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TVR 2005 Nr. 37

Zuständigkeit der Flurkommission zum Entscheid über das Vorliegen einer vom Flurgesetz abweichenden Vereinbarung betreffend Pflanzenabstand


§ 9 Abs. 1 FlGG, § 32 Abs. 1 FlGG


1. Sind Abweichungen von den Pflanzenabstandsvorschriften vereinbart worden, kann nur die Herstellung des vereinbarungsgemässen Zustandes verlangt werden. Für solche Vereinbarungen besteht keine Formvorschrift (E. 2b).

2. Ob eine Vereinbarung besteht, prüft die Flurkommission vorfrageweise (E. 2c).


U ist Eigentümer der Parzelle Nr. 261 in G. Die Eheleute B sind je zur Hälfte Miteigentümer der Parzelle Nr. 262, welche mit der Parzelle Nr. 261 eine rund 25 m lange, von Nordost nach Südwest verlaufende gemeinsame Grenze aufweist. In einem Abstand zwischen 1,0 und 1,2 m zur gemeinsamen Grenze befinden sich auf Parzelle Nr. 261 verschiedene recht hohe Bepflanzungen. Im südlichen Teil stehen auf einer Länge von rund 13 m Thujas, im nördlichen Bereich befinden sich laubtragende Sträucher. Diese grenznahe Hecke besteht offenbar schon seit vielen Jahren. Auf Wunsch der Eheleute B schnitt U die grenznahen Bepflanzungen in den Jahren 2001 und 2002 jeweils im Herbst zurück. Im November 2002 baten die Eheleute B U um ein Näherbaurecht für ein neues Gartenhaus, welches – ohne schriftlich festgehaltene Bedingungen – gewährt wurde. Mit Schreiben 28. Juli 2003 forderten die Eheleute B U auf, die Hecke innert 20 beziehungsweise 10 Tagen auf das nach den nachbarrechtlichen Vorschriften des FlGG erlaubte Mass zurückzuschneiden. Nachdem eine Reaktion ausblieb, gelangten die Eheleute B am 11. August 2003 an die Flurkommission, welche am 17. Oktober 2003 in Anwesenheit der Parteien einen Augenschein durchführte. Das als «Aktennotiz» betitelte Protokoll dieses Augenscheins hält zum einen fest, dass die Hecke mit einer Höhe von bis zu zirka 8 m eindeutig gegen das Flurgesetz verstosse und dass die Parteien die Absicht geäussert hätten, eine vom Flurgesetz abweichende Vereinbarung abzuschliessen, wobei folgende Regelung getroffen werden solle (Aktennotiz vom 20. Oktober 2003): (...) «Die Heckenpflanzung im nördlichen Bereich bis zu den Thujapflanzen wird auf einer Länge von 12 m bis zu einer Höhe von 3,2 m toleriert. Alsdann wird für die restliche Hecke eine maximale Höhe von 2,8 m zugelassen. Diese Höhenmasse sind in einer Tiefe von 1,6 m einzuhalten (Grenzabstandsbereich). Anschliessend sind die Bestimmungen des Gesetzes über Flur und Garten massgebend. (...) Die Hecke wird einmal jährlich zurückgeschnitten. Das Zurückschneiden wird für die Thujahecke jeweils im März und für die restlichen Pflanzen jeweils im Dezember vorgenommen. Jedes Mal nach dem Rückschnitt der Hecke muss sich zur gemeinsamen Grenze ein Abstand von 20 cm ergeben. Für den Abschluss der Vereinbarung sind die Parteien selber zuständig. Der erste Rückschnitt wird bis Ende Dezember 2003 vorgenommen.»
Die Eheleute B liessen in der Folge Ende November 2003 beim Grundbuchamt einen Vereinbarungsentwurf betreffend «Aufhebung einer nachbarrechtlichen Eigentumsbeschränkung nach Gesetz über Flur und Garten» ausarbeiten. Diesen Servitutsentwurf stellten sie am 8. Dezember 2003 U zur Prüfung zu. Noch im Dezember 2003 veranlasste U einen Rückschnitt der Hecke, beantwortete das Schreiben vom 8. Dezember 2003 aber nicht. Mit Brief vom 15. Januar 2004 beanstandeten die Eheleute B, dass der Rückschnitt nicht der Vereinbarung gemäss Protokoll vom 20. Oktober 2003 entspreche, und forderten U zudem auf, den Servitutsentwurf ohne Änderungen innert 20 Tagen zu unterzeichnen. Am 5. Februar 2004 antwortete U in dem Sinne, dass die Vereinbarung erst im Grundbuch eingetragen werden könne, wenn «die offenen Details» geklärt seien, so die Tolerierung einer südlich von deren Grundstück stehenden Baumgruppe; die Flurkommission habe diesen offenen Punkt leider übersehen. Am 19. Februar 2004 gelangten die Eheleute B wiederum an die Flurkommission und verlangten einen weiteren Augenschein.
Nach Durchführung eines zweiten Augenscheins verpflichtete die Flurkommission U, die Bepflanzungen entlang der Grundstücksgrenze zu Parzelle Nr. 262 bis zum 15. November 2004 so zurückzuschneiden, dass sie den Bestimmungen des Gesetzes über Flur und Garten entsprächen. Sie seien so unter Schnitt zu halten, dass sie nie höher als das Doppelte ihres Grenzabstandes seien. Der dagegen erhobene Rekurs wurde vom DIV abgewiesen. Auch das Verwaltungsgericht weist ab.

