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RBOG 2023 Nr. 44

Anwendungsfall eines hinreichenden Tatverdachts bei ungetreuer Geschäftsbesorgung durch einen Verwaltungsrat

Art. 309 Abs. 1 lit. a StPO Art. 310 Abs. 1 lit. a StPO Art. 158 StGB Art. 717 OR


Zusammenfassung des Sachverhalts:

Die Beschwerdeführerin erstattete unter anderem Strafanzeige gegen den Beschwerdegegner wegen Betrugs, Urkundenfälschung, ungetreuer Geschäftsbesorgung und weiterer Delikte. Der Beschwerdegegner war bis einige Monate vor der Anzeige Verwaltungsrat der Beschwerdeführerin mit Einzelunterschrift. Die Staatsanwaltschaft eröffnete gegen den Beschwerdegegner eine Strafuntersuchung wegen Urkundenfälschung gestützt auf den Verdacht, entgegen dem Imparitätsprinzip in der Erfolgsrechnung/Bilanz der Beschwerdeführerin per 31. Dezember 2020 die mit der A AG vereinbarte Strafzahlung von Fr. 500'000.00 nicht erfasst zu haben, um die drohende Überschuldung der Beschwerdeführerin zu vertuschen. Hingegen verfügte die Staatsanwaltschaft, die Untersuchung gegen den Beschwerdegegner wegen Betrugs, ungetreuer Geschäftsbesorgung, eventuell Veruntreuung sowie Erschleichung einer falschen Beurkundung aufgrund der Strafanzeige der Beschwerdeführerin werde nicht anhand genommen. Gegen diese Nichtanhandnahmeverfügung erhob die Beschwerdeführerin Beschwerde und beantragte, die angefochtene Verfügung sei aufzuheben; die Staatsanwaltschaft sei anzuweisen, eine Strafuntersuchung wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung gegen den Beschwerdegegner zu eröffnen.

Aus den Erwägungen:

1.

1.1.

Zweck des Strafverfahrens ist die Ermittlung des Sachverhalts und die Prüfung, ob das Verhalten der beschuldigten Person und der ermittelte Sachverhalt unter einen Straftatbestand fällt. Die Parteien (beschuldigte Person und Privatklägerschaft) haben Anspruch auf eine formelle Erledigung aller erhobenen Tatvorwürfe. Die Staatsanwaltschaft hat diese Tatvorwürfe im Dispositiv des Entscheids formell zu erledigen und in den Erwägungen die Art der Erledigung rechtsgenüglich zu begründen. Dementsprechend muss sich eine Nichtanhandnahmeverfügung ebenso wie eine Einstellungsverfügung auf einen konkreten Sachverhalt beziehen, nicht auf einzelne Straftatbestände[1]. Ebenso gehört zwingend in das Dispositiv, gegen wen die Untersuchung eingestellt oder nicht anhand genommen wird, denn diese Erledigungsverfügungen betreffen immer konkrete Tatvorwürfe gegen konkrete Personen; gegen andere (allenfalls noch unbekannte) Personen ist – einen Anfangsverdacht oder hinreichenden Tatverdacht vorausgesetzt – die (polizeiliche) Ermittlung weiterzuführen oder die Untersuchung zu eröffnen.

1.2.

Das von der Staatsanwaltschaft gegen den Beschwerdegegner eröffnete Strafverfahren betrifft den Tatvorwurf, in der Erfolgsrechnung/Bilanz der Beschwerdeführerin per 31. Dezember 2020 einen Aufwand nicht erfasst zu haben, um die drohende Überschuldung zu vertuschen; damit habe er eine Urkundenfälschung begangen. Diese Tathandlung unterscheidet sich von den Tatvorwürfen, die hinsichtlich des Tatbestands der ungetreuen Geschäftsbesorgung geltend gemacht werden. Zwar spielt der verdachtsweise nicht erfasste Aufwand – die Zahlung von Fr. 500'000.00 an die A AG (Pönale) – auch hier eine Rolle, aber es geht dabei um die Vereinbarung der Zahlung an sich, nicht um deren Erfassung in der Buchhaltung. Damit ist die formelle separate Erledigung der in diesem Beschwerdeverfahren zu beurteilenden Tatvorwürfe nicht zu beanstanden.

1.3.

Die Staatsanwaltschaft verfügte die Nichtanhandnahme der Untersuchung gegen den Beschwerdegegner wegen Betrugs, ungetreuer Geschäftsbesorgung, eventuell Veruntreuung sowie Erschleichung einer falschen Beurkundung aufgrund der Strafanzeige. Die Erledigung erfolgte somit nur in Bezug auf Straftatbestände mit einem pauschalen Verweis auf die Strafanzeige. Diese pragmatische Lösung funktioniert in einfachen und übersichtlichen Fällen, in denen mit einem solchen Verweis den Straftatbeständen sofort und ohne Weiteres ein konkreter Tatvorwurf, ein konkreter Lebenssachverhalt zugeordnet werden kann. Das ist dann nicht (mehr) möglich, wenn verschiedene Tatvorwürfe mit verschiedenen Lebenssachverhalten erhoben werden, die unter denselben Straftatbestand subsumiert werden (beispielsweise zwei verschiedene Täuschungshandlungen als Betrugsvorwürfe oder drei verschiedene Sorgfaltspflichtverletzungen als Vorwürfe der ungetreuen Geschäftsbesorgung). Das ist hier in Bezug auf den im Beschwerdeverfahren noch interessierenden Straftatbestand der ungetreuen Geschäftsbesorgung der Fall. Das genau abzuklären, ist indessen nicht Aufgabe der Beschwerdeinstanz, sondern der untersuchenden Staatsanwaltschaft; Gleiches gilt für die Frage, ob allenfalls Tatvorwürfe (Lebenssachverhalte) vorliegen, die unter verschiedene Straftatbestände subsumiert werden können. Das hat zur Konsequenz, dass bereits bei Vorliegen eines einzelnen konkreten Tatvorwurfs, der nicht mit Nichtanhandnahme hätte erledigt werden dürfen, die gesamte Nichtanhandnahmeverfügung aufzuheben ist.

