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RBOG 2021 Nr. 6

Schwere Verfahrensmängel beim Ausschluss eines Genossenschafters


Art. 846 OR


1. An der Generalversammlung der Berufungsklägerin, einer Genossenschaft, vom 23. April 2018 beschlossen die Genossenschafterinnen und Genossenschafter den vom Vorstand traktandierten Ausschluss des Berufungsbeklagten als Genossenschafter. Das Bezirksgericht schützte die dagegen vom Berufungsbeklagten eingereichte Klage und hob den Ausschliessungsbeschluss auf. Dagegen erhob die Berufungsklägerin Berufung.

2. a) Gemäss Art. 846 OR können die Statuten die Gründe bestimmen, aus denen ein Genossenschafter ausgeschlossen werden darf (Abs. 1). Überdies kann er jederzeit aus wichtigen Gründen ausgeschlossen werden (Abs. 2). Über die Ausschliessung entscheidet die Generalversammlung. Die Statuten können die Verwaltung als zuständig erklären, wobei dem Ausgeschlossenen ein Rekursrecht an die Generalversammlung zusteht[1]. Dem Ausgeschlossenen steht innerhalb von drei Monaten die Anrufung des Richters offen (Abs. 3).

b) aa) Art. 846 Abs. 1 und 2 OR sind zwingendes Recht[2]. Auch die Statuten können nicht beliebige Ausschlussgründe vorsehen. Es bedarf eines sachlichen Zusammenhangs mit der Zielsetzung der Genossenschaft und ihrer Mitglieder, indem der Ausschlussgrund eine Gefährdung des Genossenschaftszwecks verhindern will und kann[3]. Dass das Genossenschaftsrecht im Gegensatz zum Vereinsrecht[4] nicht von der Ausschliessung ohne Grundangabe spricht, ist als qualifiziertes Schweigen zu betrachten. Nach unbestrittener Ansicht ist es demnach unzulässig, in den Statuten die Ausschliessung ohne Grundangabe vorzusehen[5]. Dementsprechend darf der Ausschluss – selbst wenn in den Statuten vorgesehen – anders als im Vereinsrecht nicht ohne Grundangabe erfolgen[6].

bb) Ist der Ausschluss ohne Grund beziehungsweise Grundangabe unzulässig, so muss der – von Gesetzes wegen formlos gültige – Beschluss, mit dem eine Genossenschafterin oder ein Genossenschafter ausgeschlossen wird, (zwingend) begründet werden. Nur dann kann sie oder er den Beschluss anfechten[7]. Die Begründung im Ausschliessungsentscheid muss den Betroffenen in die Lage versetzen, zu konkreten Vorwürfen Stellung nehmen zu können. Dementsprechend sind etwa die Angaben "wiederholtes Hinwegsetzen über statutenkonforme Beschlüsse" sowie "unwahre und ehrverletzende Anschuldigungen" zu allgemein gehalten und genügen den Anforderungen an eine hinreichende Begründung nicht[8].

c) Dem auszuschliessenden Genossenschafter muss ein Recht auf Verteidigung zugestanden werden[9], respektive der Betroffene hat nach heute überwiegender Lehre Anspruch auf rechtliches Gehör. Das vom Ausschluss betroffene Mitglied hat vor jedem Gesellschaftsorgan ein Recht auf vorgängige Orientierung und Äusserung, Akteneinsicht sowie Anhörung im Sinn des persönlichkeitsbezogenen Mitwirkungsrechts[10]. Die Verweigerung des rechtlichen Gehörs stellt einen Mangel dar, der die Aufhebung des Ausschliessungsbeschlusses wegen Formwidrigkeit nach sich zieht[11]. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts steht dem auszuschliessenden Mitglied das rechtliche Gehör allerdings nicht in gleicher Weise zu wie einer Partei in einem Zivilprozess oder einem Beamten im Disziplinarverfahren vor staatlichen Instanzen, sondern es genügt, wenn das betroffene Mitglied "in diskutablen Fällen seine Einwendungen in irgendeiner Form vorbringen kann, bevor der Ausschluss endgültig angeordnet wird"[12].

d) Eine Heilung des rechtlichen Gehörs (Anhörung, Begründung) durch den nach Art. 846 Abs. 3 Satz 3 OR angerufenen Richter kommt nicht in Betracht. Das Gesetz weist die Kompetenz zum Ausschluss eines Genossenschafters grundsätzlich der Generalversammlung zu. Eine abweichende Regelung ist (statutarisch) nur insofern zulässig, als diese Befugnis der Verwaltung übertragen werden kann. Einem anderen Organ oder gar Aussenstehenden kann die Ausschliessungsbefugnis nicht zugeteilt werden, also auch nicht an eine staatliche Instanz respektive an die Richterin oder den Richter. Diese können nur bereits beschlossene Ausschliessungen bestätigen oder aufheben, nicht aber originär die Ausschliessung verfügen beziehungsweise beschliessen[13].

