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RBOG 2022 Nr. 9

Keine erbrechtliche Ausgleichungspflicht für eine Zuwendung des Erblassers an eine Patronale Vorsorgestiftung, die an das Einzelunternehmen eines Erben übertragen wurde


Art. 626 Abs. 1 ZGB


  1. a)    Die fünf Kinder des Erblassers ‑ A, B, C, D und E ‑ liegen im Streit um das Erbe ihres Vaters. A erhob gegen B, C, D und E Klage und beantragte, der Nachlass sei festzustellen und zu teilen. Der erstinstanzliche Entscheid, in welchem das Bezirksgericht einen "Durchgriff" bejahte und mit welchem es den Nachlass feststellte und teilte, wurde von mehreren Erben angefochten.

    b)   Der Erblasser hatte im Jahr 1972 für die von ihm beherrschte Y AG eine Patronale Vorsorgestiftung errichtet. Im Jahr 1997 übernahm C mit seinem Einzelunternehmen die Arbeitnehmenden der Y AG, welche die operative Geschäftstätigkeit aufgegeben hatte. In der Folge wurde die Namensänderung der Stiftung bewilligt und die Stiftung in das Handelsregister eingetragen. Zwischen A und C ist unter anderem strittig, ob Zuwendungen des Erblassers an die Patronale Vorsorgestiftung der erbrechtlichen Ausgleichung durch C unterliegen.

  2. a)    Es geht somit um eine allfällige unentgeltliche Zuwendung des Erblassers an C auf dem Umweg über die rechtlich selbstständige und von C formal unabhängige Vorsorgestiftung. Damit stellt sich auch hier die Frage des "Durchgriffs" beziehungsweise nach einer ausgleichungspflichtigen indirekten Zuwendung[1]. Ob eine ausgleichungspflichtige indirekte Zuwendung über eine Stiftung gegeben ist, ist aufgrund der speziellen Struktur der Stiftung[2] besonders zu prüfen.

    b)    Unter "Zuwendung" kann in einem obligationenrechtlichen Sinn jede Handlung verstanden werden, durch die eine Person einer anderen einen Vermögensvorteil verschafft. Die Zuwendung kann sich aus einem Vermögensopfer oder aus einer Arbeitsleistung ergeben. Dieser Zuwendungsbegriff gilt auch für die Institute der Ausgleichung und Herabsetzung. Es geht somit um die Verschaffung eines wirtschaftlichen Vorteils[3]. Die Ausgleichungspflicht setzt voraus, dass ein solcher wirtschaftlicher Vorteil unentgeltlich verschafft wird. Auch bei einer indirekten Zuwendung, die für einen erbrechtlichen "Durchgriff" massgeblich ist, gilt als Grundvoraussetzung, dass wirtschaftliche Identität zwischen dem Erben, der ausgleichen soll, und der juristischen Person, welche die Zuwendung erhalten hat (beziehungsweise an den Erben erbracht hat), besteht. Der Vermögensvorteil muss dem in Anspruch genommenen Erben selber verschafft werden. Das bedeutet, dass entweder der Erbe über seine Stellung in der juristischen Person in der Lage ist (die Macht hat), die behauptete Zuwendung des Erblassers an die juristische Person für sich persönlich zu verwenden (zu realisieren, klassischer Fall ist der Alleinaktionär). Andererseits ist denkbar, insbesondere bei Stiftungen, dass die juristische Person so konstruiert ist, dass Zuwendungen des Erblassers unweigerlich und mit Sicherheit dem in Anspruch genommenen Erben zukommen. Zu prüfen ist somit in einem ersten Schritt, ob eine indirekte Zuwendung vorliegt, und in einem zweiten Schritt, ob eine allfällige indirekte Zuwendung unentgeltlich erfolgte.

    c)    aa)    Fraglich ist, ob überhaupt von einer indirekten Zuwendung des Erblassers gesprochen werden kann.

