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RBOG 2024 Nr. 18

Keine richterliche Erläuterung eines Vergleichs, der nicht der gerichtlichen Genehmigung unterliegt

Art. 241 ZPO Art. 334 Abs. 1 ZPO

Zusammenfassung des Sachverhalts:

1.

In einer Forderungsstreitigkeit schlossen die Parteien unter Mitwirkung des Bezirksgerichts am 7. November 2022 einen Vergleich ab. In Ziffer 2 des Vergleichs verpflichtete sich die Berufungsklägerin, dem Berufungsbeklagten EUR 62'000.00 zuzüglich 10% Zins zu bezahlen. In Ziffer 8 des Vergleichs wurde der Berufungsbeklagte für berechtigt erklärt, den Vergleich mit schriftlicher Erklärung gegenüber dem Gericht zu widerrufen, falls die Erstzahlung gemäss dem Vergleich nicht fristgerecht eingeht.

2.

Die Berufungsklägerin leistete die erste Rate fristgerecht. Uneinigkeit bestand jedoch über den Beginn des Zinsenlaufes. Das Bezirksgericht schrieb in der Folge die Streitsache zufolge Vergleichs der Parteien vom 7. November 2022 als erledigt am Protokoll ab und nahm den Wortlaut des Vergleichs in Ziffer 1 des Dispositivs auf. In Ziffer 2 des Dispositivs erkannte es im Sinn einer Erläuterung, dass der Zinsenlauf am 19. Oktober 2020 beginne. Dagegen wehrte sich die Berufungsklägerin und verlangte als Beginn des Zinsenlaufes den 7. November 2022.

Aus den Erwägungen:

[…]

5.

5.1.

5.1.1.

Wird ein Vergleich dem Gericht zu Protokoll gegeben, so haben die Parteien gemäss Art. 241 Abs. 1 ZPO das Protokoll zu unterzeichnen. Ein Vergleich hat die Wirkung eines rechtskräftigen Entscheids[1]. Das Gericht schreibt das Verfahren ab[2].

5.1.2.

Art. 241 Abs. 2 ZPO kann gemäss dem Bundesgericht als Fiktion aufgefasst werden, das heisst als unwiderlegbare gesetzliche Gleichsetzung einer prozessualen Handlung der Parteien mit einem gerichtlichen Entscheid. Der auf den Klagerückzug folgende Abschreibungsbeschluss im Sinn von Art. 241 Abs. 3 ZPO ist demgegenüber deklaratorischer Natur, beurkundet die Prozess­erledigung aber im Hinblick auf die Vollstreckung[3]. Daraus folgt, dass wenn die Vergleichs­gespräche erfolgreich sind, das Verfahren ohne gerichtlichen Entscheid erledigt wird. Demnach stellen die Vergleichsgespräche keinen Schritt auf dem Weg zur gerichtlichen Entscheidung über den Streitgegenstand dar, zumal ihr Inhalt nicht protokolliert wird und einem allfälligen Entscheid des Gerichts nicht zugrunde gelegt werden darf[4].

Beim Abschreibungsbeschluss handelt es sich laut Bundesgericht um einen rein deklaratorischen Akt, weil bereits der Vergleich als solcher den Prozess unmittelbar beendet. Der Abschreibungsbeschluss beurkundet den Prozesserledigungsvorgang im Hinblick auf die Vollstreckung des Vergleichs, erfolgt aber abgesehen davon der guten Ordnung halber. Nach zutreffender Auffassung steht gegen den Abschreibungsbeschluss als solchen kein Rechtsmittel zu Verfügung. Der Abschreibungsbeschluss bildet mithin kein Anfechtungsobjekt, das mit Berufung oder Beschwerde nach der Zivilprozessordnung angefochten werden könnte. Lediglich der darin enthaltene Kostenentscheid ist anfechtbar (Art. 110 ZPO)[5]. Der gerichtliche Vergleich selbst hat zwar die Wirkung eines rechtskräftigen Entscheids, kann aber einzig mit Revision nach der Zivilprozessordnung angefochten werden (Art. 328 Abs. 1 lit. c ZPO). In Bezug auf materielle oder prozessuale Mängel des Vergleichs ist die Revision mithin primäres und ausschliessliches Rechtsmittel[6]. Gegen einen Vergleich stehen weder die Berufung und Beschwerde nach der Zivilprozessordnung noch die Beschwerde nach dem Bundesgerichtsgesetz offen[7].

Zusammenfassend heisst dies, der Vergleich beendet den Prozess unmittelbar und wird einem rechtskräftigen Entscheid gleichgestellt. Die darauf gestützte Abschreibung hat nur (noch) deklaratorische Bedeutung – das formelle Prozessverfahren als ʺleere Hülleʺ muss (noch) abgeschrieben werden, da der Streitgegenstand nicht mehr umstritten ist. Lediglich die Kostenfolge bedarf noch einer Entscheidung. Das ist das sogenannte Berner Modell[8], für das sich das Bundesgericht, wie vorerwähnt, ausgesprochen beziehungsweise entschieden hat[9].

5.2.