3. a) In Bezug auf den Sachverhalt ist unbestritten, dass am 28. Juni 2017 eine Generalversammlung der Berufungsklägerin stattfand, welche vom Berufungsbeklagten als Präsidenten der Genossenschaft geführt wurde. Am Schluss der Versammlung verkündete der Berufungsbeklagte, er habe eine wichtige Mitteilung zu machen. "Aufgrund der Bevormundung der Genossenschaftsversammlung" trete der Vorstand unisono per 30. Juni 2017 zurück. Grund dafür war, dass die Generalversammlung in Bezug auf ein bestimmtes Traktandum den Anträgen des Vorstands nicht gefolgt war.

b) aa) Mit E-Mail vom 3. Juli 2017 gelangte eine Revisorin mit einer Reihe von Anliegen respektive Fragen an den Berufungsbeklagten.

bb) Darauf antwortete der Berufungsbeklagte zunächst per E-Mail vom 4. Juli 2017 mit: "Ich werde dich zu gegebener Zeit informieren. Hilfe gibt’s von mir keine!"

cc) Mit Schreiben vom 6. Juli 2017 nahm der Berufungsbeklagte zu der E-Mail vom 3. Juli 2017 Stellung, wobei er abschliessend festhielt: "Für Unterstützung im Zusammenhang mit der Genossenschaft stehe ich nicht zur Verfügung. Ich verbiete ausdrücklich mich in diesem Zusammenhang zu kontaktieren (Telefon, E-Mail, SMS, Briefe oder gar Hausbesuche). Dieses Verbot gilt auch für künftige Organe und Gehilfen der Genossenschaft. Allfällige Besuche bei mir würden als Hausfriedensbruch gemäss Art. 186 StGB geahndet."

c) aa) Am 9. August 2017 fand auf Antrag der Revisionsstelle eine ausserordentliche Generalversammlung der Berufungsklägerin statt, an welcher die Generalversammlung einen neuen Vorstand wählte. Der neu gewählte Vorstand beschloss unmittelbar im Anschluss an die Generalversammlung, den Berufungsbeklagten aus der Genossenschaft auszuschliessen.

bb) Mit Schreiben vom 10. August 2017 informierte der neu gewählte Präsident der Genossenschaft den Berufungsbeklagten wie folgt: "Die Verwaltung der Genossenschaft hat an ihrer Sitzung vom 9. August 2017 unter Anwendung von Art. 5 und Art. 12 der Statuten der Genossenschaft beschlossen, Sie / Dich als Genossenschafter auszuschliessen. Die statutarischen Anfechtungsmöglichkeiten bleiben selbstverständlich bestehen."

cc) Der Berufungsbeklagte nahm am 1. September 2017 dazu Stellung und brachte in einem ersten Punkt vor, der Beschluss und die Mitteilung an ihn seien nichtig, weil die (neuen) Vorstandsmitglieder im Zeitpunkt der Mitteilung nicht im Handelsregister eingetragen gewesen seien. Zudem verlangte er, dass jährlich eine eingeschränkte Revision auf Kosten der Berufungsklägerin durchgeführt werde. Danach hielt er fest, dass der gesamte Vorstand per Ende Juni 2017 wegen unüberbrückbarer Differenzen zwischen Vorstand und Genossenschaftern zurückgetreten sei, womit nunmehr für die Berufungsklägerin die Möglichkeit bestehe, ihre Ideen umzusetzen. Weiter wies er darauf hin, dass sämtliche Unterlagen in den Archivschränken der Liegenschaft der Berufungsklägerin eingeschlossen und sämtliche Schlüssel sowie eine Daten-CD in einem Schliessfach bei der Thurgauer Kantonalbank deponiert seien, wobei der Gemeindepräsident den Schliessfachschlüssel entgegengenommen und den neu gewählten Organen der Berufungsklägerin ausgehändigt habe. Ferner präzisierte der Berufungsbeklagte, dass er unfallbedingt nicht mehr für Unterstützung im Zusammenhang mit der Berufungsklägerin zur Verfügung stehe. Sodann machte er geltend, die Einladung für die ausserordentliche Generalversammlung vom 9. August 2017 sei nicht statutenkonform erfolgt, womit deren Beschlüsse anfechtbar seien. Abschliessend erklärte der Berufungsbeklagte, er erwarte eine Stellungnahme bis Ende September 2017.

