TVR 2003 Nr. 39
Entschädigung des Neuwertes bei Zweckänderung. Vorteilsanrechnung bei Zweckänderung des Ersatzobjektes
§ 2 Abs. 2 GebG, § 22 Abs. 1 GebG, § 20 Abs. 1 GebR
1. Für die Bestimmung von § 20 GebR, wonach das Ersatzobjekt einen gleichartigen Zweck wie das bisherige Objekt haben muss, gibt es keine genügende gesetzliche Grundlage (E. 2).
2. Bewirkt die Zweckänderung des Ersatzobjektes voraussichtlich einen finanziellen Vorteil, so ist dieser bei der Festlegung der Entschädigungssumme anzurechnen (E. 4).
Die X AG war Eigentümerin einer Liegenschaft in Z. Das Objekt brannte vollständig ab. Vor dem Brand waren die darin enthaltenen Wohnungen vermietet worden. Die angebaute Remise war als Lagerraum (gewerblich) genutzt. Das neue Projekt sieht nur noch eine Wohnnutzung zu 20% vor, der Rest soll gewerblich (Hotel) genutzt werden. Da sich die Gebäudeversicherung und die X AG nicht über die Höhe der Entschädigung einigen konnten, gelangte die X AG an die Rekurskommission der Gebäudeversicherung, die den Rekurs teilweise gutheisst.
Aus den Erwägungen:
2. Die Vorinstanz hat die Ausrichtung des Neuwertes bei einer Realisierung des Projektes abgelehnt, da dieses Projekt zur Erstellung von Bauten für einen Gastgewerbebetrieb nicht die gesetzlichen Anforderungen für die Ausrichtung der Neuwertversicherungssumme erfülle. Tatsächlich war die Liegenschaft vor dem Brand, durch den sie zerstört wurde, als Wohnhaus mit einer angebauten Remise versichert gewesen. Von der Rekurrentin war anlässlich des Augenscheines ausgeführt worden, dass es sich beim Brandobjekt um ein klassisches Bauernhaus mit Wohnung, Stall und Scheune gehandelt habe, das aber nicht mehr so genutzt worden sei. Vor dem Brand seien die Wohnungen vermietet gewesen und der Stall und die Scheune seien als Materiallager der Rekurrentin verwendet worden. Die Vorinstanz beruft sich bei ihrer Argumentationsweise auf § 20 Abs. 1 GebR, der folgenden Wortlaut hat: «Ein Gebäude gilt als neu erstellt, wenn es vom Eigentümer oder von einer ihm gleich gestellten Person im gleichen Umfang und zum gleichartigen Zweck in der Nähe wieder errichtet worden ist.» Von der Rekurrentin wird vorgebracht, dass diese Bestimmung mit dem Willen des Gesetzgebers nicht übereinstimme.
Gemäss § 2 Abs. 2 GebG genehmigte der Grosse Rat das Reglement über die Versicherungsbedingungen. Jedoch bewirkt diese Genehmigung des Reglements, das vom Verwaltungsrat der Gebäudeversicherung erlassen wurde, nicht, dass dieses dadurch in Gesetzesrang erhoben würde. Einerseits hat der Grosse Rat nur die Möglichkeit einer globalen Ablehnung oder Gutheissung des ihm vorgelegten Reglements des Verwaltungsrates der Gebäudeversicherung. Eine materielle Änderung ist durch das Kantonsparlament nicht möglich. Andererseits untersteht ein solcher Erlass auch nicht dem in § 22 KV vorgesehenen fakultativen Referendum. Somit ist festzuhalten, dass dem GebR kein Gesetzesrang zukommt. Es ist daher zu untersuchen, ob der Verwaltungsrat der Gebäudeversicherung berechtigt ist, die Bestimmung von § 22 Abs. 1 GebG in dem Sinne einzuschränken, dass ein Gebäude nur dann als neu erstellt gilt, wenn es zum gleichartigen Zweck wieder errichtet wird. § 2 Abs. 2 GebG sieht zwar den Erlass eines Reglements über die Versicherungsbedingungen durch den Verwaltungsrat der Gebäudeversicherung vor. Diese doch in recht allgemeiner Form vorliegende Gesetzesbestimmung genügt aber nicht, um an den Verwaltungsrat der Gebäudeversicherung den Erlass von einschränkenden Bestimmungen bezüglich der Ausrichtung von Versicherungsleistungen zu delegieren und insbesondere auch eine recht gewichtige Einschränkung der Neuwertversicherung rechtsgültig festzulegen. Insbesondere werden die Grundzüge der delegierten Materie, d.h. die wichtigen Regelungen, nicht im Gesetz im formellen Sinne umschrieben, wie dies Lehre und Rechtsprechung verlangen (vgl. Häfelin/Müller, Allgemeines Verwaltungsrecht, N. 407). Auch der Vergleich mit andern Kantonen, wie er von der Vorinstanz vorgelegt wurde, zeigt, dass die Einschränkung der Ausrichtung der Neuwertentschädigung auf Erstellung von Bauten mit gleichartigem Zweck dort, wo dies vorgesehen wurde, auf Gesetzesstufe geregelt wurde. Eine solch wichtige Einschränkung, wonach ein Wiederaufbau nur zu gleichartigem Zweck möglich ist, um die Neuwertversicherungssumme zu erhalten, hätte somit im Gesetz vorgesehen werden müssen. Da diese Einschränkung im Gesetz selber jedoch nicht gegeben ist, muss die durch den Verwaltungsrat der Gebäudeversicherung in dem von ihm erlassenen Reglement festgelegte Einschränkung bezüglich Auszahlung der Neuwertversicherungssumme als nicht gesetzeskonform und somit als nicht anwendbar qualifiziert werden. Dies bedeutet aber nicht, dass allfällige Vorteile, die sich für den Grundeigentümer ergeben, wenn nicht mehr zu gleichartigem Zweck wieder aufgebaut werden muss, bei Festlegung der Versicherungssumme im Rahmen der Neuwertversicherung, berücksichtigt werden können, da sich diese Vorteile nicht aus der Neuwertversicherung selbst, sondern daraus ergeben, dass eine Baute mit einem nicht mehr gleichartigem Zweck realisiert wird (vgl. § 29 GebG).
