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TVR 2006 Nr. 3

Entzug der Niederlassungsbewilligung. Schutz des Familienlebens (Aufenthaltsbewilligung)


Art. 9 Abs. 4 lit. a ANAG, Art. 8 EMRK


1. Der Ausländer hat dem Migrationsamt Tatsachen, die für die Erteilung, die Verlängerung oder den Erhalt einer Bewilligung wesentlich sind, auch dann von sich aus mitzuteilen, wenn er nicht danach gefragt wird und sie für ihn nachteilig sind (E. 3a).

2. Eine besonders intensive Beziehung zum Kind besteht nicht schon durch die regelmässige Ausübung des Besuchsrechts. Die durch das Recht auf Achtung des Familienlebens geschützte Vater-Tochter-Beziehung kann auch von Syrien aus mit einem Ferienbesuchsrecht gelebt werden (E. 3 b und c).


M, syrischer Staatsangehöriger, war ab dem Oktober 1996 mit einer Einreisesperre belegt. Trotzdem gelang es ihm, 1997 unter falschem Namen bei der Schweizer Botschaft in Damaskus ein weiteres Visum zu erhalten. Er reiste in die Schweiz ein und heiratete am 14. März 1997 die hier niedergelassene deutsche Zahnärztin D. Daraufhin hob das Bundesamt für Ausländerfragen die Einreisesperre wieder auf. In der Folge erteilte der Kanton Thurgau eine Aufenthaltsbewilligung und im März 2002 eine Niederlassungsbewilligung. Die Ehe M–D wurde am 27. Februar 2003 geschieden.
Am 10. Februar 2004 heiratete M eine syrische Landsfrau. Im Zuge des gestellten Familiennachzugsgesuchs förderte das Migrationsamt Folgendes zutage: Am 23. August 1998 hatte M die heute nachzuziehende Ehefrau bereits einmal geehelicht. Während dieser Ehe wurden zunächst der Sohn Mohamed (29. Februar 2000) und danach auch noch die Tochter Yasmien (2. Januar 2004) geboren. Die Ehe wurde am 24. Januar 2004 geschieden, um nur 17 Tage später wieder geschlossen zu werden. Weiter erfuhr das Migrationsamt, dass M der Vater der am 10. Dezember 1998 geborenen Tochter Amira ist. Mutter dieses Kindes ist die Schweizer Bürgerin B. M anerkannte das Kind erst am 23. August 2005.
Daraufhin entzog das Migrationsamt die Niederlassungsbewilligung und trat auf das Familiennachzugsgesuch nicht ein. Den dagegen erhobenen Rekurs wies das DJS ab. Auch die beim Verwaltungsgericht erhobene Beschwerde bleibt erfolglos.

Aus den Erwägungen:

3. a) Laut Art. 9 Abs. 4 lit. a ANAG kann eine Niederlassungsbewilligung widerrufen werden, wenn der Ausländer sie durch falsche Angaben oder wissentliches Verschweigen wesentlicher Tatsachen erschlichen hat. Die Rechtsprechung zu dieser Gesetzesbestimmung ist notorisch und wird von der Vorinstanz ausführlich dargestellt. Darauf kann grundsätzlich verwiesen werden. Zu erwähnen ist insbesondere, dass ein Ausländer die für die Ausländerbehörde wesentlichen Tatsachen von sich aus mitzuteilen hat, auch wenn er nicht danach gefragt wird. Dazu gehören z.B. uneheliche Kinder oder die Absicht, sich scheiden lassen zu wollen.
Wie aus den Akten ersichtlich und insbesondere noch einmal bestätigt durch das eingereichte Schreiben des Psychiaters vom 18. Februar 2006, bestanden in der Ehe M–D von Anfang an Schwierigkeiten. Nach zirka einem Jahr in der Schweiz hat der Beschwerdeführer mit einer anderen Frau bereits ein aussereheliches Kind (Amira) gezeugt, wovon er aber die Ausländerbehörde nie unterrichtet hat. Ebenso wurde das Kind lange Zeit nicht anerkannt. Im gleichen Jahr hat sich der Beschwerdeführer zum zweiten Mal mit seiner heutigen, syrischen Ehefrau verheiratet und seit dem Jahr 2000 haben die beiden einen Sohn, seit dem 2. Januar 2004 noch eine Tochter. Auch den Sohn hat der Beschwerdeführer der Ausländerbehörde bei der Anfrage betreffend Erteilung der Niederlassungsbewilligung nicht erwähnt, selbstverständlich auch die in Syrien geschlossenen Ehe nicht. Der Beschwerdeführer hat offensichtlich Bigamie betrieben. Aus der Übersetzung der syrischen Dokumente ergibt sich nämlich, dass der Beschwerdeführer – ebenso wie seine damalige und heutige Ehefrau – im syrischen Register als geschieden eingetragen waren, also bereits die erste Ehe als amtliche Ehe – und nicht wie sonst häufig «nur nach den Sitten» – anzusehen ist. Die Scheidung und die Wiederverheiratung nach nur 17 Tagen können nach Auffassung des Gerichts nur einen Zweck gehabt haben, nämlich den Tatbestand der Bigamie zu verschleiern. Das Gericht überlässt es dem Migrationsamt, beim Bezirksamt eine entsprechende Strafanzeige zu deponieren. Unter diesen Umständen drängt sich der Entzug der Niederlassungsbewilligung geradezu auf.

