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TVR 2005 Nr. 33

Sozialhilfeleistungen als Holschuld


§ 8 SHG


1. Die Praxis, wonach eine monatliche persönliche Vorsprache am Schalter der Sozialen Dienste zur Abholung der Sozialhilfeleistungen verlangt wird, ist nicht zu beanstanden. Dabei handelt es sich um eine Hol- und nicht um eine Bringschuld (E. 4 aa und bb).

2. Die nachträgliche Ausrichtung Jahre zurückliegender, zugesicherter aber nicht abgeholter Sozialhilfeleistungen kann verweigert werden, zumal sich der Gesuchsteller – wie im vorliegenden Fall behauptet – den Lebensunterhalt in dieser Zeit durch Darlehen von Freunden finanziert hat.


Mit Entscheid der Fürsorgekommission vom 30. August 2000 legte diese die Sozialhilfe für die türkische Familie K auf Fr. 2’245.– ab September 2000 fest. Gemäss Kontoauszug der Sozialhilfe wurden die Lohneingänge Ks für seine Arbeit im Rahmen eines Beschäftigungsprogramms ab September 2000 verbucht und die Rechnungen für Miete inklusive Nebenkosten, Arzt- und Zahnarztbesuche sowie Krankenkasse direkt beglichen. Per Ende Februar 2001 lief das Arbeitsverhältnis Ks aus, worauf er sich zum Bezug von Arbeitslosenversicherungsleistungen anmeldete. Am 12. April 2001 sprach K bei der Sozialhilfe vor und machte geltend, er stecke in einer Krisensituation. Er habe Schulden bei Bekannten von über Fr. 32’000.– und diverse Rechnungen (Billag, Swisscom etc.) seien offen. Nach Angaben von K wurde damals zuhanden der Sozialhilfe eine Liste «Schulden bei Privatpersonen zur Deckung des Lebensunterhalts ab Mai 2000 bis April 2001» über Fr. 31’000.– erstellt. Am 9. Mai 2001 regelte die Fürsorgekommission die Unterstützung rückwirkend ab 10. April 2001 und hielt unter anderem fest, dass der Lebensunterhalt zweimal monatlich in bar ausbezahlt werde. K bezog die Fürsorgeleistungen jedoch nicht.
Am 15. September 2004 lehnte die Sozialhilfekommission das Gesuch vom23. Juni 2003 um Übernahme der Schulden bei Dritten in der Höhe von Fr. 31’000.– ab. Begründet wurde dies hauptsächlich damit, dass die Sozialhilfe sich auf die Deckung des laufenden Bedarfs erstrecke und nicht für Schulden aus der Vergangenheit aufkomme. Den dagegen gerichteten Rekurs wies das DFS ab. Auch das Verwaltungsgericht weist ab.

Aus den Erwägungen:

4. a) Ausgangspunkt der Beurteilung ist § 8 SHG, der folgenden Wortlaut hat: «Verfügt jemand nicht über hinreichende Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhaltes für sich und seine Angehörigen mit gleichem Wohnsitz, sorgt die Gemeinde für die notwendige Unterstützung, sofern vom Hilfsbedürftigen nicht verlangt werden kann, sich die Mittel durch eigene Arbeit zu beschaffen, und keine andere Hilfe möglich ist.»
Sozialhilfeleistungen unterliegen damit klarerweise dem Grundsatz der Subsidiarität und werden demnach nur gewährt, wenn die bedürftige Person sich nicht selber helfen kann oder Hilfe von dritter Seite nicht oder nicht rechtzeitig erhältlich ist. Die Sozialhilfe ist insbesondere subsidiär gegenüber Möglichkeiten der Selbsthilfe, Leistungsverpflichtungen Dritter sowie freiwilligen Leistungen Dritter (Wolffers, Grundriss des Sozialhilferechts, 2. Aufl., Bern 1999, S. 71). Sozialhilfeleistungen sind gemäss Wolffers in der Regel auch subsidiär gegenüber Leistungen Dritter, welche ohne rechtliche Verpflichtung erbracht werden, wird doch die (aktuelle) Notlage im Umfange der tatsächlich geleisteten Hilfe behoben, so dass insoweit Sozialhilfe ausgeschlossen ist. Allerdings verlangt das Subsidiaritätsprinzip nicht, dass hilfsbedürftige Personen zunächst alle Möglichkeiten freiwilliger Leistungen ausschöpfen müssen, bevor um Sozialhilfe nachgesucht werden kann (Wolffers, a.a.O.).