[…]

3.

Die Staatsanwaltschaft eröffnet gemäss Art. 309 Abs. 1 lit. a StPO eine Untersuchung, wenn sich aus den Informationen und Berichten der Polizei, aus der Strafanzeige oder aus ihren eigenen Feststellungen ein hinreichender Tatverdacht ergibt. Sie verzichtet laut Art. 309 Abs. 4 StPO auf die Eröffnung, wenn sie sofort eine Nichtanhandnahmeverfügung oder einen Strafbefehl erlässt. Gemäss Art. 310 Abs. 1 lit. a StPO verfügt die Staatsanwaltschaft die Nichtanhandnahme, sobald aufgrund der Strafanzeige oder des Polizeirapports feststeht, dass die fraglichen Straftatbestände oder die Prozessvoraussetzungen eindeutig nicht erfüllt sind.

3.1.

Eine Nichtanhandnahme gemäss Art. 310 Abs. 1 lit. a StPO darf nur in sachverhaltsmässig und rechtlich klaren Fällen ergehen. Es muss sicher feststehen, dass der Sachverhalt unter keinen Straftatbestand fällt. Im Zweifelsfall, wenn die Gründe der Nichtanhandnahme nicht mit absoluter Sicherheit gegeben sind, muss das Verfahren eröffnet werden[2]. Um eine Nichtanhandnahme gestützt auf Art. 310 Abs. 1 lit. a StPO (fragliche Straftatbestände eindeutig nicht erfüllt) verfügen zu können, muss sich die Situation für die Staatsanwaltschaft so präsentieren, dass gar nie ein Verdacht hätte angenommen werden dürfen oder der Anfangsverdacht vollständig entkräftet worden ist. Verlangt wird "klare" Straflosigkeit, wobei diese dann gegeben ist, wenn "sicher ist", dass der Sachverhalt unter keinen Straftatbestand fällt[3]. Entsprechend darf keine Nichtanhandnahme verfügt werden, wenn die Staatsanwaltschaft zur Prüfung der Nichtanhandnahmegründe zuerst Untersuchungshandlungen durchführen muss. Es muss sich folglich allein aus den Akten ersichtlich um sachverhaltsmässig und rechtlich klare Fälle handeln[4]. Ein Tatbestand gilt als eindeutig nicht erfüllt, wenn ein Verdacht zu keinem Zeitpunkt begründet war oder wenn sich der zu Beginn der Strafverfolgung vorhandene Anfangsverdacht vollständig entkräftete. Dies ist beispielweise der Fall bei einer unglaubhaften Strafanzeige, wenn sich keine deliktsrelevanten Anhaltspunkte feststellen liessen. Im Zweifelsfall ist folglich eine Untersuchung zu eröffnen. Ergibt sich nach durchgeführter Untersuchung, dass kein Straftatbestand erfüllt ist, stellt die Staatsanwaltschaft das Strafverfahren gestützt auf Art. 319 StPO ein[5].

3.2.

Laut dem Untersuchungsgrundsatz gemäss Art. 6 Abs. 1 StPO klären die Strafbehörden von Amtes wegen alle für die Beurteilung der Tat und der beschuldigten Person bedeutsamen Tatsachen ab. Sie untersuchen nach Art. 6 Abs. 2 StPO die belastenden und entlastenden Umstände mit gleicher Sorgfalt. Damit ist zunächst festgehalten, dass es Sache der Behörden ist, den massgeblichen Sachverhalt festzustellen; die (privaten) Parteien trifft also keinerlei Beweisführungslast[6]. Die Behörden sind alsdann gehalten, den Sachverhalt von sich aus, in Eigeninitiative, unabhängig von Anträgen, Erklärungen und sonstigem Verhalten der Parteien zu ermitteln und entsprechende Beweismittel zu beschaffen[7]. Eine frühzeitige Entbindung der Strafbehörden von ihrer Verpflichtung zur Sachverhaltsfeststellung bei Nichtanhandnahme oder Einstellung des Verfahrens ist nur unter den Voraussetzungen der Art. 310 und 319 StPO zulässig. Das ist für eine Nichtanhandnahme – wie dargelegt – nur bei Offensichtlichkeit möglich; im Zweifel sind Beweiserhebungen durchzuführen[8]. Gemäss dem Verfolgungszwang nach Art. 7 Abs. 1 StPO sind die Strafbehörden verpflichtet, im Rahmen ihrer Zuständigkeit ein Verfahren einzuleiten und durchzuführen, wenn ihnen Straftaten oder auf Straftaten hinweisende Verdachtsgründe bekannt werden. Steht die Einleitung eines Vorverfahrens[9] in Frage, muss ein Anfangsverdacht genügen. Ein solcher ist bereits dann anzunehmen, wenn Anzeichen auf eine strafbare Handlung hindeuten, wenn also eine gewisse Wahrscheinlichkeit strafbaren Verhaltens besteht. Im Zweifel ist immer ein Verfahren einzuleiten. Wie den Strafbehörden der entsprechende Verdacht bekannt wurde, bleibt ohne Belang; eine Strafanzeige ist nicht vorausgesetzt[10]. Eine Nichtanhandnahme hat nur zu erfolgen, wenn feststeht, dass die fraglichen Straftatbestände eindeutig nicht erfüllt sind. Andernfalls ist eine Untersuchung zu eröffnen und das Vorverfahren fortzusetzen, bis über dessen Fortgang ein begründeter Entscheid möglich ist[11].

