Skip to main content

RBOG 2023 Nr. 1

Strafbarkeit der Vorlage eines gefälschten Passes beim Zivilstands- und Migrationsamt; Konkurrenzverhältnis zwischen Täuschung von Behörden nach AIG und Fälschung von Ausweisen nach StGB

Art. 118 Abs. 1 AlG Art. 252 StGB Art. 253 StGB


Zusammenfassung des Sachverhalts:

Die Berufungsklägerin legte dem Migrationsamt einen gefälschten Pass des EU-Staates X vor. Tatsächlich ist sie ausschliesslich Staatsangehörige des Nicht-EU-Staates Y. In der Folge erhielt sie eine EU/EFTA-Aufenthaltsbewilligung. Später heiratete sie A, Staatsangehöriger des EU-Staates Z. Bei der Heirat legte sie dem Zivilstandsamt ihren gefälschten Pass von X vor, weshalb das Amt ihr im Familienausweis eine Doppelbürgerschaft von X und Y eintrug. Weiter liess sich die Berufungsklägerin nach der Heirat vom Migrationsamt gestützt auf Familiennachzug eine (neue) Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA mit Erwerbstätigkeit ausstellen, in welcher lediglich noch ihre Staatsbürgerschaft von Y aufgeführt war. Im Berufungsverfahren ist unter anderem strittig, welche Straftatbestände sie mit diesen Handlungen erfüllte und wie das Konkurrenzverhältnis zwischen den Strafbestimmungen des AIG[1] und des StGB ist.

Aus den Erwägungen:

[…]

3.2.

3.2.1.

Wer die mit dem Vollzug des Ausländer- und Integrationsgesetzes betrauten Behörden durch falsche Angaben oder Verschweigen wesentlicher Tatsachen täuscht und dadurch die Erteilung einer Bewilligung für sich oder andere erschleicht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft[2]. Die Tathandlung besteht in einer Täuschung durch das Vorspiegeln falscher Tatsachen, die für den Bewilligungsentscheid massgeblich sind[3]. Durch die Täuschung erschleicht der Täter eine ihm nicht zustehende Bewilligung, wobei zwischen Täuschung und Bewilligungserteilung ein adäquater Kausalzusammenhang bestehen muss[4].

3.2.2.

Wer in der Absicht, sich oder einem andern das Fortkommen zu erleichtern, Ausweisschriften, Zeugnisse, Bescheinigungen fälscht oder verfälscht, eine Schrift dieser Art zur Täuschung gebraucht, echte, nicht für ihn bestimmte Schriften dieser Art zur Täuschung missbraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft[5]. Wer durch Täuschung bewirkt, dass ein Beamter oder eine Person öffentlichen Glaubens eine rechtlich erhebliche Tatsache unrichtig beurkundet, namentlich eine falsche Unterschrift oder eine unrichtige Abschrift beglaubigt, wer eine so erschlichene Urkunde gebraucht, um einen andern über die darin beurkundete Tatsache zu täuschen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft[6].

3.2.3.

Zur Konkurrenz von Art. 118 Abs. 1 AIG und Art. 252 und 253 StGB ist folgendes festzuhalten. Wird im Rahmen der Täuschungshandlung eine falsche oder gefälschte Urkunde beziehungsweise ein falscher oder gefälschter Ausweis eingesetzt, so gehen die Tatbestände der Urkundenfälschung und der Fälschung von Ausweisen dem Art. 118 Abs. 1 AIG vor. Wird hingegen durch die Täuschung die Erteilung einer dem Täter oder Begünstigten an sich nicht zustehenden Bewilligung erwirkt, geht Art. 118 Abs. 1 AIG dem Tatbestand der Erschleichung einer falschen Beurkundung gemäss Art. 253 StGB vor[7].

3.2.4.

Die Berufungsklägerin legte den gefälschten Pass des Staates X sowohl dem Migrationsamt zum Erhalt einer EU/EFTA-Aufenthaltsbewilligung als auch dem Zivilstandsamt zum Eintrag der Doppelbürgerschaft im Familienausweis vor. Gegenüber den Migrationsbehörden kommt daher Art. 118 Abs. 1 AIG im Betracht, da es um den Erhalt einer Bewilligung geht. Gegenüber dem Zivilstandsamt besteht keine Spezialbestimmung, daher sind diesbezüglich die Art. 252 und 253 StGB zu prüfen.

3.2.5.