dd) In ihrer Stellungnahme vom 5. September 2017 wiederholte die Berufungsklägerin, vertreten durch den Präsidenten, in einem ersten Absatz ihr Schreiben vom 10. August 2017. Sodann widersprach sie dem Berufungsbeklagten betreffend Nichtigkeit, indem sie geltend machte, der Eintrag der neuen Vorstandsmitglieder im Handelsregister sei bloss deklaratorisch, die Vertretungsberechtigung gelte mit der Wahl durch die Generalversammlung. Der mitgeteilte Ausschluss sei somit rechtens und zusätzlich sei er "hiermit wiederholt". Zudem verlangte die Berufungsklägerin vom Berufungsbeklagten Fr. 40.00 für einen verlorenen Schlüssel und Auskünfte betreffend einen Tresor.

ee) In seinem Schreiben vom 27. September 2017 nahm der Berufungsbeklagte Bezug auf das Schreiben der Berufungsklägerin vom 5. September 2017 und verlangte in Anwendung von Art. 5 der Statuten der Berufungsklägerin einen Entscheid über seinen Ausschluss an der nächsten Generalversammlung.

d) aa) Mit Schreiben vom 21. März 2018 lud die Berufungsklägerin die Genossenschafter zur ordentlichen Generalversammlung vom 23. April 2018 ein und wies ausdrücklich auf das Traktandum 4, den Beschluss über den Ausschluss des Berufungsbeklagten, hin. Zudem lag die Einladung (samt Traktanden) – entsprechend der in den Statuten vorgesehenen Form[14] – am Sitz der Genossenschaft auf.

Zusätzlich machte die Berufungsklägerin geltend, ein Verwaltungsmitglied habe den Berufungsbeklagten einige Tage vor der Generalversammlung getroffen und ihn ausdrücklich eingeladen, an der Versammlung vom 23. April 2018 zu erscheinen, sein Verhalten zu rechtfertigen und sich vor dem Entscheid zu seinem möglichen Ausschluss zu äussern. Der Berufungsbeklagte bestritt dies in der Replik; er sei von niemandem zur Generalversammlung vom 23. April 2018 eingeladen worden.

bb) An der Generalversammlung vom 23. April 2018, an welcher der Berufungsbeklagte nicht teilnahm, beschloss die Generalversammlung der Genossenschaft den vom Vorstand traktandierten Ausschluss des Berufungsbeklagten als Genossenschafter, nachdem der Vorstand die Gründe dafür erläutert hatte.

cc) Mit Schreiben vom 23. April 2018 an den Berufungsbeklagten erklärte der Präsident der Genossenschaft: "Mit Schreiben vom 1. September 2017 haben Sie / hast Du verlangt, dass die Generalversammlung über den Ausschluss als Genossenschafter befindet. Wir haben diesen Ausschluss an der gestrigen Generalversammlung traktandiert. Die gestrige Generalversammlung hat den Ausschlussbeschluss der Verwaltung klar bestätigt. Die statutarischen Anfechtungsmöglichkeiten bleiben selbstverständlich bestehen."

dd) Als Reaktion darauf erhob der Berufungsbeklagte Klage gegen die Berufungsklägerin und focht den Ausschluss an.

4. Die Vorinstanz schützte die Klage, weil das Ausschlussverfahren nicht korrekt durchgeführt worden sei. Zum einen sei der Berufungsbeklagte vor seinem Ausschluss nicht angehört worden, sodass er sich zum drohenden Ausschluss nicht habe äussern können. Dabei komme eine Heilung der Gehörsverletzung vor Gericht nicht in Frage, da nur die Berufungsklägerin nach erfolgter Gehörsgewährung darüber entscheiden dürfe, ob der Ausschluss nach wie vor gerechtfertigt sei, oder eventuell eine Ermahnung genüge oder gar ganz auf eine Massnahme zu verzichten sei. Zum anderen fehle eine ausreichende Begründung des Ausschlussentscheids. Beide (formellen) Mängel gälten nicht nur für den (hier angefochtenen) Ausschluss des Berufungsbeklagten durch die Generalversammlung am 23. April 2018, sondern bereits auch für den diesem (definitiven) Ausschluss vorausgehenden Beschluss des Vorstands der Berufungsklägerin vom 9. August 2017. Zusammenfassend habe die Verwaltung der Berufungsklägerin erstens dem Berufungsbeklagten vor Ausfällung ihres Ausschliessungsentscheids vom 9. August 2017 das rechtliche Gehör nicht gewährt. Zweitens habe sie den genannten Ausschliessungsentscheid nicht hinreichend begründet. Drittens habe die Berufungsklägerin dem Berufungsbeklagten nicht die Möglichkeit eingeräumt, vor der Beschlussfassung der Generalversammlung seine Position zu erklären, und schliesslich habe die Berufungsklägerin ihren Ausschliessungsentscheid vom 23. April 2018 ebenfalls nicht in rechtsgenügsamer Weise begründet.