3.3.

Aus den Erwägungen der Staatsanwaltschaft im angefochtenen Entscheid und aus ihren Ausführungen in der Beschwerdeantwort ergibt sich, dass sie die Strafuntersuchung betreffend ungetreue Geschäftsbesorgung beziehungsweise die Tatvorwürfe, die unter den Straftatbestand der ungetreuen Geschäftsbesorgung nach Art. 158 Ziff. 1 StGB fallen sollen oder können, nicht anhand nahm, weil sie einen hinreichenden Tatverdacht verneinte. Die Frage ist somit, ob sich aus den Akten keine deliktsrelevanten Anhaltspunkte ergeben, die mit Untersuchungshandlungen zu vertiefen wären.

4.

Gemäss Art. 158 Ziff. 1 Abs. 1 StGB wird wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft, wer aufgrund des Gesetzes, eines behördlichen Auftrags oder eines Rechtsgeschäfts damit betraut ist, Vermögen eines anderen zu verwalten oder eine solche Vermögensverwaltung zu beaufsichtigen, und dabei unter Verletzung seiner Pflichten bewirkt oder zulässt, dass der andere am Vermögen geschädigt wird. Handelt der Täter in der Absicht, sich oder einen anderen unrechtmässig zu bereichern, kann gestützt auf Art. 158 Ziff. 1 Abs. 3 StGB auf Freiheitsstrafe von einem bis zu fünf Jahren erkannt werden.

4.1.

Der Tatbestand von Art. 158 StGB schützt fremdes Vermögen, welches über Vertrauensmissbrauch angegriffen wird[12]. Der Tatbestand von Art. 158 Ziff. 1 StGB kennt vier Voraussetzungen, nämlich die Eigenschaft als Geschäftsführer, die Verletzung einer damit zusammenhängenden Pflicht, aus welcher ein Vermögensschaden resultiert, sowie Vorsatz hinsichtlich dieser Elemente[13].

4.1.1.

Geschäftsführer im Sinn von Art. 158 StGB ist, wer in tatsächlich oder formell selbstständiger und verantwortlicher Stellung im Interesse eines anderen für einen nicht unerheblichen Vermögenskomplex zu sorgen hat. Die Stellung als Geschäftsführer fordert ein hinreichendes Mass an Selbstständigkeit, mit der dieser über das fremde Vermögen oder über wesentliche Bestandteile desselben, über Betriebsmittel oder das Personal eines Unternehmens verfügen kann. Der Tatbestand ist namentlich anwendbar auf selbstständige Geschäftsführer sowie auf operationell leitende Organe von juristischen Personen beziehungsweise Kapitalgesellschaften. Geschäftsführer ist aber auch, wem die Stellung nur faktisch zukommt und ihm nicht formell eingeräumt worden ist[14].

4.1.2.

Die im Gesetz nicht näher umschriebene Tathandlung der ungetreuen Geschäftsbesorgung besteht in der Verletzung jener spezifischen Pflichten, die den Täter in seiner Stellung als Geschäftsführer generell, aber auch bezüglich spezieller Geschäfte zum Schutz des Auftraggebers beziehungsweise des Geschäftsherrn treffen. Die entsprechenden Pflichten ergeben sich aus dem jeweiligen Grundverhältnis[15]. Die Pflichtwidrigkeit lässt sich nicht für jede konkrete Situation dem Gesetz entnehmen; sie muss vielmehr unter Berücksichtigung einer Vielzahl von Kriterien für den Einzelfall und unter Berücksichtigung der konkreten Umstände festgelegt werden[16]. Massgebliche Grundlage bilden insbesondere gesetzliche und vertragliche Bestimmungen, aber auch Statuten, Reglemente oder Beschlüsse der Generalversammlung, der Gesellschaftszweck oder branchenspezifische Usanzen[17].

Als pflichtwidrig bezeichnete das Bundesgericht etwa die Gewährung von Darlehen ohne Gegenleistung oder das Selbstkontrahieren beziehungsweise eine Interessenkollision als Geschäftsführer der einen Vertragspartei und als Verwaltungsrat oder Mehrheitsaktionär der anderen Partei bei einem Geschäft, das einseitig enorme, wirtschaftlich nicht zu rechtfertigende Kosten und Risiken enthielt[18]. Pflichtwidrig handelt zudem, wer als Geschäftsführer einer Handelsgesellschaft wissentlich einen geschäftsmässig unbegründeten Aufwand verursacht, wobei dem Geschäftsführer bei der Frage, welcher Aufwand geschäftsmässig begründet ist, ein gewisser Spielraum des Ermessens zusteht[19].

4.1.3.

Der Tatbestand setzt einen Vermögensschaden voraus. Ein solcher kann in einer tatsächlichen Schädigung durch Verminderung der Aktiven, Vermehrung der Passiven, Nicht-Verminderung der Passiven oder Nicht-Vermehrung der Aktiven liegen. Ein Schaden liegt bereits vor, wenn das Vermögen in einem Mass gefährdet wird, dass es in seinem wirtschaftlichen Wert vermindert ist. Dies ist der Fall, wenn der Gefährdung im Rahmen einer sorgfältigen Bilanzierung durch Wertberichtigung oder Rückstellung Rechnung getragen werden muss. Zwischen der Verletzung der Treuepflicht und dem Vermögensschaden muss ein Kausalzusammenhang bestehen[20]. Eine vorübergehende Schädigung genügt[21]. Das blosse Prozessrisiko reicht allerdings nicht zur Begründung eines Schadens aus[22].

4.1.4.

