RBOG 2024 Nr. 32
Verwertbarkeit von Privaten beschaffter Beweise
Art. 141 Abs. 1 StPO Art. 141 Abs. 2 StPO Art. 140 Abs. 1 StPO Art. 12 Abs. 1 aDSG Art. 13 Abs. 1 aDSG
A. Verwertbarkeit von Privaten rechtswidrig erlangter Beweise
Zusammenfassung des Sachverhalts:
1.
Die Staatsanwaltschaft eröffnete eine Strafuntersuchung gegen den Beschwerdeführer wegen des Verdachts, im von ihm gemieteten Zimmer in einem Gastbeherbergungsbetrieb im Besitz von total 5'005 Gramm (netto) Marihuana gewesen zu sein, nachdem sie darin zahlreiche, mit Betäubungsmitteln abgepackte und mit unterschiedlichen Zahlen beschriftete Säckchen sowie einen Schreibstift und eine Schere – weitere Gegenstände waren nicht vorhanden – sichergestellt hatte. Die Staatsanwaltschaft beauftragte den Kriminaltechnischen Dienst mit der Analyse der beim Beschwerdeführer entnommenen WSA[1]-Probe und der Erstellung eines DNA-Profils, um dieses mit den gesicherten DNA-Spuren auf den im Zimmer aufgefundenen Drogenpaketen abzugleichen.
2.
Gegen diese Verfügung erhob der Beschwerdeführer beim Obergericht Beschwerde. Er machte geltend, das gegen ihn geführte Strafverfahren fusse auf einer Straftat (Hausfriedensbruch). Die Vermieterin sei gegen seinen Willen in sein abgeschlossenes Mietzimmer eingedrungen und habe das Zimmer anschliessend systematisch durchsucht. Die daraus erlangten Beweise dürften nicht verwertet werden.
Aus den Erwägungen:
[…]
3.
3.1.
Gemäss Art. 140 Abs. 1 StPO sind Zwangsmittel, Gewaltanwendung, Drohungen, Versprechungen, Täuschungen und Mittel, welche die Denkfähigkeit oder die Willensfreiheit einer Person beeinträchtigen können, bei der Beweiserhebung untersagt.
Beweise, die in Verletzung von Art. 140 StPO erhoben wurden, sind nach Art. 141 Abs. 1 StPO in keinem Fall verwertbar; dasselbe gilt, wenn die StPO sonstwie einen Beweis als unverwertbar bezeichnet. Beweise, die Strafbehörden in strafbarer Weise oder unter Verletzung von Gültigkeitsvorschriften erhoben haben, dürfen gemäss Art. 141 Abs. 2 StPO nicht verwertet werden, es sei denn, ihre Verwertung sei zur Aufklärung schwerer Straftaten unerlässlich. Beweise, bei deren Erhebung Ordnungsvorschriften verletzt worden sind, sind verwertbar[2].
3.2.
Die Strafprozessordnung regelt nur die Erhebung von Beweisen durch die staatlichen Strafbehörden. Diese klären von Amtes wegen alle für die Beurteilung der Tat und der beschuldigten Person bedeutsamen Tatsachen ab[3] und setzen zur Wahrheitsfindung alle nach dem Stand von Wissenschaft und Erfahrung geeigneten Beweismittel ein, die rechtlich zulässig sind[4]. Der Untersuchungsgrundsatz[5] begründet allerdings kein staatliches Monopol für Beweiserhebungen im Strafverfahren[6].
Nach der Rechtsprechung sind von Privaten rechtmässig erlangte Beweismittel ohne Einschränkungen im Strafprozess verwertbar[7]. Rechtmässig ist das Verhalten des Privaten auch dann, wenn es zwar einen Straftatbestand erfüllt, der Private sich aber auf einen Rechtfertigungsgrund stützten kann[8].
Von Privaten rechtswidrig erlangte Beweise sind dagegen nur verwertbar, wenn sie von den Strafverfolgungsbehörden rechtmässig hätten erhältlich gemacht werden können und kumulativ dazu eine Interessenabwägung für deren Verwertung spricht. Bei der Interessenabwägung ist derselbe Massstab wie bei von den Strafbehörden rechtswidrig erhobenen Beweisen anzuwenden. Die Verwertung ist damit nur zulässig, wenn sie im Sinn von Art. 141 Abs. 2 StPO zur Aufklärung einer schweren Straftat unerlässlich ist[9].
[…]
4.2.
Die Vermieterin vermietete dem Beschwerdeführer mit "Mietvertrag für Wohnräume" ein möbliertes Zimmer ab 22. März 2024 auf unbestimmte Zeit und bestätigte auf der vom Führerausweis des Beschwerdeführers angefertigten Kopie den Erhalt von Fr. 700.00 am 22. März 2024 und somit die Vermietung bis am 22. April 2024. Sie hatte ihm den Schlüssel für das Zimmer übergeben.