5. a) Gegen die angebliche Gehörsverletzung bringt die Berufungsklägerin zunächst vor, wenn der Berufungsbeklagte mit Schreiben vom 6. Juli 2017 habe verlauten lassen, "im Zusammenhang mit der Genossenschaft" flächendeckend und absolut nicht (mehr) kontaktiert werden zu wollen, könne er sich nachher nicht über angeblich verletztes Gehör beklagen. Damit habe er vielmehr selber auf sein Anhörungsrecht verzichtet.

b) Der Ansicht der Berufungsklägerin ist nicht zu folgen. Aus dem Schreiben des Berufungsbeklagten vom 6. Juli 2017 geht hervor, dass er lediglich in Bezug auf seine frühere Tätigkeit als Präsident der Genossenschaft für die "Unterstützung im Zusammenhang mit der Berufungsklägerin" nicht zur Verfügung stehen wollte und dafür ein Kontaktverbot aussprach. Folglich ist der Vorinstanz zuzustimmen, dass weder vom Wortlaut noch vom Kontext beziehungsweise Gesamtzusammenhang her gefolgert werden kann, der Berufungsbeklagte habe hinsichtlich eines allfälligen, künftigen Ausschlussverfahrens gegen ihn auf seinen Gehörsanspruch verzichtet.

6. a) Weiter macht die Berufungsklägerin geltend, auf den 9. August 2017 hätten die Revisorinnen der Berufungsklägerin eine ausserordentliche Generalversammlung einberufen, um zu orientieren und neue Organe zu bestellen. Auch der Berufungsbeklagte sei dazu eingeladen worden, wobei er später diese Einladung kritisiert habe, sodass er sie auch erhalten habe müssen. An dieser Versammlung sei das Gebaren des Berufungsbeklagten zwangsläufig ein Thema gewesen. Der Berufungsbeklagte hätte daran teilnehmen können, er hätte sich das anhören und er hätte sich dazu äussern können.

b) Diesem Argument ist entgegenzuhalten, dass weder in der Einladung vom 26. Juli 2017 zur ausserordentlichen Generalversammlung vom 9. August 2017 noch an der Versammlung selbst ein Ausschluss des Berufungsbeklagten traktandiert war, weshalb der Berufungsbeklagte keine Veranlassung hatte, an der Versammlung zu erscheinen und sich zu diesem Thema zu äussern. An der anschliessenden Sitzung des Vorstands war der Berufungsbeklagte nicht anwesend. Er war auch nicht über den geplanten Ausschluss informiert worden und hatte sich dazu vorgängig nicht äussern können.

7. a) Zudem bringt die Berufungsklägerin vor, der Verwaltungsrat habe dem Berufungsbeklagten den Ausschluss durch diesen mitgeteilt und dabei als Begründung die Art. 5 und 12 der Statuten angeführt. Der Berufungsbeklagte habe die Statuten und sein Verhalten gekannt. Die knappe Begründung vom 9. August 2017 sei "für einen vernunftbegabten Insider" (wie den Berufungsbeklagten) vollständig und verständlich gewesen. Damit habe der Berufungsbeklagte genau gewusst, worum es gegangen sei. In Frage gekommen sei nur der Ausschlussgrund des Verstosses gegen die Interessen der Genossenschaft oder gegen die Statuten in schwerwiegender Weise (Art. 5 Abs. 2 lit. b Statuten). Mit der Nennung von Art. 12 der Statuten habe auch der zweite Vorwurf auf der Hand gelegen: Nichtausführen von Beschlüssen der Generalversammlung, nämlich jenen vom 28. Juni 2017. Dies gelte umso mehr, als er seinen Abgang mit anschliessender Obstruktion am 1. September 2017 plötzlich mit seinem "unfallbedingten Zustand" zu entschuldigen gesucht habe. Offenkundig habe diese Begründung dem Berufungsbeklagten damals genügt. Er habe auch später nie eine ausführlichere Begründung verlangt. Erst anderthalb Jahre später habe er vor der Vorinstanz behauptet, dass die Begründung seines Ausschlusses ungenügend sei. Das sei treuwidrig.

b) Mit Schreiben vom 10. August 2017 informierte der neu gewählte Präsident der Genossenschaft den Berufungsbeklagten wie folgt: "Die Verwaltung der Genossenschaft hat an ihrer Sitzung vom 9. August 2017 unter Anwendung von Art. 5 und Art. 12 der Statuten der Genossenschaft beschlossen, Sie / Dich als Genossenschafter auszuschliessen. Die statutarischen Anfechtungsmöglichkeiten bleiben selbstverständlich bestehen." Die vom neu gewählten Präsidenten verfasste Notiz über die Sitzung des Vorstands vom 9. August 2017, worin die Gründe für den Ausschluss aufgeführt werden, stellte die Berufungsklägerin dem Berufungsbeklagten nicht zu.