          bb)    Entgegen der Darstellung der Vorinstanz ist eine Auflösung der Stiftung nicht jederzeit möglich. Vielmehr ist die Stiftung begrifflich eine dem Willen oder der Verfügung ihrer Organe und Destinatäre wie auch ‑ sobald sie einmal errichtet ist ‑ ihres Stifters entzogene juristische Person[4]. Während Körperschaften rechtsgültig ihre Selbstauflösung beschliessen können, hat das Gesetz der Stiftung (und erst recht Dritten, wie Stiftern, Destinatären usw.) eine entsprechende Kompetenz bewusst nicht eingeräumt. Eine Aufhebung der Stiftung erfolgt grundsätzlich nur nach Massgabe der Art. 88/89 ZGB[5]. Als Aufhebungsgründe kommen nur Unerreichbarkeit des Stiftungszwecks und widerrechtlich oder unsittlich gewordener Zweck infrage[6].

          cc)    Die Kompetenzen und Möglichkeiten eines Stiftungsrats können nicht mit denjenigen eines Alleinaktionärs verglichen werden. Der Alleinaktionär ist Eigentümer der Gesellschaft und kann frei über sie verfügen. Das gilt für den Stiftungsrat gerade nicht; die Stiftung ist kein Objekt, das verkauft werden kann. Der Stiftungsrat kann auch nicht frei auf das Stiftungsvermögen greifen, auch dann nicht, wenn er gleichzeitig Destinatär ist, jedenfalls nicht bei Personalvorsorgestiftungen.

          dd)    Zwar ist der Patronalen Vorsorgestiftung beziehungsweise dem Patronalen Wohlfahrtsfonds eigen, dass die Destinatäre keine reglementarischen Rechtsansprüche haben. C und seine Partnerin sind zwar die einzigen beiden Stiftungsräte; ihnen kommt ein grosser Ermessensspielraum zu. Dieser Spielraum ist aber durch den Stiftungszweck begrenzt. Das erhebliche Ermessen muss pflichtgemäss ausgeübt werden[7]. Die Stiftung untersteht einer einschlägigen Aufsicht. Die Aufsicht erfolgte seit jeher, also auch zum behaupteten massgeblichen Zeitpunkt im Jahr 2000 ("Übernahme der Macht") und damit vor Inkrafttreten der ersten BVG-Revision per 1. Januar 2005, gemäss BVG[8]. Die Aufsichtsbehörde hat allgemein dafür zu sorgen, dass das Stiftungsvermögen seinen Zwecken gemäss verwendet wird. Sie hat darüber zu wachen, dass die Organe der Stiftung keine Verfügungen treffen, die der Stiftungsurkunde oder dem Reglement beziehungsweise dem Gesetz widersprechen oder unsittlich sind. Die Aufsicht erstreckt sich aber nicht nur auf die Anlage und Verwendung des Stiftungsvermögens im engeren Sinn, sondern in dieser Hinsicht auch auf die generellen Anordnungen der Stiftungsorgane wie den Erlass von Reglementen und Statuten und auf die Verwaltung im Allgemeinen. In reinen Ermessensfragen hat sich die Aufsichtsbehörde indessen grösste Zurückhaltung aufzuerlegen. Sie hat nur dann einzugreifen, wenn die Stiftungsorgane bei der Ausführung des Stifterwillens das ihnen zustehende Ermessen überschritten oder missbraucht haben, das heisst, wenn ein Entscheid unhaltbar ist, weil er auf sachfremden Kriterien beruht oder einschlägige Kriterien ausser Acht lässt[9]. Das beschränkt die Kognition der Aufsichtsbehörde im Wesentlichen darauf, die jeweils, je nach Umständen weitreichende Ermessensausübung auf Missbrauch (Über- oder Unterschreitung des Ermessens, Willkür) hin zu überprüfen[10].

