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TVR 2007 Nr. 2

Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung nach langer Aufenthaltsdauer, Schutz des Privatlebens


Art. 5 ANAG, Art. 13 BV, Art. 8 EMRK


1. Auch wenn der Familiennachzug erst vor wenigen Jahren bewilligt wurde undder Beschwerdeführer 12 Jahre in der Schweiz verbrachte, kann der Familie dieAufenthaltsbewilligung bei erheblicher Verschlechterung der finanziellenVerhältnisse wieder entzogen werden (E. 3).

2. Damit aus dem Recht auf «Schutz des Privatlebens» ein Anspruch auf Aufenthaltsbewilligung entstehen kann, bedarf es vorab einer langjährigen ununterbrochenen Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung oder einer über­durchschnittlichen Integration (E. 4.4 des Entscheids des Bundesgerichts).


Der aus Serbien stammende A (geb. 1975) gelangte im Jahre 1993 im Familiennachzug zu seiner Mutter in die Schweiz und erhielt eine Aufenthaltsbewilligung. Im Jahre 1996 heirateten er und seine in Österreich lebende Landsfrau B (geb. 1975). Im selben Jahr wurde die Tochter D gebo­ren. Zuvor, nämlich im Februar 1993, war deren gemeinsamer Sohn C gebo­ren worden. Im August 1998 folgten die Zwillinge E und F, im Dezember 2003 und im April 2006 die Kinder G und H. Sämtliche Kinder haben die gleiche Staatsangehörigkeit wie ihre Eltern.
In den Jahren 1996, 1998 und 2000 wurden drei Familiennachzugsgesuche für die Ehefrau und die Kinder gestellt, welche in Österreich gemeldet waren, wo Erstere geboren und aufgewachsen ist. Alle Gesuche wurden vom Migra­tionsamt des Kantons Thurgau wegen ungenügender finanzieller Mittel abge­wiesen. Auf Beschwerde hin wies das Verwaltungsgericht mit Entscheid vom 13. Dezember 2000 das Migrationsamt an, den Familiennachzug gestützt auf Art. 38 f. BVO zu bewilligen. Nachdem A Ende Januar 2003 seinen Arbeits­platz verloren und keine neue Arbeitsstelle angetreten hatte, verfügte das kan­tonale Ausländeramt am 10. Juni 2005, dass die am 3. Februar 2005 ausgelaufe­nen Aufenthaltsbewilligungen der Eltern und der Kinder nicht verlängert und die Familie weggewiesen werde. Den hiegegen erhobenen Rekurs wies das DJS ab, ebenso das Verwaltungsgericht die daraufhin eingereichte Beschwerde.

Aus den Erwägungen:

3. a) Die Beschwerdeführer waren Inhaber einer Aufenthaltsbewilligung nach Art. 5 ANAG. Einen rechtlichen Anspruch auf Erteilung oder Verlängerung der Bewilligung durch die gesetzliche Vorschrift oder einen Staatsvertrag haben sie nicht. Demnach können die kantonalen Behörden grundsätzlich nach «freiem Ermessen» über die Erneuerung der Aufenthalts­bewilligung befinden (Art. 4 ANAG; BGE 122 I272). Die Rechtsstellung des Ausländers bei Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung unterscheidet sich nicht wesentlich von derjenigen bei erstmaliger Erteilung. Aus einer früheren Bewilligung leitet sich insbesondere kein Recht auf Verlängerung ab. Die bis­herige Anwesenheit mag zwar allenfalls unter materiellen Gesichtspunkten massgeblich sein, wobei im Hinblick auf die Ordnungsmässigkeit des Aufenthalts auch eine bisherige Bewilligung bedeutsam werden kann; Auswirkungen auf den Bestand eines Anspruchs auf Bewilligungserteilung ergeben sich daraus aber nicht (BGE 120 Ib 20). Das freie Ermessen im Sinne von Art. 4 ANAG ist, wie jede staatliche Handlung, nicht nach Belieben wahrzunehmen, sondern pflichtgemäss, insbesondere unter Beachtung des Willkürverbots und des Rechtsgrundsatzes der Verhältnismässigkeit, auszuü­ben (BGE 122 I272). Das geltende Ausländerrecht nennt den Grundsatz der Verhältnismässigkeit allein im Zusammenhang mit der Ausweisung gemäss Art. 10 ANAG, die nur verfügt werden soll, wenn sie nach den genannten Umständen angemessen erscheint (Art. 11 Abs. 3 ANAG). Schon 1967 hat das Bundesgericht entschieden, die in diesem Artikel aufgestellten Richtlinien würden als Ausfluss eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes auch für den Widerruf der Aufenthaltsbewilligung von Art. 9 Abs. 2 lit. a und b ANAG gelten (BGE 93 I 10). Er ist auch bei der Nichterneuerung der Aufenthaltsbewilligung nach Art. 4 ANAG zu beachten, wenn dieser die Wegweisung des Ausländers zur Folge hat (Kottusch, Das Ermessen der kan­tonalen Fremdenpolizei und seine Schranken in: ZBl 91/190, S. 168 ff.). Art. 16 Abs. 1 ANAG schreibt zudem vor, dass die Bewilligungsbehörden bei ihren Entscheidungen die geistigen und wirtschaftlichen Interessen sowie den Grad der Überfremdung des Landes zu berücksichtigen haben.