Die Vermieterin betrat am 18. April 2024 ohne Einverständnis des Beschwerdeführers das an diesen vermietete Zimmer. Sie erfüllte dadurch den objektiven Tatbestand des Hausfriedensbruchs gemäss Art. 186 Abs. 1 StGB.
4.3.
Da die Vermieterin die illegalen Betäubungsmittel nur entdeckte, weil sie ohne Einwilligung in das Zimmer des Beschwerdeführers eindrang, sind die Betäubungsmittel als von einer Privatperson rechtswidrig erhobene Beweise zu betrachten.
Es kommt nicht darauf an, ob die Vermieterin fahrlässig (und nicht vorsätzlich) handelte und damit der subjektive Tatbestand von Art. 186 Abs. 1 StGB fehlte, denn ihr Verhalten, mit dem sie in das Recht des Beschwerdeführers auf Schutz der Privatsphäre (Achtung der Wohnung)[10] eingriff, war auch dann rechtswidrig, wenn dieses nicht strafrechtlich verfolgbar ist[11]. Ein Rechtfertigungsgrund ist nicht ersichtlich.
Dass die Lagerung von Betäubungsmittel in den gemieteten Räumen nicht erlaubt war und dies wohl eine ausserordentliche Kündigung des Mietvertrags gerechtfertigt hätte, ist nicht von Belang, denn als die Vermieterin das Zimmer betrat, hatte sie von den gelagerten Betäubungsmitteln keine Kenntnis, und es war keine Kündigung erfolgt.
4.4.
Diese unrechtmässig erhobenen Beweise sind folglich nur verwertbar, wenn sie von den Strafverfolgungsbehörden rechtmässig hätten erlangt werden können und kumulativ dazu eine Interessenabwägung für deren Verwertung spricht.
5.
5.1.
Die erste Voraussetzung, die Hypothese legaler staatlicher Beweiserlangung, verlangt, dass die Strafbehörden das strittige Beweismittel hätten erheben können[12].
Das ist nicht der Fall bei Beweisen, die als solche für die Strafbehörden nicht zugänglich gewesen wären oder die auf eine Art und Weise gewonnen wurden, die den Strafbehörden versperrt ist. So zum Beispiel eine von einem Privaten unter Androhung von Folter erlangte Aussage[13]. Gleiches gilt für Fälle, in denen heimlich Aufzeichnungen von Gesprächen gemacht werden, bei denen es um Delikte geht, bei denen eine staatliche Überwachung mangels einer Katalogtat oder wegen Unverhältnismässigkeit des Eingriffs unzulässig wäre, oder in denen auf Dokumente zugegriffen wird, die einem Beschlagnahmeverbot unterliegen[14].
5.2.
Nach Art. 244 Abs. 2 lit. b StPO dürfen Häuser, Wohnungen und andere nicht allgemein zugängliche Räume ohne Einwilligung der berechtigten Person durchsucht werden, wenn zu vermuten ist, dass in diesen Räumen Tatspuren oder zu beschlagnahmende Gegenstände oder Vermögenswerte vorhanden sind. Schriftstücke, Ton-, Bild- und andere Aufzeichnungen, Datenträger sowie Anlagen zur Verarbeitung und Speicherung von Informationen dürfen durchsucht werden, wenn zu vermuten ist, dass sich darin Informationen befinden, die der Beschlagnahme unterliegen[15]. Der Beschlagnahme unterliegen namentlich Gegenstände einer beschuldigten Person oder einer Drittperson, die voraussichtlich als Beweismittel gebraucht werden[16]. Diese Gegenstände müssen untersuchungsrelevant sein[17].
5.3.
Verfahrenshandlungen der Strafbehörden, die dazu dienen, Beweise zu sichern, und mit denen in die Grundrechte der Betroffenen eingegriffen wird, sind strafprozessuale Zwangsmassnahmen[18]. Gemäss Art. 197 Abs. 1 lit. b StPO können Zwangsmassnahmen nur ergriffen werden, wenn ein hinreichender Tatverdacht vorliegt. Hinweise auf eine strafbare Handlung müssen erheblich und konkreter Natur sein, um einen hinreichenden Tatverdacht begründen zu können[19].
