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TVR 2013 Nr. 2

Ausstandsbegehren gegen Generalsekretär DFS und Kantonsapotheker


Art. 29 BV, § 7 Abs. 1 Ziff. 4 VRG


Blosse (behauptete) Fehler in der ordentlichen Tätigkeit von Amtspersonen vermögen noch keinen Anschein der Befangenheit zu begründen. Es bedürfte gehäufter oder erheblicher, offensichtlicher Verstösse gegen die Rechtsordnung.


Zwischen der Organisation S und der U AG ist ein Verfahren betreffend Zulässigkeit des Medikamentenversandhandels hängig. Über die Eintretensfrage hatte letztinstanzlich das Bundesgericht entscheiden müssen. Nach seinem Entscheid orientierte das DFS die Parteien darüber, das Verfahren zur materiellen Beurteilung werde aufgenommen. In der Folge verlangte die S am 4. und 17. April 2012 die Zustellung der vollständigen Verfahrensakten, worauf das DFS mitteilte, es lägen keine weiteren, ihr noch unbekannten Akten vor. Mit Schreiben vom 27. April 2012 hielt die S an ihren Anträgen fest. Am 5. Juli 2012 nahm sie schliesslich im Sitzungszimmer des DFS ihr Recht auf Akteneinsicht wahr. Am 11. Juli 2012 verlangte sie, die Frist zur Einreichung der Replik sei auszusetzen, bis vollständige Akteneinsicht gewährt worden sei. Der Entscheid über eine allfällige Beschränkung der Akteneinsicht sowie die Sachverhaltsabklärungen seien an eine unabhängige Instanz zu delegieren. Zudem sei der Kantonsapotheker in den Ausstand zu versetzen. Diese Begehren wurden vom DFS mit Zwischenentscheid vollumfänglich abgewiesen. Eine dagegen erhobene Beschwerde weist das Verwaltungsgericht ab, soweit es darauf eintritt.

Aus den Erwägungen:

