TVR 2009 Nr. 27
Sozialhilfe, Pflicht zur Untersuchung durch Vertrauensarzt bei Zweifeln über Arbeitsunfähigkeit
§ 8 SHG, § 25 Abs. 3 SHG, § 25 Abs. 1 SHG
Macht ein Sozialhilfeempfänger geltend, er sei nicht arbeitsfähig, und liegen keine aktuellen medizinischen Belege für die Beurteilung seines Gesundheitszustandes vor, ist er verpflichtet, sich auf Aufforderung der Sozialhilfebehörde hin einer vertrauensärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Im Falle einer unbegründeten Weigerung können die Sozialhilfeleistungen – ohne dass eine weitere Verwarnung erforderlich wäre – durch die Fürsorgebehörde gekürzt oder eingestellt werden.
S, Jahrgang 1952, wird – nachdem er bereits in den Jahren 1999 / 2000 Sozialhilfeleistungen bezogen hatte – seit dem 1. Mai 2005 erneut von der Fürsorge der Stadt L unterstützt. Am 15. März 2005 erlitt er einen Verkehrsunfall. Per Ende 2007 wurde dieser Fall durch den Haftpflichtversicherer der Unfallverursacherin abgeschlossen, nachdem dessen Vertrauensarzt keine bleibenden Schäden mehr feststellen konnte. Gleichwohl behauptete S gegenüber der Sozialhilfekommission L, arbeitsunfähig zu sein. Mit Entscheid des Präsidenten der Sozialhilfekommission vom 15. Mai 2007 wurde S verpflichtet, einem Aufgebot der städtischen Sozialprojekte zwecks Ressourcenabklärung und Aufnahme einer zumutbaren Beschäftigung Folge zu leisten. Daraufhin legte S unter anderem zwei ärztliche Zeugnisse von Dr. med. Y, FMH Allgemeine Medizin, vom 5. Juli 2007 und ein solches der Klinik W vom 28. April 2008 vor, mit welchen eine Arbeitsunfähigkeit von 100% bis Ende Mai 2008 bescheinigt wurde. Hernach reichte S trotz mehrmaliger Aufforderung der Sozialhilfekommission keine weiteren Arztzeugnisse mehr ein. Aufgrund erheblicher Zweifel am Gesundheitszustand von S forderte ihn die Sozialhilfekommission mit Verfügung vom 11. August 2008 auf, sich bis Ende September 2008 einer Begutachtung durch den Vertrauensarzt, Dr. med. F, zu unterziehen. Für den Säumnisfall wurde S ausdrücklich angedroht, dass die Unterstützung gekürzt oder eingestellt werde. Ein gegen diese Verfügung erhobener Rekurs wurde vom DFS abgewiesen. Das Verwaltungsgericht weist eine dagegen erhobene Beschwerde ebenfalls ab.
Aus den Erwägungen:
2. Strittig und zu prüfen ist vorliegend, ob die Anordnung einer ärztlichen Begutachtung des Beschwerdeführers durch den Vertrauensarzt der Sozialhilfekommission rechtmässig ist.
2.1 Verfügt jemand nicht über hinreichende Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhaltes für sich und seine Angehörigen mit gleichem Wohnsitz, sorgt die Gemeinde für die notwendige Unterstützung, sofern vom Hilfsbedürftigen nicht verlangt werden kann, sich die Mittel durch eigene Arbeit zu beschaffen, und keine andere Hilfe möglich ist (§ 8 SHG). Gemäss § 25 Abs. 1 SHG hat der Hilfsbedürftige über seine Verhältnisse wahrheitsgetreu Auskunft zu geben und die erforderliche Akteneinsicht zu gestatten. Hilfsbedürftigen, die Anordnungen der Behörden nicht befolgen oder deren Hilfe missbrauchen, wird die Unterstützung nach Verwarnung gekürzt oder eingestellt (§ 25 Abs. 3 SHG). Wer Sozialhilfeleistungen beantragt oder bezieht, kann verpflichtet werden, sich einer ärztlichen oder psychologischen Untersuchung zu unterziehen, soweit diese für den Entscheid über die Gewährung von Leistungen notwendig und für den Antragsteller zumutbar ist. Liegen der Behörde bereits ärztliche Zeugnisse oder andere für die Beurteilung der persönlichen Verhältnisse hinreichende Unterlagen vor, ist eine nochmalige Untersuchung nur bei Vorliegen triftiger Gründe gerechtfertigt, beispielsweise dann, wenn ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit oder Aktualität der verfügbaren Unterlagen bestehen (Wolffers, Grundriss des Sozialhilferechts, 2. Aufl., Bern 1999, S. 106 f.). Dies entspricht der in Art. 43 Abs. 2 ATSG enthaltenen Regelung, wonach sich versicherte Personen ärztlichen oder fachlichen Untersuchungen zu unterziehen haben, soweit diese für die Beurteilung der Leistungsbegehren notwendig und zumutbar sind (vgl. Wolffers, a.a.O., S. 106, FN 67 mit Verweis auf den Entwurf des ATSG). Bei der Frage der Zumutbarkeit derartiger Untersuchungen geht es nicht darum, ob die betreffende Person aus ihrer eigenen (subjektiven) Wahrnehmung heraus die Untersuchung als zumutbar betrachtet oder nicht, sondern darum, dass die subjektiven Umstände (etwa Alter der Person, Gesundheitszustand, bisherige Erfahrungen mit Abklärungen) in einer objektiven Betrachtung dahingehend gewürdigt werden, ob diese Umstände die Untersuchung zulassen oder nicht. Die üblichen Untersuchungen in einer Begutachtungsstelle sind ohne konkret entgegenstehende Umstände generell als zumutbar zu betrachten (vgl. hierzu Kieser, ATSG-Kommentar, 2. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2009, Art. 43 N. 44, mit weiteren Hinweisen).
