Skip to main content

RBOG 2024 Nr. 42

Entschädigung der privaten Beistandsperson nach Aufwand

§ 88 Abs. 1 KESV Art. 404 Abs. 2 ZGB Art. 404 Abs. 3 ZGB Art. 424 ZGB


Aus den Erwägungen:

[…]

5.

5.1.

Die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde legt die Entschädigung der Beiständin oder des Beistands entweder nach dem notwendigen zeitlichen Aufwand oder nach einem entsprechend der Schwierigkeit des Mandats zu bestimmenden Pauschalbetrag fest[1]. Der Stundenansatz beträgt je nach Anforderungen Fr. 50.00 bis Fr. 70.00. Dieser Ansatz kann bei besonders schwierigen und komplexen Fällen ausnahmsweise bis maximal auf das Doppelte erhöht werden[2]. Erfordert die Beistandschaft den Einsatz einer privaten Fachperson, kann diese nach den üblichen Ansätzen oder Berufstarifen entschädigt werden[3]. Gemäss den Richtlinien des Obergerichts für die Entschädigung und die Spesen der Beiständinnen und Beistände wird die Entschädigung im Normalfall als Pauschale ausgerichtet. In begründeten Fällen kann eine Entschädigung nach Aufwand im Voraus vereinbart werden. Bei der pauschalen Entschädigung werden der für die Führung der Beistandschaft notwendige Zeitaufwand, die Schwierigkeit der Massnahmenführung und die damit verbundene Verantwortung berücksichtigt. Die pauschale Entschädigung besteht aus einer Grundpauschale und gegebenenfalls aus Zuschlägen beziehungsweise Abzügen. Die jährliche Grundpauschale für eine Vertretungsbeistandschaft mit Vermögensverwaltung nach Art. 394 i.V.m. Art. 395 ZGB beträgt Fr. 1'700.00 pro Jahr und entschädigt durchschnittlich aufwändige Beistandschaften[4].

5.2.

Erfüllt der künftige Beistand schon vor Einleitung des Verfahrens auf Errichtung der Beistandschaft und Ernennung als Beistand für die betroffene Person Aufgaben, so findet Art. 404 ZGB grundsätzlich keine Anwendung auf das Auftragsverhältnis, das allein nach Obligationenrecht zu beurteilen ist und auch nicht der Zustimmung der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde bedarf. Wird allerdings der Beistand während des Verfahrens auf Verbeiständung, aber vor seinem formellen Amtsantritt zum Wohl der betroffenen Person in dringlichen Geschäften, die sein Aufgabengebiet betreffen, im Sinn einer Geschäftsführung ohne Auftrag gemäss Art. 419 ff. OR tätig, ohne dass eine entsprechende vorsorgliche oder superprovisorische Massnahme angeordnet worden ist, so sind diese Dienstleistungen im Interesse der Einfachheit und Praktikabilität bei der Festlegung der Entschädigung und des Spesenersatzes nach Art. 404 ZGB mitzuberücksichtigen[5]. Erfüllt der Beistand dringende Aufgaben, die ihm im Rahmen seines offiziellen Mandats anvertraute Kompetenz überschreitet, ohne dass die Behörde oder Betroffene ihn dazu frühzeitig genug ermächtigen konnten, so kommen, wenn der Betroffene (bei eigener Handlungsfähigkeit) oder die Behörde (bei dessen Handlungsunfähigkeit) die Handlungen des Geschäftsführers, das heisst des potentiellen Beistands, genehmigt, gestützt auf Art. 424 OR die Vorschriften über den Auftrag zur Anwendung[6].

Mit dem Ende der Beistandschaft beziehungsweise dem Ende seines Amts verliert der Beistand grundsätzlich alle Vertretungsrechte. Der Privatbeistand ist im Gegensatz zum Berufsbeistand aber gemäss Art. 424 ZGB verpflichtet, nicht aufschiebbare Geschäfte weiterzuführen, bis die betroffene Person selbst tätig werden kann oder ein Nachfolger das Amt übernimmt, sofern die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde nichts anderes anordnet. In diesem Fall handelt es sich immer noch um einen erwachsenenschutzrechtlichen Auftrag, der nach Art. 404 ZGB zu entschädigen ist. Für andere Geschäfte kann sich dagegen der Beistand nicht mehr auf das Erwachsenenschutzrecht berufen, vielmehr ist Obligationenrecht anwendbar[7].