Im Zusammenhang mit der Verwertbarkeit von Privaten rechtswidrig erlangter Beweise ist gemäss der Rechtsprechung des Bundesgerichts nicht erforderlich, dass die Strafverfolgungsbehörden tatsächlich Kenntnis von den Tatsachen hatten, die den Tatverdacht begründen und die Zwangsmassnahmen rechtfertigen. Es ist jedoch zwingend, dass solche Verdachtsmomente existiert hätten[20]. Zentral ist, ob die Behörden das strittige Beweismittel hätten erheben können, wenn ihnen der Tatverdacht bekannt gewesen wäre[21].
5.4.
Als die Vermieterin das Zimmer des Beschwerdeführers betrat, hatte der Beschwerdeführer (verdachtsweise) bereits die rund 5 kg Marihuana dorthin verbracht, besessen, aufbewahrt sowie gelagert. Hätten die Strafbehörden zu diesem Zeitpunkt davon Kenntnis gehabt, so hätten sie einen hinreichenden Tatverdacht im Sinn von Art. 197 Abs. 1 lit. b StPO in Bezug auf ein Betäubungsmitteldelikt gehabt und wären daher zur Durchführung einer Hausdurchsuchung im Zimmer des Beschwerdeführers befugt gewesen. Die infrage stehende Hausdurchsuchung wäre somit abstrakt gesehen rechtmässig gewesen.
6.
6.1.
Gemäss Art. 141 Abs. 2 StPO ist die Verwertung nur zur Aufklärung schwerer Straftaten zulässig. Art. 141 Abs. 2 StPO beinhaltet eine Interessenabwägung. Je schwerer die zu beurteilende Straftat ist, umso eher überwiegt das öffentliche Interesse an der Wahrheitsfindung das private Interesse der beschuldigten Person daran, dass der fragliche Beweis unverwertet bleibt[22].
Als schwere Straftaten im Sinn des Gesetzes fallen vorab Verbrechen in Betracht[23]. Für die Frage, ob eine schwere Straftat im Sinn von Art. 141 Abs. 2 StPO vorliegt, sind nicht generell gewisse Tatbestände und deren abstrakte Strafandrohungen, sondern die gesamten Umstände des konkreten Falls zu berücksichtigen[24]. Dabei kann auf Kriterien wie das geschützte Rechtsgut, das Ausmass von dessen Gefährdung respektive Verletzung, die Vorgehensweise und die kriminelle Energie des Täters oder das Tatmotiv abgestellt werden[25].
Die Frage der schweren Straftat im Sinn von Art. 141 StPO ist sodann nicht "ex ante" zu beurteilen, vielmehr verlangt die Rechtsprechung eine Prüfung anhand des konkreten Sachverhalts, der sich ereignet hat[26].
6.2.
6.2.1.
Das Bundesgericht bejahte in seiner neueren Rechtsprechung das Vorliegen einer schweren Straftat in Fällen der versuchten schweren Körperverletzung[27], der mehrfachen sexuellen Nötigung und mehrfachen sexuellen Handlungen mit Kindern[28] sowie der Kinderpornografie[29].
6.2.2.
Im Zusammenhang mit dem Strassenverkehrsrecht erachtete das Bundesgericht eine schwere Straftat im Sinn von Art. 141 Abs. 2 StPO bei einer qualifiziert groben Verletzung der Verkehrsregeln gemäss Art. 90 Abs. 3 und 4 SVG als gegeben[30]. Es hielt aber auch fest, dass je nach den konkreten Umständen auch ein Vergehen (wie beispielsweise eine grobe Verletzung der Verkehrsregeln im Sinn von Art. 90 Abs. 2 SVG) eine entsprechend schwere, eine Verwertung rechtfertigende Straftat ausmachen kann[31].
6.2.3.
In BGE 147 IV 9 E. 1.4.3 erwog das Bundesgericht, der Tatbestand des Landfriedensbruchs sei ein Vergehen. Die abstrakte Qualifikation sei jedoch auch nach der bisherigen bundesgerichtlichen Rechtsprechung nicht ausschliessliches Kriterium zur Beurteilung, ob eine schwere Straftat nach Art. 141 Abs. 2 StPO vorliege. Landfriedensbruch als kollektive Gewalttätigkeit verletze die bestehende, öffentliche Friedensordnung und das Vertrauen in deren Bestand. Dabei handle es sich um gewichtige Rechtsgüter. Hinzu komme, dass der Tatbestand des Landfriedensbruchs den Beweisschwierigkeiten Rechnung trage, die sich bei diesem Massendelikt ergeben könnten. Diese durch den materiellen Tatbestand von Art. 260 StGB bezweckte prozessuale Entlastung stehe dem potentiellen Ansinnen insbesondere derjenigen Täter, deren Handlung über eine einfache Teilnahme am Landfriedensbruch hinausgehe, in der Anonymität der öffentlichen Zusammenrottung unerkannt zu bleiben und sich auf eine Unverwertbarkeit von Videoaufnahmen berufen zu können, entgegen. Das öffentliche Interesse an der Wahrheitsfindung und der Verwertbarkeit von Beweismitteln wiege bezogen auf diesen Tatbestand folglich grundsätzlich schwer, insbesondere, weil es in dessen Rahmen zu schwerwiegenden Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder Sachen kommen könne.
