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RBOG 2023 Nr. 36

Abgrenzung zwischen eventualvorsätzlicher und fahrlässiger Tötung sowie qualifizierter Verkehrsregelverletzung; Konkurrenz zwischen Tötungs- und Körperverletzungsdelikten einerseits und Verkehrsregelverletzungen andererseits

Art. 117 StGB Art. 111 StGB Art. 125 StGB Art. 123 StGB Art. 90 Abs. 3 SVG Art. 35 SVG


Zusammenfassung des Sachverhalts:

1.

1.1.

Der Berufungskläger überholte mit seinem Personenwagen auf einer Strasse ausserorts unmittelbar vor einer unübersichtlichen Rechtskurve ein Fahrzeug, welches in gleicher Fahrtrichtung unterwegs war. Da dessen Lenkerin einen Fussgänger und eine Fussgängerin bemerkte, die ihr am rechten Strassenrand entgegenliefen und ihr zugleich auf der Gegenfahrbahn ein Lieferwagen entgegenkam, hatte sie ihre Fahrt verlangsamt. Der Berufungskläger konnte die Strecke nicht überblicken und wusste, dass eine nicht einsehbare und unübersichtliche Kurve folgen würde. Zudem war er infolge Konsums von Marihuana fahrunfähig. Beim Überholmanöver kam es auf der Gegenfahrbahn zu einer Streifkollision mit dem Lieferwagen. Danach konnte der Berufungskläger rechts vor dem überholten Fahrzeug wieder einbiegen. Dabei kollidierte er frontal und mit hoher Geschwindigkeit mit den beiden Fussgängern. Die Fussgängerin verstarb wenige Tage später aufgrund der erlittenen schweren Schädelverletzungen; der Fussgänger erlitt ein leichtes Schädel-Hirn-Trauma mit einer Rissquetschwunde und eine Prellung.

1.2.

Das Bezirksgericht sprach den Berufungskläger vom Vorwurf der eventualvorsätzlichen versuchten Tötung des Fussgängers frei. Schuldig befand es ihn der fahrlässigen Tötung zum Nachteil der Fussgängerin, der fahrlässigen Körperverletzung zum Nachteil des Fussgängers, der qualifiziert groben Verletzung von Verkehrsregeln, des Führens eines Motorfahrzeugs in fahrunfähigem Zustand und der mehrfachen Übertretung des Betäubungsmittelgesetzes. Der Berufungskläger erhob gegen diesen Entscheid Berufung und verlangte unter anderem einen Freispruch vom Vorwurf der qualifiziert groben Verletzung von Verkehrsregeln. Die Staatsanwaltschaft beantragte in der Anschlussberufung, der Berufungskläger sei wegen eventualvorsätzlicher Tötung der Fussgängerin sowie wegen eventualvorsätzlich versuchter Tötung und einfacher Körperverletzung zum Nachteil des Fussgängers schuldig zu sprechen.

Aus den Erwägungen:

[…]

5.

Angefochten und umstritten ist die rechtliche Qualifikation der Tat, namentlich in Bezug auf die Abgrenzung zwischen der eventualvorsätzlichen und fahrlässigen Tötung sowie der qualifizierten Verkehrsregelverletzung und betreffend die Konkurrenzfrage zwischen den Tötungs- und Körperverletzungsdelikten einerseits und der Verkehrsregelverletzung andererseits.

[…]

6.

6.1.

Wer vorsätzlich einen Menschen tötet, ohne dass eine der besonderen Voraussetzungen der nachfolgenden Artikel zutrifft, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft[1]. Wer fahrlässig den Tod eines Menschen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft[2].

Wer vorsätzlich einen Menschen in anderer Weise an Körper oder Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft[3]. Wer fahrlässig einen Menschen am Körper oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft[4].

6.1.1.

Vorsätzlich begeht ein Verbrechen oder Vergehen, wer die Tat mit Wissen und Willen ausführt. Vorsätzlich handelt bereits, wer die Verwirklichung der Tat für möglich hält und in Kauf nimmt[5]. Nach ständiger bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist Eventualvorsatz gegeben, wenn der Täter den Eintritt des Erfolgs beziehungsweise die Tatbestandsverwirklichung für möglich hält, aber dennoch handelt, weil er den Erfolg für den Fall seines Eintritts in Kauf nimmt, sich mit ihm abfindet, mag er ihm auch unerwünscht sein. Der Richter darf vom Wissen des Täters auf den Willen schliessen, wenn sich dem Täter der Eintritt des Erfolgs als so wahrscheinlich aufdrängte, dass die Bereitschaft, ihn als Folge hinzunehmen, vernünftigerweise nur als Inkaufnahme des Erfolgs ausgelegt werden kann[6].

6.1.2.

Fahrlässig begeht ein Verbrechen oder Vergehen, wer die Folge seines Verhaltens aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit nicht bedenkt oder darauf nicht Rücksicht nimmt. Pflichtwidrig ist die Unvorsichtigkeit, wenn der Täter die Vorsicht nicht beachtet, zu der er nach den Umständen und nach seinen persönlichen Verhältnissen verpflichtet ist[7]. Sorgfaltswidriges Verhalten kann, wie schon der gesetzlichen Umschreibung zu entnehmen ist, zweierlei Gestalt haben: entweder die der unbewussten Fahrlässigkeit, wenn der Täter die Gefahr der Tatbestandsverwirklichung nicht einmal bedenkt; oder aber jene der bewussten Fahrlässigkeit, wenn er sie zwar erkennt, sich jedoch, mehr oder weniger leichtfertig, über sie hinwegsetzt, im Vertrauen darauf, dass schon nichts geschehen werde[8].

6.1.3.

