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TVR 2003 Nr. 18

Mündlichkeit des Einspracheverfahrens als Regel


Art. 29 BV, § 165 Abs. 1 StG


1. Liegt kein Antrag auf schriftliche Durchführung des Einspracheverfahrens vor, so ist zwingend eine Einspracheverhandlung durchzuführen. Missachtet dies die Steuerverwaltung, so führt das auf Rekurs hin in der Regel zur Rückweisung an die Veranlagungsbehörde (E. 2c.cc).

2. Wird im Rekurs eventualiter die Rückweisung der Sache an die Steuerverwaltung wegen Nichtdurchführung einer mündlichen Einspracheverhandlung beantragt, kann auf Beurteilung dieses Antrags nur verzichtet werden, wenn dem Hauptantrag auf Gutheissung vollumfänglich stattgegeben wird (E. 2c.dd und ee).


Die T AG erhob schriftlich Einsprache gegen die Veranlagung der Staats- und Gemeindesteuern 2000 mit dem Antrag, es sei von der Erhebung der Minimalsteuer nach § 101 StG abzusehen, da ihre Liegenschaften überwiegend für den Betrieb des eigenen Unternehmens (Verwaltung, Baubüro usw.) benutzt würden. Weil der T AG hierauf mitgeteilt worden war, die Einsprache werde aufgrund der Akten entschieden, liess sie eine mündliche Einspracheverhandlung «vor Ort» beantragen. Die Steuerverwaltung des Kantons Thurgau wies die Einsprache ab, ohne dem Begehren auf eine mündliche Einspracheverhandlung stattgegeben zu haben.
Dagegen liess die T AG Rekurs erheben. Sie brachte insbesondere vor, die Fremdnutzung ihrer Liegenschaft betrage nur 10%. Insgesamt ergebe sich damit, dass die T AG sowohl als «Betrieb» im steuerrechtlichen Sinn qualifiziert werden müsse als auch, dass ihre Liegenschaft zur Hauptsache dem «Betrieb des eigenen Unternehmens» diene und damit die Voraussetzungen zur Erhebung der Minimalsteuer nicht erfüllt seien. Eventualiter werde beantragt, die Sache an die Vorinstanz zur Durchführung einer mündlichen Einspracheverhandlung und Besichtigung vor Ort zurückzuweisen.
Diesen Ausführungen hielt die kantonale Steuerverwaltung unter anderem entgegen, die räumliche Situation sei ihr durchaus bekannt; die Gebäulichkeiten seien ihr nämlich vor ein paar Jahren durch den Verwaltungsratspräsidenten der T AG persönlich gezeigt worden. Der T AG widerfahre durch die Nichtgewährung der mündlichen Einspracheverhandlung kein Rechtsnachteil. Die Steuerrekurskommission wies den Rekurs ab. Das mit Beschwerde angegangene Verwaltungsgericht heisst diese in dem Sinne gut, als es die Angelegenheit zur Durchführung einer Einspracheverhandlung mit Berichtigung an die Steuerverwaltung zurückweist.

Aus den Erwägungen:

2. a) Die Vorinstanz führt unter Hinweis auf die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung aus, im Falle einer Gehörsverweigerung komme es nur dann zur Rückweisung der Angelegenheit an die Vorinstanz, wenn der Verfahrensmangel nicht durch die urteilende Instanz geheilt werden könne, und kommt zum Schluss, eine Heilung der Verweigerung des rechtlichen Gehörs, begangen durch das Nichtgewähren einer eigentlichen Einspracheverhandlung, sei im Rekursverfahren nicht möglich. Dieses stelle nämlich lediglich einen unvollkommenen Ersatz für eine unterlassene mündliche Einspracheverhandlung dar, weil es im Vergleich zum Einspracheverfahren kostenpflichtig und durch den Umstand, dass der Steuerpflichtige schriftlich tätig werden müsse, grundsätzlich aufwändiger sei. Eine Ausnahme sei lediglich dann gegeben, wenn der Steuerpflichtige, zumindest konkludent, zum Ausdruck brächte, er verzichte nachträglich auf die unterlassene Einspracheverhandlung. Darin, dass die T AG als Hauptantrag die materielle Beurteilung der Streitsache verlangt und lediglich eventualiter die Durchführung einer mündlichen Einspracheverhandlung beantragt habe, sei ein zumindest konkludent zum Ausdruck gebrachtes Einverständnis zu sehen, die Steuerrekurskommission solle – unter Verzicht auf eine mündliche Einspracheverhandlung – die Sache materiell prüfen und anschliessend entscheiden. Andernfalls hätte die T AG als Hauptantrag die Rückweisung der Sache zur Durchführung der mündlichen Einspracheverhandlung, eventualiter vor Ort, verlangen müssen, was sie nicht gemacht habe. Das in der Rekurseingabe formulierte Rechtsbegehren sei insofern unzulässig und widersprüchlich, als es nicht möglich sei, dass die T AG einen Entscheid in der Sache verlange, damit von einer Heilung der Verletzung des rechtlichen Gehörs ausgehe und lediglich im Falle eines negativen Entscheides eine Rückweisung zur Durchführung der mündlichen Einspracheverhandlung beantrage.