5.3.

Nachdem die Vorinstanz zuerst pauschal über die Aufwendungen der Privatbeiständin abrechnen wollte[8], hat sie die Kosten der Beistandschaft schliesslich ohne weitere Begründung nach Zeitaufwand vergütet. Eine im Voraus abgeschlossene Vereinbarung mit der Beiständin fehlt.

Die Vorinstanz entschädigte den Aufwand gemäss der Stundenaufschriebe der privaten Mandatsträgerin ab ihrer Ernennung zur Beiständin am 20. Mai 2022 bis zum Todestag der verbeiständeten Person am 17. Juli 2023 mit insgesamt Fr. 6'749.00 zuzüglich Barauslagen von Fr. 222.85, je einschliesslich Mehrwertsteuer. Die private Mandatsträgerin will zusätzlich ihre Aufwendungen für die Zeiträume einerseits ab dem 14. März 2022, das heisst ab der Anhörung der betroffenen Person vor Errichtung der Beistandschaft, und andererseits bis zum 7. Oktober 2023 von insgesamt 22,75[9] Stunden entschädigt haben. Der verrechnete Stundenansatz von Fr. 70.00 zuzüglich Mehrwertsteuer ist dabei unbestritten.

Die Vorinstanz hat mit der privaten Mandatsträgerin konkludent vereinbart, über ihren Aufwand nach Stunden und mit einem Stundenansatz von Fr. 70.00 zuzüglich Mehrwertsteuer abzurechnen. Die korrigierte Rechnung hat sie nicht zurückgewiesen und somit nicht an einer Entschädigung nach Pauschalansätzen festgehalten. An den vereinbarten Abrechnungsmodus ist die Vorinstanz nach Treu und Glauben für die gesamte Abrechnungsperiode gebunden. Die von der privaten Mandatsträgerin seit der Anhörung der betroffenen Person bis zur Errichtung der Beistandschaft und Ernennung als Beiständin erbrachten Leistungen sind nur zu entschädigen, sofern und soweit diese zum Wohl der betroffenen Person notwendig und dringlich waren und das Aufgabengebiet des (späteren) Beistandsmandats betrafen.

5.4.

5.4.1.

Die Tochter der betroffenen Person wandte sich an die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde. In ihrem Schreiben ersuchte sie um dringende Hilfe für ihre Mutter, da diese an Demenz erkrankt sei und die alltäglichen Verrichtungen nicht mehr allein erledigen könne. In der Folge wandte sich die spätere Privatbeiständin an die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde und bat darum, der betroffenen Person eine private Mandatsträgerin zur Seite zu stellen, welche diese in administrativen, finanziellen und weiteren Belangen, wie dem Kontakt mit den Behörden, der Vermieterschaft oder mit Versicherungen unterstütze. In einem weiteren Schreiben ersuchte die Tochter dringend um einen Hausbesuch bei ihrer Mutter. Dieser fand in Anwesenheit der späteren Privatbeiständin zusammen mit der Anhörung der betroffenen Person am 14. März 2022 statt. Bei der Anhörung erklärte sich die betroffene Person einverstanden, dass die spätere Privatbeiständin das Mandat übernehme und ihre administrativen und finanziellen Belange regle. Am 7. April 2022 teilte die spätere Privatbeiständin der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde mit, sie sei mit der Tochter übereingekommen, dass sie die betroffene Person in der nächsten Woche besuche und bei dieser Gelegenheit – wenn möglich – die schriftlichen Unterlagen mitnehme. Sie fragte bei der Behörde nach, ob diese mit diesem Vorgehen einverstanden sei, da sie – die spätere Privatbeiständin – eigentlich den Entscheid der Behörde habe abwarten wollen. Die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde bat die spätere Privatbeiständin tags darauf, so zu agieren, wie sie ihr Vorgehen beschrieben habe und bedankte sich für die Bemühungen. Zudem stellte sie den Entscheid und die Zustellung der Ernennungsurkunde bis Ende April in Aussicht und gab ihrer Hoffnung Ausdruck, dass es dann für alle Beteiligten leichter werde.