Die Abgrenzung zwischen Eventualvorsatz und bewusster Fahrlässigkeit kann im Einzelfall schwierig sein. Sowohl der eventualvorsätzlich als auch der bewusst fahrlässig handelnde Täter weiss um die Möglichkeit des Erfolgseintritts beziehungsweise um das Risiko der Tatbestandsverwirklichung. Hinsichtlich der Wissensseite stimmen somit beide Erscheinungsformen des subjektiven Tatbestands überein. Unterschiede bestehen jedoch beim Willensmoment. Der bewusst fahrlässig handelnde Täter vertraut (aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit) darauf, dass der von ihm als möglich vorausgesehene Erfolg nicht eintreten, das Risiko der Tatbestandserfüllung sich mithin nicht verwirklichen werde. Demgegenüber nimmt der eventualvorsätzlich handelnde Täter den Eintritt des als möglich erkannten Erfolgs ernst, rechnet mit ihm und findet sich mit ihm ab. Wer den Erfolg dergestalt in Kauf nimmt, "will" ihn im Sinn von Art. 18 Abs. 2 aStGB. Nicht erforderlich ist, dass der Täter den Erfolg "billigt"[9]. Die blosse Hoffnung, der Tatbestand werde sich dank glücklicher Fügung nicht verwirklichen, schliesst Eventualvorsatz nicht aus[10].

Ob der Täter die Tatbestandsverwirklichung im Sinn des Eventualvorsatzes in Kauf genommen hat, muss das Gericht bei Fehlen eines Geständnisses aufgrund der Umstände entscheiden. Dazu gehören die Grösse des dem Täter bekannten Risikos der Tatbestandsverwirklichung, die Schwere der Sorgfaltspflichtverletzung, die Beweggründe des Täters und die Art der Tathandlung. Je grösser die Wahrscheinlichkeit der Tatbestandsverwirklichung ist und je schwerer die Sorgfaltspflichtverletzung wiegt, desto näher liegt die Schlussfolgerung, der Täter habe die Tatbestandsverwirklichung in Kauf genommen. Das Gericht darf vom Wissen des Täters auf den Willen schliessen, wenn sich dem Täter der Eintritt des Erfolgs als so wahrscheinlich aufdrängte, dass die Bereitschaft, ihn als Folge hinzunehmen, vernünftigerweise nur als Inkaufnahme des Erfolgs ausgelegt werden kann[11].

Eventualvorsatz kann indessen auch vorliegen, wenn der Eintritt des tatbestandsmässigen Erfolgs nicht in diesem Sinn sehr wahrscheinlich, sondern bloss möglich war. Doch darf nicht allein aus dem Wissen des Täters um die Möglichkeit des Erfolgseintritts auf dessen Inkaufnahme geschlossen werden. Vielmehr müssen weitere Umstände hinzukommen[12]. Besondere Umstände liegen namentlich vor, wenn der Täter das ihm bekannte Risiko nicht kalkulieren und dosieren kann und das Opfer keine Abwehrchancen hat[13].

Ein Fahrzeuglenker droht durch sein gewagtes Fahrverhalten meistens selbst zum Opfer zu werden. Die Annahme, er habe sich gegen das geschützte Rechtsgut entschieden und nicht im Sinn der bewussten Fahrlässigkeit auf einen guten Ausgang vertraut, darf deshalb nicht leichthin angenommen werden[14]. Bei Unfällen im Strassenverkehr kann nicht ohne Weiteres aus der hohen Wahrscheinlichkeit des Eintritts des tatbestandsmässigen Erfolgs auf dessen Inkaufnahme geschlossen werden. Erfahrungsgemäss neigen Fahrzeuglenker dazu, einerseits die Gefahren zu unterschätzen und andererseits ihre Fähigkeiten zu überschätzen, weshalb ihnen unter Umständen das Ausmass des Risikos der Tatbestandsverwirklichung nicht bewusst ist. Einen unbewussten Eventualdolus aber gibt es nicht. Eventualvorsatz in Bezug auf Verletzungs- und Todesfolgen ist bei Unfällen im Strassenverkehr nur mit Zurückhaltung und in krassen Fällen anzunehmen, in denen sich aus dem gesamten Geschehen ergibt, dass der Fahrzeuglenker sich gegen das geschützte Rechtsgut entschieden hat[15].

Das Bundesgericht hat beispielsweise eventualvorsätzliche Tötung angenommen, als ein Fahrzeuglenker ein Überhohlmanöver bei dichtem Nebel, schwierigen Lichtverhältnissen, Temperaturen um den Gefrierpunkt, feuchter Fahrbahn und Sichtweite von maximal 50 Metern[16] oder mit stark überhöhter Geschwindigkeit bei dichtem Nebel und einer bevorstehenden Rechtskurve[17] vornahm.

6.2.

Der Versuch ist in Art. 22 StGB geregelt. Das Gesetz enthält hierfür keine eigentliche Definition. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung liegt ein Versuch vor, wenn der Täter sämtliche subjektiven Tatbestandsmerkmale erfüllt und seine Tatentschlossenheit manifestiert hat, ohne dass alle objektiven Tatbestandsmerkmale verwirklicht wären[18].

6.3.

Laut Art. 122 StGB macht sich der schweren Körperverletzung schuldig, wer vorsätzlich einen Menschen lebensgefährlich verletzt (Abs. 1), wer vorsätzlich den Körper, ein wichtiges Organ oder Glied eines Menschen verstümmelt oder ein wichtiges Organ oder Glied unbrauchbar macht, einen Menschen bleibend arbeitsunfähig, gebrechlich oder geisteskrank macht, das Gesicht eines Menschen arg und bleibend entstellt (Abs. 2), oder wer vorsätzlich eine andere schwere Schädigung des Körpers oder der körperlichen oder geistigen Gesundheit eines Menschen verursacht (Abs. 3). Schädigt der Täter das Opfer in anderer Weise an Körper oder Gesundheit, liegt eine einfache Körperverletzung vor[19].

6.4.

