[13].

dd) Gutgläubigkeit wird nach Art. 3 ZGB vermutet, solange der Bereicherte nicht wusste oder hätte wissen müssen, dass der erlangte Vermögensvorteil ohne Rechtsgrund erfolgt ist[14].

d) Zunächst stellt sich die Frage, ob die Bereicherung der Berufungsbeklagten im Zeitpunkt der Rückforderung weggefallen ist oder zumindest vermindert wurde.

aa) Gemäss den Statuten der Genossenschaft C können die regionalen Genossenschaftsverbände der Milchproduzenten oder ihre Nachfolge-Organisationen (Sektionen) und andere Körperschaften Mitglied bei der Genossenschaft C sein. Die Berufungsbeklagte ist als solcher regionaler Genossenschaftsverband Mitglied der Genossenschaft C. Der Berufungskläger als natürliche Person kann bei der Genossenschaft C hingegen keine Mitgliedschaft erwerben. Unbestritten ist, dass die Mitglieder der Genossenschaft C verpflichtet sind, Beiträge an jene zu leisten.

bb) Die Beitragspflicht der Berufungsbeklagten gegenüber der Genossenschaft C besteht unabhängig davon, ob und wie deren Mitglieder diese finanzieren. Es ist für die Beitragspflicht somit nicht von Bedeutung, ob die Berufungsbeklagte diese Beiträge in gleicher Höhe von ihren Mitgliedern, mithin unter anderem vom Berufungskläger, erhältlich machen kann. Den Berufungskläger trifft gegenüber der Genossenschaft C keine Beitragspflicht. Entgegen der Auffassung der Berufungsbeklagten kann sie deshalb auch nicht als Inkassostelle der Genossenschaft C fungieren.

cc) Es kann folglich nicht massgebend sein, wie die Berufungsbeklagte in ihrer Buchhaltung die vom Berufungskläger geleisteten und die von ihr an die Genossenschaft C bezahlten Beiträge behandelte. Daraus kann die Berufungsbeklagte nichts zu ihren Gunsten ableiten. Relevant ist einzig, dass die Berufungsbeklagte der Genossenschaft C ihre Beiträge auch ohne die rechtsgrundlos erfolgten Beitragszahlungen des Berufungsklägers hätte leisten müssen. Ohne die Beitragszahlungen des Berufungsklägers hätte die Tilgung der Beiträge gegenüber der Genossenschaft C zu einer Verminderung der Aktiven der Berufungsbeklagten geführt. Es liegt somit eine Ersparnisbereicherung vor. Durch die rechtsgrundlos bezahlten Beiträge des Berufungsklägers verminderten sich die Aktiven der Berufungsbeklagten nicht. Mit anderen Worten verwendete sie die rechtsgrundlos erhaltenen Beiträge für etwas, das sie sonst aus eigenen Mitteln hätte bezahlen müssen. Insofern sparte sie Ausgaben. Die Bereicherung der Berufungsbeklagten ist demnach im Zeitpunkt der Rückforderung nicht weggefallen oder vermindert worden, weshalb der Einwand der Entreicherung entfällt. Mit den rechtsgrundlos eingezogenen Beiträgen ist sie deshalb im Sinn einer Ersparnisbereicherung bereichert und dementsprechend rückerstattungspflichtig. Die Berufungsbeklagte machte im Übrigen - abgesehen vom nicht massgebenden Argument der Weiterleitung der Beiträge an die Genossenschaft C - nicht geltend, dass die effektiv beim Berufungskläger eingezogenen Beiträge nicht mehr vorhanden seien. Ob die Berufungsbeklagte gutgläubig handelte, muss bei diesem Ergebnis nicht geprüft werden.

dd) Dass eine Ersparnisbereicherung vorliegt, veranschaulicht auch das Beispiel des Berufungsklägers in seiner Berufungsschrift: Hätte das Vermögen der Berufungsbeklagten am 1. Januar 2010 100 betragen und wären von der Genossenschaft C Beitragsleistungen von zehn beschlossen worden, hätte das Vermögen der Berufungsbeklagten am 31. Dezember 2010 noch 90 betragen, wenn sie ihrerseits keine Beiträge von ihren eigenen Mitgliedern erhalten hätte. Indem sie nun allerdings rechtsgrundlos bei ihren Mitgliedern Beiträge von zehn kassiert habe, habe ihr Vermögen am 31. Dezember 2010 nicht 90, sondern immer noch 100 betragen. Dieses Beispiel zeigt auf, dass die Berufungsbeklagte nur dank der rechtsgrundlos erfolgten Beitragszahlungen ihrer Mitglieder ihren Vermögenstand halten konnte, obschon sie gleichzeitig Beiträge an die Genossenschaft C zahlen musste.

