Skip to main content

TVR 2011 Nr. 24

Rückerstattung von Sozialhilfeleistungen, Feststellungsverfügung


§ 19 Abs. 2 SHG, § 4 Abs. 1 Ziff. 2 VRG


Die Sozialhilfebehörde ist berechtigt, im Hinblick auf die allfällige künftige Zusprechung von Sozialversicherungsleistungen eine Feststellungsverfügung über die Höhe der zurück zu erstattenden Fürsorgeleistungen zu erlassen.


S, geboren am 4. Juni 1952, wurde von Mai 2007 bis August 2010 von der Gemeinde X mit Sozialhilfeleistungen unterstützt. Nach dem Wegzug von S nach Y erliess die Sozialhilfe X am 16. Dezember 2010 eine Abschlussverfügung, in der festgestellt wurde, dass sich die Rückerstattungsforderung der Stadtgemeinde X auf Fr. 89’817.55 belaufe. S wurde angewiesen, die Sozialhilfe zu informieren, wenn sie in günstige finanzielle Verhältnisse gelange. Zudem wurde festgehalten, dass allfällige Nachzahlungen von Sozialversicherungen für die Unterstützungsperiode der Gemeinde X abgetreten würden.
S erhob dagegen „Beschwerde“ und beantragte, es sei auf die Rückforderung zu verzichten. Die Fürsorgebehörde der Gemeinde X wies diese „Beschwerde“ am 27. Januar 2011 mit der Begründung ab, es handle sich lediglich um eine Information für die Klientin; eine allfällige Rückforderung werde frühestens in einem Jahr geprüft. Ein Rekurs wurde in der Folge vom DFS mit Entscheid vom 2. Mai 2011 abgewiesen. S erhob dagegen Beschwerde, welche das Verwaltungsgericht ebenfalls abweist.

Aus den Erwägungen:

2. Streitig und zu prüfen ist, ob die Gemeinde berechtigt war, im Feststellungsentscheid vom 16. Dezember 2010 die Höhe der Rückerstattungsforderung gegenüber der Beschwerdeführerin verbindlich festzuhalten. Sowohl die Gemeinde als auch die Vorinstanz anerkennen, dass die Beschwerdeführerin derzeit keine Zahlungen leisten kann. Die Beschwerdeführerin bestreitet jedoch die Rückerstattungsforderung „im Quantitativen vollumfänglich“, bringt vor, es bestehe kein Interesse am Erlass des Feststellungsentscheids und behauptet, dieser Entscheid verletze Art. 12 BV.

2.1 Die Politischen Gemeinden treffen Vorkehren, um soziale Not zu verhindern und leisten Hilfe zu deren Behebung (§ 1 Abs. 1 SHG). Verfügt jemand nicht über hinreichende Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts, sorgt die Gemeinde für die notwendige Unterstützung, wenn die bedürftige Person sich nicht selber helfen kann oder Hilfe von dritter Seite nicht rechtzeitig erhältlich ist (§ 8 SHG; TVR 2005 Nr. 33, E. 4a). Sozialhilfeleistungen unterliegen also dem Grundsatz der Subsidiarität (vgl. Wolffers, Grundriss des Sozialhilferechts, 2. Aufl., Bern/Stuttgart/Wien 1999, S. 71 f.). Hilfsbedürftige können mit Bargeld, Gutscheinen, Naturalien oder durch Bezahlung von Rechnungen unterstützt werden; bei vorübergehenden Notlagen können Darlehen gewährt werden (§ 3 SHV). Sozialhilfeleistungen müssen unter gewissen Voraussetzungen rückerstattet werden. Die diesbezüglichen kantonalen Regelungen sind unterschiedlich, was zulässig ist (Art. 26 ZUG). Im Kanton Thurgau ist für die Rückerstattung rechtmässiger Leistungen durch die unterstützte Person § 19 Abs. 2 SHG einschlägig: „Wer nach dem vollendeten 18. Altersjahr Unterstützungsbeiträge bezogen hat, ist zur Rückerstattung verpflichtet, soweit dies zumutbar ist. Erben haften bis zur Höhe ihrer Erbschaft.“ Der Kanton Thurgau geht demnach vom Grundsatz der Rückerstattung aller Leistungen aus, stellt jedoch im konkreten Fall auf das Kriterium der Zumutbarkeit ab. Unter thurgauischem Sozialhilferecht sind Fürsorgeleistungen eher zurückzuerstatten, als dies bei einer Regelung der Fall wäre, die „günstige wirtschaftliche Verhältnisse“ voraussetzt (TVR 2009 Nr. 29, E. 3.1).