6.3.
6.3.1.
Gestützt auf Art. 19 Abs. 1 BetmG wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft, wer Betäubungsmittel unbefugt anbaut, herstellt oder auf andere Weise erzeugt (lit. a), Betäubungsmittel unbefugt lagert, versendet, befördert, einführt, ausführt oder durchführt (lit. b), Betäubungsmittel unbefugt veräussert, verordnet, auf andere Weise einem andern verschafft oder in Verkehr bringt (lit. c), Betäubungsmittel unbefugt besitzt, aufbewahrt, erwirbt oder auf andere Weise erlangt (lit. d), den unerlaubten Handel mit Betäubungsmitteln finanziert oder seine Finanzierung vermittelt (lit. e), öffentlich zum Betäubungsmittelkonsum auffordert oder öffentlich eine Gelegenheit zum Erwerb oder Konsum von Betäubungsmitteln bekannt gibt (lit. f) oder zu einer Widerhandlung nach den Buchstaben a–f Anstalten trifft (lit. g).
Gemäss Art. 19 Abs. 2 BetmG wird ein Täter mit einer Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft, wenn er weiss oder annehmen muss, dass die Widerhandlung mittelbar oder unmittelbar die Gesundheit vieler Menschen in Gefahr bringen kann (lit. a), als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Ausübung des unerlaubten Betäubungsmittelhandels zusammengefunden hat (lit. b), durch gewerbsmässigen Handel einen grossen Umsatz oder einen erheblichen Gewinn erzielt (lit. c) oder in Ausbildungsstätten vorwiegend für Jugendliche oder in ihrer unmittelbaren Umgebung gewerbsmässig Betäubungsmittel anbietet, abgibt oder auf andere Weise zugänglich macht (lit. d).
6.3.2.
Die Betäubungsmitteldelikte lassen sich als Gefährdungsdelikte gegen Leib und Leben deuten, da der Konsum von Betäubungsmitteln zumindest langfristig zu Gesundheitsschäden führt[32]. Mit Blick auf das geschützte Rechtsgut der Volksgesundheit ist jede Weitergabehandlung am Gefährlichsten und am Verwerflichsten, weil das Inverkehrsetzen gerade bewirkt, dass Betäubungsmittel unter die Bevölkerung gelangen[33].
Zwar hat das Bundesgericht mit Bezug auf Cannabisprodukte die Anwendung von Art. 19 Abs. 2 lit. a BetmG (mengenmässig schwerer Fall) ausgeschlossen[34]; ein schwerer Fall kann aber vorliegen, wenn der Täter im Sinn von Art. 19 Abs. 2 lit. b BetmG als Mitglied einer Bande gehandelt hat, die sich zur Ausübung des unerlaubten Betäubungsmittelverkehrs zusammengefunden hat, oder wenn er durch gewerbsmässigen Handel einen grossen Umsatz oder einen erheblichen Gewinn erzielt hat und damit Art. 19 Abs. 2 lit. c BetmG erfüllt[35].
Der Handel mit Betäubungsmitteln stellt einen qualifizierten Verstoss im Sinn von Art. 19 Abs. 2 lit. c BetmG dar, wenn der Täter durch gewerbsmässigen Handel einen grossen Umsatz oder einen erheblichen Gewinn erzielt. Gross im Sinn dieser Bestimmung ist ein Umsatz von über Fr. 100'000.00, erheblich ein Gewinn von über Fr. 10'000.00[36]. Der schwere Fall setzt darüber hinaus voraus, dass die von der Rechtsprechung entwickelten Bedingungen der Gewerbsmässigkeit erfüllt sind. Der Täter handelt gewerbsmässig, wenn sich aus der Zeit und den Mitteln, die er für die deliktische Tätigkeit aufwendet, aus der Häufigkeit der Einzelakte innerhalb eines bestimmten Zeitraums sowie aus den angestrebten und erzielten Einkünften ergibt, dass er die deliktische Tätigkeit nach der Art eines Berufs ausübt[37].
6.3.4.
Die Strafuntersuchung steht noch ganz am Anfang. Gestützt auf die vorliegenden Akten ist davon auszugehen, dass in dem vom Beschwerdeführer gemieteten Zimmer rund 5 kg Marihuana aufgefunden wurden; dabei handelt es sich um eine erhebliche Menge.