ee) Anders als die Vorinstanz erwog, ist nicht entscheidend, ob die Berufungsbeklagte die Beiträge der Genossenschaft C auch bezahlt hätte, wenn sie damals gewusst hätte, dass sie die Mittel dazu nicht bei ihren Mitgliedern, unter anderem auch beim Berufungskläger, erhältlich machen könnte. Wie dargelegt, besteht die Beitragspflicht der Berufungsbeklagten gegenüber der Genossenschaft C unabhängig von allfälligen Einnahmen von ihren eigenen Mitgliedern. Daran vermag auch nichts zu ändern, dass sich die Erhebung der Beiträge durch die Berufungsbeklagte erst im Nachhinein als unrechtmässig herausstellte und die Berufungsbeklagte mit diesem Wissen allenfalls bereits früher ihre Statuten geändert hätte.

B. Relative Verjährungsfrist bei Kenntnis von Gerichtsentscheiden in zusammenhängenden Fällen (Art. 67 Abs. 1 OR)

1. Die Berufungsbeklagte erhob betreffend den Rückerstattungsanspruch des Berufungsklägers zudem die Einrede der Verjährung.

2. a) Gemäss Art. 67 Abs. 1 OR verjährt der Bereicherungsanspruch mit Ablauf von drei Jahren, nachdem der Verletzte von seinem Anspruch Kenntnis erhalten hat, in jedem Fall aber mit Ablauf von zehn Jahren seit der Entstehung des Anspruchs. Der bis am 31. Dezember 2019 geltende Art. 67 Abs. 1 aOR sah eine relative Verjährungsfrist von einem Jahr vor; unverändert war der Ablauf der absoluten Frist nach zehn Jahren. Bestimmt das neue Recht eine längere Verjährungsfrist als das bisherige Recht, so gilt nach Art. 49 Abs. 1 SchlT ZGB das neue Recht, sofern die Verjährung nach bisherigem Recht noch nicht eingetreten ist. Das Inkrafttreten des neuen Rechts lässt den Beginn einer laufenden Verjährung unberührt, sofern das Gesetz nichts anderes bestimmt[15].

b) Die hier massgebenden Vorgänge haben sich alle vor dem 1. Januar 2020 ereignet. Dementsprechend kommt die altrechtliche relative Verjährungsfrist von einem Jahr zur Anwendung, was im Berufungsverfahren unbestritten ist.

3. Strittig ist demgegenüber der Beginn der relativen Verjährungsfrist.

a) Der Fristenlauf der einjährigen relativen Verjährung beginnt, sobald der Berechtigte von seinem Anspruch Kenntnis erhielt. Diese Kenntnis stellt sich ein, sobald der Gläubiger alle tatsächlichen Umstände wahrgenommen hat, welche geeignet sind, ihn mit Aussicht auf Erfolg zur Geltendmachung des Anspruchs zu veranlassen. Dabei genügt es nicht, dass der Gläubiger von seinem Anspruch bei Anwendung der nach den Umständen gebotenen Aufmerksamkeit hätte Kenntnis haben können. Angesichts der kurzen Dauer der Verjährungsfrist darf nicht leichthin angenommen werden, dem Gläubiger habe hinsichtlich der massgebenden Tatsachen ein genügendes Wissen für die Aussicht auf Durchsetzung des Anspruchs zur Verfügung gestanden. Fristauslösende Kenntnis liegt demnach vor, wenn der Gläubiger einen solchen Grad von Gewissheit hinsichtlich des Bereicherungsanspruchs erlangt hat, dass nach Treu und Glauben angenommen werden kann, der Gläubiger habe nunmehr weder Anlass noch Möglichkeit zu weiterer Abklärung und gleichzeitig in ausreichendem Mass Unterlagen zur Klageerhebung, sodass ihm diese vernünftigerweise zugemutet werden darf. Gewissheit hinsichtlich des Bereicherungsanspruchs setzt Kenntnisse über das ungefähre Ausmass der Bereicherung, die Grundlosigkeit der Vermögensverschiebung und die Person des Bereicherten voraus. Massgebend sind die tatsächlichen den Anspruch betreffenden Kenntnisse. Für allfällige Zweifel hinsichtlich der Existenz des Bereicherungsanspruchs trägt der Schuldner das Risiko, denn ihm obliegt die volle Beweislast für die bereits eingetretene Verjährung. Wissenszurechnung findet nur insoweit statt, als der Wissenserwerb des Vertreters im Rahmen einer von der Vollmacht gedeckten Rechtshandlung stattfand[16].