In subjektiver Hinsicht erfordert der Tatbestand der ungetreuen Geschäftsbesorgung Vorsatz. Dieser muss sich auf die Pflichtwidrigkeit des Handelns oder Unterlassens, die Vermögensschädigung und den Kausalzusammenhang zwischen dem pflichtwidrigen Verhalten und dem Schaden beziehen. Eventualvorsatz genügt, wobei an dessen Nachweis angesichts der relativen Unbestimmtheit des objektiven Tatbestands hohe Anforderungen zu stellen sind. Der qualifizierte Treubruchtatbestand gemäss Art. 158 Ziff. 1 Abs. 3 StGB setzt die Absicht unrechtmässiger Bereicherung voraus; Eventualabsicht genügt[23].

4.2.

Strittig ist im Beschwerdeverfahren die Beurteilung des objektiven Tatbestandsmerkmals der Tathandlung. Damit ergibt sich zusammengefasst als entscheidende Frage für das Beschwerdeverfahren, ob sich aus den Akten keine Anhaltspunkte für eine Tathandlung im Sinn von Art. 158 Ziff. 1 StGB ergeben, oder ob solche zu bejahen sind, womit ein hinreichender Tatverdacht für eine Eröffnung einer Strafuntersuchung gegeben wäre.

4.3.

Weil es in diesem Fall um das Handeln von Mitgliedern des Verwaltungsrats einer Aktiengesellschaft geht, ist insbesondere der einschlägige Art. 717 Abs. 1 OR über die Sorgfalts- und Treuepflicht als grundlegender Beurteilungsmassstab zu beachten. Zusätzlich sind allenfalls die Statuten mit dem Gesellschaftszweck und Reglemente der Beschwerdeführerin sowie Usanzen in der Immobilienbranche zu berücksichtigen.

4.3.1.

Art. 717 Abs. 1 OR verlangt von Mitgliedern des Verwaltungsrats und Geschäftsführerinnen und Geschäftsführern, dass sie ihre Aufgaben mit aller Sorgfalt erfüllen und die Interessen der Gesellschaft in guten Treuen wahren. Die Treuepflicht der Organe von Gesellschaften besteht grundsätzlich gegenüber der Gesellschaft, nicht gegenüber deren Aktionären[24]. Die Verwaltungsräte haben ihr Handeln somit am Gesellschaftsinteresse zu messen, nicht am Interesse einzelner Aktionäre. Das Gesellschaftsinteresse wird als selbstständige, durch den Verwaltungsrat im Rahmen der von der Generalversammlung vorgegebenen Leitplanken definierte Verhaltensweise ohne normativen Charakter verstanden. Als Richtschnur für die Beachtung des Gesellschaftsinteresses ist in erster Linie der statutarische Zweck zu berücksichtigen, wobei im Rahmen der Zweckverfolgung insbesondere für eine nachhaltige Steigerung des Unternehmenswertes und damit des "Shareholder Value" zu sorgen ist. Zunehmend an Relevanz gewinnt die aus dem amerikanischen Rechtskreis und der "Shareholder- versus Stakeholder-Doktrin entstammende Corporate Social Responsibility"[25]. Nach dieser haben die (volkswirtschaftlich bedeutenden) Unternehmen nicht nur die gesetzlichen Normen einzuhalten und die (finanziellen) Interessen der Aktionäre zu wahren, indem sie für Letztere einen Mehrwert schaffen; sie sind daneben auch dazu verpflichtet, sich sozialverantwortlich und umweltverträglich zu verhalten[26]. Die Interessen der Gesellschaft und der Aktionäre decken sich wohl häufig, insbesondere soweit es um eine nachhaltige Steigerung des Unternehmenswertes geht, aber nicht immer. Gar besondere Sorgfalt ist dort angezeigt, wo Interessen der Aktionäre ein Geschäft diktieren[27]. Insbesondere haben Aktionäre kein Weisungsrecht gegenüber dem Verwaltungsrat, auch nicht Alleinaktionäre. Der Verwaltungsrat arbeitet und entscheidet selbstständig nach den gesetzlichen, statutarischen und reglementarischen Vorgaben, welche die Generalversammlung im entsprechenden Verfahren vorgegeben hat. Der Verwaltungsrat haftet entsprechend[28]. Laut Bundesgericht ist die Aktiengesellschaft auch in der Form der Einpersonen-AG selbstständige Vermögensträgerin, und ihr Vermögen ist nicht nur nach aussen, sondern auch im Verhältnis zu den einzelnen Gesellschaftsorganen ein fremdes. Die Einpersonen-AG ist auch für den Alleinaktionär jemand anderer. Handlungen des Verwaltungsrats zum Nachteil der Einpersonen-AG können den Tatbestand der ungetreuen Geschäftsbesorgung auch dann erfüllen, wenn der Alleinaktionär darin einwilligt[29]. Das heisst, die Befolgung von Weisungen des Alleinaktionärs kann tatbestandsmässig sein.

4.3.2.

Nach Rechtsprechung und Lehre ist der Sorgfaltsmassstab zu objektivieren: Das Verhalten eines Verwaltungsratsmitglieds wird mit dem Verhalten verglichen, das billigerweise von einer abstrakt vorgestellten, vernunftgemäss handelnden Person in einer vergleichbaren Situation erwartet werden kann. Die Sorgfalt richtet sich nach dem Recht, dem Wissensstand und den Massstäben im Zeitpunkt der fraglichen Handlung oder Unterlassung. Bei der Beurteilung von Sorgfaltspflichtverletzungen hat mithin eine Ex-post-Betrachtung stattzufinden. Die Sorgfalt eines Verwaltungsratsmitglieds richtet sich somit nach dem Wissenstand im Zeitpunkt der fraglichen Handlung oder Unterlassung, wobei wiederum als Wissenstand das anzunehmen ist, was sorgfältige Verwaltungsratsmitglieder wissen müssten und könnten[30]. Deshalb ist bei einer nachträglichen, materiellen Überprüfung von Geschäftsentscheiden durch den Richter zumindest dann grösste Zurückhaltung angebracht, wenn die getroffenen Entscheide in einem einwandfreien, auf einer angemessenen Informationsbasis und von Interessenkonflikten freien Entscheidungsprozess zu Stande gekommen sind[31].