Mit der Vorlage des gefälschten Reisepasses des Staates X erhielt die Berufungsklägerin eine Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA, auf welche sie als Staatsangehörige des Staates Y keinen Anspruch hatte. Die Tatsache, dass die Berufungsklägerin vorgab, Staatsangehörige von X zu sein, obschon sie nur Staatsangehörige von Y ist, ist im migrationsrechtlichen Verfahren wesentlich, da die Anspruchsvoraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung grundlegend anders sind, wenn ein Staatsangehöriger von einem EU/EFTA-Staat oder ein Drittstaatenangehöriger um Aufenthalt in der Schweiz ersucht. Die Berufungsklägerin als Staatsangehörige von Y hätte nur unter besonderen Voraussetzungen eine Bewilligung zur Arbeitstätigkeit in der Schweiz erhalten. Auch der Kausalzusammenhang besteht ohne Weiteres, da das Migrationsamt weder eine Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA zur Erwerbstätigkeit ausgestellt noch die Doppelbürgerschaft eingetragen hätte, wenn die Berufungsklägerin nicht den gefälschten Reisepass des Staates X vorgelegen hätte. Die Berufungsklägerin wusste zudem, dass sie keine Staatsangehörige von X war, womit sie vorsätzlich handelte.

3.2.6.

Die Berufungsklägerin legte dem Zivilstandsamt sowohl ihren gefälschten Pass des Staats X als auch ihren Pass von Y vor. Der Zivilstandsbeamte wurde durch die Vorlage des Passes von X über die Staatsangehörigkeit getäuscht, woraufhin er im Familienausweis fälschlicherweise eine Doppelbürgerschaft der Berufungsklägerin eintrug. Die Berufungsklägerin handelte im Wissen darum, dass sie die Staatsangehörigkeit von X nicht besitzt und wollte mit ihrem Verhalten ihre ausländerrechtliche Stellung aufbessern. Die Voraussetzungen sind unbestrittenermassen gegeben, weshalb darauf nicht näher einzugehen ist. Mit ihrer Handlung hat die Berufungsklägerin sowohl eine gefälschte Schrift zur Täuschung gebraucht als auch durch Täuschung bewirkt, dass ein Beamter eine rechtlich erhebliche Tatsache unrichtig beurkundet. Somit hat sie sich nach Art. 252 und 253 StGB strafbar gemacht.

3.3.

3.3.1.

Wer in der Absicht, die Vorschriften über die Zulassung und den Aufenthalt von Ausländerinnen und Ausländern zu umgehen, eine Ehe mit einer Ausländerin oder einem Ausländer eingeht oder den Abschluss einer solchen Ehe vermittelt, fördert oder ermöglicht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft[8]. Eine Scheinehe liegt nicht bereits dann vor, wenn auch ausländerrechtliche Motive den Eheschluss beeinflusst haben. Erforderlich ist vielmehr, dass der Wille zur Führung der Lebensgemeinschaft im Sinn einer auf Dauer angelegten wirtschaftlichen, körperlichen und spirituellen Verbindung zumindest bei einem der Ehegatten fehlt[9].

3.3.2.

Die Berufungsklägerin und A liessen sich trauen, obwohl beide in einer Beziehung mit einer anderen Person waren, welche sie durchwegs auch nach der Ehe weiterführten. Es bestehen keine Hinweise dafür, dass die Ehegatten eine Lebensgemeinschaft führen wollten.

Das Migrationsamt stellte – auf entsprechendes Gesuch hin – die Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA mit dem Vermerk Familiennachzug mit Erwerbstätigkeit auf die Staatsbürgerschaft Y der Berufungsklägerin aus. Damit war sie im Besitz einer Aufenthaltsbewilligung, welche ihre Staatsangehörigkeit von Y aufzeigte. Entsprechend würde sie für eine Verlängerung auch nicht mehr auf den gefälschten Pass von X zurückgreifen müssen. Zudem wird die (nichtexistierende) Staatsangehörigkeit von X nicht mehr erwähnt, sondern die Berufungsklägerin kam in Besitz einer EU/EFTA-Bewilligung, welche lediglich die Staatsangehörigkeit von Y aufzeigt. Daraus zeigt sich, dass sich die Berufungsklägerin auch ausländerrechtliche Vorteile aus dem Eingehen der Ehe mit A ableiten konnte. Die Berufungsklägerin täuschte die Migrationsbehörden somit wissentlich und willentlich über ihren Ehewillen. Es war ihr klar, dass sie die Ehe mit A nicht zwecks Führung einer Lebensgemeinschaft einging, sondern um ihren ausländerrechtlichen Status aufzubessern. Die Berufungsklägerin hat sich daher auch gemäss Art. 118 Abs. 2 AIG strafbar gemacht.

[…]

Obergericht, 1. Abteilung, 5. Oktober 2022, SBR.2022.50


[1] Ausländer- und Integrationsgesetz, SR 142.20

[2] Art. 118 Abs. 1 AIG

[3] Maurer, in: Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kommentar (Hrsg.: Donatsch), 21.A., Art. 118 AIG N. 2

[4] Maurer, Art. 118 AIG N. 3

[5] Art. 252 StGB

[6] Art. 253 StGB

[7] Maurer, Art. 118 AIG N. 14

[8] Art. 118 Abs. 2 AIG

[9] BGE 121 II 101 f.; BGE vom 6. Mai 2021, 2C_197/2021, Erw. 3.2.1


JavaScript errors detected

Please note, these errors can depend on your browser setup.

If this problem persists, please contact our support.