2.2.2 Nach § 7 Abs. 1 Ziff. 4 VRG haben Behördenmitglieder und Personen, die von Kanton und Gemeinde gewählt, angestellt oder beauftragt sind, in Verfahren, in denen sie ein persönliches Interesse haben oder aus anderen Gründen befangen sind, von Amtes wegen in den Ausstand zu treten. Hierzu müssen vernünftige Gründe vorhanden sein, die ein Misstrauen in die Objektivität des Behördenmitglieds bzw. der betreffenden Person rechtfertigen (Haubensak/Litschgi/Stähelin, Kommentar zum Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege des Kantons Thurgau, Frauenfeld 1984, § 7 N. 5).
Die Anforderungen an die Unabhängigkeit einer Behörde dürfen nicht mit den höheren Anforderungen an die Unabhängigkeit eines Richters gleichgesetzt werden. Während Art. 30 BV besondere Anforderungen an den gesetzlichen Richter und dessen Unabhängigkeit, Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit stellt, gewährleistet zwar Art. 29 BV ebenfalls einen Anspruch auf richtige Zusammensetzung der Entscheidbehörde gemäss dem anwendbaren Verfahrensrecht, verlangt aber nur ein bestimmtes Mass an Unvoreingenommenheit der Entscheidbehörde und der das Geschäft vorbereitenden Behördenmitglieder. Trotz des gemeinsamen Grundgedankens von Art. 29 und Art. 30 BV kann also der Gehalt von Art. 30 BV nicht unbesehen auf Art. 29 BV übertragen werden. Verwaltungsbehörden sind nicht nur zur neutralen Rechtsanwendung berufen, sondern erfüllen auch öffentliche Aufgaben. Von daher können sie beim Erlass von Verfügungen nicht im eigentlichen Sinne als unparteilich bezeichnet werden. Behördenmitglieder haben bei Sachgeschäften, an denen sie persönlich interessiert sind, wegen objektiven Anscheins der Befangenheit in den Ausstand zu treten. Bei der Wahrnehmung öffentlicher Interessen besteht indessen keine generelle Ausstandspflicht. In diesem Sinne hat das Bundesgericht in BGE 125 I 119 E. 3 d und 3 f (Pra 1999 Nr. 165) Folgendes festgehalten:
„Die Ausstandspflicht von Mitgliedern der höheren Behörden der Exekutive muss unter Berücksichtigung der Aufgabe und der Organisation der genannten Behörden geprüft werden. Diese üben vor allem Regierungs-, Leitungs- und Verwaltungsfunktionen aus, im Gegensatz zu den vorerwähnten Kommissionen sind sie nur gelegentlich an rechtlichen Verfahren beteiligt, die bezüglich Privatpersonen oder auf Antrag solcher eingeleitet werden. Ihre Funktionen bringen eine Kumulation verschiedener Ämter mit sich, die nicht getrennt werden könnten, ohne die Leistungsfähigkeit der Verwaltung und die demokratische und politische Legitimität der entsprechenden Entscheide zu beeinträchtigen; ausserdem erfordert sie oft öffentliche Stellungnahmen. So handeln bei einem Kantonsstrassenprojekt die Mitglieder der Kantonsregierung sowohl als Gremium der Planungsleitung als auch als zuständige Behörde zur Genehmigung der Pläne. In dieser zweiten Funktion sind sie nicht einzig aus dem Grund ausstandspflichtig, weil sie schon vor dem Parlament und in der Kampagne vor einer Volksabstimmung zugunsten des Projekts Stellung genommen haben, denn diese Situation ist mit der kantonalen Kompetenzregelung verbunden.“
Diese Beispiele zeigen, dass aArt. 4 BV (heute regelt Art. 29 BV die allgemeinen Verfahrensgarantien) im Gegensatz zu Art. 6 Ziff. 1 EMRK und aArt. 58 BV (heute regelt Art. 30 BV die Verfahrensgarantien im gerichtlichen Verfahren) Unabhängigkeit und Unparteilichkeit nicht als Organisationsmaxime von Regierungs-, Verwaltungs- oder leitenden Behörden vorschreibt. Die Aufteilung der Funktionen und die vom zuständigen Gesetzgeber gewählte Organisation gehören im Gegenteil zu den Kriterien, denen Rechnung getragen werden muss, um zu beurteilen, ob die Mitglieder der Behörde in einem konkreten Falle der Garantie der Unparteilichkeit genügen. Diese der Behörde gesetzmässig zugeteilten Funktionen müssen vor allem berücksichtigt werden, um die Tragweite früherer Äusserungen oder Stellungnahmen in der Angelegenheit zu beurteilen. In der Regel kann aus den Stellungnahmen, die mit normaler Ausübung von Regierungs-, Verwaltungs- oder leitenden Funktionen oder mit den üblichen Befugnissen der am Verfahren beteiligten Behörden in Einklang stehen, nicht auf den Anschein von Parteilichkeit geschlossen werden und sie können folglich kein Ausstandsbegehren rechtfertigen. In dieser Hinsicht ist in jeder besonderen Situation eine spezifische Beurteilung nötig (TVR 2012 Nr. 2, E. 5.1).
Art. 29 BV bietet folglich in diesem Zusammenhang keine Garantie, welche den auf die Gerichte anwendbaren Art. 6 Ziff. 1 EMRK und Art. 58 BV entspricht. Die Erklärung dafür liegt in der Tatsache, dass diese Behörden, welche im Allgemeinen als Hauptfunktion Regierungs-, Verwaltungs- oder leitende Aufgaben zu erfüllen haben oder eine Parteirolle im Verfahren zu übernehmen haben, nur gelegentlich die Funktion, Streitigkeiten zu entscheiden, ausüben.

2.2.3 Im Urteil 1P.316/2003 vom 14. Oktober 2003, E. 3.6.1, hat das Bundesgericht Folgendes festgehalten:
„Nach der bundesgerichtlichen Praxis können Stellen und Aufgaben von Regierungs- und Verwaltungsbehörden eine differenzierte Ausstandsregelung nahelegen. Politische Behörden (Kantonsregierungen, Gemeindeexekutiven) sind aufgrund ihres Amtes, anders als ein Gericht, nicht allein zur (neutralen) Rechtsanwendung oder Streitentscheidung berufen. Sie tragen zugleich eine besondere Verantwortung für die Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben (Urteil des Bundesgerichts 2A.364/1995 vom 14. Februar 1997, publiziert in ZBl 99/1998 S. 289 E. 3b). Das Bundesgericht hat denn auch wiederholt entschieden, dass Behördenmitglieder nur dann in den Ausstand zu treten haben, wenn sie an der zu behandelnden Sache ein persönliches Interesse haben (BGE 107 I a 135 E. 2 b; 125 I a 119 E. 3 b bis e); nimmt ein Behördenmitglied jedoch öffentliche Interessen wahr, so besteht grundsätzlich keine Ausstandspflicht (Urteil des Bundesgerichts 1P.426/1999 vom 20. Juni 2000 in ZBl 103/2002 S. 36 E. 2a).“Die blosse Verletzung materiellen Rechts oder die Missachtung von Verfahrensregeln durch eine Amtsperson ist demnach nicht geeignet, deren Befangenheit zu bewirken. Solche Fehler sind im dafür entsprechenden Verfahren, das heisst in der Regel mit einem Rechtsmittel gegen den Entscheid selber, geltend zu machen. Ausnahmsweise können prozessuale Fehler oder inhaltliche Fehlentscheide jedoch derart gehäuft auftreten oder krass sein, dass sie Rückschlüsse auf die Befangenheit des Entscheidträgers zulassen. Es muss sich um besonders schwere oder wiederholte Irrtümer handeln (Schindler, Die Befangenheit der Verwaltung, Zürich/Basel/ Genf 2002, S. 137 ff.; BGE 125 I 119).