c) Die im Schreiben vom 10. August 2017 genannten Artikel der Statuten lauten wie folgt:

"Art. 5
Die Mitgliedschaft endigt
a. durch Austritt
b. durch Tod
c. bei juristischen Personen durch ihre Auflösung
d. durch Ausschluss
Der Austritt erfolgt durch schriftliche Erklärung an die Verwaltung unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von drei Monaten auf Ende eines Monates.
Ein Mitglied kann jederzeit durch Beschluss der Verwaltung ausgeschlossen werden:
a. wenn wesentliche Bedingungen für die Mitgliedschaft nicht mehr erfüllt sind
b. wenn das Mitglied in schwerwiegender Weise gegen die Interessen der Genossenschaft oder deren Statuten verstossen hat
c. aus anderen wichtigen Gründen.
Ausgeschlossene haben das Recht, innert 30 Tagen nach Mitteilung des Ausschlusses einen Entscheid der nächsten Generalversammlung zu beantragen. Bis zum Entscheid der Generalversammlung ruhen die Mitgliedschaftsrechte und –pflichten. Gemäss Art. 846 Abs. 3 OR kann der Ausgeschlossene gegen den Ausschliessungsentscheid der Generalversammlung innert drei Monaten den Richter anrufen.
Ausscheidende Genossenschafter oder deren Erben haben keinen Anspruch auf das Vermögen der Genossenschaft."

"Art. 12
Die Verwaltung hat die Geschäfte der Genossenschaft mit aller Sorgfalt zu leiten und die genossenschaftliche Aufgabe mit besten Kräften zu fördern.
Sie ist insbesondere verpflichtet:
1. die Geschäfte der Generalversammlung vorzubereiten und deren Beschlüsse auszuführen;
2. die mit der Geschäftsführung und Vertretung Beauftragten im Hinblick auf die Beobachtung der Gesetze, der Statuten und allfälliger Reglemente zu überwachen und sich über den Geschäftsgang regelmässig unterrichten zu lassen. Die Verwaltung ist dafür verantwortlich, dass ihre Protokolle und diejenigen der Generalversammlung, die notwendigen Geschäftsbücher sowie das Genossenschafterverzeichnis regelmässig geführt werden, dass die Betriebsrechnung und die Jahresbilanz nach den gesetzlichen Vorschriften aufgestellt und der Revisionsstelle zur Prüfung unterbreitet und die vorgeschriebenen Anzeigen an das Handelsregisteramt gemacht werden."

d) In Art. 5 der Statuten sind somit verschiedene Ausschlussgründe generell-abstrakt und offen formuliert aufgeführt; Art. 12 der Statuten listet – nicht abschliessend – verschiedene Pflichten der Verwaltung beziehungsweise des Vorstands auf. Mit der Nennung dieser Statutenbestimmungen wusste der Berufungsbeklagte weder konkret noch im Detail, weshalb ihn der soeben neu gewählte Vorstand der Berufungsklägerin als (einfaches) Mitglied der Genossenschaft ausschloss. Folglich genügte der blosse Verweis auf diese zwei Statutenbestimmungen den Anforderungen an eine hinreichende Begründung nicht. Der Berufungsbeklagte wies im erstinstanzlichen Verfahren zu Recht darauf hin, dass zumindest hätte ausgeführt werden müssen, weshalb der entsprechende Artikel verletzt worden sein solle. Angesichts einer derart knappen Begründung kann sich die Berufungsklägerin auch nicht darauf stützen, der Berufungsbeklagte hätte als "Insider" verstehen müssen, weshalb er aus der Genossenschaft ausgeschlossen worden sei.

8. Auch soweit die Berufungsklägerin geltend macht, am 1. September 2017 habe sich der Berufungsbeklagte zum Ausschlussentscheid des Vorstands schriftlich geäussert und damit seinen Gehörsanspruch ausgeübt, ist ihr nicht zu folgen. Vielmehr berief sich der Berufungsbeklagte in seinem Schreiben vom 1. September 2017 an die Berufungsklägerin zur Hauptsache darauf, der Beschluss und die Mitteilung an ihn seien nichtig, weil die (neuen) Vorstandsmitglieder im Zeitpunkt der Mitteilung nicht im Handelsregister eingetragen gewesen seien. Zu den Gründen für den Ausschluss konnte sich der Berufungsbeklagte damals noch gar nicht äussern, da ihm diese nicht bekannt waren.