b) Wie soeben ausgeführt, verhält es sich für den Beschwerdeführer bei der Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung nicht wesentlich anders als bei der erstmaligen Erteilung einer Bewilligung. Würde er unter den heutigen Gegebenheiten ein Familiennachzugsgesuch stellen, das nach Art. 38 BVO zu beurteilen wäre, so wären die Voraussetzungen hierfür bei weitem nicht gege­ben. Bereits im Entscheid vom 13. Dezember 2000 hat das Verwaltungsgericht festgehalten, es könne die Skepsis der Vorinstanzen hinsichtlich einer günsti­gen Prognose teilen. Das Verwaltungsgericht kam damals vor allem deshalb zur Gutheissung der Beschwerde, weil der Arbeitgeber des Beschwer­deführers ein entsprechend höheres Einkommen (nota bene nur für eine 6- köpfige Familie) in Aussicht stellte und weil ihm dieser Arbeitgeber ein her­vorragendes Arbeitszeugnis ausgestellt hatte. Diese Situation hat sich jedoch zwischenzeitlich grundlegend verändert. Der Beschwerdeführer hat seine Arbeitsstelle bereits per 31. Januar 2003 verloren und zwei Jahre lang keine neue Stelle gefunden. Dass keine neue Arbeitsstelle gefunden wurde, kann der Beschwerdeführer nicht damit entschuldigen, dass er in einem Beschäftigungsprogramm integriert war. Es wäre zumindest seine Sache gewesen, vor Vorinstanz beziehungsweise vor Gericht den Nachweis zu erbringen, dass er sich in dieser Zeit sehr intensiv um eine Arbeitsstelle bemüht hat. Solcherlei Unterlagen wurden jedoch nicht eingereicht. Dasselbe Argument ist auch mit Bezug auf die Beschwerdeführerin anzuführen. Auch bei ihr fehlt jeglicher Nachweis, dass sie sich, nachdem sich die finanzielle Situation der Familie ver­schlechtert hatte, intensiv um eine Arbeitsstelle bemühte. Dies obwohl die Aufnahme einer Arbeitstätigkeit beider Eltern möglich sein soll, da die Mutter des Beschwerdeführers ihrer Meinung nach für die Kinderbetreuung grundsätzlich hätte eingesetzt werden können. Dass das Migrationsamt unter diesen Umständen darauf hinweist, es sei auffällig, dass der Beschwerde­führer just in dem Moment eine Arbeitsstelle finde, in dem er betreffend Arbeitslosentaggelder ausgesteuert und die Wegweisung angedroht worden sei, ist verständlich. Der Beschwerdeführer kann sich auch nicht darauf beru­fen, dass ihm eine Arbeitsstelle zur Verfügung stehen würde. Das Verwal­tungsgericht lehnt es in konstanter Praxis ab, bei Inhabern der Aufent­haltsbewilligung B auf in der Regel vage Zusagen für eine Arbeitsstelle abzu­stellen. Lediglich unterzeichnete Arbeitsverträge können Berücksichtigung finden. Ebenso wenig kann eine mögliche Kinderbetreuung durch die Mutter des Beschwerdeführers berücksichtigt werden. Damit eine Aufenthalts­bewilligung nach Art. 38 BVO – um eine solche handelt es sich hier letztlich – erteilt und erneuert werden kann, muss ein Gesuchsteller in gesicherten finanziellen Verhältnissen leben. Das ist beim Beschwerdeführer zweifelsfrei längst nicht mehr der Fall. Dazu kommt, dass bei den Beschwerdeführern Schulden von über Fr. 30'000.– vorhanden sind (Bank und ausstehende Miet­zinsen). Abgesehen davon aber wurde bereits im Entscheid vom 13. De­zember 2000 darauf hingewiesen, dass für günstige finanzielle Verhältnisse im Sinne von Art. 38 BVO nicht allein die SKOS-Richtlinien massgebend sind. Gewisse Reserven dürfen und sollen zusätzlich einberechnet werden, insbe­sondere bei einer achtköpfigen Familie (Zahnarzt, Steuern etc.). Wird dies vorliegend berücksichtigt, so erhöht sich der Finanzbedarf und damit der Minussaldo entsprechend. Das Fürsorgerisiko ist somit offensichtlich und ausgewiesen.

