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TVR 2005 Nr. 42

Kündigung ohne Fristansetzung zur positiven Veränderung


§ 21 RSV, § 26 RSV


1. Bevor eine Kündigung aufgrund ungenügender Leistung oder unbefriedigendem Verhalten ausgesprochen werden darf, ist in der Regel ein Standortgespräch zu führen und eine Frist zur positiven Veränderung anzusetzen. Nur besonders schwerwiegende Fehler rechtfertigen eine Abweichung von dieser Regel. Einmaliges Fehlverhalten genügt in der Regel nicht (E.6).

2. Folge einer Kündigung, welche in Verletzung dieser Regel erfolgte, ist nicht deren Ungültigkeit, sondern eine angemessene Entschädigung (E. 7).


Aus den Erwägungen:

2. Strittig ist die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses durch das Departement. Für die rechtlichen Grundlagen ist auf die RSV abzustellen. Die Kündigung eines Anstellungsverhältnisses durch den Staat darf nicht missbräuchlich im Sinne des Obligationenrechts sein und setzt einen sachlich zureichenden Grund voraus (§ 21 Abs. 1 RSV). Ein sachlich zureichender Grund liegt beispielsweise vor, wenn mangelhafte Leistung oder unbefriedigendes Verhalten gegeben sind (§ 21 Abs. 2 Ziff. 2 RSV). Bei der Frage, ob die Kündigung materiell gerechtfertigt ist, muss insbesondere überprüft werden, ob die kündigende Behörde die allgemeinen verfassungsrechtlichen Schranken wie das Willkürverbot, das Verhältnismässigkeitsprinzip und den Grundsatz von Treu und Glauben beachtet hat. Die Gründe, welche zur Kündigung Anlass gegeben haben, müssen von einem gewissen Gewicht sein. Ein wichtiger Grund in dem Sinn, dass eine fristlose Entlassung gerechtfertigt sein müsste, braucht bei einer ordentlichen Kündigung nicht nachgewiesen zu sein. Es muss genügen, dass die Kündigung sich im Rahmen des der Verwaltung zustehenden Ermessens hält und angesichts der Leistungen und des Verhaltens des Bediensteten sowie der personellen und betrieblichen Gegebenheiten als vertretbare Massnahme erscheint. Nur sachlich unhaltbare, willkürliche Kündigungen seitens der Verwaltung sind im Beschwerdeverfahren zu beanstanden (BGE 108 Ib 209). Zur Prüfung der materiellen Rechtmässigkeit einer Kündigung können die Grundsätze aus dem Obligationenrecht betreffend Missbräuchlichkeit der Kündigung (Art. 336 OR) analog berücksichtigt werden. Die Regelung von Art. 336 OR stellt ihrerseits eine Konkretisierung des Grundsatzes von Treu und Glauben dar (Streiff/von Kaenel, Arbeitsvertrag, N. 2 zu Art. 336 OR). Der öffentlichrechtliche Kündigungsschutz beschränkt sich indessen nicht auf die Missbrauchstatbestände des Obligationenrechts, er geht weiter (Bundesgericht 22.5.2001, 2A.71/2001).
Der weitergehende Kündigungsschutz im öffentlichen Dienstrecht besteht nach der thurgauischen Regelung auch darin, dass Angestellte, deren Leistung nicht genügt oder deren Verhalten zu beanstanden ist, nicht einfach gekündigt werden darf. In der Regel ist vorab ein Standortgespräch mit dem betreffenden Angestellten zu führen und es ist ihm eine Frist zur positiven Veränderung anzusetzen (§ 21 Abs. 3 RSV). Zum Schutz des Angestellten sollte ihm im Rahmen des Standortsgesprächs eröffnet werden, welche Mängel bestehen und wie lange die «Bewährungszeit» ist. Auf dieses Verfahren, welches die Rechte des betroffenen Angestellten wahrt und aufgrund der Möglichkeit der Bewährung – in der Regel auch dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit genügt, kann, sofern nicht die Voraussetzungen für eine fristlose Kündigung gemäss § 22 Rechtstellungsverordnung vorliegen, nur ausnahmsweise verzichtet werden. Ein Verzicht auf die Fristansetzung ist beispielsweise möglich, wenn der betreffende Angestellte keinen Änderungswillen bekundet. Ansonsten erscheint ein Verzicht auf die Fristansetzung nur zulässig, wenn dem betreffenden Angestellten ein besonders schwerwiegender Fehler zur Last gelegt werden muss, so dass eine weitere Zusammenarbeit dem öffentlichen Interesse widerspricht. In allen übrigen Fällen ist vor einer ordentlichen Kündigung eine Verwarnung auszusprechen und ein angemessener Zeitraum für eine Verbesserung anzusetzen (dazu: RB ZH, 2003, Nr. 117).

3. (...)
4. (...)
5. (...)