Mit Schreiben vom 13. Mai 2022 orientierte die Tochter die Vorinstanz darüber, dass die Demenz bei ihrer Mutter so weit fortgeschritten sei, dass sie jetzt Hilfe benötige. Die Rechnungen würden seit Januar nicht mehr einbezahlt, weshalb sie nochmals darum bitte, der späteren Privatbeiständin die Vollmacht zu erteilen, damit sie diese Rechnungen begleichen könne.

Die betroffene Person wurde mit Entscheid eines Arztes am 19. Mai 2022 infolge Verwirrtheit, fortgeschrittener Demenz und Unterernährung fürsorgerisch ärztlich in die Psychiatrie Münsterlingen eingewiesen.

5.4.2.

Die Tätigkeiten vom 14. März 2022 bis 20. Mai 2022 umfassten gemäss den Aufschrieben der privaten Mandatsträgerin folgende Leistungen im Umfang von insgesamt 17,75 Stunden:

14.03.2022   

Auftragsannahme    

4 Std.

14.03.2022

Ortstermin 

4 Std.

06.04.2022   

Telefonische Besprechung mit Tochter 

0,5 Std.

07.04.2022

Fahrt nach und Ortstermin, Gespräch mit der betroffenen Person, Material abholen  

0,25 Std.

14.04.2022 

 Schreiben an KESB

4 Std.

22.04.2022 

Telefonische Besprechung mit der betroffenen Person

0,5 Std.

11.05.2022 

Telefonanruf von Tochter, Weiterleiten an KESB

0,75 Std.

18.05.2022 

Anruf der Hausärztin, weitere an div. Stelle, Anruf 144 

1 Std.

18.05.2022 

Telefonische Besprechung mit diversen Amtsstellen 

2 Std.

19.05.2022

Besprechung mit dem Arzt

0,25 Std.

19.05.2022

Anruf des Arztes, Meldung an KESB

0,5 Std.

5.4.3.

Die Tätigkeiten bis und mit 14. April 2022 standen in einem direkten Zusammenhang mit der Errichtung der Beistandschaft. Sie erfolgten zum Wohl der betroffenen Person und wiesen eine hohe zeitliche Dringlichkeit auf. Die Vorinstanz willigte konkludent in die Aufgabenerfüllung durch die private Mandatsträgerin ein, indem sie diese ausdrücklich bat, bei einem Besprechungstermin mit der betroffenen Person anwesend zu sein. Betreffend Hausbesuch vom 14. April 2022 erkundigte sich die private Mandatsträgerin vorgängig bei der Vorinstanz, ob sie mit diesem Vorgehen einverstanden sei, was die Vorinstanz bejahte.

Die Tätigkeiten ab 22. April 2022 bis und mit 19. Mai 2022 standen im Zusammenhang mit der Hilfsbedürftigkeit der betroffenen Person und waren zu ihrem Wohl dringend angezeigt, nachdem die Tochter im Schreiben vom 13. Mai 2022 zum Ausdruck gebracht hatte, sie sei nicht mehr in der Lage, ihrer Mutter zu helfen. Auch wenn diese Aufwendungen nicht direkt zum Aufgabenbereich der Beiständin gehörten – geht es doch mehrheitlich um Personen- und nicht um Vermögenssorge –, so rechtfertigt es sich trotzdem, dass die private Mandatsträgerin für diese Tätigkeiten entschädigt wird. Als die Tochter der betroffenen Person für mehrere Wochen in den Ferien weilte, war die private Mandatsträgerin die einzige Ansprechperson für die Betroffene. In dieser Zeit übernahm die spätere Privatbeiständin auch die Personensorge, wofür sie angemessen zu entschädigen ist.

Der geltend gemachte Aufwand ist – mit Ausnahme der Auftragsannahme vom 14. März 2022, für welche ein Aufwand von vier Stunden geltend gemacht wurde – angemessen. Da die private Mandatsträgerin bei der Anhörung der betroffenen Person anwesend und bereits anlässlich dieser die Auftragserteilung und -klärung erfolgen konnte, erschliesst sich nicht, wofür ein weiterer Aufwand von vier Stunden notwendig war, um den Auftrag annehmen zu können.

Es sind deshalb lediglich zusätzlich 13,75 Stunden zu entschädigen.