2.2 (…)
2.3 (Feststellungen der Fürsorgebehörde bzw. der Vorinstanz, dass seitens des Beschwerdeführers keine aktuellen Arztzeugnisse mehr eingereicht worden seien, aus denen sich die von ihm behauptete 100%ige Arbeitsunfähigkeit ergeben würde. Vielmehr stünden die im Recht liegenden Arztberichte teilweise sogar in Widerspruch zueinander.)
2.4 Die Beurteilungen der Vorinstanz und der Fürsorgebehörde sind nicht zu beanstanden. Zwar ergeben sich aus den im Recht liegenden Arztberichten durchaus Anhaltspunkte dafür, dass zumindest vormals gewisse unfallbedingte gesundheitliche Beeinträchtigungen beim Beschwerdeführer vorlagen (…). Die Fragen der Unfallkausalität und des effektiven Ausmasses der durch den Unfall bedingten gesundheitlichen Einschränkungen sind allerdings nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Dr. med. K, FMH Allgemeine Medizin, hatte dem Beschwerdeführer in einem ärztlichen Zeugnis vom 5. Juli 2007 noch eine Arbeitsunfähigkeit vom 5. Juli bis 5. August 2007 attestiert. Zwei weitere ärztliche Zeugnisse von Dr. K vom 12. November 2007 enthielten keinerlei Angaben mehr über irgendeine Arbeitsunfähigkeit des Beschwerdeführers. Eine Arbeitsunfähigkeit von 100% wird ihm letztmals mit dem Arztzeugnis der Klinik W vom 28. April 2008 für einen Zeitraum von vier Wochen bis Ende Mai 2008 bestätigt. Seither liegen keine ärztlichen Berichte, Zeugnisse oder Gutachten vor, welche die vom Beschwerdeführer behauptete Arbeitsunfähigkeit belegen würden. Inwieweit – und für welchen Zeitraum – eine solche tatsächlich vorliegt, erscheint aufgrund der heutigen Aktenlage als äusserst zweifelhaft. So stellte Dr. med. R, FMH Innere Medizin, zuhanden des Haftpflichtversicherers mit seinem Bericht vom 9. Januar 2008 bezüglich allfälliger unfallbedingter Körperschädigungen fest, dass die vom Beschwerdeführer geklagten Beschwerden nichts mit dem Unfall vom 15. März 2005 zu tun hätten. Dr. R wies in seiner Beurteilung weiter darauf hin, dass sogar der damalige Hausarzt des Beschwerdeführers die Unfallfolgen im Juni 2005 mit einer Arbeitsunfähigkeit von 0% abgeschlossen habe. Seither bestehe ein «Ärztetourismus» von beeindruckendem Ausmass mit «zunehmender Dramatisierung der anamnestischen Angaben» durch den Beschwerdeführer.
2.5 Damit liegen zum einen keinerlei aktuellen medizinischen Grundlagen für die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit des Beschwerdeführers vor. Aus den im Recht liegenden früheren ärztlichen Zeugnissen / Berichten ergeben sich zum andern erhebliche Zweifel an der von ihm behaupteten Arbeitsunfähigkeit. Die Durchführung einer Begutachtung durch den Vertrauensarzt der Fürsorgebehörde stellt somit eine geeignete und erforderliche Massnahme für die Klärung des entscheidrelevanten Sachverhaltes dar. Dass eine derartige Begutachtung dem Beschwerdeführer nicht zumutbar wäre, ergibt sich weder aus den Akten noch wird dies von ihm selbst in irgendeiner Art und Weise geltend gemacht. Die gestützt auf § 25 SHG angeordnete medizinische Untersuchung des Beschwerdeführers durch den Vertrauensarzt der Sozialhilfekommission erweist sich somit als recht- und verhältnismässig.
2.6 Die Sozialhilfekommission setzte dem Beschwerdeführer mit ihrer Verfügung vom 11. August 2008 Frist bis Ende September 2008 an, um die Begutachtung durchführen zu lassen. Diese Frist ist mit dem vorliegenden Rechtsmittelverfahren hinfällig geworden. Dem Beschwerdeführer ist daher eine erneute Frist von 30 Tagen ab Rechtskraft des vorliegenden Entscheides anzusetzen, um die Begutachtung durch den Vertrauensarzt der Fürsorgebehörde durchführen zu lassen. Sollte er dieser Aufforderung erneut nicht fristgemäss nachkommen, wären die Sozialhilfeleistungen – ohne dass eine weitere Verwarnung erforderlich wäre – durch die Fürsorgebehörde zu kürzen oder einzustellen (§ 25 Abs. 3 SHG; zur gänzlichen Einstellung der Leistungen vgl. des Urteil des Bundesgerichts 8C_156/2007 vom 11. April 2008, E. 7.2, mit Verweis auf Urteil 2P.156/2007 vom 17. Oktober 2005 sowie BGE 122 II 193 E. 2/ee).
Entscheid vom 25. Februar 2009
Das Bundesgericht ist auf eine dagegen gerichtete Beschwerde mit Urteil 8C_331/2009 vom 8. Mai 2009 nicht eingetreten.