b) Die Beschwerdeführerin hält dem entgegen, im Falle der vollumfänglichen Gutheissung des materiellen Begehrens liesse sich jeder Steuerpflichtige gerne das rechtliche Gehör verweigern. Sie habe klare Anträge gestellt. Indem die Vorinstanz von einer konkludenten Zustimmung zu einer Gehörsverweigerung auch im Fall eines abweisenden materiellen Entscheids ausgegangen sei, habe sie überspitzt formalistisch und somit rechtsverletzend entschieden.

c) Das zu beurteilende Prozessthema besteht somit aus einem formellen und einem materiellen Teil. Der formellrechtliche Teil besteht aus dem in Art. 29 Abs. 2 BV verankerten Grundsatz des rechtlichen Gehörs und aus dem aus Art. 29 Abs. 1 BV fliessenden Verbot des überspitzten Formalismus.

aa) Der Anspruch auf rechtliches Gehör verfolgt neben der «Wahrheitsfindung» ebenfalls das Ziel, den Parteien im Prozess «Waffengleichheit» zuzusichern. Der Gehörsanspruch stellt somit ein persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht der Parteien im Erlass von Entscheiden dar, die in ihre Rechtsstellung eingreifen Nr. 18 98 (vgl. Kölz/Bosshart/Röhl, Kommentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich, Zürich 1999, § 8 N. 2 ff). Die Beschwerdeführerin hat damit in jedem Stadium des Verfahrens Anspruch darauf, dass sich die entsprechende Instanz ernsthaft mit den Vorbringen auseinandersetzt.

bb) Aufgrund der zwischen der kantonalen Steuerverwaltung und der Beschwerdeführerin geführten Korrespondenz ist ausgewiesen, dass die Beschwerdeführerin grundsätzlich während des gesamten Verfahrens auf einer mündlicher Einspracheverhandlung bestand. Die erhobene Einsprache und die damit verbundenen Ausführungen wurden von der kantonalen Steuerverwaltung zwar entgegengenommen und geprüft, vermochten diese jedoch nicht zu überzeugen. Das Begehren der Beschwerdeführerin um eine mündliche Einspracheverhandlung wurde mit der Begründung abgelehnt, es gehe um eine Grundsatzfrage, zu deren Klärung eine mündliche Einspracheverhandlung nicht tauge. Die Einsprache wurde in der Folge mit Verfügung vom 2. April 2002 abgewiesen.