5.4.4.

Für die Zeit vom 31. Juli 2023 bis 7. Oktober 2023 machte die private Mandatsträgerin mit separater Rechnung zusätzliche Aufwendungen von fünf Stunden geltend.

Diese Rechnung lag der Vorinstanz im Entscheidzeitpunkt nicht vor. Im Beschwerdeverfahren ist jedoch das Novenverbot gemäss Art. 326 ZPO zu beachten. Dies bedeutet, dass neue Anträge und neue Beweismittel, das heisst Noven, in der Beschwerde ausgeschlossen sind. Dies gilt grundsätzlich auch für echte Noven, doch müssen solche im Beschwerdeverfahren zumindest soweit vorgebracht werden können, als der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt[10]. Dies ist vorliegend nicht der Fall, weshalb die Rechnung im Beschwerdeverfahren nicht berücksichtigt werden kann.

Der Vollständigkeit halber bleibt festzuhalten, dass die Einwände der Privatbeiständin gegen die Mandatsentschädigung nach Beendigung des Amts in materieller Hinsicht unbegründet wären. In der Rechnung vom 27. Juli 2023, in welcher die Privatbeiständin die erbrachten Leistungen bis und mit 18. Juli 2023 abrechnete, führte sie per 18. Juli 2023 Leistungen für die Todesfallmeldungen an die Amtsstellen sowie den Schlussbericht und den Versand der Akten von insgesamt 3,5 Stunden auf. In diesem Aufwand sind auch allfällige Abschlussarbeiten enthalten, weshalb die Rechnung vom 27. Juli 2023 als Schlussrechnung zu qualifizieren ist. Mit Erstellung des Schlussberichts und der Rücksendung der Akten war das Mandat beendet. Es lag kein Fall von Art. 424 ZGB vor, in welchem die Beiständin verpflichtet gewesen wäre, nicht aufschiebbare Geschäfte weiterzuführen, bis die Erben selbst tätig werden. Die Privatbeiständin wäre gehalten gewesen, Dritte mit allfälligen Anfragen konsequent an die Vorinstanz zu verweisen, unter Hinweis darauf, dass mit Ende der Beistandschaft auch das Amt des Beistands von Gesetzes wegen ende. Ein zusätzlicher Aufwand ist deshalb nicht zu entschädigen.

6.

Im Ergebnis ist die Beschwerde teilweise zu schützen.

Die Privatbeiständin erringt eine zusätzliche Mandatsentschädigung einschliesslich Mehrwertsteuer von Fr. 1'036.60[11]. Die Entschädigung für die Privatbeiständin wird für die Zeit vom 14. März 2022 bis 17. Juli 2023 auf Fr. 7'785.60 und Spesen von Fr. 222.85, je inklusive Mehrwertsteuer, festgelegt und dem Nachlass der verbeiständeten Person auferlegt.

Im Übrigen wird der angefochtene Entscheid bestätigt.

[…]

Obergericht, 1. Abteilung, 22. November 2023, KES.2023.57


[1]    § 88 Abs. 1 KESV

[2]   § 88 Abs. 2 KESV

[3]   § 88 Abs. 4 KESV

[4]   Richtlinien des Obergerichts für die Entschädigung und die Spesen der Beiständinnen und Beistände, https://obergericht.tg.ch/rechtsprechung/richtlinien-weisungen.html/13363, insbesondere die Ziffern II./1./c, II./2.1, II./2.2./c. und II./2.3

[5]   Reusser, Basler Kommentar, 7.A., Art. 404 ZGB N. 8

[6]   Meier, Zürcher Kommentar, Zürich 2021, Art. 404 ZGB N. 22

[7]   Reusser, Art. 404 ZGB N. 9

[8]   Grundpauschale von Fr. 1'700.00 zuzüglich Zuschlag von Fr. 700.00 für die Räumung der Wohnung zuzüglich Spesen

[9]   17,75 Std. + 5 Std.

[10]  Spühler, Basler Kommentar, 3.A., Art. 326 ZPO N. 1; BGE 139 III 466 E. 3.4

[11]  13,75 Std. x Fr. 70.00 zuzüglich Mehrwertsteuer


JavaScript errors detected

Please note, these errors can depend on your browser setup.

If this problem persists, please contact our support.