Überholen und Vorbeifahren an Hindernissen ist nur gestattet, wenn der nötige Raum übersichtlich und frei ist und der Gegenverkehr nicht behindert wird. Im Kolonnenverkehr darf nur überholen, wer die Gewissheit hat, rechtzeitig und ohne Behinderung anderer Fahrzeuge wieder einbiegen zu können[20]. Wer überholt, muss auf die übrigen Strassenbenützer, namentlich auf jene, die er überholen will, besonders Rücksicht nehmen[21]. In unübersichtlichen Kurven, auf und unmittelbar vor Bahnübergängen ohne Schranken sowie vor Kuppen darf nicht überholt werden, auf Strassenverzweigungen nur, wenn sie übersichtlich sind und das Vortrittsrecht anderer nicht beeinträchtigt wird[22]. Überholen gehört – vorab natürlich auf Strassen mit Gegenverkehr – zu den gefährlichsten Fahrmanövern. Die Regeln über das Überholen bezwecken durchwegs, diese Fahrmanöver entweder zu verbieten in Situationen, in denen sie üblicherweise übergrosse Gefahren bewirken, oder sie an eine Reihe von Anforderungen zu knüpfen, bei deren Beachtung die zusätzlichen Risiken minimiert werden. Überholen ist nur gestattet, wenn es nicht überhaupt verboten ist, der nötige Raum übersichtlich und frei ist und der Gegenverkehr nicht behindert oder gefährdet wird[23].

6.5.

Mit Freiheitsstrafe von einem bis zu vier Jahren wird bestraft, wer durch vorsätzliche Verletzung elementarer Verkehrsregeln das hohe Risiko eines Unfalls mit Schwerverletzten oder Todesopfern eingeht, namentlich durch besonders krasse Missachtung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, waghalsiges Überholen oder Teilnahme an einem nicht bewilligten Rennen mit Motorfahrzeugen[24].

6.5.1.

Der objektive Tatbestand von Art. 90 Abs. 3 SVG setzt die Verletzung "elementarer Verkehrsregeln" voraus[25]. Dazu gehören die Regeln zum Überholen nach Art. 35 SVG[26]. Zudem ist ein "hohes Risiko eines Unfalls mit Schwerverletzten oder Todesopfer" verlangt, wobei zwischen der Verletzung der Verkehrsregeln und der Gefahrschaffung ein adäquater Kausalzusammenhang bestehen muss[27]. Die Tat muss das Risiko eines Unfalls für die körperliche Integrität oder das Leben von Menschen schaffen, wobei dabei Dritte und nicht der Täter selbst betroffen sein müssen[28]. Die Gefahr muss unmittelbar sein, wobei die nahe Möglichkeit des Erfolgseintritts genügt[29].

6.5.2.

Unter die Fallgruppe des waghalsigen Überholens werden primär Überholmanöver eingestuft, welche ohne ausreichende Sicht oder bei nahendem Gegenverkehr ausgeführt werden[30]. Das Verhalten muss gemeingefährlich[31] beziehungsweise "verrückt"[32], nicht nur gewagt, sondern unsinnig[33] sein. Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine höhere als die in Art. 90 Abs. 2 SVG geforderte "ernstliche" Gefahr handeln muss. Diese muss analog der Lebensgefährdung nach Art. 129 StGB unmittelbar, nicht jedoch unausweichlich sein[34]. Dabei sind die konkreten Umstände zu berücksichtigen, wie die Licht- und Sichtverhältnisse, die Strassen- und Witterungsverhältnisse, das Verkehrsaufkommen, die Abstände zu anderen Fahrzeugen sowie die Verletzung weiterer Verkehrsregeln[35]. In Abgrenzung zur "ernstlichen Gefahr" nach Art. 90 Abs. 2 SVG muss bei Art. 90 Abs. 3 SVG eine besonders naheliegende Möglichkeit einer konkreten Gefährdung verlangt werden. Aufgrund der konkreten Umstände muss diese Gefährdung möglichst nahe liegen und letztlich die Verwirklichung derselben nur vom Zufall abhängen[36].

6.5.3.

Der subjektive Tatbestand des Art. 90 Abs. 3 SVG erfordert Vorsatz bezüglich der Verletzung einer elementaren Verkehrsregel und der Risikoverwirklichung, wobei Eventualvorsatz genügt[37]. Ein Gefährdungsvorsatz oder der Vorsatz, einen bestimmten Erfolg herbeizuführen, ist nicht erforderlich[38]. Wer objektiv eine qualifiziert grobe Verkehrsregelverletzung im Sinn von Art. 90 Abs. 3 und 4 SVG begeht, erfüllt grundsätzlich auch die subjektiven Voraussetzungen des Tatbestands. Dem Richter kommt ein wenn auch begrenzter Handlungsspielraum zu, um die Erfüllung des subjektiven Tatbestands unter besonderen Umständen zu verneinen[39].

6.6.

Die Konkurrenzfrage zwischen der Verkehrsregelgefährdung und der fahrlässigen Körperverletzung beziehungsweise fahrlässigen Tötung klärte das Bundesgericht bereits in einem Entscheid aus dem Jahr 1965[40]. Die Regeste dieses Entscheides hält folgendes fest: "Durch die Strafe wegen fahrlässiger Tötung oder Körperverletzung wird die Gefährdung der allgemeinen Verkehrssicherheit und die konkrete Gefährdung der getöteten oder verletzten Personen mitabgegolten. Neben Art. 117 und 125 StGB ist daher Art. 90 SVG nur anwendbar, wenn ausser den getöteten oder verletzten Personen eine weitere konkret gefährdet worden ist."[41]. Diese Frage wurde seither mehrfach bestätigt[42].

Auch in der Lehre findet diese Rechtsprechung mehrheitlich Zustimmung[43]: Die qualifiziert grobe Verkehrsregelverletzung dürfte in der Regel in echter Konkurrenz zu den Tötungs- und Körperverletzungsdelikten stehen, weil mindestens eine abstrakte Gefährdung der übrigen Verkehrsteilnehmer geschaffen wird[44]. Das Tatunrecht einer qualifiziert groben Verkehrsregelverletzung wird durch die Verurteilung wegen eines Verletzungsdelikts nicht vollständig abgegolten, weil Art. 90 SVG zusätzlich öffentliche Rechtsgüter schützt[45]. Dies muss umso mehr bei den Fahrlässigkeitsdelikten gelten, mithin der fahrlässigen Tötung und der fahrlässigen Körperverletzung, weil die Fahrlässigkeitsdelikte das Tatunrecht des Vorsatzdelikts nicht abgelten[46].

Soweit ersichtlich kritisiert einzig Fiolka diese Konkurrenzfrage[47]. Er weist darauf hin, dass das Bundesgericht nicht weiter begründe, weshalb echte Konkurrenz anzunehmen sei. Dagegen spreche, dass sowohl die abstrakte als auch die konkrete Gefährdung letztlich imaginäre, geistige Gebilde seien und sich der Gefährdungserfolg fundamental von einem Verletzungserfolg unterscheide[48].