cc) Nach § 165 Abs. 1 StG ist das Einspracheverfahren in der Regel mündlich und kostenlos durchzuführen. Lediglich auf Antrag des Steuerpflichtigen oder der Veranlagungsbehörde wird es schriftlich durchgeführt. In Anbetracht der Massenverwaltung, zu der das Steuerveranlagungsverfahren zu zählen ist, kommt dem Institut der Einsprache eine erhebliche Bedeutung zu, erfolgt doch vielfach erst in diesem Rahmen eine eigentliche Prüfung der Sachverhaltsund Rechtsfragen (Höhn/Waldburger, Steuerrecht, Bd. I, 9. Aufl., Bern 2001, S. 949 N. 45). Der schriftliche Verkehr zwischen einem Einsprecher und der Steuerveranlagungsbehörde vermag eine mündliche Verhandlung denn auch nicht zu ersetzen, sofern die Behörde die vom Steuerpflichtigen vorgebrachten Ausführungen nicht akzeptiert (vgl. Maute, Kommentar zum Gesetz über die Staats- und Gemeindesteuern des Kantons Thurgau, Frauenfeld 1989, § 92 N. 1). Die Vorinstanz hält somit zu Recht fest, dass das Rekursverfahren lediglich ein unvollkommener Ersatz für das Einspracheverfahren darstellt, ist doch letzteres einerseits kostenlos, andererseits kann sich der Steuerpflichtige vor der Steuerrekurskommission nur schriftlich äussern. Eine Heilung der Verweigerung des rechtlichen Gehörs, begangen durch den Umstand, dass keine mündliche Einspracheverhandlung durchgeführt wurde, ist damit sowohl im Rekurs-, wie auch in jedem darauf folgenden Verfahren nicht möglich, solange kein expliziter Verzicht der Beschwerdeführerin auf eine mündliche Einspracheverhandlung vorliegt. Dies ist aufgrund der im Recht liegenden Akten nicht der Fall. Sowohl im Einsprache-, im Rekurs- als auch im Beschwerdeverfahren beantragt die Beschwerdeführerin eine mündliche Einspracheverhandlung, wenn auch in differierender Priorisierung ihrer Anträge. Die Beschwerdeführerin hat damit Anspruch darauf, das Einspracheverfahren mündlich durchführen zu können.
Die Pläne lassen keinen eindeutigen Schluss zu, welcher Teil der Liegenschaften der Beschwerdeführerin als Steuerobjekt der Erhebung der Minimalsteuer zugrunde liegt, weshalb es vorliegend als richtig erscheint, die mündliche Einspracheverhandlung zusätzlich mit einem Augenschein zu verbinden.

dd) Zum Vorwurf des überspitzten Formalismus ist folgendes festzuhalten: Durch das Rechtsbegehren bestimmt die Beschwerdeführerin, in welchem Umfang sie ihre Rechte einklagt. Im gleichen Verfahren können alsdann entweder kumulativ mehrere Rechtsbegehren erhoben oder alternativ in Form eines Haupt- und eines oder mehrerer Eventualbegehren abgefasst werden. Das Eventualbegehren, mit dem etwas anderes oder etwas Zusätzliches verlangt werden kann als mit dem Hauptbegehren, soll für den Fall gestellt werden, dass das Hauptbegehren keinen Schutz findet. Das gemeinsame Vorbringen mehrerer Rechtsbegehren im gleichen Verfahren dient dabei hauptsächlich der Prozessökonomie, müsste ansonsten doch für jedes Rechtsbegehren ein separates Verfahren anhängig gemacht werden (vgl. zum Ganzen: Frank/Sträuli/Messmer, Kommentar zur Zürcherischen Zivilprozessordnung, 3. Aufl., Zürich 1997, § 58 N. 1, § 100 N. 13, § 113 N. 13).

ee) Nicht gefolgt werden kann damit der Schlussfolgerung der Vorinstanz, durch ein Eventualbegehren werde «konkludent» auf das Hauptbegehren verzichtet. Zwar kann durch dieses Vorgehen allenfalls eine Priorisierung der Rechtsbegehren erwirkt werden; dies bedeutet aber nicht, im Falle einer Abweisung des Hauptbegehrens dürfe dem Eventualbegehren weniger Bedeutung zugemessen werden. Im Übrigen ist die Art und Weise, wie die Beschwerdeführerin im Rekursverfahren das Rechtsbegehren gestellt hat, weder unzulässig noch widersprüchlich. Bei Gutheissung des Hauptantrages im Rekursverfahren wäre das Eventualbegehren nämlich in sich zusammengefallen. Die Beschwerdeführerin hätte auch im Fall, dass diesem stattgegeben worden wäre, nicht mehr erreichen können als die vollumfängliche Gutheissung des Rekurses. Damit muss sich der vorinstanzliche Entscheid in seiner Art und Weise der Begründung überspitzter Formalismus vorwerfen lassen.

Entscheid vom 12. Februar 2003

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