Das Marihuana war in 31 Pakete abgepackt. Der Beschwerdeführer bewahrte es nicht bei sich zu Hause auf, sondern mietete dafür verdachtsweise eigens ein Zimmer in einem Gastbeherbergungsbetrieb, in dem sich nebst dem Marihuana nur noch eine Schere und ein Markierstift fanden. Dies alles deutete auf einen beabsichtigten Verkauf des Marihuanas hin, wobei auch ein Verdacht auf einen gewerbsmässigen Handel im Raum steht.
6.3.5.
Damit liegt ohne Weiteres ein Tatverdacht betreffend eine schwere Straftat im Sinn von Art. 141 Abs. 2 StPO vor, insbesondere wenn BGE 147 IV 9 als Massstab genommen wird. Der in jenem Entscheid beurteilte Landfriedensbruch, wo das Regionalgericht Bern-Mittelland sogar von einer Bestrafung in Anwendung von Art. 52 StGB Umgang genommen hatte, wiegt weit weniger schwer als der dem Beschwerdeführer angelastete Besitz von netto rund 5 kg zum Verkauf bestimmten Marihuanas.
Ebenso entschied das Bundesgericht im Übrigen im Urteil 6B_862/2021 vom 21. Juni 2022, als es bei einem Handel von 7,1 kg Cannabis von einem schweren Fall im Sinn von Art. 141 Abs. 2 StPO ausging und unrechtmässig erstellte Videoaufnahmen als verwertbar erachtete[38].
[…]
Obergericht, 2. Abteilung, 19. Juli 2024, SW.2024.56
Eine dagegen erhobene Beschwerde ist beim Bundesgericht hängig (7B_1074/2024).
B. Verwertbarkeit privater Videoaufnahmen
Zusammenfassung des Sachverhalts:
1.
Dem Berufungskläger wird unter anderem vorgeworfen, sich mit einem Mittäter mittels Körpergewalt Zutritt zu einem Kellerabteil verschafft zu haben, in der Absicht, Gegenstände und Vermögenswerte zu stehlen. Von dort soll er Alkohol und diverse Lebensmittel entwendet haben. Einen Monat später soll er mit demselben Komplizen erneut in das Kellerabteil eingedrungen sein und Getränkeflaschen mitgenommen haben. Diese Taten wurden im Kellerraum des Privatklägers durch diesen aufgenommen, nachdem ihm bereits zuvor Lebensmittel und Alkoholika aus dem Keller entwendet worden waren.
2.
Das Bezirksgericht verurteilte den Berufungskläger unter anderem wegen mehrfachen Diebstahls und mehrfachen Hausfriedensbruchs zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von acht Monaten sowie einer Busse und verwies ihn für fünf Jahres des Landes. Ausserdem wurde eine früher ausgesprochene bedingte Geldstrafe widerrufen. Dagegen erhob der Berufungskläger Berufung beim Obergericht. Dabei machte er unter anderem geltend, die Videoaufnahmen aus dem Kellerabteil seien nicht verwertbar.
Aus den Erwägungen:
[…]
3.2.
3.2.1.
Personendaten beziehungsweise "Daten" im Sinn des Datenschutzgesetzes sind alle Angaben, die sich auf eine bestimmte oder bestimmbare Person beziehen. Dazu gehören auch Bilder, Ton- oder Videoaufnahmen, ohne dass es auf die Beschaffenheit des Datenträgers ankommt. Entscheidend ist, dass sich die Angaben einer Person zuordnen lassen[39]. Personendaten dürfen nach Art. 4 Abs. 1 aDSG[40] nur rechtmässig bearbeitet werden. Die Beschaffung von Personendaten und insbesondere der Zweck ihrer Bearbeitung müssen für die betroffene Person Art. 4 Abs. 4 aDSG erkennbar sein. Die betroffene Person muss also aus den Umständen mit der Datenbeschaffung und dem Zweck der Datenbeschaffung rechnen oder sie muss von der bearbeitenden Person entsprechend aufgeklärt werden[41]. Grundsätzlich darf niemand ohne seine (vorgängige oder nachträgliche) Zustimmung abgebildet werden, sei es durch Zeichnung, Gemälde, Fotografie, Film oder ähnliche Verfahren[42]. Verstossen Private gegen die Grundsätze gemäss Art. 4 Abs. 1 - 4 aDSG, so ist zu prüfen, ob die Bearbeitung der Personendaten widerrechtlich ist. In Ergänzung zu den allgemeinen Bearbeitungsgrundsätzen gemäss Art. 4 aDSG wird die Bearbeitung von Personendaten durch Private in Art. 12 und 13 aDSG geregelt. Darin sind die Voraussetzungen festgelegt, welche für eine rechtmässige Bearbeitung erfüllt sein müssen.