9. a) Schliesslich hält die Berufungsklägerin dafür, der Berufungsbeklagte hätte sich die ausführliche Begründung an der Generalversammlung vom 23. April 2018 persönlich anhören und ansehen können. Nachdem er jedoch an der Versammlung gefehlt habe, habe er auf eine weitergehende Begründung als jene vom 9. August 2017 verzichtet. Selbst wenn formelle Mängel bestanden hätten, wären sie geheilt, weil der Berufungsbeklagte an der Generalversammlung vom 23. April 2018 eine ausführliche Begründung seines Ausschlusses erhalten und die Möglichkeit gehabt hätte, sich vor dem angefochtenen Entscheid zu seinem Ausschluss zu äussern. Der Betroffene müsse auf jeden Fall mindestens einmal körperschaftsintern die Möglichkeit haben, sich vorher dazu zu äussern, wobei die Möglichkeit zu einer schriftlichen Stellungnahme genüge. Die Körperschaft brauche keinem auszuschliessenden Mitglied "zwecks Anhörung nachzulaufen".

Die Berufungsklägerin habe alle Genossenschafter auf den 23. April 2018 zur Generalversammlung eingeladen mit dem Traktandum, über den Ausschluss des Berufungsbeklagten abzustimmen; dies einerseits schriftlich per Post an alle Genossenschafter, anderseits durch öffentlichen Aushang bei ihrer Geschäftsliegenschaft. Damit sei auch der Berufungsbeklagte statutenkonform eingeladen gewesen, und er hätte (nur) kommen und sich vor den Genossenschaftern zu seinem Ausschluss äussern und zu seinem Gebaren erklären können. Auch hätte er nochmals beziehungsweise jederzeit schriftlich Stellung nehmen können.

Zudem habe B, Verwaltungsrat der Berufungsklägerin, den Berufungsbeklagten getroffen und ihn persönlich eingeladen, an der Generalversammlung vom 23. April 2018 teilzunehmen und sich dort vor einem Entscheid zu seinem Ausschluss zu äussern. Der angefochtene Entscheid wische das vom Tisch, ohne B – wie angeboten – als Zeugen befragt zu haben. Damit habe die Vor­instanz das Recht der Berufungsklägerin auf Beweis verletzt. Dabei sei entgegen der Vorinstanz belanglos, ob B bloss kollektiv zeichnungsberechtigt gewesen sei, und ob er nur eines von drei Verwaltungsratsmitgliedern gewesen sei. Wichtig sei, dass ein Exponent der Berufungsklägerin den Berufungsbeklagten sogar noch persönlich ermuntert habe, doch an der Generalversammlung vom 23. April 2018 seine Sache zu vertreten.

Im Schreiben vom 1. September 2017 habe der Berufungsbeklagte geltend gemacht, der Ausschlussentscheid sei ungültig, weil der Verwaltungsrat damals noch nicht im Handelsregister eingetragen gewesen sei. Infolgedessen würden seine Rechte als Genossenschafter nicht ruhen. Das habe die Berufungsklägerin nicht bestritten. Folglich gehe der Entscheid der Vorinstanz fehl, wenn er behaupte, der Berufungsbeklagte habe sich ohne Mitgliedschaftsrechte gefühlt und deshalb damit rechnen müssen, an der Generalversammlung vom 23. April 2018 ohne Anhörung fortgeschickt zu werden. Im Übrigen stelle der angefochtene Entscheid das Ruhen der Mitgliedschaftsrechte nach Art. 5 Abs. 4 der Statuten zu Unrecht einem Rechtsverlust gleich, und er blende aus, dass einem ausschliessungsbedrohten Mitglied der Zutritt zur Generalversammlung und das Wort an dieser niemals hätten verwehrt werden können. Die gängige Statutenregel, dass die Mitgliedschaftsrechte und -pflichten während eines Ausschlussverfahrens ruhten, führe gerade nicht zu einem Verlust der Mitgliedschaftsrechte. Sicher führe sie nicht zu einem Teilnahmeverbot und zu einem Maulkorb an der Generalversammlung, die über den Ausschluss entscheide. Wenn sodann Art. 5 Abs. 5 der Statuten bestimme, dass ein Betroffener die Generalversammlung anrufen könne, habe die Berufungsklägerin zu erkennen gegeben, dass der Berufungsbeklagte dort seine Sache persönlich vertreten könne. Sowieso aber habe der Berufungsbeklagte ein unentziehbares Recht, an dieser Generalversammlung teilzunehmen, sich die Begründung der Verwaltung anzuhören und sich zu seinem Ausschluss zu äussern.

b) aa) Es trifft zu, dass der Berufungsbeklagte in seinem Schreiben vom 1. September 2017 an die Berufungsklägerin unter anderem geltend machte, seine Rechte als Genossenschafter würden nicht ruhen, da die Beschlüsse des Vorstands – mangels Eintrags im Handelsregister – nichtig seien.