          ee)    Schliesslich kann ein Stiftungsrat auch bei einer Aufhebung im Rahmen der Liquidation nicht frei auf das Stiftungsvermögen greifen (auch nicht, wenn er selber Destinatär ist). Es gilt der elementare Grundsatz, dass das freie Stiftungsvermögen dem Personal folgt; dieser Grundsatz geht sogar auf Patronale Wohlfahrtsfonds zurück[11]. Auch nach den zivilrechtlichen Be­stimmungen des Stiftungsrechts[12] erhalten Destinatäre nur im Rahmen des Stiftungszwecks Leistungen und zwar nach einem genauen Plan (nach Massgabe von Dienstalter, Lebensalter, Lohnhöhe, familienrechtlichen Verpflichtungen), die von der Aufsichtsbehörde zu genehmigen sind[13]. Grundlose oder willkürliche Auszahlungen sind somit nicht möglich.

          ff)     Gestützt auf diese Überlegungen fehlt es in diesem Fall an einer genügend klaren und ungehinderten Zugriffsmöglichkeit von C auf die freien Mittel der Stiftung, um von einer (indirekten) Zuwendung des Erblassers über die Stiftung an C ausgehen zu können.

          gg)    Für den Fall, dass eine indirekte Zuwendung zu bejahen wäre und damit eine Ausgleichungspflicht möglicherweise vorliegen könnte, ist im Sinn einer Eventualbegründung die Unentgeltlichkeit der indirekten Zuwendung zu prüfen. Mit der von der Vorinstanz angenommenen Berechtigung von C am Vermögen der Vorsorgestiftung (entsprechend den freien Mitteln) allein ist die Unentgeltlichkeit nicht erstellt, denn die freien Mittel dienen dazu, den Stiftungszweck zu erfüllen. Dieser besteht in der Vorsorge zugunsten der Arbeitnehmer der Firma sowie deren Hinterbliebenen gegen die wirtschaftlichen Folgen von Alter, Invalidität und Tod, sowie in der Unterstützung des Vorsorgenehmers oder seiner Hinterlassenen in den Notlagen wie bei Krankheit, Unfall, Invalidität, Arbeitslosigkeit. Dabei kann der Arbeitgeber in die Vorsorge einbezogen werden; er darf dabei in keiner Weise bessergestellt werden als die Arbeitnehmer. Soweit C im Rahmen dieses Stiftungszwecks Leistungen der Stiftung zukommen, sei es während der Lebensdauer der Stiftung, sei es bei einer Liquidation, fehlt es an der Unentgeltlichkeit der indirekten Zuwendung des Erblassers. Solche Leistungen kämen C wegen seiner Tätigkeit im mit der Stiftung verbundenen Unternehmen zu. Man könnte sagen, er habe sich diese Leistungen gleichsam "verdient". Es geht nicht um Schenkungen ohne jeglichen Grund, sondern um Altersleistungen. Solche Leistungen aus Stiftungsmitteln, die auf einer Alimentierung durch den Erblasser beruhen, erweisen sich letztlich als Beitrag der Stiftung im Rahmen des Stiftungszwecks an C aufgrund seiner Tätigkeit im Unternehmen und als Arbeitgeber. Das ist nicht dasselbe wie die voraussetzungslose Zuwendung über eine freie Stiftung mit einem oder mehreren Erben als Destinatären, zumal die Patronalen Wohlfahrtsfonds absolut legitim und durchaus von Bedeutung waren.