Wer Personendaten bearbeitet, darf dabei gemäss Art. 12 Abs. 1 aDSG die Persönlichkeit der betroffenen Personen nicht widerrechtlich verletzen. Er darf insbesondere Personendaten nicht entgegen den Grundsätzen der Art. 4, Art. 5 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 aDSG bearbeiten[43]. Eine Verletzung der Persönlichkeit ist widerrechtlich, wenn sie nicht durch Einwilligung der betroffenen Person, durch ein überwiegendes privates oder öffentliches Interesse oder durch Gesetz gerechtfertigt ist[44]. Die Rechtfertigung der Bearbeitung von Personendaten entgegen den Grundsätzen von Art. 4, Art. 5 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 aDSG ist gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung zwar nicht generell ausgeschlossen, im konkreten Fall aber nur mit grosser Zurückhaltung zu bejahen[45]. Dazu müssen die Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden, zu denen der Umfang der verarbeiteten Daten, der systematische und unbestimmte Charakter der Verarbeitung und der Kreis der Personen, die auf die Daten zugreifen können, gehören[46].
3.2.2.
Eine persönlichkeitsverletzende Datenbearbeitung kann durch überwiegende private Interessen gerechtfertigt werden. Ob dies der Fall ist, ist durch Abwägung der privaten Interessen an der Datenbearbeitung und dem Interesse der betroffenen Person, nicht in der Persönlichkeit verletzt zu werden, zu ermitteln[47]. Bei der Interessenabwägung können grundsätzlich alle schützenswerten Interessen berücksichtigt werden. Ob die bearbeitende Person ein schützenswertes Interesse verfolgt, hängt auch vom Zweck der Datenbearbeitung ab[48]. Schutzwürdig ist etwa das Interesse einer Person an der Datenbearbeitung zur eigenen Sicherheit oder zur Verhinderung von Straftaten[49]. Nicht schützenswert ist hingegen eine Bearbeitung für kriminelle Zwecke oder für eine auf die Schädigung anderer gerichtete Tätigkeit[50]. Das Datenschutzinteresse der betroffenen Person hingegen ist grundsätzlich per se schützenswert. Der Grad der Schutzwürdigkeit hängt hingegen von verschiedenen Faktoren ab, etwa der Sensitivität der bearbeiteten Personendaten, vom Verletzungspotential und der Schwere der aus der Bearbeitung resultierenden Persönlichkeitsverletzung[51].
3.2.3.
Wenn ein Beweismittel von einer Privatperson unter Verletzung der im DSG verankerten Grundsätze gemäss Art. 12 aDSG erhoben wurde, ist gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung in einem ersten Schritt zu prüfen, ob Rechtfertigungsgründe im Sinn von Art. 13 aDSG vorliegen. Kann die Rechtswidrigkeit der Persönlichkeitsverletzung durch einen Rechtfertigungsgrund gemäss Datenschutzgesetz aufgehoben werden, ist der Beweis strafrechtlich uneingeschränkt verwertbar. Erst wenn der Beweis als (datenschutzrechtlich) rechtswidrig zu qualifizieren ist, ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob dieser analog Art. 141 Abs. 2 StPO im Strafprozess dennoch verwertet werden darf[52].
3.3.
Die zwei massgebenden Videoaufnahmen wurden im privaten Kellerraum des Privatklägers durch diesen aufgenommen, nachdem ihm bereits zuvor Lebensmittel und Alkoholika aus dem Keller entwendet worden waren. Der Privatkläger wies auf die Videoaufzeichnung in seinem Keller – soweit bekannt – nicht besonders hin, sodass sie für dritte Personen nicht erkennbar war. Sie erfolgte daher grundsätzlich in Verstoss zu den datenschutzrechtlichen Bestimmungen. Fraglich erscheint, ob die Aufzeichnung aufgrund höherrangiger privater Interessen des Privatklägers gerechtfertigt war.
Der Privatkläger stellte die Videokamera in seinem privaten Kellerabteil auf. Das Kellerabteil ist auf allen Seiten durch Kellertrennwände aus Holzlatten beziehungsweise Hausmauern umschlossen. Der Privatkläger übt an diesem Raum das uneingeschränkte Hausrecht aus und lagert darin sein Eigentum. Er installierte die Kamera nachdem in seinen Keller eingebrochen und Gegenstände entwendet wurden. Die Videoaufnahmen dienen daher dem Schutz seines Eigentums. Dieses Interesse ist schutzwürdig.