b) Diese allgemeinen Ausführungen zur Subsidiarität machen deutlich, dass der Standpunkt des Beschwerdeführers auf rückwirkende Ausrichtung zugesicherter Sozialhilfe nicht haltbar ist.

aa) Zwar trifft zu, dass der Beschwerdeführer aufgrund des Beschlusses vom 28. August 2000 grundsätzlich Anspruch auf Unterstützung hatte, allerdings nicht gewissermassen automatisch auf den im beigelegten Budgetblatt festgehaltenen Auszahlungsbetrag, können sich doch die für die Berechnung massgebenden Grundlagen jederzeit, also von Woche zu Woche oder von Monat zu Monat, ändern. Über die aktuellen Verhältnisse zu berichten, obliegt den Hilfsbedürftigen (vgl. § 25 Abs. 1 SHG). Rein schon deshalb ist zumindest eine monatliche persönliche Vorsprache bei den Sozialen Diensten, wie es offenbar in M gehandhabt wird, keineswegs zu beanstanden. So war beispielsweise am 8. August 2000 unbestrittenermassen noch offen, ob seine Frau und Kinder aufgrund der «Probleme» aus Hamburg zurückkehren würden (vgl. Aktennotiz der Sozialen Dienste). Im Raum stand ja damals auch die Frage der Übernahme der Mietzinsausstände für Juni bis August 2000 (3 x Fr. 1’365.– = Fr. 4’095.– ) beziehungsweise die Angebote der Sozialen Dienste für zwei wesentlich billigere Wohnungen mit einem Zins von Fr. 950.– pro Monat. Im Übrigen behauptet der Beschwerdeführer selbst nicht, in der fraglichen Periode je vorgesprochen zu haben.

bb) Die von der Gemeinde M gehandhabte monatliche (oder zweimal monatliche) Auszahlung der Unterstützung in bar (oder Check) ist – wie bereits angetönt – nicht zu beanstanden. Es handelt sich mit anderen Worten um eine Hol- und nicht um eine Bringschuld. Dem Beschwerdeführer ist denn auch für den September 2000 ein entsprechender Check über Fr. 2’245.– ausgehändigt worden. Offenbar zog es der Beschwerdeführer aber vor, diesen – aus welchen Gründen auch immer – nicht einzulösen. Wenn er behauptet, diesen Check nicht angeboten erhalten zu haben, so bleibt er den Beweis dafür schuldig. Sein blosses Bestreiten überzeugt nicht. Immerhin legen die Sozialen Dienste eine Kopie vor. Dass es sich dabei um eine blosse Quittung oder Zahlungsanweisung handeln soll, ist ebenso eine blosse Behauptung. Der Beschwerdeführer muss sich die Gegenfrage gefallen lassen, wofür denn quittiert worden wäre, wenn nicht für eine Auszahlung?
Eine Überweisung der Unterstützung auf ein Konto eines Hilfsbedürftigen kann in aller Regel nur dort vorgenommen werden, wo besondere Gründe vorliegen. Der Beschwerdeführer bringt nicht vor, bei ihm hätten solche besonderen Gründe vorgelegen. Immerhin attestiert ihm der damalige Arbeitgeber: «Wir lernten K als willigen und fleissigen Mitarbeiter kennen. Er arbeitete unter Anleitung selbständig und wir waren mit seinen Leistungen und der Qualität, der teilweise ungewohnten Arbeit, sehr zufrieden ....». Das zeigt mit aller Deutlichkeit, dass er in der Lage war, das Geld abzuholen. Das wird auch nicht durch den «Vertraulichen Zwischenbericht» von Dr. phil. Z, Psychoanalytische Praxis, vom 11. Mai 2004 in Frage gestellt.