7.

7.1

Der Berufungskläger sagte anlässlich der polizeilichen Befragung nach dem Unfall aus, dass er den entgegenkommenden Lieferwagen erst gesehen habe, als er am Überholen gewesen sei. Er habe das Fahrzeug, welches er am Überholen gewesen sei, nicht touchieren wollen und habe gehofft, dass er noch dazwischenkomme. Danach habe er das entgegenkommende Fahrzeug touchiert. Daraufhin habe sich sein Auto gedreht und er habe erstmals die Frau gesehen. Während des Fahrens habe er die Fussgänger nicht gesehen, erst als er die Kontrolle verloren habe. Die Strassen- und Sichtverhältnisse seien normal gewesen, es habe nicht viele Fahrzeuge gehabt. Beim Überholen habe er klare Sicht nach vorne beziehungsweise zur Gegenfahrbahn gehabt. Erst beim Überholen habe er das zu schnell entgegenkommende Fahrzeug gesehen. Er gehe davon aus, dass das Fahrzeug, welches er überholt habe, gebremst habe, weil dieses hinter ihm gestanden sei. An der Einvernahme durch die Staatsanwaltschaft ergänzte der Berufungskläger, dass er es falsch eingeschätzt habe. Er habe angenommen, dass das Überholmanöver noch vor der Kurve enden werde. Den Geschehensablauf wiederholte er an der Befragung an der Hauptverhandlung. Den vor ihm fahrenden Polo habe er überholt, weil er schon etwas langsam gefahren sei und er unbedingt nach Hause gewollt habe. Er habe die Kurve gekannt, daher habe er vor der Kurve angefangen zu überholen. Er habe sich nicht erklären können, wieso das Auto vor ihm langsamer gefahren sei; er hätte das gerne gewusst. Das entgegenkommende Auto habe er am Anfang nicht gesehen, sondern erst, als er schon angefangen habe zu überholen. Bevor er angefangen habe zu überholen, habe er genau geschaut und gesehen, dass kein Auto da gewesen sei, das ihn am Überholmanöver gehindert hätte. Erst dann sei das Auto gekommen. Erst als sein Auto "aus der Strasse" gekommen sei, habe er das Ausmass seiner Fahrt gesehen.

7.2.

Aus dem Rapport der Kantonspolizei zum Verkehrsunfall zeigt sich, dass der Unfall auf einer Nebenstrasse bei normalen Verkehrsaufkommen eintrat. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit beträgt demnach 80 km/h. Die Strasse sei trocken gewesen, die Witterung schön. Der Unfall ereignete sich tagsüber, an einem Donnerstag Anfang Herbst, kurz vor 18.00 Uhr.

Die Kantonspolizei erstellte eine Fotodokumentation und einen Spurensicherungsbericht. Daraus ist ersichtlich, dass der Verkehrsunfall vor beziehungsweise in einer unübersichtlichen Rechtskurve stattfand. Wie die Vorinstanz bereits festhielt, ist die Unübersichtlichkeit der Kurve auf verschiedenen Bildern erkennbar. Die fehlende Übersicht zeigt sich insbesondere darin, dass die Wiese rechts von der Strasse erhöht ist und einigermassen steil hinaufgeht, sodass keine Sicht über die Kurve möglich ist. Auf der linken Seite ist die Wiese abfallend und es hat im Bereich der Kurve eine grössere Baumgruppe des sich in der Nähe befindlichen Waldstücks. Zudem sind in der Rechtskurve Schilder mit schwarz-weissen Pfeilen aufgestellt, welche anzeigen, dass die Kurve eine gewisse Gefährlichkeit beinhaltet.

Ebenso stellt die Vorinstanz richtig fest, dass der Berufungskläger auf der Gegenfahrbahn während seines Überholmanövers mit dem Lieferwagen kollidierte: Der Berufungskläger touchierte den Lieferwagen im Bereich des hinteren linken Kotflügels, Stossstange und Hinterrades. Damit ist festzustellen, dass der Berufungskläger sich kurz vor Beginn der Sicherheitslinie noch mindestens teilweise auf der Gegenfahrbahn und damit im Überholmanöver befand. Wenige Meter danach kollidierte er auf der Normalfahrbahn mit den Fussgängern. Aus den Bildern des beschädigten Fahrzeuges des Berufungsklägers zeigt sich, dass er mit den Fussgängern im Bereich des linken vorderen Kotflügels beziehungsweise der Windschutzscheibe und der A-Säule zusammenstiess.

Diesen Unfallhergang bestätigt auch der Spurensicherungsbericht der Kantonspolizei. Dieser kommt zum Schluss, dass sich das Fahrzeug des Berufungsklägers bei der Kollision mit dem Lieferwagen auf der Gegenfahrbahn befunden haben müsse. Aufgrund der Kollisionsstelle am linken Hinterrad zeige sich, dass das Fahrzeug sich in einem spitzen Winkel befunden und beabsichtigt habe, wieder auf seine Fahrbahn zurückzufahren. Aus den Kollisionspunkten des Fahrzeugs mit den Fussgängern lasse sich ableiten, dass der erste Kontakt mit diesen im Bereich des Kotflügels vorne links stattgefunden habe, wobei die bei der beschädigten Frontscheibe sichergestellten Haare mutmasslich von der Fussgängerin stammen würden. Die genaue Kollisionsstelle könne nicht festgestellt werden, die Spurensicherung der Schuhe der Verstorbenen spreche jedoch dafür, dass diese sich auf der Fahrbahn befunden habe.

8.

Nachfolgend ist der Unfallhergang unter die rechtlichen Bestimmungen zu subsumieren, wobei zudem allfällige Konkurrenzfragen zu klären sind.

8.1.

Primär ist auf das Tötungs- und Körperverletzungsdelikt einzugehen, wobei diesbezüglich der subjektive Tatbestand ausschlaggebend ist.

8.1.1.