Der Vergleich wird nach den allgemeinen Auslegungsregeln gemäss Art. 18 OR beurteilt. Massgebend ist im ersten Prüfungsschritt, ob ein übereinstimmender wirklicher Parteiwille vorliegt (sogenannter natürlicher Konsens). Fehlt ein natürlicher Konsens, so ist der mutmassliche übereinstimmende Parteiwille nach dem Vertrauensprinzip zu ermitteln (sogenannter normativer Konsens) und der Vergleich gegebenenfalls nach dem hypothetischen Parteiwillen zu ergänzen[10].

Eine richterliche Erläuterung im Sinn von Art. 334 ZPO zum Inhalt des gerichtlichen Vergleichs ist grundsätzlich ausgeschlossen, was auch die Vorinstanz korrekt festhält. Interpretationsstreitigkeiten aus einem nicht genehmigungsbedürftigen Vergleich müssen gegebenenfalls in einem neuen Prozess geklärt werden[11]. Mit der Erläuterung gibt das Gericht seinen ursprünglichen authentischen Rechtsgestaltungswillen kund. Daher kann das Gericht den wirklichen Inhalt eines Entscheids nur insofern erläutern, als es sich dabei um eigene, von ihm gewollte Anordnungen handelt. Nicht erläuterungs- oder berichtigungsfähig sind dagegen gerichtliche Beschlüsse, mit denen das Gericht das Verfahren gestützt auf einen Vergleich oder ein anderes Urteilssurrogat abschreibt, soweit nicht die Abschreibung als solche oder ein diesbezüglicher Prozesskosten­entscheid der Erläuterung oder Berichtigung bedarf. Ausgenommen sind Vergleiche, die der gerichtlichen Genehmigung bedürfen, namentlich in familienrechtlichen Verfahren[12].

Somit unterliegt der Vergleich nur der Erläuterung oder der Berichtigung, sofern er der gerichtlichen Genehmigung bedarf, weshalb die Auslegung eines gewöhnlichen Vergleichs auf dem Prozessweg vorzunehmen ist. Der gerichtliche Abschreibungsbeschluss im Fall einer Prozesserledigung durch Vergleich ist grundsätzlich keiner Erläuterung zugänglich. Ausgenommen ist lediglich der Teil des Abschreibungsbeschlusses, der sich zu den Kosten äussert, sofern dieser erläuterungs- oder berichtigungsbedürftig ist[13]. Nicht erläuterungsfähig ist ein auf einem (gerichtlichen) Vergleich beruhender gerichtlicher Erledigungsentscheid. Dagegen ist die gerichtliche Genehmigung der Vereinbarung über die Scheidungsfolgen (Art. 279 ZPO) einer Erläuterung zugänglich, weil sie konstitutive Wirkung aufweist[14]. Solches steht hier nicht zur Diskussion. Vielmehr handelt es sich um eine Forderungsstreitigkeit, welche der Verhandlungs- und Dispositionsmaxime unterliegt, weshalb der Vergleich keiner Erläuterung zugänglich ist.

6.

6.1.

Auf den Fall hier angewendet bedeutet das, dass der vorinstanzliche Prozess mit dem Abschluss des gerichtlichen Vergleichs am 7. November 2022 unmittelbar konstitutiv beendet war. Dabei nahmen die Parteien im Vergleich keinen Teil des Prozesses, auch nicht den Beginn des Zinsenlaufes, vom vergleichsweisen Regelungsgehalt aus. Vielmehr hielten sie einleitend ausdrücklich fest, sie würden den Vergleich "zur Erledigung des vor Bezirksgericht hängigen Verfahrens " abschliessen, und sie beantragten dem Gericht in Ziffer 7 des Vergleichs, das Verfahren gestützt auf den Vergleich als erledigt abzuschreiben. Daran ändert auch Ziffer 8 nichts, da der Berufungsbeklagte von der dort aufgeführten Widerrufsmöglichkeit keinen Gebrauch machte, sodass der durch Ziffer 8 des Vergleichs allein resolutiv (auflösend)[15], nicht aber suspensiv (aufschiebend)[16] bedingte Vergleich seine sofortige Wirksamkeit auch nachträglich nicht verlor[17]. Die Parteien haben somit die Bestimmung des Beginns des Zinsenlaufes vom Vergleich nicht ausgenommen und dafür auch keinen Entscheid des Gerichts vorbehalten. Auch haben sie nicht etwa eine bloss teilweise vergleichsweise Erledigung des Prozesses vereinbart. In der vorliegenden Forderungsstreitigkeit gilt sodann die Dispositionsmaxime, wonach das Gericht einer Partei nicht mehr und nichts anderes zusprechen darf, als sie verlangt, und nicht weniger, als die Gegenpartei anerkannt hat[18]. Wenn die Parteien die Abschreibung des Verfahrens verlangen, darf das Gericht nicht davon abweichen und noch etwas anderes zusprechen.

6.2.

