TVR 2000 Nr. 35
Koordination zwischen Fürsorgeunterstützung und Stipendienansprüchen
1. Ein noch in der Familie lebender junger Erwachsener, der noch in der Erstausbildung steckt und hiefür ein Stipendium erhält, kann darüber hinaus Anspruch auf Fürsorgeleistungen haben, solange der Bedarf der materiellen Grundsicherung der Familie bleibt.
2. Die Abgrenzung zu den Stipendien ist allerdings schwerer, da Stipendien nicht nur reine Ausbildungskosten, sondern auch Lebenshaltungskosten abdecken. Doppelunterstützungen sind unzulässig.
Das Ehepaar F mitsamt Tochter Monika (Name geändert) wird durch die Fürsorgebehörde C unterstützt. Im Sommer 1999 bestand Monika F (geboren 2. Mai 1979) die Aufnahmeprüfung an der (neuen) Gestaltungsschule Zürich und begann dort am 30. August 1999 ihre Erstausbildung. Dafür ersuchte sie einerseits um Ausrichtung von Stipendien, andererseits um Fürsorgeleistungen. Die Fürsorgebehörde C berechnete den Notbedarf für Monika F am 25. August 1999 wie folgt:
Jetzige Auszahlung Notbedarf 1 Person | Fr. | 1 073.65 |
Reisespesen (Ausbildungsort Zürich, 1/12 GA) | Fr. | 165.85 |
Essensentschädigung | Fr. | 200.— |
Total Unterstützung pro Monat | Fr. | 1 439.50 |
Abzüglich Stipendien in momentan unbekannter Höhe.
Die Fürsorgekommission lehnte die Ausrichtung dieses Unterstützungsbetrages jedoch ab, da die Sozialhilfe keine Ausbildungskosten für Privatschulen übernehme. Die Gesuchstellerin sei selber in der Lage, sich die Finanzierung zu erarbeiten. Sie werde deshalb aufgefordert, eine Stelle zu suchen, um mit dem Ersparten eine ordentliche Lehre (BIGA anerkannt) zu absolvieren. Dagegen erhob Monika F Rekurs beim DFS, das diesen mit Entscheid vom 23. Februar 2000 abwies. Das DFS schloss sich der Auffassung der Fürsorgebehörde C im wesentlichen an. Am 30. März 2000 hiess das DEK den gegen die Verweigerung von Stipendien erhobenen Rekurs gut, worauf das Rechnungs- und Stipendienamt den Stipendienanspruch Monika Fs für August 1999 bis Juli 2000 auf Fr. 12 600.– festsetzte. Die gegen den Entscheid des DFS betreffend Fürsorgeunterstützung erhobene Beschwerde heisst das Verwaltungsgericht in dem Sinne teilweise gut, als es die Sache zur Neuberechnung der Unterstützung im Sinne der Erwägungen an die Fürsorgebehörde C zurückweist.
Aus den Erwägungen
2. a) Gemäss § 8 SHG sorgt die Gemeinde für die notwendige Unterstützung, sofern vom Hilfsbedürftigen nicht verlangt werden kann, sich die Mittel durch eigene Arbeit zu beschaffen und keine andere Hilfe möglich ist. Dieser Grundsatz offenbart die Subsidiarität der Unterstützungspflicht der Gemeinden (vgl. TVR 1992 Nr. 28; Wolffers, Grundriss des Sozialhilferechts, 2. Aufl., Bern 1999, S. 71 f.). Voraussetzung für die Ausrichtung von Sozialhilfeleistungen ist demnach, dass zunächst alle privat- oder öffentlichrechtlichen Ansprüche des Gesuchstellers ausgeschöpft werden. Dazu zählen auch Stipendien (Wolffers, a.a.O., S. 26 und 72). Umgekehrt heisst das, dass Stipendien der Sozialhilfe vorgelagert sind. Insoweit ein Anspruch auf solche Leistungen besteht, ist Sozialhilfe ausgeschlossen (Wolffers, a.a.O., S. 26).
b) Die Leistung von Stipendien will grundsätzlich ein Abgleiten einkommensschwacher Bevölkerungskreise in die Fürsorgeabhängigkeit verhindern. § 1 StipG folgt diesem Grundsatz in dem Sinne als er festhält, dass Ausbildungsbeiträge an Personen ausgerichtet werden, die aufgrund ihrer finanziellen Verhältnisse nicht in der Lage sind, für die Kosten ihrer beruflichen Ausbildung vollständig aufzukommen. Dazu kommen weitere Voraussetzungen, über die an dieser Stelle nichts auszusagen ist (§§ 2 ff. StipG). Die Bemessung der Stipendien richtet sich nach den persönlichen Verhältnissen des Bewerbers, namentlich seinen zumutbaren Eigenleistungen, den finanziellen Möglichkeiten seiner Eltern sowie den anerkannten Lebenshaltungs- und Ausbildungskosten (§ 7 Abs. 1 StipG). Für ledige Gesuchsteller beträgt der Höchstansatz Fr. 13 000.– pro Jahr (§ 8 Abs. 1 StipG). Das DEK hat im Falle Monikas diesen Höchstansatz zugesprochen (Fr. 13 000.– minus 3% = Fr. 12 600.–).