Auf der anderen Seite steht das Interesse der von der Videokamera (potentiell) aufgezeichneten Personen am Schutz ihrer Persönlichkeit. Der Berufungskläger stellt sich auf den Standpunkt, die Kamera filme – neben dem privaten Kellerabteil – auch allgemein zugängliche Räume. Aus den Aufnahmen der Videokamera und der Fotografien der Polizei lässt sich erkennen, dass das Kellerabteil an drei Seiten von Mauern und nur auf der vorderen Seite bei der Tür von einer Kellertrennwand umschlossen wird. Die Kellertrennwand wurde indes von aussen und die Tür aus Holzlatten von innen mit grossen Kartonstücken abgedeckt, sodass der Blick in beziehungsweise aus dem Kellerabteil versperrt ist. Zudem ist der Blickwinkel der Kamera in beiden Aufnahmen so gewählt, dass er nicht auf die Kellertrennwand gerichtet ist. Das Kellerfenster, das in der Kameraeinstellung im ersten Video zu sehen ist, spiegelt so stark, dass nur die gespiegelte Kellerdecke erkennbar ist. Von der Aufnahme werden daher ausschliesslich Personen erfasst, die sich im Kellerabteil des Privatklägers aufhalten. Nachdem der Privatkläger das alleinige Hausrecht an seinem Kellerabteil zusteht, handelt es sich bei anderen Personen, die (potentiell) von der Aufnahme erfasst werden, um Personen, die sich unbefugt in seinem Keller aufhalten[53].
Das Recht des Privatklägers an der Einhaltung seines Hausrechts und am Schutz seines Eigentums überwiegt die Interessen einer unberechtigt in sein Kellerabteil eindringenden Person daran, dabei nicht durch eine Videokamera aufgezeichnet zu werden, deutlich. Die im Zusammenhang mit der Videoaufnahme durch den Privatkläger vorgenommenen Bearbeitungen waren damit datenschutzrechtlich gerechtfertigt.
3.4.
Die Aufnahmen wurden privatrechtlich rechtmässig erlangt und können im Strafverfahren uneingeschränkt verwertet werden.
[…]
Obergericht, 1. Abteilung, 13. Dezember 2023, SBR.2023.47
Eine dagegen erhobene Beschwerde schützte das Bundesgericht am 2. Dezember 2024 teilweise, hob das Urteil vom 13. Dezember 2023 bezüglich der Anordnung der Landesverweisung auf und wies die Sache zu neuer Entscheidung an das Obergericht zurück. Im Übrigen wies es die Beschwerde ab, soweit es darauf eintrat (6B_243/2024).
[1] Wagenschleimhautabstrich
[2] Art. 141 Abs. 3 StPO
[3] Art. 6 Abs. 1 StPO
[4] Art. 139 Abs. 1 StPO
[5] Art. 6 Abs. 1 StPO
[6] Urteile des Bundesgerichts 6B_429/2023 vom 31. August 2023 E. 4.5.2; 6B_301/2022 vom 26. August 2022 E. 2.2.2
[7] BGE 147 IV 16 E. 1.2; Urteile des Bundesgerichts 6B_92/2022 vom 5. Juni 2024 E. 1.3.1, zur Publikation vorgesehen; 6B_68/2023 vom 9. Oktober 2023 E. 2.1.2; 6B_1133/2021 vom 1. Februar 2023 E. 2.3.2, nicht publiziert in: BGE 149 IV 153; 6B_902/2019 vom 8. Januar 2020 E. 2.1.2
[8] Wohlers, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung (Hrsg.: Donatsch/Lieber/Summers/Wohlers), 3.A., Art. 141 N. 14
[9] Urteil des Bundesgerichts 6B_92/2022 vom 5. Juni 2024 E. 1.3.1, zur Publikation vorgesehen; vgl. BGE 147 IV 16 E. 1.1, 147 IV 9 E. 1.3.1; 146 IV 226 E. 2; Urteil des Bundesgerichts 6B_68/2023 vom 9. Oktober 2023 E. 2.1.1
[10] Art. 13 Abs. 1 BV
[11] Vgl. Wohlers, Art. 141 StPO N. 1