bb) In ihrer Stellungnahme vom 5. September 2017 widersprach die Berufungsklägerin dem Berufungsbeklagten betreffend Nichtigkeit, indem sie geltend machte, der Eintrag der neuen Vorstandsmitglieder im Handelsregister sei bloss deklaratorisch, die Vertretungsberechtigung gelte mit der Wahl durch die Generalversammlung. Für den Fall, dass dem nicht so sein sollte, und nachdem die neu gewählten Vorstandsmitglieder zwischenzeitlich im Handelsregister eingetragen waren, wiederholte der Vorstand den Ausschluss nochmals explizit.

cc) Dementsprechend konnte und musste der Berufungsbeklagte in der Folge davon ausgehen, dass ihn der Vorstand (beziehungsweise die Verwaltung) spätestens mit Schreiben vom 5. September 2017 aus der Berufungsklägerin ausgeschlossen hatte. Die Gründe für den Ausschluss waren ihm jedoch nach wie vor nicht bekannt; sie liessen sich auch dem Schreiben des Vorstands der Berufungsklägerin vom 5. September 2017 nicht entnehmen, denn sie wiederholte diesbezüglich lediglich ihr Schreiben vom 10. August 2017, ohne weitere oder zusätzliche Ausführungen oder Begründung.

c) aa) In seinem Schreiben vom 27. September 2017 verwies der Berufungsbeklagte auf das Schreiben der Berufungsklägerin vom 5. September 2017 und verlangte in Anwendung von Art. 5 der Statuten der Berufungsklägerin einen Entscheid über seinen Ausschluss an der nächsten Generalversammlung.

bb) Damit nahm der Berufungsbeklagte offensichtlich Bezug auf Art. 5 Abs. 4 Satz 1 der Statuten, wonach Ausgeschlossene das Recht haben, innert 30 Tagen nach Mitteilung des Ausschlusses einen Entscheid an der nächsten Generalversammlung zu beantragen[15]. Indem sich der Berufungskläger auf sein Recht auf einen Entscheid der Generalversammlung berief und nicht länger geltend machte, der Beschluss und die Mitteilung des Vorstands an ihn betreffend seinen Ausschluss seien nichtig, anerkannte er zwangsläufig auch, dass bis zum Entscheid der Generalversammlung seine Mitgliedschaftsrechte und Mitgliedschaftspflichten ruhten, so wie dies Art. 5 Abs. 4 Satz 2 der Statuten der Berufungsklägerin bestimmt.

cc) War die Mitgliedschaft des Berufungsbeklagten aber ausgesetzt, so bestand für ihn kein Anlass, sich gestützt auf die am Sitz der Genossenschaft aufgelegte Einladung samt Traktanden als zur Generalversammlung vom 23. April 2018 eingeladen zu betrachten.

d) Das gleichzeitig per Post an alle Genossenschafterinnen und Genossenschafter gesandte Rundschreiben vom 21. März 2018 mit der Einladung und – unter anderem – dem Traktandum 4 "Ausschluss von X" will der Berufungsbeklagte nicht empfangen haben. Er selber sei nicht zur Generalversammlung eingeladen worden. Die Beweislast dafür trägt die Berufungsklägerin. Mangels Zustellung mit eingeschriebener Post lässt sich nicht beweisen, dass der Berufungsbeklagte das Schreiben erhalten hat, sodass von Nichtempfang des Rundschreibens durch den Berufungsbeklagten auszugehen ist.

e) aa) Zwar könnte womöglich das Vorstandsmitglied B darüber Zeugnis ablegen, dass er den Berufungsbeklagten einige Tage vor der Generalversammlung traf und ihn ausdrücklich einlud, an der Generalversammlung vom 23. April 2018 zu erscheinen, sein Verhalten zu rechtfertigen und sich vor dem Entscheid zu seinem möglichen Ausschluss zu äussern, was der Berufungsbeklagte indessen bestreitet.

bb) Allerdings waren dem Berufungsbeklagten die Gründe, aus denen ihn der Vorstand aus der Genossenschaft ausschloss, nie mitgeteilt worden. Daran hätte sich nichts geändert, wenn er die Einladung samt Traktanden vom 21. März 2018 erhalten hätte, denn auch darin sind keine Gründe für den Ausschluss erwähnt. Selbst wenn also der Berufungsbeklagte von B mündlich erfahren hätte, dass am 23. April 2018 eine Generalversammlung der Berufungsklägerin stattfinde, anlässlich welcher der Ausschluss von ihm traktandiert worden sei, so fehlte – bis auf den Hinweis auf Art. 5 und 12 der Statuten der Berufungsklägerin – nach wie vor jegliche Begründung, gegen welche sich der Berufungsbeklagte an der Generalversammlung vom 23. April 2018 - vorbereitet - zur Wehr hätte setzen können. Wie der Berufungsbeklagte zutreffend vorbringt, hätte er sich somit an der Generalversammlung stellen und ad hoc irgendwelche Punkte bestreiten oder ausführen müssen, was nicht zumutbar ist. Damit wäre das Recht des Berufungsbeklagten auf vorgängige Orientierung und damit Gelegenheit zur Vorbereitung seiner Verteidigung selbst dann nicht gewahrt worden, wenn er vom Vorstandsmitglied B zur Generalversammlung vom 23. April 2018 eingeladen worden wäre.