b) Entgegen der Auffassung der Berufungsbeklagten begann die relative Verjährungsfrist nicht bereits mit dem Begleichen der entsprechenden Rechnungen. BGE 127 III 421 ff., auf den sie in diesem Zusammenhang verwies, ist nicht einschlägig. In jenem Bundesgerichtsentscheid begann die einjährige Verjährungsfrist für die Rückforderung der beglichenen Rechnungen mit deren Zahlung, da die erforderlichen Informationen zum Erkennen der überhöhten Rechnungen diesen selbst entnommen werden konnten[17]. Dem ist hier gerade nicht so: Aus den Milchabrechnungen der E AG wird nicht ersichtlich, dass die vorgenommenen Abzüge überhöht beziehungsweise mangels statutarischer Grundlage und Beschlussfassung nicht rechtens sind. Insofern wusste der Berufungskläger im Zeitpunkt der Zahlung der Rechnungen nicht um die Grundlosigkeit der Vermögensverschiebung.

c) Es kann ausserdem nicht ausschlaggebend sein, dass der Berufungskläger seine Zahlungen per Ende 2014 eingestellt haben soll. Die Zahlungseinstellung dürfte insbesondere deshalb erfolgt sein, weil die Beiträge ab dem Jahr 2015 nicht mehr über die E AG als Inkassostelle in Rechnung gestellt, sondern von der Berufungsbeklagten direkt eingezogen wurden. Zwar weigerte sich der Berufungskläger fortan offenbar, die Beiträge zu begleichen, doch kann allein deshalb nicht darauf geschlossen werden, er habe hinreichende Kenntnis über die Grundlosigkeit der vorangegangenen Zahlungen gehabt. Es gilt zu beachten, dass Kenntnis nicht leichthin anzunehmen ist. Selbst wenn sich der Berufungskläger damals also auf den Standpunkt gestellt haben sollte, dass für künftige Beiträge eine rechtliche Grundlage fehle, war die Gewissheit für ihn viel zu gering, als ihm eine Rückforderungsklage beziehungsweise eine Klage aufgrund ungerechtfertigter Bereicherung oder eine andere verjährungsunterbrechende Handlung für alle Beiträge hätte zugemutet werden können.

d) Ebenso verhielt es sich auch im Zeitpunkt der ausserordentlichen Generalversammlung der Berufungsbeklagten vom 12. September 2017. Dabei ist nicht entscheidend, ob der Berufungskläger die Rechtmässigkeit der Beitragserhebung allenfalls damals schon in Zweifel zog, sondern dass er zu jenem Zeitpunkt keine Gewissheit hinsichtlich des Bereicherungsanspruchs hatte, zumal die Grundlosigkeit der Vermögensverschiebung damals noch nicht feststand. Es existierte zwar der Entscheid des Einzelrichters des Bezirksgerichts vom 9. Juni 2017, doch besagte dieser gerade, dass die von der Berufungsbeklagten erhobenen Beiträge für die Verwaltungskosten der Genossenschaft C sowie für die D AG und für das Marketing der Genossenschaft C sowie das F-Marketing durch die Statuten der Berufungsbeklagten abgedeckt und grundsätzlich rechtmässig seien. Auch das spricht dagegen, dass der Berufungskläger an der ausserordentlichen Generalversammlung genügende Kenntnis der Grundlosigkeit der in Rechnung gestellten Beiträge hatte. Dies gilt umso mehr, als diese Kenntnis angesichts der kurzen Dauer der Verjährungsfrist nicht leichthin angenommen werden darf.