b) Der Schutz des Familienlebens, den Art. 8 EMRK garantiert, bezieht sich in erster Linie auf die Familie im engeren Sinn, d.h. auf die die Kernfamilie umfassenden Beziehungen zwischen minderjährigen Kindern und ihren Eltern, sofern eine gelebte und intakte Beziehung besteht. Diese kann auch vorliegen, wenn die Familienangehörigen zwar nicht zusammenleben, jedoch regelmässig Kontakt pflegen (BGE 115 Ib 97). Ein Vater kann sich zur Ausübung des Besuchsrechts gegenüber seinem (in der Schweiz lebenden) Kind auf Art. 8 EMRK berufen. Entscheidendes Gewicht kommt dabei der Frage zu, ob die Möglichkeit, das Besuchsrecht vom Ausland aus wahrzunehmen, als realistisch und zumutbar zu gelten hat oder mehr nur theoretischer Art ist (Raselli/Hausammann, in: Uebersax/Münch/Geiser/Arnold, Ausländerrecht, Basel 2002, Rz. 13.61). Im Falle Berehab erwog der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, die Möglichkeit eines Marokkaners, sein in den Niederlanden lebendes Kind zu besuchen, sei eher theoretisch. In einem anderen Fall entschied das Bundesgericht, dass das unter Obhut seiner ausländischen und in der Schweiz nicht aufenthaltsberechtigten Mutter stehende Kind dieser ins Ausland zu folgen habe, dessen ungeachtet, dass sein ebenfalls ausländischer Vater in der Schweiz niederlassungsberechtigt ist und dadurch seines Besuchsrechts faktisch verlustig gehe. Dabei erwog das Bundesgericht, dass, um die weitere Ausübung des Besuchsrechts zu ermöglichen, der Mutter und ihren beiden weiteren Kindern das Aufenthaltsrecht hätte ermöglicht werden müssen. Es erachtete dies als unverhältnismässige Konsequenz und zog zusätzlich in Betracht, dass die Eltern nicht heiraten wollten und Besuche (vom Kongo aus) nicht völlig ausgeschlossen seien (Raselli/Hausammann, a.a.O.).
Dem Recht auf Achtung des Familienlebens kann in ausländerrechtlichen Fällen auch eine (selbständige) Auffangfunktion gegenüber dem engeren Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Familienlebens zukommen, wenn qualifizierte Familienbande nicht oder nicht mehr bestehen. Aus dem Recht auf Achtung des Familienlebens geradezu ein Anwesenheitsrecht abzuleiten, fällt indessen höchstens in Betracht, wenn eine besonders intensive private Beziehung besteht (BGE 120 Ib 16 E. 3b; Raselli/Hausammann, a.a.O., N. 13.64).

c) Der Beschwerdeführer konnte seine sämtlichen Beziehungen in der Schweiz, auf die er sich beruft, nur dadurch aufbauen, dass er trotz Einreisesperre mittels falscher Personalien, also durch Erschleichung eines Visums, in die Schweiz einreisen konnte. Dabei ist er offensichtlich planmässig vorgegangen. Er hat die Behörden nur dann über die tatsächlichen Verhältnisse aufgeklärt, wenn es nicht mehr anders ging. Sich unter diesen Umständen plötzlich auf ein bestehendes Kindsverhältnis zu berufen, das der Beschwerdeführer erst vor kurzem überhaupt anerkannt hat, strapaziert den Grundsatz von Treu und Glauben über Gebühr. Grundsätzlich ist es möglich, dass der Beschwerdeführer sein Besuchsrecht von Syrien aus ausübt. Dies ist zwar mit einigen Schwierigkeiten verbunden. Die wöchentliche Ausübung eines Besuchsrechts kommt so nicht in Frage. Es genügt aber, wenn der Beschwerdeführer sein Besuchsrecht ein- bis zweimal im Jahr anlässlich von Ferien ausüben kann. Das Besuchsrecht ist entsprechend anzupassen. Dabei ist durchaus auch denkbar, dass die heute bereits achtjährige Amira in naher Zukunft ihren Vater in Syrien besucht. Eine besonders innige Beziehung zu seiner Tochter kann der Beschwerdeführer nur schon deshalb nicht aufgebaut haben, weil er sie bis vor Kurzem überhaupt nicht anerkannt hat. Auch wirtschaftliche Unterstützung ist nicht nachgewiesen. Der Verweis auf die familiären Umstände bei der Mutter vermag diesbezüglich überhaupt nicht zu überzeugen. Wenn der Beschwerdeführer tatsächlich eine so enge Beziehung zu Amira hätte, hätte er seine Tochter trotz aller behaupteten Widrigkeiten längst anerkannt. Es ist durchaus möglich, dass der Beschwerdeführer seine Tochter regelmässig besucht hat. Das alleine genügt aber bei weitem nicht, um von einer besonders intensiven Beziehung sprechen zu können. Im Übrigen konnte der Beschwerdeführer seine Beziehung zu seinen Kindern in Syrien auch über all die Jahre aufrecht erhalten. Es wäre unverhältnismässig, allein wegen des Besuchsrechts eine Aufenthaltsbewilligung zu erteilen. Weiter sind keine besonders engen Beziehungen zur Schweiz nachgewiesen, wie dies behauptet wird. Normale arbeitsrechtliche Integration genügt nicht. Dass der Beschwerdeführer nach wie vor enge Kontakte zu Syrien hat, beweist allein die Tatsache, dass er dort eine Ehefrau und zwei Kinder hat. Eher befremdend wirkt der Hinweis des Beschwerdeführers auf die Zahlungen der Miete auf ein israelisches Konto. Es ist kaum anzunehmen, dass der syrische Geheimdienst davon erfährt, wenn der Beschwerdeführer sich nicht selbst denunziert.

Entscheid vom 24. Mai 2006

Die gegen diesen Entscheid erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde wies das Bundesgericht ab, soweit es darauf eintrat (Urteil vom 21. Dezember 2006, 2A.450/2006).

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