cc) Im Übrigen vermöchte eine mündliche Einladung eines – bloss kollektivzeichnungsberechtigten - Vorstandsmitglieds eine schriftliche Einladung zur Anhörung unter Angabe der Gründe der Verwaltung für den bereits erfolgten Ausschluss nicht zu ersetzen. Einer solch formlosen Einladung fehlt die mit Blick auf die grosse Tragweite dieses Traktandums erforderliche rechtliche Verbindlichkeit.

dd) Damit kann auf die Zeugenbefragung von B antizipiert verzichtet werden. Selbst wenn B die Behauptung der Berufungsklägerin glaubhaft bestätigen würde, so würde dies am Ergebnis nichts ändern.

f) An der Generalversammlung vom 23. April 2018 beschlossen alsdann die Genossenschafterinnen und Genossenschafter den vom Vorstand traktandierten Ausschluss des Berufungsbeklagten als Genossenschafter. Dem daran nicht teilnehmenden Berufungsbeklagten teilte dies der Präsident der Genossenschaft zwar umgehend schriftlich mit, jedoch erneut ohne Nennung der Gründe.

10. a) Zusammenfassend informierte die Berufungsklägerin den Berufungsbeklagten vor der Generalversammlung vom 23. April 2018 nicht hinreichend über die Gründe für den Ausschliessungsentscheid der Verwaltung, zumal sie ihn nicht unter Angabe der Gründe der Verwaltung zur Anhörung einlud. Sodann begründete die Berufungsklägerin auch ihren Ausschliessungsentscheid vom 23. April 2018 nicht hinreichend. Damit leidet das von der Berufungsklägerin durchgeführte Ausschliessungsverfahren an schweren Verfahrensmängeln, die zur Ungültigkeit des Beschlusses der Generalversammlung vom 23. April 2018 führen[16].

b) Demzufolge hob die Vorinstanz den Beschluss der Generalversammlung der Berufungsklägerin vom 23. April 2018, mit welchem der Ausschluss des Berufungsbeklagten bestätigt wurde, zu Recht auf.

11. Somit ist die Berufung unbegründet, und der angefochtene Entscheid ist zu bestätigen.

Obergericht, 2. Abteilung, 21. September 2021, ZBR.2020.41


[1] So hier Art. 5 Abs. 3 und Abs. 4 der Statuten

[2] Schwartz, Basler Kommentar, 5.A., Art. 846 OR N. 7; Reymond/Trindade, in: Schweizerisches Privatrecht, VIII/5, Basel 1998, S. 95; Forstmoser, Berner Kommentar, Bern 1974, Art. 846 OR N. 15

[3] Schwartz, Art. 846 OR N. 11; vgl. Forstmoser, Art. 846 OR N. 10

[4] Art. 72 Abs. 1 ZGB

[5] Forstmoser, Art. 846 OR N. 13

[6] Schwartz, Art. 846 OR N. 5, 12 und 15; Meier-Hayoz/Forstmoser/Sethe, Schweizerisches Gesellschaftsrecht, 12.A., § 19 N. 114

[7] Schwartz, Art. 846 OR N. 15

[8] Entscheid des Handelsgerichts St.Gallen vom 7. Dezember 2010, HG.2009.113, Erw. 12.1.c

[9] Forstmoser, Art. 846 OR N. 23

[10] Schwartz, Art. 846 OR N. 17; Reymond/Trindade, S. 97

[11] Forstmoser, Art. 846 OR N. 23

[12] Forstmoser, Art. 846 OR N. 24 mit Zitat aus BGE 85 II 543, bestätigt in BGE 90 II 348; Entscheid des Handelsgerichts St.Gallen vom 7. Dezember 2010, HG.2009.113, Erw. 12.2.b

[13] Forstmoser, Art. 846 OR N. 19

[14] Vgl. Art. 882 Abs. 1 OR

[15] Vgl. Art. 846 Abs. 3 Satz 2 OR, wonach die Statuten die Verwaltung für den Ausschluss eines Genossenschafters als zuständig erklären können, wobei diesfalls dem Ausgeschlossenen ein Rekursrecht an die Generalversammlung zusteht.

[16] Vgl. Entscheid des Handelsgerichts St.Gallen vom 7. Dezember 2010, HG.2009.113, Erw. 12.2.

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