2.3 Hinsichtlich des Generalsekretärs des DFS kann vorab festgestellt werden, dass er offensichtlich kein persönliches Interesse an der zu behandelnden Sache hat. Die Beschwerdeführerin wirft ihm aber vor, er habe besonders schwere oder wiederholte Verfahrensfehler begangen. Im Zentrum steht der Vorwurf, er habe der Beschwerdeführerin Akten vorenthalten und über Monate Falschauskünfte betreffend die vorhandenen Verfahrensakten erteilt.
Zutreffend ist, dass die Beschwerdeführerin anlässlich der Akteneinsicht vom 5. Juli 2012 folgende Dokumente erhielt: Schreiben des DFS vom 14. März 2011, Schreiben der A vom 27. Mai 2011, Schreiben von B vom 9. November 2011 und Schreiben des DFS vom 24. November 2011. Bei diesen Akten handelt es sich um für den materiellen Entscheid absolut belanglose Nebenakten. Vor der eigentlichen Akteneinsicht im Sitzungszimmer des DFS vom 5. Juli 2012 hat der Generalsekretär der Beschwerdeführerin das gleichentags vom Kantonsapotheker zugestellte Kurzprotokoll vom 16. März 2011 sowie die Versandhandelsbewilligungen vom 1. Juli 2008 und 4. Juli 2011 per Fax zugestellt. Der Vorwurf der Beschwerdeführerin, der Generalsekretär habe ihr am 5. und 24. April 2012 eine den Anschein der Befangenheit begründende Falschauskunft erteilt, wonach keine weiteren Akten vorhanden seien, ist daher haltlos. Die Beschwerdeführerin verkennt offensichtlich, dass sie kein umfassendes Recht auf Akteneinsicht hat, sondern diesem schutzwürdige private Interessen - die Geschäftsgeheimnisse der Verfahrensbeteiligten - entgegenstehen können. Auch besteht kein Anspruch auf Beizug von Akten, die sich bei Dritten, insbesondere bei anderen Behörden, befinden und nicht rechtserheblich sind und deshalb nicht beigezogen werden müssen. Es ist nicht zu erkennen und wird von der Beschwerdeführerin auch nicht dargetan, was allfällige bei der Heilmittelkontrolle Zürich befindliche Akten - vor allem der Inspektionsbericht über die Kontrolle vom 24. Mai 2011 - konkret mit dem umstrittenen OTC-Versandhandel der Verfahrensbeteiligten zu tun haben könnten. Jedenfalls begründet die Verweigerung des entsprechenden bzw. beantragten Aktenbeizugs noch keinen Anschein der Befangenheit. Der Generalsekretär hat der Beschwerdeführerin sodann auch mündlich mitgeteilt, was im fraglichen Inspektionsbericht ausgeführt worden sei: „Die Inspektoren wurden über den Versand von OTC-Präparaten auf telemedizinischer Basis erstellter Rezepte informiert. Dieses Vorgehen wurde von den Inspektoren nicht überprüft und nicht kommentiert“.
Auch kann die in der Beschwerdeschrift thematisierte Verfahrensführung des Generalsekretärs mit Bezug auf die Eröffnung der verschiedenen Schriftenwechsel, der 30-tägigen Fristerstreckung etc. nicht beanstandet werden. Wie die Verfahrensbeteiligte zu Recht ausführt, handelt es sich bei den beanstandeten Verfahrensleitungsentscheiden durch den Generalsekretär nicht um Fehl-, sondern um Ermessensentscheide. Es ist zudem nicht ersichtlich, was die vorbehaltlose Verwendung des Begriffs „telemedizinische Rezeptierung“ durch den Generalsekretär mit dem Anschein der Befangenheit zu tun haben könnte. Die Beschwerdeführerin anerkennt selbst, dass sie es war, welche in ihrer Eingabe vom 4. März 2011 den fraglichen Begriff einführte. Insgesamt ist eine Befangenheit des Generalsekretärs klar zu verneinen. Auch die in der Replik der Beschwerdeführerin gerügte Befangenheit des DFS - zufolge der in der Stellungnahme vom 17. September 2012 gemachten und durch die Beschwerdeführerin selbst produzierten Äusserungen - ist zu verneinen. Demnach ist eine Befangenheit des Generalsekretärs und damit ein notwendiger Ausstand klar zu verneinen. Hält man sich noch einmal vor Augen, dass die Anforderungen an die Unabhängigkeit von Behördenmitgliedern nicht mit den höheren Anforderungen an die Unabhängigkeit von Richtern gleichgesetzt werden darf, so entfällt zweifellos auch Ziff. 4 der beschwerdeführerischen Anträge, wonach für das Verfahren eine unabhängige Fachinstanz einzusetzen sei. Die diesbezüglich erhobenen Rügen erweisen sich allesamt als unzutreffend.