Bereits aus dieser Vorschrift wird ersichtlich, dass Stipendien nicht nur die «reinen» Ausbildungskosten, sondern auch die Lebenshaltungskosten abdecken (bis zum erwähnten Höchstbetrag). Was die anrechenbaren Lebenshaltungs- und Ausbildungskosten sind, legt Anhang 1 der StipV fest, wobei unterschieden wird zwischen Ledigen und Verheirateten/Alleinerziehenden. Für Monika F sehen die Beträge gemäss Anhang 1 zur StipV wie folgt aus:
Kost und Logis zu Hause mit auswärtigem Mittagessen | Fr. | 5'100.-- |
Diverse Studienauslagen (Volljährige) | Fr. | 1'400.-- |
Versicherung (unter 25-jährige) | Fr. | 300.-- |
Schulgeld (Rechnung vom 27. Juli 1990) | Fr. | 10'000.-- |
Lehrmittel (Annahme) | Fr. | 800.-- |
Kleider, Schuhe, Wäsche | Fr. | 1'000.-- |
Fahrtabonnement (GA) | Fr. | 1'990.-- |
Total | Fr. | 20'590.-- |
jedoch Höchstbetrag | Fr. | 13'000.-- |
beziehungsweise nach Abzug von 3% | Fr. | 12'600.-- |
Daraus wird ersichtlich, dass das Stipendium nicht alle Kosten deckt. Dessen ist sich die Beschwerdeführerin bewusst, sie fordert ja auch «nur» ca. Fr. 600.– pro Monat. Dass die Differenz von Fr. 7 990.– (Fr. 20 590.– minus Fr. 12 600.–) nicht einfach zu Lasten der Sozialhilfe gehen kann, ist offensichtlich. Der Sozialhilfe obliegt nicht gewissermassen die Restfinanzierung eines Privatschulunterrichts, denn das ist nicht «notwendige» Unterstützung gemäss § 8 SHG. Reicht ein Stipendium (zur Deckung der Ausbildungskosten) nicht aus, kann zusätzlich ein Ausbildungsdarlehen gewährt werden (§ 6 Abs. 2 StipG). Es obliegt der Beschwerdeführerin, ein Darlehensgesuch für die Differenz von Fr. 7 990.– zu stellen.
Auf der anderen Seite jedoch kann angesichts der grundsätzlichen Anerkennung des Ausbildungsweges (trotz nicht anerkannter Ausbildungsstätte) und der Leistung von Stipendien nicht einfach geschlossen werden, die Beschwerdeführerin sei deshalb nicht unterstützungsbedürftig. Stipendien und Darlehen gleichen ja – insbesondere solange das Kind in der Familie lebt (was hier der Fall ist) – im Allgemeinen nur die ausbildungsbedingten Mehrkosten für die Lebenshaltung aus (vgl. Müller, Das Stipendienrecht des Kantons St. Gallen mit Berücksichtigung der Stipendiengesetzgebung des Bundes, St. Gallen 1987, S. 19). Der Bedarf zur materiellen Grundsicherung der Familien jedoch bleibt. (…) Für die Ausbildungszeit ab August 1999 sind klarerweise weder Versicherungsprämien im Umfange von Fr. 300.–, noch Fahrtkosten (GA Fr. 1 990.–), noch die Lebenshaltungskosten im Umfange von Fr. 5 100.–, noch Kosten für Kleider, Schuhe, Wäsche im Umfange von Fr. 1 000.– zu berücksichtigen, ansonsten diese doppelt unterstützt würden. Die genaue Berechnung des die Fr. 20 590.– übersteigenden Unterstützungsbedarfs ist jedoch nicht Sache des Gerichts, weshalb die Angelegenheit an die Fürsorgebehörde C zum Neuentscheid zurückzuweisen ist. Dieser obliegt es, ausgehend von den dargestellten Lebenshaltungs- und Ausbildungskosten im Umfange von Fr. 20 590.– jene ungedeckten Kosten nach den SKOS-Richtlinien zu ermitteln, die zur Deckung der Lebenshaltungskosten dienen, soweit diese die genannten Beträge übersteigen. Dazu gehören insbesondere die Kosten für den Mietanteil der Beschwerdeführerin und die Kosten der Verpflegung zu Hause. Andererseits gilt es, allfällige zumutbare Eigenleistungen (z.B. während der Ferien) zu ermitteln (vgl. § 10 StipV).
Entscheid vom 14. Juni 2000