Wurde nun aber der vorinstanzliche Prozess mit dem Abschluss des gerichtlichen Vergleichs unmittelbar und insgesamt (das heisst ohne Vorbehalt eines noch zu entscheidenden Teils) konstitutiv beendet, und kam dem noch ausstehenden Abschreibungsentscheid allein deklaratorische Bedeutung zu, was sich – wie ausgeführt – explizit aus dem vorne zitierten BGE 139 III 133 E. 1.2 ergibt, und was das Bundesgericht in BGE 148 III 30 E. 3.3 bestätigt hat, so blieb und bleibt kein Raum für die von der Vorinstanz vorgenommene gerichtliche Entscheidung, der Zins beginne gemäss Ziffer 1 des Vergleichs am 19. Oktober 2020 zu laufen. Dies unabhängig davon, ob dies als eigenständige, ergänzende materielle Entscheidung des Gerichts oder als blosse Erläuterung gemäss Art. 334 Abs. 1 ZPO aufgefasst wird. Erläuterungsfähig ist, wie vorne ausgeführt[19], nur der Abschreibungsentscheid als gerichtlicher Akt, also zum Beispiel die gerichtliche Kostenregelung, nicht aber der Vergleich als Dispositionsakt der Parteien. Eine materielle Ergänzung (Ent­scheidung) wäre nur möglich beziehungsweise zulässig, wenn die Parteien nur einen teilweisen Vergleich abgeschlossen hätten und die Frage des Beginns des Zinsenlaufes vom Vergleich ausgenommen hätten. Das haben sie nicht getan, weshalb die Bestimmung des Beginns des Zinsen­laufes durch Auslegung des Vergleichs zu erfolgen hat, was nach unmittelbarer Beendigung des Prozesses durch Vergleich nicht durch Erläuterung erfolgen kann. Dafür lässt das Recht keinen Raum. Hinzu kommt, dass die Vorinstanz im Rahmen der Vertragsauslegung unzulässigerweise auf den Inhalt der Vergleichsgespräche abstellt, namentlich darauf, dass der Zinsbeginn anlässlich der Vergleichsgespräche nicht thematisiert worden sei. Damit missachtet sie, dass Vergleichsgespräche einem allfälligen Entscheid des Gerichts nicht zugrunde gelegt werden dürfen[20].

6.3.

Demzufolge ist Ziffer 2 des angefochtenen Entscheids ersatzlos aufzuheben. Die Auslegung des Vergleichs (als Vertrag im Sinn von Art. 1 OR beziehungsweise als reinem Parteiakt) betreffend die Frage des Beginns des Zinsenlaufes müssen die Parteien, wenn sie sich darüber nicht doch noch aussergerichtlich einigen, prozessual neu bewerkstelligen. Diesen Punkt kann und darf das Gericht, nachdem der Prozess mit dem Abschluss des Vergleichs unmittelbar konstitutiv beendet worden ist, weder durch materielle Ergänzung noch durch Erläuterung regeln. Das Gericht kann nicht ohne hängigen Prozess (dieser war mit Unterzeichnung des Vergleichs zu Ende) etwas entscheiden.

[…]

Obergericht, 2. Abteilung, 18. April 2024, ZBR.2024.3


[1]    Art. 241 Abs. 2 ZPO

[2]    Art. 241 Abs. 3 ZPO

[3]    BGE 148 III 30 E. 3.3; 139 III 133 E. 1.2

[4]    BGE 146 I 30 E. 2.4

[5]    BGE 139 III 133 E. 1.2; Urteil des Bundesgerichts 5A_348/2014 und 5A_364/2014 vom 24. Juli 2014 E. 3.2

[6]    BGE 139 III 133 E. 1.3

[7]    BGE 139 III 133 E. 1.3

[8]    Gemäss dem vom Bundesgericht verworfenen Zürcher Modell beendete erst die Abschreibungsver­fügung den Prozess, das heisst, es bedurfte nach diesem Modell immer noch eines den Vergleich sanktionierenden Entscheids des Gerichts.

[9]    Leumann/Liebster, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung (Hrsg.: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger), 3.A., Art. 241 N. 16 ff., insbesondere N. 17a

[10] Urteile des Bundesgerichts 4A_92/2018 vom 29. Mai 2018 E. 3.1; 4A_298/2014 vom 4. Dezember 2014 E. 3.4

[11] Leumann/Liebster, Art. 241 ZPO N. 8; Sutter-Somm/Seiler, in: Handkommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung (Hrsg.: Sutter-Somm/Seiler), Zürich/Basel/Genf 2021, Art. 334 N. 5

[12] BGE 143 III 520 E. 6.2

[13] Freiburghaus/Afheldt, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung (Hrsg.: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger), 3.A., Art. 334 N. 4

[14] Herzog, Basler Kommentar, 3.A., Art. 334 ZPO N. 10

[15] Die Auflösung des sofort wirksamen Rechtsgeschäfts hängt vom Eintritt eines ungewissen künftigen Ereignisses ab (Art. 154 Abs. 1 OR).

[16] Die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts hängt vom Eintritt eines ungewissen künftigen Ereignisses ab (Art. 151 Abs. 1 OR).

[17] Art. 154 Abs. 1 OR

[18] Art. 58 Abs. 1 ZPO

[19] Vgl. E. 5.2 vorstehend

[20] BGE 146 I 30 E. 2.4

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