6. Die Kündigung ist ohne das in der RSV vorgesehene Verfahren, nämlich Führung eines Standortgesprächs und Ansetzung einer Frist zur positiven Veränderung, erfolgt (§ 21 Abs. 3 RSV). Die Vorinstanz stellt sich auf den Standpunkt, im vorliegenden Fall erübrige sich die Fristansetzung, die Rekurrentin bestreitet dies.
Wie bereits oben ausgeführt, kann bei einer Entlassung wegen unbefriedigendem Verhalten nur ausnahmsweise auf das «abgekürzte» Verfahren, ohne Gespräch und Fristansetzung zur Verbesserung, gegriffen werden. In der Regel hat der Angestellte einen Anspruch darauf, dass ihm diese Möglichkeit eingeräumt wird. Verzichtet werden kann darauf seitens des öffentlichen Arbeitgebers, wenn die Voraussetzungen für eine fristlose Entlassung – z.B. kriminelles Verhalten – erfüllt sind. Ausserdem kann in anderen, besonders schwerwiegend erscheinenden Fällen darauf verzichtet werden. Denkbar erscheint dies beispielsweise bei mehrfachem Fehlverhalten über einen längeren Zeitraum oder wenn aus anderen Gründen eine positive Veränderung beim Angestellten ausgeschlossen werden kann. In allen anderen Fällen genügt der öffentliche Arbeitgeber dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit nur, wenn dem Mitarbeiter nach einem Standortgespräch eine Bewährungsfrist angesetzt wird.
Die Vorinstanz führt aus, das Vertrauen zur Rekurrentin sei so nachhaltig gestört gewesen, dass eine weitere Zusammenarbeit nicht mehr in Frage gekommen sei. Was effektiv vorgefallen und dokumentiert ist, kann indessen nicht als besonders schweres Fehlverhalten qualifiziert werden. Angesichts der langjährigen hervorragenden Qualifikationen kann durch einen einzigen Vorfall das Vertrauen in den Mitarbeiter gar nicht restlos zerstört sein. Dies umso weniger, als organisatorische Defizite als Mitursache für den Fehler angesehen werden müssen. Die Rekurrentin hätte demnach Anspruch auf eine angemessene Bewährungszeit gehabt. Dies ist umso mehr der Fall, als nicht etwa behauptet wird, sie habe an einer Änderung ihres Verhaltens kein Interesse bekundet. Ganz im Gegenteil, die Vorinstanz führt ausdrücklich aus, die Rekurrentin hätte vermutlich alles daran gesetzt, um die früheren positiven Beurteilungen ihrer Leistung und ihres Verhaltens zu bestätigen. Einem selbst nach Ansicht der Vorinstanz so gut motivierten Mitarbeiter, der jahrelang zur vollen Zufriedenheit des Arbeitgebers tätig gewesen ist, kann nach einem einmaligen Fehlverhalten ohne Standortgespräch und Einräumung einer Bewährungsmöglichkeit nicht gekündigt werden.

7. Die Vorinstanz hat demnach mit der Kündigung, ohne die Verfahrensrechte der Rekurrentin zu berücksichtigen, den Grundsatz der Verhältnismässigkeit verletzt. Sie hat damit gegen den Kündigungsschutz der kantonalen Regelung verstossen. Gemäss § 26 RSV sind die Folgen einer Kündigung, welche in Verletzung der gesetzlichen Regeln erfolgte, sinngemäss nach den Bestimmungen des Obligationenrechts zu beurteilen. Dies bedeutet zunächst, dass die Kündigung gültig bleibt. Hingegen hat der Arbeitnehmer, welchem gekündigt wurde, Anspruch auf Ausrichtung einer angemessenen Entschädigung von maximal sechs Monatsgehältern (Art. 336a OR). Bei der Bemessung der Entschädigung ist von der objektiven Schwere der Rechtsverletzung auszugehen. Zu berücksichtigen ist ausserdem die Dauer des Anstellungsverhältnisses, die Schwere des Eingriffs in die Persönlichkeit des Arbeitnehmers und die durch ihn zu tragenden wirtschaftlichen Folgen im Hinblick auf sein Alter, seine Gesundheit und seine Wiedereingliederungschancen (BSK Obligationenrecht I – Rehbinder/Portmann, Art. 336a N. 2).
Wie bereits mehrfach ausgeführt, sind sich beide Parteien dahingehend einig, dass ein Fehlverhalten der Rekurrentin vorgelegen hat. Ein Mitverschulden ihrerseits ist unbestritten. Andererseits ist sie viele Jahre klaglos für die Vorinstanz tätig gewesen. Angesichts ihres Alters und der in den Unterlagen dokumentierten gesundheitlichen Probleme sowie der allgemeinen Situation auf dem Arbeitsmarkt dürfte es für sie nicht leicht sein, eine neue, vergleichbare Beschäftigung zu finden. Die Personalrekurskommission hält in Berücksichtigung der Umstände eine Entschädigung von zwei Monatslöhnen – brutto, Stand 2004 – für angemessen.

8. (..)

Entscheid der Personalrekurskommission vom 10. Februar 2005

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