3. Die neue Lehre wie auch die Praxis der privaten Feuerversicherungen zeigt, dass als Voraussetzung für die Entschädigung des Neuwertes der Wiederaufbau am gleichen Ort, in ungefähr gleicher Art und mit der gleichen Zweckbestimmung nicht mehr als zwingend betrachtet wird. Vielmehr wird die Wiederaufbauklausel liberalisiert gehandhabt (vgl. Brunner im Basler Kommentar zum VVG Art. 63 N. 21 sowie Gretener, Der Ersatzwert in der Gebäude-Feuerversicherung: Art. 63 Ziff. 2 VVG unter besonderer Berücksichtigung der Wiederaufbauklausel, Diss. Zürich 1975, S. 79). Als Zwischenergebnis ist somit festzuhalten, dass die Gebäudeversicherung der Rekurrentin den Neuwert bei Realisierung des von der Rekurrentin eingereichten Bauprojektes unter Abzug des noch festzulegenden Vorteiles, der sich durch die nicht mehr gleichartige Zweckbestimmung ergibt, zu entschädigen hat.
4. Die Rekurrentin verlangt, dass die Vorinstanz zu verpflichten sei, ihr die Neuwertentschädigung in der ermittelten Höhe von Fr. 756’676.– zur Auszahlung zu bringen. Diesem Rechtsbegehren kann einerseits sicher nur soweit entsprochen werden, dass nur bei Ausführung des eingereichten Projektes die Versicherungssumme zur Auszahlung gelangt. Andererseits kann auch nicht die Summe von 756’676.–, sondern höchstens jene von Fr. 726’676.– zur Auszahlung gelangen. Fr. 30’000.– der Schadenschätzung entfallen auf den Abbruch und die Entsorgung. Diese Summe wurde durch die Rekurrentin beansprucht, wobei es für die Beurteilung der vorliegenden Angelegenheit keine Rolle spielt, dass effektiv für Abbruch und Entsorgung Fr. 40’000.– von der Vorinstanz zur Auszahlung gelangten, da die Vorinstanz diese höhere Summe akzeptiert hat und es daher nicht zulässig wäre, nun noch Fr. 10’000.– der Neuwertversicherungssumme zu belasten.
Die Rekurrentin hat ihr Rechtsbegehren nachträglich auf Fr. 726’676.– reduziert. Festzustellen ist somit noch der Wert des Vorteiles, den die Rekurrentin durch die Realisierung der gastgewerblichen Bauten gegenüber der Erstellung eines Wohnhauses mit angebauter Remise hat, wie es vor dem Brand bestand. Die Rekurrentin kann bei Realisierung der gastgewerblichen Bauten eine erheblich bessere Nutzung der Liegenschaft erzielen wie vor dem Brand. Gemäss den Ausführungen der Rekurrentin anlässlich des Augenscheines waren vor dem Brand die Wohnungen vermietet gewesen, währenddem die Remise als Materiallager von der Rekurrentin selber genutzt wurde. Gemäss Steuerschätzungsprotokoll vom 30. Mai 1996 wurden durch die Vermietung der Wohnungen ein Mietertrag von Fr. 20’400.– pro Jahr erzielt und für den selbst (gewerblich) genutzten Teil wurde ein jährlicher Ertrag von Fr. 3’600.– festgelegt. Somit waren vor dem Brand nur 15% (Fr. 3’600.– : Fr. 20’400.– x 100) gewerblich genutzt gewesen, währenddem nun auf Grund des vorgelegten Projektes nur noch eine geringe Kubatur von etwa 20% zu Wohnzwecken genutzt werden soll. (...) Somit vergrössert sich die gewerblich genutzte Fläche von 15% auf 80%. Nach Einschätzung der Rekurskommission erwächst der Rekurrentin dadurch ein Mehrwert von Fr. 100’000.–, da die Parzelle bei einem Wiederaufbau des bestehenden Gebäudes mit dem dort gegebenen hohen Anteil an Wohnnutzung eine erheblich geringere Nutzungsintensität zulässt. (...) In teilweiser Gutheissung des Rekurses ist daher festzustellen, dass bei der Realisierung des vorgelegten Projektes die Vorinstanz der Rekurrentin eine Entschädigung von Fr. 626’676.– zu leisten hat.
Entscheid vom 28. August 2003