5.

5.1.

Im Zusammenhang mit den dargelegten Grundsätzen zur Treuepflicht und dem Sorgfaltsmassstab ist in diesem Beschwerdeverfahren zu beachten, dass es hier nicht um eine richterliche Beurteilung eines vollständig ermittelten Sachverhalts geht, sondern um eine Beurteilung nach dem Grundsatz "in dubio pro duriore"[32] in einem Verfahrensstadium vor jeglichen Ermittlungshandlungen. Es geht nur um die Prüfung, ob klarerweise keine Anhaltspunkte für eine strafbare Treuepflichtverletzung eines Geschäftsführers vorliegen. Nur dann war die Nichtanhandnahme zulässig.

5.2.

Weil – wie dargelegt – der Verwaltungsrat der Gesellschaft und nicht dem einzelnen Aktionär verpflichtet ist, ist der Einwand der Beschwerdeführerin unzutreffend, der Beschwerdegegner habe sorgfaltswidrig gehandelt, indem er entgegen den Interessen und Weisungen des Alleinaktionärs der Beschwerdeführerin gehandelt habe. Auch wenn er Alleinaktionär ist, hat er kein direktes Weisungsrecht gegenüber dem Verwaltungsrat; auch für ihn gelten die gesellschaftsrechtlichen Vorgaben. Wenn er mit der Strategie oder Taktik des Verwaltungsrats oder einzelner Mitglieder des Verwaltungsrats nicht einverstanden ist, stehen ihm via Generalversammlung, in der er die Mehrheit hat, einschlägige Möglichkeiten offen, bis hin zur Abwahl und Neubesetzung des Verwaltungsrats. Zudem hat ein Alleinaktionär die Möglichkeit, sich jederzeit von der Generalversammlung in den Verwaltungsrat wählen zu lassen.

Ein allfälliges Nichtbefolgen von Weisungen des Alleinaktionärs kann somit nicht "per se" als Sorgfaltspflichtverletzung qualifiziert werden. Soweit die Beschwerdeführerin mit Interessen des Alleinaktionärs argumentiert, ist allerdings zu prüfen, ob es sich dabei auch um Interessen der Gesellschaft handelt. Ob im gegebenen Fall eine verdachtsweise tatbestandsmässige Sorgfaltspflichtverletzung gegeben ist, wäre in einem zweiten Schritt zu untersuchen.

Der Vollständigkeit halber ist anzufügen, dass die Beschwerdeführerin nicht behauptet, der Beschwerdegegner sei fiduziarischer Interessenvertreter des Alleinaktionärs im Verwaltungsrat und habe sich als solcher verpflichtet, nach Weisungen des Alleinaktionärs zu handeln[33].

5.3.

5.3.1.

Die in der Beschwerdebegründung "entgegen den Interessen und Weisungen des Geschäftsherrn" konkret geltend gemachten sorgfaltspflichtwidrigen Handlungen (beziehungsweise Unterlassungen) betreffen die Vereinbarung einer Fristverlängerung für die restliche Kaufpreiszahlung von Fr. 9,2 Mio. gegen Zahlung von Fr. 500'000.00 ("Strafzahlung") und deren Überweisung. Diese Zahlung wirkt sich direkt auf das Vermögen und damit die Interessen der Beschwerdeführerin (und nicht nur die des Alleinaktionärs) aus. Die gerügten Pflichtverletzungen stehen im Zusammenhang mit dem Immobiliengeschäft gemäss Kaufvertrag der Beschwerdeführerin mit der A AG über ein Grundstück zum Preis von Fr. 11,5 Mio. Gemäss Kaufvertrag waren Fr. 9,2 Mio. beim Grundbucheintrag – nicht "erst nach dem Grundbucheintrag", wie in der Beschwerdebegründung behauptet – zu bezahlen. Der Grundbucheintrag hat spätestens einen Monat nach dem schriftlich angezeigten Bezugstermin zu erfolgen; dieser ist mindestens vier Monate im Voraus anzuzeigen, wobei Antritt und Grundbucheintrag spätestens per 30. November 2020 vereinbart waren. Kleinere Fertigstellungsarbeiten und Mängel an den Kaufobjekten, welche die Gebrauchsfähigkeit nicht wesentlich beeinträchtigen, sowie Fertigstellung der Umgebungsarbeiten hindern die Bezugsbereitschaft nicht und berechtigen die erwerbende Partei nicht zur Aufschiebung des Besitzantritts oder zu einem Kaufpreisrückbehalt beziehungsweise zur Verrechnung.