Festzuhalten ist vorab, dass der Berufungskläger die Strecke und damit auch die Kurve kannte, da er diese schon mehrmals befahren hatte. Dennoch startete er mit dem Überholmanöver kurz vor der unübersichtlichen und nicht einsehbaren Rechtskurve. Die Wetterverhältnisse waren gut; die Sicht wurde weder durch Nebel noch Dunkelheit gehemmt. Jedoch fuhr er im Feierabendverkehr, wo regelmässig ein mehr oder weniger erhöhtes Verkehrsaufkommen herrscht. Daher musste er um die grundsätzliche Möglichkeit von Gegenverkehr wissen. Jedoch sagte er aus, dass er zum Zeitpunkt, als er das Überholmanöver startete, kein Gegenverkehr erblicken konnte. Davon ist auszugehen. Ebenso darf davon ausgegangen werden, dass der Berufungskläger die beiden Fussgänger nicht sah beziehungsweise dass er diese erstmals nach der Kollision mit dem entgegenkommenden Lieferwagen wahrnahm. Er hatte also weder von herannahendem Gegenverkehr noch von den sich am Strassenrand befindlichen Fussgängern Kenntnis, als er das Überholmanöver begann, musste aber mit Ersterem rechnen.

Zudem bemerkte er, dass die vor ihm fahrende Fahrzeuglenkerin ihre Geschwindigkeit stark reduziert hatte. Einerseits sagte der Berufungskläger selbst, dass sie langsam gefahren sei. Andererseits würde es keinen Sinn ergeben, dass er sie überholt hätte, wenn sie nicht langsamer gefahren wäre. Er nahm also zur Kenntnis, dass die Fahrerin vor ihm ihre Fahrt verlangsamt hatte, konnte aber nicht sehen, dass der Grund dafür die auf der Normalfahrbahn[49] entgegenkommenden Fussgänger waren. Er musste aber dennoch davon ausgehen, dass es hierfür einen Grund gibt, auch wenn er diesen nicht sehen konnte, erscheint es doch lebensfremd, davon auszugehen, eine Person bremse auf einer Überlandstrecke ohne Grund ab. Auch wenn Fussgänger auf der Fahrbahn nicht der einzige Grund für ein solches Abbremsen sein können, erscheint es nicht abwegig, dass sich solche auf der Fahrbahn befanden. Denkbar wäre überdies auch, dass es sich um einen Gegenstand auf der Fahrbahn handelt oder dass die fahrende Person die Kurve nicht einschätzen konnte und deshalb verlangsamte. Gerade vor einer Kurve gibt es verschiedene Gründe, wieso eine Autolenkerin oder ein Autolenker die Fahrt verlangsamt. Das bedeutet jedoch für nachkommende Fahrzeuglenker gerade auch, dass sie selbst ebenfalls vorsichtig sein müssen, überblicken sie doch die Verkehrslage als hinterherfahrendes Fahrzeug wesentlich schlechter.

Ausgeschlossen werden kann, dass der Berufungskläger den Tod oder die Verletzung der Fussgänger wollte. Nicht unterstellt werden kann ihm, dass er mit exakt dieser Verkettung der Umstände oder mit diesem Ausgang hätte rechnen müssen und er sich damit abgefunden hätte. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, davon auszugehen, dass er damit rechnete, dass es bei seinem Überholmanöver zu einer Kollision mit dem Gegenverkehr kommen und er daraufhin auf die andere Strassenhälfte direkt auf die sich dort befindlichen Fussgänger geschleudert würde – und er diesen Erfolg auch noch billigend in Kauf nahm. Um die mögliche Verwirklichung eines solchen Risikos musste er hingegen wissen. Denn es lag im Rahmen des Möglichen, dass der Grund des Abbremsens sich vor der Fahrerin befindliche, weitere Verkehrsteilnehmende waren. Dennoch kann ihm nicht angelastet werden, dass er diesen Hergang und Erfolg in Kauf genommen habe. Der Berufungskläger vertraute einerseits darauf, dass ihm kein Gegenverkehr entgegenkommen würde, ansonsten hätte er – aufgrund der massiven Selbstgefährdung – nicht überholt. Andererseits rechnete er weder damit, dass sich Fussgänger auf der Fahrbahn befanden, noch musste er genau davon ausgehen – auch wenn ihm bewusst gewesen sein musste, dass die durch das Abbremsen der Vorderlenkerin geschaffene verlangsamte Situation durch weitere Verkehrsteilnehmende gefährdet sein könnte. Der tatsächlich geschehene Ablauf musste sich ihm nicht so stark aufdrängen, dass es als Inkaufnahme desselben gewertet werden müsste. Eventualvorsatz für die Tötung oder Verletzung ist unter diesen Umständen zu verneinen. Dies umso mehr im Lichte der Rechtsprechung zur Abgrenzung von Eventualvorsatz und Fahrlässigkeit bei Verkehrsdelikten. Der Berufungskläger vertraute auf einen gefahrenlosen Abschluss seines Überholmanövers. Es kann ihm nicht unterstellt werden, dass er sich gegen die Rechtsgüter anderer entschieden hätte – weder gegenüber der entgegenkommenden Fahrzeuglenkerin noch den beiden Fussgängern. Vielmehr vertraute er – selbst als er das entgegenkommende Fahrzeug sah – noch darauf, dass er das Überholmanöver gefahrenlos abschliessen werden könne.

Der Berufungskläger wusste aber nach dem Gesagten, dass mit seinem Überholmanöver eine Gefahr geschaffen wird, die geeignet ist, den effektiv eingetretenen Erfolg, nämlich die Tötung eines Menschen, herbeizuführen. Mithin ist die Voraussehbarkeit des Erfolgs und dessen Vermeidbarkeit als Tatbestandsmerkmale der fahrlässigen Deliktsbegehung zu bejahen. Aufgrund der Tatsache, dass für den Berufungskläger in dieser Situation aber voraussehbar war beziehungsweise sein musste, dass "etwas", eine Risiko- oder eine Gefahrensituation, existiert, insbesondere, weil die vor ihm fahrende Fahrzeuglenkerin die Geschwindigkeit reduzierte und er sich vor einer unübersichtlichen Rechtskurve befand, handelte der Berufungskläger aber pflichtwidrig unvorsichtig. Offenbar vertraute er aber – sorgfaltswidrig – darauf, dass "schon nichts passieren" werde. Das Vorliegen einer Gefahr musste er erkannt haben, auch wenn er deren Verwirklichung nicht wollte oder in Kauf nahm, daher ist eine Sorgfaltspflichtsverletzung und damit ein fahrlässiges Handeln zu bejahen.