e) Der Vorinstanz ist beizupflichten, dass die Grundlosigkeit der Vermögensverschiebung und die den tatsächlichen Anspruch betreffenden Kenntnisse erst nach dem Entscheid des Obergerichts vom 18. Oktober 2017 genügend erkennbar wurden. Erst der Entscheid des Obergerichts hielt ausdrücklich fest, dass es an einer statutarischen Grundlage mangle und ein Beschluss der Generalversammlung der Berufungsbeklagten fehle. Der Berufungskläger hatte folglich erst nach der Kenntnisnahme des Entscheids des Obergerichts einen derartigen Grad an Gewissheit über den Bereicherungsanspruch, dass nach Treu und Glauben gesagt werden kann, er habe nunmehr weder Anlass noch Möglichkeit zu weiterer Abklärung und gleichzeitig genügend Unterlagen zur Klageerhebung, sodass ihm eine solche vernünftigerweise zugemutet werden dürfe. Der Entscheid des Obergerichts lieferte dem Berufungskläger ein hinreichendes Klagefundament. Nunmehr wusste er, dass die Berufungsbeklagte zumindest die Beiträge für die D AG rechtsgrundlos erhoben hatte. Gestützt darauf konnte und musste er folgern, dass es für die übrigen ordentlichen Beiträge ebenfalls einer Grundlage in den Statuten sowie eines entsprechenden Beschlusses der Generalversammlung der Berufungsbeklagten bedurft hätte und bei deren Fehlen die Bezahlung rechtsgrundlos erfolgt sein dürfte. Er hatte somit erst durch den Entscheid des Obergerichts hinreichende Kenntnisse über das ungefähre Ausmass der Bereicherung, die Grundlosigkeit der Vermögensverschiebung und die Person des Bereicherten.

f) Die einjährige relative Verjährungsfrist begann somit mit der Kenntnisnahme des Entscheids des Obergerichts vom 18. Oktober 2017 durch den Berufungskläger zu laufen. Das Obergericht versandte seinen Entscheid am 9. November 2017, wobei es zu beachten gilt, dass der Berufungskläger nicht Partei des damaligen Verfahrens war. Ob er bereits mit Zustellung des obergerichtlichen Entscheids oder erst durch die Medienmitteilung vom 15. November 2017 Kenntnis vom Entscheid erhielt, kann offenbleiben, da der Berufungskläger die einjährige Frist mit Einreichung der Betreibung im September 2018 ohnehin einhielt. Dabei spielt keine Rolle, an welchem Tag er das Betreibungsbegehren einreichte. Der Zahlungsbefehl datiert vom 19. September 2018, womit er das Betreibungsbegehren spätestens an diesem Tag - und mithin rechtzeitig innert der einjährigen relativen Verjährungsfrist - eingereicht hatte.

4. Die Einhaltung der zehnjährigen absoluten Verjährungsfrist ist nicht (mehr) strittig.

Obergericht, 2. Abteilung, 30. März 2021, ZBR.2020.38

Auf die dagegen erhobene Beschwerde trat das Bundesgericht am 18. November 2021 nicht ein; die subsidiäre Verfassungsbeschwerde wies es ab, soweit es darauf eintrat (4A_397/2021).


[1] Entscheid des Obergerichts vom 18. Oktober 2017, ZR.2017.36

[2] BGE vom 30. April 2018, 4A_653/2017

[3] Art. 62 Abs. 1 OR

[4] Art. 62 Abs. 2 OR

[5] Entscheid des Obergerichts vom 18. Oktober 2017, ZR.2017.36

[6] Art. 63 Abs. 1 OR

[7] Art. 63 Abs. 2 OR

[8] BGE 129 III 650

[9] Schulin, Basler Kommentar, 6.A., Art. 63 OR N. 4

[10] Art. 64 OR

[11] Schwander, in: OR Kommentar (Hrsg.: Kren Kostkiewicz/Wolf/Amstutz/Fankhauser), 3.A., Art. 64 N. 5

[12] BGE 143 II 54; BGE 129 III 652

[13] Schulin, Art. 64 OR N. 5

[14] Schwander, Art. 64 OR N. 5

[15] Art. 49 Abs. 3 SchlT ZGB

[16] Huwiler, Basler Kommentar, 6.A., Art. 67 OR N. 9

[17] BGE 127 III 427 f.

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