Weil die Beschwerdeinstanz mangels Edition durch die Staatsanwaltschaft nicht über die Beilagen zur Strafanzeige verfügt, ist es nicht leicht, sich einen Überblick über die Ausgangslage zu beschaffen. Das Schreiben der A AG vom 30. November 2020 – vom Beschwerdegegner für die Beschwerdeführerin gleichentags eingesehen, für richtig befunden und unterzeichnet – erörtert einleitend die Schlusszahlung von Fr. 9,2 Mio. und den Antritt gemäss der weiteren Kaufvertragsbestimmungen; der Innenausbau in den Wohnungen und Büroflächen sei auf Wunsch der Käuferschaft (Beschwerdeführerin) noch nicht fertig ausgebaut. Die noch zu leistenden Arbeiten seien auf Wunsch der Käuferschaft in Eigenregie ausgeführt und auch bestellt worden. Die selbst ausgewählten Küchen seien ebenfalls von Seiten der Käuferschaft noch nicht abgerufen. Die Schlusszahlung sei mehrmals versprochen, aber nicht geleistet worden. Die Käuferschaft werde hiermit in Verzug gesetzt. Gestützt auf Art. 107 OR wurde eine Nachfrist bis zum 15. Dezember 2020 angesetzt, unter der Androhung des Vertragsrücktritts bei Nichtleistung gemäss Art. 158 Abs. 3 OR sowie unter Verweis auf das Reuegeld gemäss Ziff. 13 des Kaufvertrags, gemäss dem die Anzahlung von Fr. 2,3 Mio. einbehalten werde. Laut dem Schreiben der A AG vom 31. Dezember 2020 – vom Beschwerdegegner für die Beschwerdeführerin ebenfalls eingesehen und für richtig befunden – wurde eine zusätzliche Zahlung von Fr. 500'000.00 der Beschwerdeführerin an die A AG für eine letzte Fristerstreckung zur Erfüllung des Kaufvertrags bis zum 31. Januar 2021 vereinbart, die bei Vertragserfüllung vom Kaufpreis nicht in Abzug gebracht werde.

Die Beschwerdeführerin stellt sich auf den Standpunkt, die Zahlung von Fr. 9,2 Mio. sei gar noch nicht fällig gewesen, weil die Kaufobjekte nicht bezugsbereit gewesen seien, weil noch viele Mängel vorgelegen hätten und weil wesentliche Arbeiten in Bezug auf Boden und Küche nicht fertiggestellt worden seien. Um die Zusatzzahlung von Fr. 500'000.00 für den Zahlungsaufschub zu finanzieren, habe der Beschwerdegegner für die Beschwerdeführerin am 30. Dezember 2020 ein Darlehen zu Wucherkonditionen aufgenommen (Fr. 400'000.00 mit einer Rückzahlungsfrist von zwei Monaten zu einem festen Zins von Fr. 25'000.00, entsprechend 37,5% p.a., mit einem monatlichen Verzugszins von 3%, entsprechend 36% p.a.).

In der Strafanzeige wird für die Mängel (welche die Fälligkeit nicht eintreten lassen sollen) auf eine Mängelauflistung in der Beilage 12 verwiesen. Da die Beschwerdeinstanz diese Beilagen nicht kennt, kann sie nur vermuten, um welches im Beschwerdeverfahren eingereichte Dokument es sich dabei handeln könnte. Es dürfte das "Protokoll X" sein, erstellt von der B AG. In diesem Protokoll werden auf fünf Seiten unter 13 Positionen detailliert Mängel beziehungsweise nicht fertiggestellte Arbeiten aufgelistet. Dabei geht es um Heizkörper, die fehlen oder neu positioniert werden müssen, um nicht fertigverputzte Wände, um Mängel im Treppenhaus, um nicht fertiggestellte Elektroarbeiten, um nicht fertigmontierte oder noch nicht gelieferte Küchen, um nicht montierte Türen, um nicht erfolgte Isolationen und um fehlende Duschgläser.

Das ist (vermutungsweise) die Ausgangslage, wie sie sich der Staatsanwaltschaft präsentierte.

5.3.2.

Diese Ausgangslage enthält durchaus Anhaltspunkte dafür, dass das Verhalten des Beschwerdegegners für die Beschwerdeführerin, insbesondere für deren Vermögen, nicht von Vorteil, sondern schädlich war. Vorab geht es um die grundsätzliche Frage, ob die von der A AG geforderte Restzahlung von Fr. 9,2 Mio. fällig war. Wenn man auf das genannte Protokoll abstellt – und es gibt aufgrund der bekannten Akten und den Ausführungen der Parteien keinen Grund, dies nicht zu tun – war die Bezugsbereitschaft der Wohnungen verdachtsweise nicht gegeben. Wenn dem so gewesen sein sollte, fehlte es (auch) an einer Voraussetzung für die Fälligkeit der restlichen Kaufpreiszahlung. Dementsprechend hätte sich der Beschwerdegegner gegen die Forderung der A AG wehren müssen, statt schriftlich sein Einverständnis für den Verzug zu erklären. Wenn die Kaufpreisforderung der A AG mangels Fälligkeit (noch) nicht berechtigt war, hätte sich das offenbar bei der Beschwerdeführerin bestehende Problem zur Finanzierung dieser Forderung zumindest damals noch nicht gestellt. Entsprechend wäre eine Vereinbarung über eine kostspielige Fristverlängerung (Fr. 500'000.00) für die Kaufpreiszahlung (Aufschub der Fälligkeit) nicht nötig gewesen. Dementsprechend hätte auch damals zu dieser Finanzierung noch kein Darlehen von Fr. 400'000.00 mit einem horrenden Jahreszinssatz von 37,5% und einem Verzugszins von 36% pro Jahr aufgenommen werden müssen.

5.3.3.

Damit sind einstweilen genügend Anhaltspunkte für einen Verdacht auf eine zivilrechtliche Sorgfaltspflichtverletzung im Sinn von Art. 717 Abs. 1 OR und damit auch eine strafrechtliche Treuepflichtverletzung im Sinn von Art. 158 Ziff. 1 StGB gegeben.

5.3.4.

5.3.4.1.