8.1.2.

Nicht zu hören ist das (mindestens konkludent vorgebrachte) Argument, wonach die adäquate Kausalität aufgrund Mit- oder Selbstverschuldens der Opfer unterbrochen werde. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die Fussgängerin oder der Fussgänger sich so verhalten hätten, dass der Kausalzusammenhang verneint werden müsste; insbesondere ist ein leicht versetztes am Strassenrand Gehen nicht derart weit weg von der allgemeinen Lebenserfahrung, dass dies zu einem Unterbruch der Adäquanz führen würde. Sofern der Berufungskläger damit den festgestellten Sachverhalt rügen wollte, wonach die Fussgänger mitten auf der Strasse und nicht am Strassenrand gingen, bestehen dafür keine Anhaltspunkte.

8.1.3.

Der objektive Tatbestand der Tötung sowie der Körperverletzung gibt zu keinen weiteren Ausführungen Anlass. Mit der Tötung der Fussgängerin erfüllte der Berufungskläger den objektiven Tatbestand der fahrlässigen Tötung.

Ebenso ist die Körperverletzung des Fussgängers zu bestätigen. Der Notfallbericht des Spitals attestierte ihm ein leichtes Schädel-Hirn-Trauma, eine Rissquetschwunde oberhalb der linken Augenbraue sowie eine Kontusion des linken Knies. Damit erreichen die Verletzungen nicht das für eine schwere Körperverletzung notwendige Ausmass. Korrekt ist, dass die fahrlässige, nicht schwere Körperverletzung ein Antragsdelikt ist. Der Fussgänger unterschrieb jedoch am Tag des Unfalls einen Strafantrag und beteiligte sich bis zur Berufungsanmeldung als Privatkläger am Verfahren, sodass auch diese Voraussetzung gewahrt wurde.

8.1.4

Der Berufungskläger ist somit der fahrlässigen Tötung im Sinn von Art. 117 StGB zum Nachteil von der Fussgängerin sowie der fahrlässigen Körperverletzung im Sinn von Art. 125 Abs. 1 StGB zum Nachteil des Fussgängers schuldig zu sprechen.

8.2.

In einem nächsten Schritt ist zu beurteilen, ob der Berufungskläger sich mit seinem Verhalten auch einer qualifiziert groben Verkehrsregelverletzung schuldig machte. Falls dies zu bejahen ist, wäre anschliessend auf die Frage der Konkurrenz einzugehen.

8.2.1.

Die Vorschriften im Zusammenhang mit Überholen gehören zu den elementaren Verkehrsregeln. Indem der Berufungskläger diese verletzte, ist die erste Voraussetzung von Art. 90 Abs. 3 SVG zu bejahen.

8.2.2.

Fraglich ist, ob der Berufungskläger mit seinem Überholmanöver ein "waghalsiges Überholen" im Sinn der Gesetzesbestimmung vornahm. Auch hier ist zu beachten, dass der Berufungskläger die örtlichen Verhältnisse kannte. Er war mit der steilen, unübersichtlichen Rechtskurve in mitten der zwei Böschungen vertraut und wusste auch, dass diese nicht überblickt werden kann. Zudem wurde er von den Tafeln in der Kurve auf deren Gefährlichkeit hingewiesen. Unter diesen Umständen war es ihm schlicht nicht möglich, auf Sicht zu überholen, sprich die Gegenfahrbahn für das Überholmanöver so zu überblicken, damit er sicher sein kann, dass er sein Manöver abschliessen konnte, bevor ihm ein anderes Fahrzeug entgegenkam. Die Böschung auf der rechten Seite verunmöglicht einem Fahrzeuglenker, die Gegenfahrbahn zu überblicken. Es zeigt sich bereits aus der Fotodokumentation, dass sowohl die Fahr- als auch die Gegenfahrbahn nur bis zu Beginn der Kurve überblickt werden kann. Spätestens bei den schwarz-weissen Tafeln ist die Fahrbahn aufgrund der engen Kurve und der Böschung rechts nicht mehr ersichtlich.

Hinzukommt, dass sich der Berufungskläger im Feierabendverkehr befand. Zudem ist diese Strasse auf der Hauptverkehrsachse zwischen zwei Städten. Entsprechend ist sie gut befahren, was umso mehr im Feierabend gelten muss. Der Berufungskläger musste somit damit rechnen, dass ihm ein Fahrzeug entgegenkommen könnte, dies gerade auch weil ihm kurz vor seinem Überholmanöver effektiv ein Fahrzeug entgegenkam. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass er beim Einleiten des Überholmanövers kein entgegenkommendes Fahrzeug sah, da er die Gegenfahrbahn wegen der Kurve nicht (genug weit) überblicken konnte. Die Tatsache, dass es zu einer Kollision mit Gegenverkehr kam, zeigt gerade, dass ein unfallfreies Überholen offensichtlich nicht möglich war.

Nicht entscheidend ist, ob der Berufungskläger das Überholmanöver vor dem Beginn der Sicherheitslinie hatte oder hätte beenden können, wobei es fraglich erscheint, dass dies der Fall gewesen wäre. Da die Kollision sehr nahe der Sicherheitslinie stattfand und der Berufungskläger offenbar aufgrund des überraschten Entgegenkommens der Fahrzeuglenkerin unerwartet schnell rechts wieder einbog, ist anzunehmen, dass er ohne Gegenverkehr länger für das Wiedereinbiegen gebraucht hätte. Da er aber bereits mit der Kollision vermutlich die Sicherheitslinie überfuhr, ist umso mehr davon auszugehen, dass er dies ohne Gegenverkehr gemacht hätte. Selbst wenn indes davon auszugehen wäre, dass der Berufungskläger das Überholmanöver vor dem Beginn der Sicherheitslinie hätte beenden können, würde dies nicht ausreichen, um das Überholen als nicht waghalsig zu beschreiben. Selbst wenn keine Sicherheitslinie vorhanden ist, darf nicht überholt werden, wenn die Sichtverhältnisse ein Überholen nicht zulassen. Bei den örtlichen Gegebenheiten vor dieser Kurve fehlte die Übersicht, um ein gefahrenfreies Überholen zu ermöglichen. Das wusste der Berufungskläger, da er die Strecke kannte. Das musste aber auch einer Person, welche diese Strecke zum ersten Mal befuhr, klar sein, da diese Kurve inmitten der Böschungen per se so unübersichtlich ist, dass ein Überholen auf Sicht nicht möglich war. Zudem verhindern die Böschungen auch ein anderweitiges Ausweichen, was das Überholen noch gefährlicher machte. Daher kann hier offengelassen werden, ob der Berufungskläger die Sicherheitslinie ohne Unfall überfahren hätte oder nicht. So oder anders war das Überholen nicht erlaubt.