c) Damit stellt sich die Frage der Verhältnismässigkeit, die auch bei der Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung zu beurteilen ist. Zu Gunsten des Beschwerdeführers spricht der zwischenzeitlich 14-jährige Aufenthalt in der Schweiz. Die Beschwerdeführerin hingegen lebt erst seit dem Jahre 2001 hier. Allerdings kommt für sie eine Rückkehr nach Österreich, wo sie aufge­wachsen ist, nicht mehr in Frage. Dasselbe gilt auch für den Beschwerde­führer und die Kinder. Sie sind jedoch alle serbische Staatsangehörige, weshalb sie grundsätzlich in dieses Land übersiedeln können. Der Beschwerdeführer scheint bis zu einem gewissen Grad in die schweizerischen Verhältnisse integriert zu sein. Allerdings kann keiner der Beschwerdeführer eine besonders intensive private Beziehung beruflicher oder gesellschaftli­cher Natur, die über eine normale Integration hinaus gehen, nachweisen. Ein Umzug nach Serbien dürfte vor allem für die älteren Kinder eher schwierig sein, unzumutbar ist es jedoch nicht, leben doch auch sie erst knapp sechs Jahre in der Schweiz. Beide Eltern sind Serben und serbisch dürfte auch die Sprache der Familie sein. Zumindest wird nicht geltend gemacht, die Kinder seien dieser Sprache nicht mächtig. Die Mutter des Beschwerdeführers kann den Kontakt über regelmässige Besuche in Serbien aufrecht erhalten. Es steht ihr zudem frei, ebenfalls nach Serbien zu ziehen, falls allein die Trennung zu ernsthaften gesundheitlichen Problemen führen sollte. Zusammenfassend ergibt sich somit, dass sich der Entscheid der Vorinstanz als recht- und ver­hältnismässig erweist.

Entscheid vom 24. Januar 2007

Auf eine hiergegen erhobene Beschwerde ist das Bundesgericht nicht eingetreten.

Aus dessen Erwägungen:

4.4 Es fragt sich weiter, ob die Beschwerdeführer gestützt auf Art. 8 EMRK und Art. 13 Abs. 1 BV über den Schutz des Privatlebens einen Anspruch im Sinne von Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG herleiten können. Die Beschwerdeführer berufen sich zwar nicht ausdrücklich hierauf; ihr Vorbringen weist letztlich aber in diese Richtung.
Für eine Berufung auf den Schutz des Privatlebens bedarf es besonders inten­siver, über eine normale Integration hinausgehender privater Bindungen gesellschaftlicher oder beruflicher Natur beziehungsweise entsprechender vertiefter sozialer Beziehungen zum ausserfamiliären oder ausserhäuslichen Bereich (BGE 130 II 281 E. 3.2.1 S. 286 f. mit Hinweisen). Bei einer Anwesenheitsberechtigung, die über viele Jahre hinweg verlängert worden ist und zu einem Dauerstatus geführt hat, kann dem Ausländer ein rechtlich schützenswertes «faktisches» Anwesenheitsrecht zukommen (vgl. BGE 126 II 335 E. 2b/cc S. 341 f.). Dies hat das Bundesgericht in einem Fall angenommen, indem eine Aufenthaltsbewilligung während zwanzig Jahren erneuert worden war, wobei die Ehe des Betroffenen seit zwölf Jahren bestand, sowohl er als auch seine Ehefrau und die Kinder nie im Heimatstaat gelebt hatten und das Familienleben praktisch nirgendwo anders in zumutbarer Weise gelebt wer­den konnte (BGE 130 II 281 E. 3.3 S. 288 f.; vgl. auch zum erwachsenen Ausländer der «zweiten Generation» BGE 126 II 377 E. 2c/aa S. 384 f.).
Im Gegensatz zu jenem Fall hat der Beschwerdeführer allerdings bis zum 14. Lebensjahr in seinem Heimatstaat gelebt, die dortigen Schulen besucht und in der Schweiz erst zwölf Jahre gelebt, als die Aufenthaltsbewilligung nicht mehr verlängert wurde (vgl. auch BGE 126 II 377 E. 2c/aa S. 385 mit Hinweis). Zudem war der Familiennachzug ausdrücklich ohne Anerkennung eines Rechtsanspruchs erst im Jahre 2000 mit Blick auf das damals zum Unterhalt der gesamten Familie ausreichende Einkommen des Beschwerde­führers gewährt worden. Den Beschwerdeführern musste somit bewusst sein dass sie nicht ohne weiteres mit einer Erneuerung ihrer jeweils befristeten Aufenthaltsbewilligungen rechnen konnten.
Sodann ist hier eine überdurchschnittliche Integration der Beschwerdeführer nicht gegeben. Ihren eigenen Ausführungen zufolge sind sie gesellschaftlich höchstens normal integriert. Mit Blick auf den Verlust ihrer Arbeitsplätze noch vor Ablauf der Aufenthaltsbewilligungen haben die Eltern beruflich keine besonderen Bindungen. Bei den beiden jüngsten, in der Schweiz gebo­renen Kindern bestehen über den engsten Familienkreis hinaus kaum enge Beziehungen, so dass die Integration im Heimatland keine Probleme bereiten dürfte. Bei den Kindern im schulpflichtigen Alter, die sich in der 2. bezie­hungsweise 4. Klasse der Primarschule sowie in der 1. Sekundarklasse befin­den, könnten dank der integrativen Wirkung der Einschulung eine gewisse Verwurzelung in der Schweiz eingetreten und Beziehungen über das familiäre Umfeld hinaus geknüpft worden sein. Von daraus entstandenen besonders intensiven ausserfamiliären Bindungen kann jedoch nicht gesprochen wer­den. Mitunter erfolgte im Jahre 2006 ein Wohnort- und Schulwechsel, wodurch die Kinder neue Schulkameraden erhielten.
Die Beschwerdeführer behaupten erstmals in der Eingabe an das Bundes­gericht, die Kinder würden «gar nicht mehr Serbisch sprechen», womit der anderslautenden Feststellung der Vorinstanz widersprochen wird, ohne dar­auf auch nur irgendwie Bezug zu nehmen. Es wird von den Beschwerde­führern insbesondere nicht aufgezeigt und ist auch nicht ersichtlich, inwiefern das Verwaltungsgericht den Sachverhalt hier unrichtig festgestellt haben soll­te (vgl. Art. 97 Abs. 1 BGG). Mithin ist davon auszugehen, dass die gesamte Familie – im Gegensatz zu dem BGE 130 II 281 zugrundeliegenden Sach­verhalt – Serbisch spricht. Daher werden die Kinder nach ersten Anlaufschwierigkeiten auch in Serbien ohne weiteres dem Schulunterricht folgen und sozial Anschluss finden können. Die Umstellung kann sich am schwierigsten für den ältesten, heute 14-jährigen Sohn erweisen (bei Ablehnung der Aufenthaltsverlängerung 12 Jahre alt); seine Schulleistungen liegen indes im durchschnittlichen Bereich, wobei er seine Aufgaben teilweise nicht ausreichend erledigte. Mit einem gewissen Einsatz wird es auch für ihn möglich sein, seine Schulzeit in Serbien erfolgreich zu beenden. Im Übrigen verliess der Beschwerdeführer ebenso mit 14 Jahren seine Heimat und kam (erst) mit 18 Jahren in die Schweiz, wo er sich seinen Angaben zufolge zu inte­grieren wusste.

Urteil vom 26. Juni 2007 (2C_135/2007)

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