[12] Oberholzer, Grundzüge des Strafprozessrechts, 4.A., N. 1120; Gless, Basler Kommentar, 3.A., Art. 141 StPO N. 42b; Wohlers, Art. 141 StPO N. 15
[13] Gless, Art. 141 StPO N. 42; Wohlers, Art. 141 StPO N. 16
[14] Wohlers, Art. 141 StPO N. 16; Urteil des Bundesgerichts 6B_323/2013 vom 3. Juni 2013 E. 3.4
[15] Art. 246 StPO
[16] Art. 263 Abs. 1 lit. a StPO
[17] BGE 149 IV 369 E. 1.3.1
[18] Art. 196 lit. a StPO
[19] BGE 149 IV 369 E. 1.3.1; 141 IV 87 E. 1.3.1; 137 IV 122 E. 3.2
[20] Urteile des Bundesgerichts 6B_1181/2023 vom 1. Juli 2024 E. 2.3; 6B_862/2021 vom 21. Juni 2022 E. 2.5; vgl. Urteile des Bundesgerichts 6B_53/2020 vom 14. Juli 2020 E. 1.3; 6B_739/2018 vom 12. April 2019 E. 1.4; 6B_911/2017 vom 27. April 2018 E. 1.2.2
[21] Urteil des Bundesgerichts 6B_983/2013 und 6B_995/2013 vom 24. Februar 2014 E. 3.3.1
[22] BGE 149 IV 352 E. 1.3.3; 147 IV 9 E. 1.3.1; 146 I 11 E. 4.2
[23] BGE 149 IV 352 E. 1.3.3; 147 IV 9 E. 1.3.1; 146 I 11 E. 4.2
[24] BGE 149 IV 352 E. 1.3.3; 147 IV 16 E. 6; 147 IV 9 E. 1.4.2
[25] BGE 149 IV 352 E. 1.3.3; 147 IV 9 E. 1.4.2
[26] Urteil des Bundesgerichts 6B 1037/2023 vom 5. Juni 2024 E. 1.4.2, zur Publikation vorgesehen
[27] Urteil des Bundesgerichts 6B 1037/2023 vom 5. Juni 2024 E. 1.4.2, zur Publikation vorgesehen
[28] Urteil des Bundesgerichts 6B_256/2021 vom 17. Mai 2021 E. 1.4
[29] Urteil des Bundesgerichts 6B_1439/2021 vom 28. November 2022 E. 2.3.4
[30] Urteile des Bundesgerichts 6B_68/2023 vom 9. Oktober 2023 E. 2.3; 7B_184/2022 vom 30. November 2023 E. 2.5
[31] Urteile des Bundesgerichts 6B_92/2022 vom 5. Juni 2024 E. 2.1; 7B_184/2022 vom 30. November 2023 E. 2.6; 6B_821/2021 vom 6. September 2023 E. 1.5.4 ff., nicht publiziert in: BGE 149 IV 369
[32] Hug-Beeli, Betäubungsmittelgesetz, Kommentar, Basel 2016, Art. 19 N. 20
[33] Hug-Beeli, Art. 19 BetmG N. 18
[34] BGE 145 IV 312 E. 2.1.1; 120 IV 256 E. 2.c; 117 IV 314 E. 2.g/cc
[35] BGE 117 IV 314 E. 2.h; Hug-Beeli, Art. 19 BetmG N. 878
[36] BGE 147 IV 176 E. 2.2.1; 129 IV 188 E. 3.1.3; BGE 129 IV 253 E. 2.2
[37] BGE 147 IV 176 E. 2.2.1; 129 IV 188 E. 3.1.2
[38] Urteil des Bundesgerichts 6B_862/2021 vom 21. Juni 2022 E. 2.6
[39] BGE 138 II 346 E. 6.1; 136 II 508 E. 3.2
[40] Bundesgesetz über den Datenschutz, SR 235.1; anwendbar ist die Version des Gesetzes, wie sie im Tatzeitpunkt in Kraft war (vgl. Art. 1 SchlT ZGB), das heisst Stand am 1. März 2019 (nachfolgend: aDSG)
[41] Maurer-Lambrou/Steiner, Basler Kommentar, 3.A., Art. 4 DSG N. 16b
[42] BGE 138 II 346 E. 8; 136 III 410 E. 5.2.1
[43] Art. 12 Abs. 2 lit. a aDSG
[44] Art. 13 Abs. 1 aDSG
[45] BGE 147 IV 16 E. 2.3; 138 II 346 E. 7.2
[46] BGE 147 IV 16 E. 2.3
[47] Rampini, Basler Kommentar, 3.A., Art. 13 DSG N. 20
[48] Rampini, Art. 13 DSG N. 22
[49] Vgl. Urteil des Bundesgerichts 6B_536/2009 vom 12. November 2009 E. 3.7
[50] Rampini, Art. 13 DSG N. 22
[51] Rampini, Art. 13 DSG N. 23
[52] BGE 147 IV 16 E. 5
[53] Und Personen, denen der Privatkläger den Zutritt zu seinem Keller erlaubt hat, wobei bei diesen davon auszugehen ist, dass der Privatkläger sie auch über die Aufnahme informiert haben dürfte. Diese sind daher im Rahmen der Interessenabwägung nicht relevant, weil die Aufnahme für sie erkennbar und damit nicht rechtswidrig war.