Der pauschale Einwand der Staatsanwaltschaft in der angefochtenen Verfügung, es handle sich primär um eine zivilrechtliche Angelegenheit, und die Sache müsse zuerst zivilprozessual geklärt werden, überzeugt nicht. Eine Partei ist grundsätzlich frei, wie sie in einem Fall mit zivilrechtlichen und strafrechtlichen Aspekten und Möglichkeiten gemäss den einschlägigen materiellen und verfahrensrechtlichen Vorgaben vorgeht. Sie hat die Wahl, zivilrechtlich und strafrechtlich, nur zivilrechtlich oder nur strafrechtlich vorzugehen, und sie bestimmt die Reihenfolge der einzuleitenden Schritte. Wirtschaftsstraffälle, mit denen es die Staatsanwaltschaft zu tun bekommt, zeichnen sich gerade dadurch aus, dass sie häufig mehr oder weniger starke zivilrechtliche Aspekte beinhalten.

5.3.4.2.

Die Staatsanwaltschaft führt in der Nichtanhandnahmeverfügung lediglich pauschal aus, ob die Vereinbarung einer Strafzahlung geschäftsmässig nicht begründet gewesen sei, und ob der Beschwerdegegner eine Nichtschuld habe zahlen lassen, ergebe sich nicht aus den Akten. Wenn indessen mutmasslich ein Verwaltungsrat in Kenntnis der drohenden Finanzierungsprobleme Mängel nicht geltend macht, auf Leistungen verzichtet, damit die Fälligkeit eintreten lässt, diese schriftlich anerkennt, danach eine halbe Million Franken bezahlt für zwei Monate Zahlungsfrist und dies mit horrenden Darlehenszinsen finanziert, liegen "prima vista" Anhaltspunkte für eine Sorgfaltspflichtverletzung beziehungsweise für geschäftsmässig nicht begründete Vermögensdispositionen vor.

5.3.4.3.

Soweit die Staatsanwaltschaft in der angefochtenen Verfügung von fehlenden Anhaltspunkten für eine unrechtmässige Verwendung der dem Beschwerdegegner anvertrauten Vermögenswerte spricht, geht sie am Thema vorbei. Es geht hier um die dargestellten Handlungen beziehungsweise Unterlassungen[34].

5.3.4.4.

Unbehelflich ist die Argumentation der Staatsanwaltschaft mit der Beeinträchtigung der Gebrauchsfähigkeit der Kaufobjekte. Der dargestellte Tatverdacht basiert nicht auf einem allfälligen Minderwert der Kaufobjekte, sondern auf einem potentiellen Vermögensschaden durch die Bestätigung der Fälligkeit der restlichen Kaufpreisforderung, der damit verbundenen Strafzahlung von Fr. 500'000.00 und den horrenden Zinsen für das Darlehen zur Finanzierung der Strafzahlung.

5.3.4.5.

Nicht überzeugend ist auch das Argument bezüglich des Wunsches der Beschwerdeführerin, noch zu leistende Arbeiten in Eigenregie auszuführen. Dieser Wunsch beziehungsweise dieser Verzicht der Beschwerdeführerin ist zwar durch das Schreiben der A AG vom 30. November 2020, mitunterzeichnet vom Beschwerdegegner für die Beschwerdeführerin, belegt. Die Grundproblematik für die Beschwerdeführerin und das fragwürdige Verhalten des Beschwerdegegners für die Beschwerdeführerin bestehen aber auch hier darin, dass verdachtsweise kein plausibler Grund ersichtlich ist, weshalb die Beschwerdeführerin – ohne jegliche Gegenleistung – auf vertraglich vereinbarte Leistungen der A AG hätte verzichten sollen, und dies erst noch im Hinblick auf die Finanzierungsprobleme bei Fälligkeit der Restkaufpreiszahlung; diese Probleme wären noch nicht aufgetreten, wenn die Beschwerdeführerin darauf bestanden hätte, dass die A AG ihre vertraglich vereinbarten Leistungen voll und ganz erbringt, weil ohne diese Leistungen keine Bezugsbereitschaft und damit keine Fälligkeit eingetreten wäre. Die Ausführungen der Staatsanwaltschaft zur Fristverlängerungsvereinbarung gegen eine Strafzahlung von Fr. 500'000.00 blenden ebenfalls aus, dass eine solche Vereinbarung zumindest im damaligen Zeitpunkt noch nicht nötig gewesen wäre, wenn die Fälligkeit – verdachtsweise – vom Beschwerdegegner für die Beschwerdeführerin nicht anerkannt worden wäre.

5.4.

Zusammengefasst kann damit gestützt auf die Strafanzeige und die vorhandenen Unterlagen nicht gesagt werden, das Verhalten des Beschwerdegegners als Geschäftsführer im Sinn von Art. 158 Ziff. 1 StGB für die Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit dem Immobilienkauf falle sicher nicht unter den Tatbestand der ungetreuen Geschäftsbesorgung. Vielmehr liegen Anhaltspunkte für eine tatbestandsmässige Treuepflichtverletzung vor. Die Staatsanwaltschaft kommt nicht umhin, näher abzuklären, warum der Beschwerdegegner so handelte, wie er dies verdachtsweise aufgrund der vorhandenen Unterlagen tat. Dabei interessiert insbesondere, weshalb er verdachtsweise auf vertraglich geschuldete Leistungen verzichtete, trotz verdachtsweise nicht gegebener Bezugsbereitschaft die Fälligkeit anerkannte und verdachtsweise derart horrende Zinszahlungen für das Darlehen zur Finanzierung der Strafzahlung akzeptierte. Es ist weiter abzuklären, was der Beschwerdegegner (der Verwaltungsrat) für eine ordentliche Finanzierung unternahm, zumal seit Beginn dieses Immobilienprojekts klar war, dass es eine solche ordentliche Finanzierung braucht. Ferner ist zu untersuchen, was vorgekehrt wurde, um Stockwerkeigentumseinheiten zu verkaufen und die Zahlungen beziehungsweise Anzahlungen der Käufer zur Finanzierung zu verwenden, oder was unternommen wurde, um Kredite von Finanzdienstleistern zu erhalten, beziehungsweise was schief lief, falls solche Kredite nicht erhältlich waren.