Aus den Erwägungen:

2. a) Gemäss § 5 Abs. 1 FlGG dürfen Bäume, Sträucher, Hecken, Lebhäge und ähnliche Pflanzungen sowie mehrjährige landwirtschaftliche Kulturen nie höher gehalten werden als das Doppelte ihres Grenzabstandes. Beträgt der Grenzabstand mindestens 10 m, besteht keine Beschränkung der Höhe (Abs. 2). Bei Pflanzungen, die den Vorschriften des Flurgesetzes nicht entsprechen, kann der Eigentümer des betroffenen Nachbargrundstückes jederzeit die Wiederherstellung des rechtmässigen Zustandes verlangen (§ 8 Abs. 1 FlGG). Sind Abweichungen von Abstandsvorschriften vereinbart worden, kann lediglich die Herstellung des vereinbarungsgemässen Zustandes verlangt werden (§ 9 Abs. 1 FlGG). Gemäss § 9 Abs. 2 FlGG sind Rechtsnachfolgende nur an die Vereinbarungen gebunden, die als Dienstbarkeit im Grundbuch eingetragen sind.

b) Zwischen den Parteien ist unbestritten, dass die Pflanzungen entlang der gemeinsamen Grenze die flurrechtlichen Bestimmungen (Höhe höchstens doppelter Grenzabstand) nicht einhalten. Es ist auch unbestritten, dass für eine vom FlGG abweichende Vereinbarung, welche nur obligatorische Wirkung zwischen den jetzigen Eigentümern entfaltet, keine besonderen Formvorschriften einzuhalten sind. Grundsätzlich könnte somit eine Vereinbarung bloss mündlich (z.B. anlässlich eines Augenscheines der Flurkommission) oder mit einfacher Schriftlichkeit rechtsverbindlich abgeschlossen werden. Dingliche Wirkung hat allein ein Servitutsvertrag.

c) Das FlGG ist vorbehaltenes kantonales Privatrecht im Sinne von Art. 5 Abs. 1 und Art. 688 ZGB (vgl. BGE 1P.28/2002). Gemäss Art. 54 Schlusstitel ZGB können die Kantone dort, wo das ZGB nicht ausdrücklich von einer zuständigen Behörde oder einem Gericht spricht, entweder eine gerichtliche oder eine Verwaltungsbehörde als zuständig bezeichnen, wobei das kantonale Recht das Verfahren ordnet.
Gemäss § 32 Abs. 1 FlGG entscheidet die Flurkommission, sofern nachbarrechtliche Bestimmungen des FlGG anwendbar sind. Begehren, die sich auf nachbarrechtliche Bestimmungen des ZGB stützen, sind jedoch beim zivilen Gericht anhängig zu machen. Aufgrund dieser Abgrenzung zur Zivilgerichtsbarkeit ergibt sich, dass die Flurkommission klarerweise zuständig war, über die Wiederherstellung des rechtmässigen Zustandes betreffend der streitigen Pflanzungen im Grenzabstandsbereich der Nachbarn zu entscheiden (§ 8 i.V. mit § 5 FlGG). Vorfrageweise hatte sie dabei auch über die an sich zivilrechtliche Frage des Vorliegens einer von den Abstandsvorschriften (hier für Pflanzungen nach § 5 FlGG) abweichenden Vereinbarung unter den Nachbarn zu befinden, kann doch diesfalls lediglich die Herstellung des vereinbarungsgemässen Zustandes verlangt werden (§ 9 Abs. 1 FlGG). Gleiches tat das DIV, was ebenso nicht zu beanstanden ist, lässt doch § 9 FlGG ausdrücklich – vom Gesetz – abweichende Vereinbarungen zu. Die Frage, ob eine solche Vereinbarung zustande gekommen ist, beschlägt – wie gesagt – das Privatrecht; darüber hat auch das Verwaltungsgericht vorfrageweise – und mit der gebotenen Zurückhaltung – zu entscheiden (vgl. TVR 1991 Nr. 26).