Schliesslich realisierte der Berufungskläger, dass die vor ihm fahrende Fahrzeuglenkerin merklich abgebremst hatte. Selbst wenn er den Grund dafür – die entgegenkommenden Fussgänger – nicht sehen konnte, musst er davon ausgehen beziehungsweise damit rechnen, dass die Fahrerin dafür einen legitimen Grund hatte, den sie als vorausfahrende Fahrerin – anders als er – sehen konnte. Sie fuhr nicht per se langsam, sondern bremste ab. Er durfte sich deshalb nicht darauf verlassen, dass die Strasse frei von jeglichen Hindernissen ist.

Das Überholmanöver ist aufgrund all dieser Punkte als waghalsig im Sinn des Gesetzes zu betrachten. Es war leichtsinnig, an dieser Stelle zu überholen; umso mehr, als die Umstände in der konkreten Situation eine erhöhte Vorsicht hervorriefen. Das Überholen kann nur als gemeingefährlich, verrückt und unsinnig bezeichnet werden.

8.2.3.

Die genannten Umstände zeigen klar, dass das Verhalten des Berufungsklägers ein hohes Unfallrisiko mit Schwerverletzten oder Todesopfern hervorrief. Mit seinem Überholmanöver gefährdete er nicht nur die überholte Fahrzeuglenkerin, sondern auch die entgegenkommende Lieferwagenfahrerin. Ebenso ist die adäquate Kausalität zwischen Missachten der Verkehrsregeln und Schaffung des Unfallrisikos ohne Weiteres gegeben. Hätte er in dieser Situation nicht überholt – weil die Voraussetzungen zum erlaubten Überholen gemäss Art. 35 SVG dies nicht zugelassen haben – hätte er kein hohes Unfallrisiko geschaffen.

8.2.4.

Beim Ausführen des Überholmanövers in dieser Situation musste sich der Berufungskläger der Verkehrsregelverletzung und des damit geschaffenen Risikos bewusst sein. Sowohl die Verkehrsregelverletzung als auch die Risikoschaffung wiegen vorliegend so schwer, dass nicht angenommen werden kann, der Berufungskläger habe nicht mindestens eventualvorsätzlich gehandelt. Er wusste, dass er mit seinem Überholmanöver elementare Verkehrsregeln verletzte und dadurch Leib und Leben anderer Verkehrsteilnehmer gefährdete beziehungsweise nahm er dies mindestens in Kauf. Damit handelte er mit Wissen und Willen, mithin vorsätzlich. Ein Erfolgseintritt ist für die Verurteilung der qualifiziert groben Verletzung von Verkehrsregeln nicht erforderlich, daher ist nicht entscheidend, ob der Berufungskläger mit einem Unfall rechnete oder einen solchen in Kauf nahm. In der vorliegenden Situation – abbremsende Fahrerin, unübersichtliche Kurve, Feierabendverkehr – drängte sich die Gefährlichkeit des Überholmanövers derart auf, dass der Berufungskläger mit seinem Argument, wonach er nicht eventualvorsätzlich gehandelt habe, weil er das Manöver nicht als waghalsig eingeschätzt habe, nicht zu hören ist. Wer in einer solchen Situation überholt, nimmt die Gefährdung anderer billigend in Kauf.

8.3.

Da sowohl eine fahrlässige Tötung als auch Körperverletzung sowie eine grob qualifizierte Verkehrsregelverletzung bejaht wurde, ist deren Konkurrenz zueinander zu klären.

8.3.1.

Wenn zwischen der verletzten oder getöteten Person eine weitere Person gefährdet wird, herrscht zwischen den Körperverletzungs- beziehungsweise Tötungsdelikten einerseits und der qualifiziert groben Verkehrsregelverletzung andererseits echte Konkurrenz. Diese bundesgerichtliche Rechtsprechung überzeugt. Die qualifiziert grobe Verletzung der Verkehrsregel ahndet die Gefährdung der Verkehrsteilnehmer, ohne dass sich das erhöhte Unfallrisiko verwirklichen muss. Bestraft werden soll derjenige, der eine erhöhte Gefahr für die weiteren Verkehrsteilnehmer schafft. Wenn nebst gefährdeten Verkehrsteilnehmer weitere Verkehrsteilnehmer effektiv verletzt oder getötet werden, ist dieses Verhaltensunrecht vom Gefährdungsdelikt nicht abgedeckt.

8.3.2.

Nicht richtig ist zudem die Aussage des Berufungsklägers, wonach das Bundesgericht die Konkurrenzfrage in einem Obiter Dictum regelte und diese somit nur "nebenbei" entschieden worden sei. Die fragliche Passage des Entscheids nahm das Gericht in die Regeste auf, womit diese als Leitsatz des Entscheids gilt. Zudem bestätigte das Bundesgericht seine Rechtsprechung mehrfach. Nebst der Tatsache, dass auch ein Obiter Dictum Gültigkeit hätte, ist hier offensichtlich, dass das Bundesgericht diese Frage ausdrücklich behandelte, klärte und mehrfach daran festhielt.

8.3.3.