2.2 Entsprechend der klaren gesetzlichen Regelung von § 19 Abs. 2 SHG besteht eine grundsätzliche Pflicht zur Rückerstattung bezogener Sozialhilfeleistungen. Die Rückerstattungsforderung wird jedoch erst vollstreckbar, wenn das Kriterium der Zumutbarkeit bejaht werden kann. Die Frage der Zumutbarkeit wurde vorliegend noch nicht geprüft, weshalb die Sozialhilfe der Gemeinde X auch lediglich eine Feststellungs- und nicht eine Gestaltungsverfügung erlassen hat. Die Gemeinde und die Vorinstanz weisen zu Recht darauf hin, dass die Abschlussverfügung vom 16. Dezember 2010 einzig bezweckt, die Höhe der geleisteten Unterstützungszahlungen bzw. der allfälligen Rückerstattungsforderung festzuhalten. Dieser Feststellungsentscheid erschöpft sich in der Fixierung einer Rechtslage und ist damit weder vollstreckungsfähig noch vollstreckungsbedürftig (vgl. Ogg, Die verwaltungsrechtlichen Sanktionen und ihre Rechtsgrundlagen, Diss. Zürich 2001, S. 62 f.; Haubensak/Litschgi/Stähelin, Kommentar zum Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege des Kantons Thurgau, Frauenfeld 1984, § 83 N. 1). Die Beschwerdeführerin wird als Folge des vorliegenden Feststellungsentscheids keinesfalls „der Armut preisgegeben“, wie dies in der Beschwerde behauptet wird. Wie die Vorinstanz richtig darlegt, ist die Beschwerdeführerin durch den Feststellungsentscheid nur insofern beschwert, als die Höhe der allenfalls später vollstreckbaren Forderung verbindlich festgelegt wird. Eine vollstreckbare Gestaltungsverfügung darf aber gemäss der klaren gesetzlichen Regelung erst nach Prüfung der Zumutbarkeit einer Rückerstattung erlassen werden. Die Ausführungen der Beschwerdeführerin zu einer angeblichen Verletzung des Rechts auf Hilfe in Notlagen (Art. 12 BV) sind daher unbehelflich.

2.3 Die Sozialhilfe X hat im Dispositiv der Abschlussverfügung vom 16. Dezember 2010 festgestellt, dass sich die Rückerstattungsforderung der Stadtgemeinde X auf Fr. 89'817.55 belaufe (Ziff. 1). Zudem wurde die Beschwerdeführerin angewiesen, die Sozialhilfe unaufgefordert zu informieren, wenn Sie durch Erbschaft, Schenkung, Lottogewinn oder andere Weise in günstige Verhältnisse gelangt (Ziff. 2). Sodann wurde festgehalten, dass allfällige Nachzahlungen von Sozialversicherungen für die Unterstützungsperiode der Stadtgemeinde X abgetreten werden (Ziff. 3). Diese Verfügungsformel ist so auszulegen, wie sie von der Adressatin in guten Treuen verstanden werden durfte und auch verstanden werden musste (Gygi, Verwaltungsrecht - Eine Einführung, Bern 1986, S. 129). Bereits aus der Verfügungsformel selber geht mit hinreichender Klarheit hervor, dass die Rückerstattungspflicht der ehemals unterstützten Person nur dann durchgesetzt werden kann, wenn sich ihre wirtschaftliche Lage grundlegend verbessert hat und ihr deshalb die Rückerstattung ganz oder teilweise zumutbar ist (vgl. TVR 2009 Nr. 29, E. 3.1), würde sich doch andernfalls die Anweisung in Ziffer 2 des Dispositivs erübrigen. In der Begründung der Verfügung wird sodann darauf hingewiesen, dass „Unterstützungsbeiträge zurückzuerstatten sind, soweit dies zumutbar ist (§ 19 Abs. 2 SHG)“ und dass die Sozialhilfe die Rückerstattungsvoraussetzungen „nach Ablauf von mindestens einem Jahr von Zeit zu Zeit prüfen kann“. Daraus wird klar ersichtlich, dass in dieser Verfügung lediglich die (maximale) Höhe der allfälligen Rückerstattungsforderung festgehalten werden sollte. Die Beschwerdeführerin musste deshalb nach dem Vertrauensgrundsatz davon ausgehen, dass dieser Betrag nur rückerstattet werden muss, soweit dies zumutbar ist, d.h. wenn ihre wirtschaftliche Lage dies dereinst zulassen würde.