cc) Der Beschwerdeführer ist in keiner Art irgendwie gezwungen worden, seinen Bedarf durch Leistungen Dritter zu finanzieren. Solches behauptet er auch nicht. Er hat ganz einfach auf Auszahlung verzichtet, vorenthalten worden sind ihm die Auszahlungen offenkundig nicht. Er bestreitet auch nicht die Aussage der Sozialen Dienste vom 29. Juli 2004, dass er sich in diversen Gesprächen geweigert haben soll, weiterhin Unterstützung anzunehmen. Damit hat er seinen behaupteten Anspruch aber gewissermassen verwirkt. Es ist dem Beschwerdeführer in Erinnerung zu rufen, dass es viele Bedürftige gibt, die eine Unterstützung durch Dritte gegenüber der öffentlichen Sozialhilfe vorziehen. Wer so verfährt, kann nicht hinterher rückwirkend Unterstützung verlangen, auch wenn diese grundsätzlich beschlossen worden ist. Es besteht nur Anspruch auf Hilfe in der aktuellen Notlage. (...) Im Übrigen hätte er schon längst Zeit gehabt, eine günstigere Wohnung zu beziehen. Schliesslich gehen die Vorinstanzen zu Recht davon aus, dass mit einer Leistung über Fr. 17’925.– nicht die behauptete Notlage des Beschwerdeführers, sondern eine Tilgung der Schulden bei Dritten verbunden wäre, was nicht Aufgabe der Sozialhilfe ist.

dd) Dass die Bestätigungen der Darlehen falsch sein sollen, haben weder die Vorinstanz noch die Fürsorgekommission ausgeführt. Beide haben vielmehr nur Fragezeichen gesetzt beziehungsweise Mutmassungen angestellt und das mit vollem Recht. Auffallend ist ja schon die Tatsache, dass derart hohe Darlehen «einfach so» gewährt worden sein sollen. Auch unter Freunden ist das nicht üblich. Durchwegs fehlt auch die Angabe, wann genau diese Darlehen ausgehändigt worden sein sollen. Dass es dem Beschwerdeführer oblegen hätte, die entsprechenden Angaben zu machen, ist auch angesichts der Offizialmaxime im Sozialhilferecht völlig klar (vgl. § 25 SHG). Hat er die Unterschriften beibringen können, hätte er auch die Daten nachträglich eruieren können, geht man überhaupt davon aus, diese Belege hätten eine Nachzahlung zur Folge. Allein der Hinweis in allen gleichlautenden Belegen, dass die eingesetzten Beträge für den Lebensunterhalt der Familie K gewährt worden sein sollen, weil die Sozialhilfe diese im damaligen Zeitpunkt nicht unterstützt habe, würde die genaue Datierung zur Glaubhaftmachung derselben nicht überflüssig machen. Der Beschwerdeführer muss sich auch die Frage gefallen lassen, wieso er denn damals so hohe Beträge benötigte, geht er doch selbst davon aus, sein Lebensunterhalt habe nur Fr. 17’925.– und nicht Fr. 31’000.– betragen. Auch wendet die Fürsorgekommission völlig zu Recht ein, K habe bereits anlässlich der Besprechung vom 8. August 2000 von bestehenden Schulden gesprochen. Die blosse Bestreitung dieses Vorhalts hilft dem Beschwerdeführer nichts. Auch ist durch nichts erklärt, wieso der Beschwerdeführer nicht schon vorher auf die fehlende Unterstützung hingewiesen hatte und sich damit bis 23. Juni 2003 Zeit liess.

ee) Auch aus dem Grundsatz von Treu und Glauben kann der Beschwerdeführer nichts zu seinen Gunsten ableiten. Wenn die Sozialen Dienste nähere Angaben zu den behaupteten Darlehen verlangten, so band sie damit die allein zuständige Fürsorgekommission selbstverständlich nicht. Diese hat sich vielmehr völlig zu Recht auf § 8 SHG berufen, wie unter E. 4a ausgeführt worden ist. Die Nichtgewährung der rückwirkenden Sozialhilfe erweist sich damit in jeder Hinsicht als rechtens.

Entscheid vom 21. September 2005

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