Der Berufungskläger gefährdete vorliegend nebst der verletzten und getöteten Person weitere Personen. Zum einen wurde die entgegenkommende Fahrzeuglenkerin sehr konkret gefährdet, da es mit ihrem Lieferwagen effektiv zu einer Kollision gekommen ist. Wenn diese auch "nur" als Streifkollision zu werten ist, ist dies mindestens unter anderem auch der schnellen Reaktion der entgegenkommenden Lenkerin zu verdanken. Nichtsdestotrotz gefährdete der Berufungskläger die entgegenkommende Fahrzeugfahrerin sehr konkret und unmittelbar. Ebenso gefährdete er die überholte Autofahrerin. Der Berufungskläger sagte selbst aus, dass er davon ausgehe, dass die überholte Lenkerin gebremst habe, damit er vorne einbiegen konnte. Auch insofern besteht die reale Möglichkeit, dass er ohne ihre Bremsung mit ihrem Fahrzeug kollidiert wäre. Auf alle Fälle hat er sie mit seinem Überholmanöver ebenso konkret gefährdet.

8.3.4.

Damit hat der Berufungskläger nebst der verletzten und der getöteten Person andere Verkehrsteilnehmer konkret gefährdet, weshalb echte Konkurrenz zwischen dem Tötungs- und Verletzungsdelikt einerseits und der grob qualifizierten Verkehrsregelverletzung andererseits besteht.

8.4.

Der Berufungskläger ist damit der fahrlässigen Tötung zum Nachteil der Fussgängerin im Sinn von Art. 117 StGB, der fahrlässigen Körperverletzung zum Nachteil des Fussgängers im Sinn von Art. 125 StGB und der qualifizierten groben Verletzung der Verkehrsregeln im Sinn von Art. 90 Abs. 3 SVG schuldig zu sprechen. Zu bestätigen sind zudem die Schuldsprüche wegen des Führens eines Motorfahrzeugs im fahrunfähigen Zustand im Sinn von Art. 91 Abs. 2 lit. b SVG sowie die mehrfache Übertretung des Betäubungsmittelgesetzes im Sinn von Art. 19a Ziff. 1 BetmG.

[…]

Obergericht, 1. Abteilung, 13. Dezember 2022, SBR.2022.59

Eine dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesgericht am 20. November 2023 ab, soweit es darauf eintrat (6B_500/2023).


[1]    Art. 111 StGB

[2]    Art. 117 StGB

[3]    Art. 123 Abs. 1 StGB

[4]    Art. 125 Abs. 1 StGB

[5]    Art. 12 Abs. 2 StGB

[6]    BGE 137 IV 4

[7]    Art. 12 Abs. 3 StGB

[8]    Niggli/Maeder, Basler Kommentar, 4.A., Art. 12 StGB N. 85

[9]    BGE 133 IV 16

[10]  BGE vom 22. Mai 2018, 6B_567/2017, Erw. 2.2.2

[11]  BGE 137 IV 4; BGE 133 IV 225 f.; BGE vom 8. Juni 2022, 6B_246/2021, Erw. 1.3.3

[12]  BGE 133 IV 17

[13]  BGE vom 15. Februar 2019, 6B_873/2018, E. 1.1.2 mit Verweis auf BGE 133 IV 7

[14]  BGE 130 IV 64 f.

[15]  BGE 133 IV 20

[16]  BGE vom 20. Dezember 2017, 6B_1050/2017

[17]  BGE vom 22. Mai 2018, 6B_567/2017

[18]  BGE 140 IV 152

[19]  Art. 123 StGB

[20]  Art. 35 Abs. 2 SVG

[21]  Art. 35 Abs. 3 SVG

[22]  Art. 35 Abs. 4 SVG

[23]  BGE 129 IV 158

[24]  Art. 90 Abs. 3 SVG

[25]  Weissenberger, Kommentar Strassenverkehrsgesetz und Ordnungsbussengesetz, 2.A., Art. 90 SVG N. 115

[26]  Fiolka, Basler Kommentar, Basel 2014, Art. 90 SVG N. 112

[27]  Weissenberger, Art. 90 SVG N. 121

[28]  Weissenberger, Art. 90 SVG N. 124

[29]  BGE vom 29. November 2016, 6B_148/2016, E. 1.3.2; Weissenberger, Art. 90 SVG N. 126

[30]  Wohlers/Cohen, Verschärfte Sanktionen bei Tempoexzessen und sonstigen "elementaren" Verkehrsregelverletzungen, in: Strassenverkehr 4/2013 S. 10; Maurer, in: Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kommentar (Hrsg.: Donatsch), 21.A., Art. 90 SVG N. 29

[31]  "Besonders gefährlich" gemäss Fiolka, Art. 90 SVG N. 136

[32]  Weissenberger, Art. 90 SVG N. 139

[33]  Maurer, Art. 90 SVG N. 29

[34]  BGE vom 17. Januar 2020, 6B_931/2019, Erw. 1.3.1

[35]  Weissenberger, Art. 90 SVG N. 141

[36]  BGE vom 17. Januar 2020, 6B_931/2019, Erw. 1.3.1

[37]  BGE 142 IV 140

[38]  BGE vom 29. November 2016, 6B_148/2016, Erw. 1.3.2

[39]  BGE 142 IV 151; BGE vom 8. Juni 2022, 6B_426/2021, Erw. 3.3.2

[40]  BGE 91 IV 211

[41]  BGE 91 IV 211 (Regeste)

[42]  BGE 119 IV 284; BGE 96 IV 40 f.; BGE vom 4. März 2021, 6B_1125/2020, Erw. 5.3; BGE vom 9. Februar 2015, 6B_794/2014, Erw. 5.2; BGE vom 12. Dezember 2011, 6B_493/2011, Erw. 7.1; BGE vom 29. November 2001, 6S.628/2001, Erw. 2.a

[43]  Wohlers/Cohen, S. 16; Weissenberger, Art. 90 SVG N. 46; Maurer, Art. 90 SVG N. 36

[44]  Weissenberger, Art. 90 SVG N. 46; Maurer, Art. 90 SVG N. 36

[45]  Weissenberger, Art. 90 SVG N. 46

[46]  Weissenberger, Art. 90 SVG N. 184; Wohlers/Cohen, S. 15 f.

[47]  Fiolka, Art. 90 SVG N. 191

[48]  Fiolka, Art. 90 SVG N. 191

[49]  Aus Sicht des Berufungsklägers

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