3. Streitig ist einzig, ob zwischen den Nachbarn eine Vereinbarung im Sinne von § 9 FlGG zustande gekommen ist.
Eine solche Vereinbarung ergibt sich – wie das DIV zu Recht ausgeführt hat – nicht aus der Vereinbarung betreffend Herabsetzung des Grenzabstandes für das Gartenhäuschen vom November 2002. Die Zustimmung dazu wurde bedingungslos gegeben, wohl in der Hoffnung auf eine gewisse Gegenseitigkeit. Darin sieht sich nun der Beschwerdeführer wohl in Bezug auf die Frage der Pflanzungen im Grenzbereich mit einem gewissen Recht getäuscht.

a) Gemäss § 33 FlGG unternimmt der Präsident oder die Präsidentin der Flurkommission in flurrechtlichen Streitigkeiten in der Regel zunächst einen Vermittlungsversuch. Laut dem Protokoll oder der Aktennotiz vom 17./20. Oktober 2003 «haben die Parteien aufgrund der Diskussion die Absicht geäussert, eine vom Flurrecht abweichende Vereinbarung zu treffen. Dabei soll folgende Regelung getroffen werden: (siehe im Sachverhalt). Für den Abschluss der Vereinbarung sind die Parteien selber zuständig.» Keine Partei opponierte dagegen, dass dies nicht dem Willen der Beteiligten entsprochen haben sollte. Die Parteien behielten sich somit offensichtlich eine schriftliche Vereinbarung vor, auch wenn der Wortlaut davon nicht ausdrücklich spricht. Mit diesem Willen liessen dann die Eheleute B einen Servitutsvertragsentwurf ausarbeiten, den sie nach einem Telefongespräch dem Beschwerdeführer am 8. Dezember 2003 «zur Prüfung» zustellten. Eine Reaktion Us gegenüber den Eheleuten B blieb aus. «Bezugnehmend auf unser Telefongespräch vom 22. Dezember 2003 und ihrer mündlichen Zusage für einen neuen Gesprächstermin betreffend Eintrag ... ins Grundbuch ...» wurde U am 15. Januar 2004 durch die Eheleute B aufgefordert, innert 20 Tagen Stellung zu nehmen oder den Vertrag vom Grundbuchamt zu unterzeichnen, «damit wir uns einen weiteren behördlichen Aufwand ersparen können.» Am 5. Februar 2004 antwortete U, dass der Grundbucheintrag erst erfolgen könne, wenn die offenen Details unmissverständlich geklärt seien. Der Entwurf sei bis auf einen Punkt (kleine Baumgruppe südlich der Parzellengrenze) geklärt. Die Eheleute B schrieben alsdann der Flurkommission am 19. Februar 2004 «Bedauerlicherweise wurde die Vereinbarung vom 2. Oktober 2003, die durch beide Parteien getroffen wurde, nicht eingehalten.» Damit ergibt sich, dass sich die Flurkommission – und mit ihr das DIV – völlig zu Recht auf den Standpunkt stellte, der Nachweis einer besonderen Vereinbarung sei nicht erbracht worden. Gemäss Art. 15 Abs. 1 OR gilt nämlich: «Ist für einen Vertrag, der von Gesetzes wegen an keine Form gebunden ist, die Anwendung einer solchen vorbehalten worden, so wird vermutet, dass die Parteien vor Erfüllung der Form nicht verpflichtet sein wollen.»

b) Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringt, ist nicht stichhaltig.

aa) Zwar ist richtig, dass sich die Parteien nicht auf den Abschluss eines Servitutvertrages (mit öffentlicher Beurkundung und Eintragung) einigten, sondern bloss auf eine obligatorische Vereinbarung. Diesen Einwand brachte der Beschwerdeführer allerdings im Verfahren vor dem Entscheid der Flurkommission nicht vor. Die Flurkommission durfte und musste jedoch festhalten, dass keine schriftliche Vereinbarung vorliegt, sei sie nun obligatorischer oder dinglicher Natur. Der Beschwerdeführer sah aber am 5. Februar 2004 selbst ein, dass ein Servitutsvertrag abzuschliessen die zweckmässigste Form wäre.

bb) Wenn der Beschwerdeführer der Auffassung ist, es sei nirgends festgehalten, dass eine allfällige Einigung gemäss § 33 FlGG nur durch schriftliches Protokoll zustande kommen könne, so übergeht er, dass sich die Parteien offensichtlich auf Schriftform für eine Vereinbarung festlegen wollten. Dagegen hat der Beschwerdeführer nicht opponiert, ob er nun zu einer «Zustimmungserklärung» eingeladen wurde oder nicht. Auch hat er in keiner Weise richtiggestellt, «was damals wirklich gesprochen und vereinbart worden sein soll», wie er es nun in der Beschwerdeschrift vorbringen lässt.

cc) Zwar trifft zu, dass beide Seiten sich irgendwie an die Vereinbarung vom 17./20. Oktober 2003 halten wollten. So liessen die Eheleute einen Servitutsvertrag ausarbeiten, der der Aktennotiz entsprach und U liess offenbar die Sträucher im Dezember entsprechend schneiden. Allein der Beschwerdeführer nutzte die ihm zweimal gebotene Gelegenheit nicht, die Vereinbarung – von deren Notwendigkeit auch er ausging – zu unterschreiben.

Entscheid vom 19. Oktober 2005

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