2.4 (Feststellung, dass die Beschwerdeführerin die Höhe der festgehaltenen Unterstützungsleistung im Rekursverfahren noch nicht beanstandet hat und es sich damit um eine neue tatsächliche Behauptung handelt, die aufgrund des im Beschwerdeverfahren geltenden Novenverbots [§ 58 VRG] nicht mehr vorgebracht werden kann).

2.5 Die Beschwerdeführerin bringt weiter vor, es bestehe kein Interesse an der Feststellung des Forderungsbetrags, weil sie zum jetzigen Zeitpunkt ohnehin keine Zahlungen leisten könne. Die bei Feststellungsbegehren jeweils zu prüfende Voraussetzung des schutzwürdigen Interesses gilt jedoch grundsätzlich nicht, wenn - wie im vorliegenden Fall - Feststellungsentscheide von Amtes wegen erlassenen werden. Diese werden vielmehr mit Rücksicht auf spezifisch öffentliche, in der Regel prozessökonomische Interessen erlassen (Weber-Dürler, in: Auer/Müller/Schindler [Hrsg.], Kommentar zum Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren, VwVG, Zürich/St. Gallen 2008, Art. 25 N. 8). Die Vorinstanz erblickt ein solches Interesse zu Recht darin, dass dank dem Feststellungsentscheid die Kontoführung überprüft und Klarheit über die Höhe der Rückerstattungsforderung geschaffen werden kann. Die unterstützte Person wird darüber informiert, welchen Betrag sie allenfalls zurückerstatten muss. Sie erhält die Möglichkeit, die Höhe der Forderung anzufechten, wenn sie mit dem festgestellten Betrag nicht einverstanden ist. Die Gemeinde hatte ein klares Interesse daran, die allenfalls zu einem späteren Zeitpunkt vollstreckbare Forderung verbindlich festzuhalten. Dies bestätigt die Beschwerdeführerin selber, indem sie nun auch die Höhe der geleisteten Unterstützung bestreitet. Die Beweisführung würde stark erschwert, wenn die Höhe der bezogenen Leistungen Jahre später in Frage gestellt werden könnte. Entgegen der Darstellung der Beschwerdeführerin bestand somit ein erhebliches öffentliches Interesse, den Feststellungsentscheid zu erlassen.

2.6 Die Vorinstanz hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die Beschwerdeführerin zum jetzigen Zeitpunkt keinerlei Zahlungen leisten muss. Dass die Verrechnung von allfälligen Nachzahlungen der Sozialversicherungen, welche für die Unterstützungsperiode von Mai 2007 bis August 2010 erfolgen, festgehalten wurde, ändert daran nichts. Im Falle von bevorschussten Versicherungsleistungen gehen die betreffenden Ansprüche der Sozialhilfebedürftigen im Umfang der geleisteten Zahlungen mit allen Rechten auf die Fürsorgebehörde über und die Behörde kann die direkte Auszahlung verlangen (§ 19a SHG). Die Zumutbarkeit zur Rückerstattung ist in diesem Umfang in jedem Fall gegeben (§ 27 SHV). Sollten ein positiver Entscheid einer Sozialversicherung gefällt und der Beschwerdeführerin rückwirkend Versicherungsleistungen zugesprochen werden, so sind diese Zahlungen ab Mai 2007, soweit sie in dieser Höhe von der Vorinstanz bevorschusst wurden, direkt an die Vorinstanz auszubezahlen. Dies wurde in korrekter Weise in der Abschlussverfügung vom 16. Dezember 2010 festgehalten. Auch die Anweisung an die Beschwerdeführerin, die Sozialhilfe unaufgefordert über Erbschaften, Schenkungen, Lottogewinne etc. zu informieren, war angesichts der gesetzlichen Pflicht zur Rückerstattung und der in § 25 SHG festgehaltenen Mitwirkungspflicht der Hilfsbedürftigen zulässig. Die Beschwerde ist auch in diesem Punkt und deshalb vollumfänglich abzuweisen.

Entscheid vom 14. September 2011

JavaScript errors detected

Please note, these errors can depend on your browser setup.

If this problem persists, please contact our support.