          hh)    Dass sich C über die Stiftung nicht zweckkonforme oder überrissene Leistungen auszahlen lassen könnte, kann praktisch ausgeschlossen werden. Die zuständige Ostschweizer BVG- und Stiftungsaufsicht hielt in ihrem Schreiben vom 22. April 2010 denn auch zur Mittelverwendung fest, aus stiftungsrechtlicher und aufsichtsbehördlicher Sicht ergebe sich somit, dass die Mittel der Patronalen Vorsorgestiftung ausschliesslich dem Zweck wie oben festgehalten entsprechend zu verwenden seien. Eine andere Mittelverwendung oder eine Mittelverwendung zugunsten von Dritten (Nichtdestinatären) wäre unzulässig und müsste durch aufsichtsbehördliche Massnahmen unterbunden oder rückgängig gemacht werden. Abgesehen davon sind mögliche rechtswidrige Bezüge für die Beurteilung, ob eine (unentgeltliche, indirekte) Zuwendung des Erblassers vorliegt, nicht beachtlich und abgesehen davon auch nicht realistisch, weil die Aufsichtsbehörde solches nicht zulassen würde. Eine unangemessene Bevorzugung von C kann auch deshalb ausgeschlossen werden, weil die Leistungen der Personalvorsorgestiftung an die Destinatäre nicht zu einer mit dem Vorsorge- beziehungsweise Liquidationszweck nicht mehr zu vereinbarenden Bereicherung der Destinatäre führen darf[14]. Eine solche Bereicherung hätte die Aufsichtsbehörde zu unterbinden. Das Gleiche gilt auch für allfälliges Restvermögen (Liquidationsüberschuss), das nach Befriedigung aller Gläubiger und Destinatäre übrig bleibt[15].

    g)    Zusammengefasst ist in dem von A behaupteten Zuwendungszeitpunkt im Jahr 2000 kein greifbarer unentgeltlicher Vermögensvorteil für C ersichtlich.

    h)    Im Übrigen bejaht die Vorinstanz die Ausgleichungspflicht mit einer Annahme, die so nicht getroffen werden darf. Die Argumentation der Vorinstanz beruht nämlich darauf, dass C Leistungen im Fall einer Liquidation ("Auflösung") der Stiftung erhält. Grundsätzlich ist indessen vom Fortbestand des Unternehmens und seiner Patronalen Vorsorgestiftung auszugehen, sofern nicht konkrete und konkret substantiierte Anhaltspunkte vorliegen, dass dem nicht so ist und eine Liquidation der Patronalen Vorsorgestiftung absehbar ist. Solche Anhaltspunkte lagen und liegen in diesem Fall nicht vor und sind auch nicht geltend gemacht. Die Annahme des Fortbestands gilt für Stiftungen erst recht, da sie auf Dauer angelegt sind.

    Obergericht, 2. Abteilung, 29. März 2022, ZBR.2020.35


[1]  Siehe RBOG 2022 Nr. 8

[2]  Insbesondere Widmung eines Vermögens für einen besonderen Zweck (Art. 80 ZGB), kein Eigentümer, Aufsicht über die Verwendung des Stiftungsvermögens (Art. 84 ZGB) und Destinatäre

[3]  BGE 136 III 307 f.; Burckhardt Bertossa, in: Praxiskommentar Erbrecht (Hrsg.: Abt/Weibel), 4.A., Art. 626 N. 28

[4]  Riemer, Berner Kommentar, Bern 1975, Die Stiftungen, Systematischer Teil und Art. 80 – 88bis ZGB, Systematischer Teil N. 23 (2.A., Systematischer Teil N. 37). Es wird aus der 1.A. zitiert, weil die Zuwendung auf das Jahr 2000 behauptet wird.

[5]  Riemer, 1.A., Systematischer Teil N. 24 (2.A., N. 39)

[6]  Art. 88 ZGB

[7]  BGE 138 V 360

[8]  BGE 138 V 352

[9]  BGE 138 V 359 f. mit Verweis auf aArt. 62 Abs. 2 BVG i.V.m. Art. 84 Abs. 2 ZGB

[10] BGE 138 V 360

[11] BGE 138 V 358 (bezogen auf die Teilliquidation)

[12] Vgl. für diese Unterstellung vor dem 1. Januar 2005 (für die Teilliquidation): BGE 138 V 356

[13] Riemer, Berner Kommentar, Bern 1975, Art. 88/89 ZGB N. 94 (2.A., Art. 88/89 ZGB N. 102 ff.)

[14] Manhart, Die Aufhebung mit Liquidation von Stiftungen, insbesondere von Personalvorsorgestiftungen, Zürich 1986, S. 164

[15] Bei Personalvorsorgestiftungen dürfte sich ein solcher Liquidationsüberschuss nur ausnahmsweise ergeben; Manhart, S. 164.


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