5.5.

Weil die Staatsanwaltschaft im Dispositiv nicht einzelne Lebenssachverhalte und einzelne Tatvorwürfe nicht anhand nahm, sondern pauschal Straftatbestände gemäss Strafanzeige[35], ist der Entscheid als solcher aufzuheben. Es ist nicht Aufgabe der Beschwerdeinstanz, diese Tatvorwürfe einzeln auseinander zu nehmen, um allenfalls einen Teil der angefochtenen Nichtanhandnahmeverfügung bestehen zu lassen. Die Staatsanwaltschaft wird diese ihr obliegende Aufgabe mit der Erledigung der zurückgewiesenen Sache nachholen. Immerhin kann zu Handen der Staatsanwaltschaft und der übrigen Parteien festgehalten werden, dass Tatvorwürfe (Lebenssachverhalte), die sich von den mit der Beschwerde angefochtenen Tatvorwürfen im Hinblick auf den Straftatbestand der ungetreuen Geschäftsbesorgung klar unterscheiden lassen, nicht weiter untersucht werden müssen, weil sie nicht angefochten wurden. Der Staatsanwaltschaft ist es deshalb auch unbenommen, zumindest insofern – bezogen auf die entsprechenden einschlägigen Lebenssachverhalte beziehungsweise Tatvorwürfe – eine neue Nichtanhandnahmeverfügung zu erlassen, wenn sie dies vorziehen will.

6.

Zusammengefasst ist die Beschwerde zu schützen. Der angefochtene Entscheid wird aufgehoben, und die Sache wird zur Eröffnung und Durchführung einer Strafuntersuchung im Sinn der Erwägungen an die Staatsanwaltschaft zurückgewiesen. […]

Obergericht, 2. Abteilung, 9. März 2023, SW.2022.89


[1]    RBOG 2020 Nr. 30 Erw. 1.c

[2]   BGE vom 20. Dezember 2017, 6B_541/2017, Erw. 2.2; BGE vom 13. Februar 2017, 6B_831/2016, Erw. 2.1.1; vgl. BGE 137 III 287 f.

[3]   Landshut/Bosshard, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung (Hrsg.: Donatsch/Lieber/Summers/Wohlers), 3.A., Art. 310 N. 4

[4]  Omlin, Basler Kommentar, 2.A., Art. 310 StPO N. 6 und 8 ff.; Schmid, Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, 2.A., N. 1231; Schmid/Jositsch, Schweizerische Strafprozessordnung, Praxiskommentar, 3.A., Art. 310 N. 2

[5]    BGE 137 IV 288

[6]    Riedo/Fiolka, Basler Kommentar, 2.A., Art. 6 StPO N. 64

[7]    Riedo/Fiolka, Art. 6 StPO N. 64

[8]    Erw. 3.1; Riedo/Fiolka, Art. 6 StPO N. 36

[9]    Art. 300 StPO

[10]  Riedo/Fiolka, Art. 7 StPO N. 22

[11]  Riedo/Fiolka, Art. 7 StPO N. 23 mit Verweis auf Art. 309 und Art. 299 Abs. 2 StPO

[12]  Niggli, Basler Kommentar, 4.A., Art. 158 StGB N. 9

[13]  Niggli, Art. 158 StGB N. 11; Trechsel/Crameri, in: Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar (Hrsg.: Trechsel/Pieth), 4.A., Art. 158 N. 1

[14]  BGE 142 IV 350

[15]  BGE 142 IV 350

[16]  Donatsch, Strafrecht III, 11.A., S. 321; vgl. Niggli, Art. 158 StGB N. 61

[17]  BGE vom 22. Juni 2017, 6B_1231/2016, Erw. 4.2; Niggli, Art. 158 StGB N. 62 (mit Kasuistik ab N. 63)

[18]  Niggli, Art. 158 StGB N. 86 und 88

[19]  BGE vom 26. November 2021, 6B_85/2021, Erw. 14.3.2.1

[20]  BGE 142 IV 350

[21]  Niggli, Art. 158 StGB N. 130; Trechsel/Crameri, Art. 158 StGB N. 12; Scheidegger/von Wurstemberger, Commentaire Romand, Basel 2017, Art. 158 StGB N. 53; BGE vom 17. November 2017, 6B_136/2017, Erw. 4.1

[22]  Niggli, Art. 158 StGB N. 133

[23]  BGE 142 IV 351

[24]  Niggli, Art. 158 StGB N. 62

[25]  Watter/Roth Pellanda, Basler Kommentar, 5.A., Art. 717 OR N. 16

[26]  Watter/Roth Pellanda, Art. 717 OR N. 16 mit Verweis auf BGE 100 II 393

[27]  Watter/Roth Pellanda, Art. 717 OR N. 11

[28]  Art. 752 ff. OR, insbesondere Art. 754 OR

[29]  BGE 141 IV 104 (Regeste)

[30]  Watter/Roth Pellanda, Art. 717 OR N. 6 mit dem zutreffenden Hinweis, dass vom Richter im Verantwortlichkeitsprozess zu beachten ist, dass man im Nachhinein stets klüger ist. Dies gilt auch im Strafverfahren.

[31]  BGE 139 III 26; Watter/Roth Pellanda, Art. 717 OR N. 5 f.

[32] "Im Zweifel für das Härtere", das heisst die Eröffnung und Durchführung einer Strafuntersuchung

[33]  Diese Konstellation kann zu Problemen führen; unbestritten ist indessen, dass im Kollisionsfall die Interessen der Gesellschaft vorgehen (vgl. Watter/Roth Pellanda, Art. 717 OR N. 17a).

[34]  Zusammengefasst in Erw. 5.3.4.2

[35]  Erw. 1.3


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