2.4 Was das Ausstandsbegehren gegen den Kantonsapotheker betrifft, kann hinsichtlich der rechtlichen Grundlagen auf E. 2.2 oben verwiesen werden. Auch an dieser Stelle ist zunächst festzuhalten, dass beim Kantonsapotheker kein persönliches Interesse am Ausgang des Verfahren auszumachen ist. Auch aus seiner Stellungnahme in der NZZ vom 13. Februar 2011, wonach er die Sache intensiv kontrolliere und den Versandhandel der Verfahrensbeteiligten als zulässig erachte, kann keine Befangenheit abgeleitet werden, zumal der Kantonsapotheker auch öffentliche Stellungnahmen zu aktuellen Themen abzugeben und seine Einschätzungen sachgerecht zu äussern hat. Immerhin ist darauf hinzuweisen, dass der Kantonsapotheker die Auskunft am 13. Februar 2011 erteilte, also noch bevor die Beschwerdeführerin am 4. März 2011 ihre Eingabe beim DFS deponierte.
Die Beschwerdeführerin kann auch nichts aus dem Besprechungsprotokoll vom 16. März 2011 ableiten, wonach der Kantonsapotheker anstatt Rezeptkopien monatliche Statistiken zugestellt erhält; dies nebst diversen weiteren Auflagen. Von einer faktischen Einstellung jeglicher Aufsichtstätigkeit gegenüber der Verfahrensbeteiligten kann keine Rede sein. Auch eine relevante Falschaussage des Kantonsapothekers liegt nicht vor, als er in der Stellungnahme vom 22. März 2011 ausführte, er habe die Heilmittelkontrolle Zürich mit der Durchführung der kantonalen Inspektion beauftragt, was seine Unbefangenheit verdeutliche.
Die Beschwerdeführerin führte weiter aus, anlässlich der Akteneinsicht vom 5. Juli 2012 habe der Generalsekretär des DFS jedoch folgende Passage zitiert: „Die Inspektoren wurden über den Versand von OTC-Präparaten auf telemedizinischer Basis erstellter Rezepte informiert. Dieses Vorgehen wurde von den Inspektoren nicht überprüft und nicht kommentiert“. Es ist zutreffend, dass der Kantonsapotheker in dieser Stellungnahme nicht von einer auf den OTC-Versandhandel beschränkten Inspektion durch die Heilmittelkontrolle Zürich gesprochen hat.
Letztlich ist es auch unbehelflich, wenn dem Kantonsapotheker vorgeworfen wird, er gehe fälschlicherweise davon aus, dass ein Arzt ohne Verletzung seiner Sorgfaltspflicht bis zu 100 telemedizinischer Rezepte pro Tag ausstellen könne, dies neben einer allfälligen praktischen Tätigkeit. Selbst wenn diese Einschätzung eine Fehleinschätzung sein sollte, ist nicht zu erkennen, inwiefern dies eine massgebende Befangenheit begründen könnte. Eine medizinische Grundlage bzw. eine Sorgfaltspflichtregel, die eine verbindliche Antwort zur hier interessierenden Frage gäbe, gibt es jedenfalls nicht. Das von der Beschwerdeführerin aufgeführte Urteil des Verwaltungsgerichts Solothurn ist hier nicht einschlägig, da es um Medikamente ging, die dem Betäubungsmittelgesetz unterlagen. Insgesamt ist daher auch eine Befangenheit des Kantonsapothekers klar zu verneinen. Ob die Meinung des Kantonsapothekers richtig oder falsch ist, bildet ja gerade Gegenstand des Hauptverfahrens.

Entscheid VG.2012.129/E vom 20. März 2013

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