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TVR 2013 Nr. 20

Unterjähriger Wohnsitzwechsel von Quellensteuerpflichtigen


Art. 2 FZA, Art. 9 Abs. 1 Anhang I FZA, Art. 21 FZA, Art. 38 Abs. 4 StHG


Ein unterjähriger Wohnsitzwechsel von Quellensteuerpflichtigen von einer thurgauischen Gemeinde in eine steuergünstigere Gemeinde des Kantons Zürich führt im vorliegenden Fall aufgrund der bei Quellensteuerpflichtigen anwendbaren Pro-rata-temporis-Besteuerung zu einer Ungleichbehandlung / Diskriminierung im Sinne von Art. 2 und Art. 9 Abs. 1 Anhang I FZA. Eine Korrektur kann beim im Rahmen der Nachbesteuerung anwendbaren Steuertarif erfolgen.


Das Ehepaar Z, deutsche Staatsangehörige mit Jahresaufenthaltsbewilligung B, hielten sich im Jahre 2008 in der Schweiz auf und waren für ihr Einkommen aus unselbständiger Erwerbstätigkeit der Quellensteuer unterworfen. Per 23. September 2008 verlegten sie ihren Wohnsitz von A, Kanton Thurgau, in die Gemeinde D, Kanton Zürich. Die Steuerverwaltung des Kantons Zürich führte sodann beim Ehepaar Z für die Staats- und Gemeindesteuern 2008 eine nachträgliche ordentliche Veranlagung durch. Gestützt auf das Kreisschreiben Nr. 14 der Schweizerischen Steuerkonferenz vom 6. Juli 2001 legte die Steuerverwaltung des Kantons Zürich für die Monate Januar 2008 bis September 2008 eine Steuerpflicht im Kanton Thurgau und für die Monate Oktober 2008 bis Dezember 2008 im Kanton Zürich fest. Diese Veranlagung erwuchs unangefochten in Rechtskraft. Am 6. Dezember 2011 erliess das Gemeindesteueramt A eine provisorische Rechnung für die Staats- und Gemeindesteuern 2008. Mit Entscheid vom 4. April 2012 wurde eine dagegen vom Ehepaar Z erhobene Einsprache abgewiesen. Gegen diesen Einspracheentscheid erhob das Ehepaar Z bei der Steuerrekurskommission des Kantons Thurgau Rekurs und beantragte, dass die Steuerschuld auf den Betrag zu reduzieren sei, der angefallen wäre, wenn sie entsprechend der für Schweizer Bürger oder niedergelassene Ausländer geltenden Regelung im Falle eines unterjährigen Domizilwechsels für das gesamte Steuerjahr in der Stadt D bzw. im Kanton Zürich steuerpflichtig gewesen wären. Mit Entscheid vom 3. Dezember 2012 wies die Steuerrekurskommission den Rekurs vollumfänglich ab. Das Ehepaar Z gelangte daraufhin an das Verwaltungsgericht, welches die Beschwerde gutheisst.

Aus den Erwägungen:

2.
2.1 Unbestritten ist, dass vorliegend die steuerrechtlichen Bestimmungen der Schweizerischen Gesetzgebung richtig angewendet worden sind. Als ausländische Staatsangehörige mit Jahresaufenthaltsbewilligung B unterlagen die Beschwerdeführer für das Jahr 2008 der Besteuerung an der Quelle (Art. 32 Abs. 1 StHG). Da das Bruttoeinkommen den Schwellenwert von jährlich Fr. 120'000.-- überschritten hatte, war anerkanntermassen gestützt auf Art. 34 Abs. 2 StHG eine nachträgliche ordentliche Veranlagung durchzuführen. Die Richtigkeit dieser Veranlagung, welche in den Zuständigkeitsbereich der Zürcher Steuerbehörden fiel, wird von den Beschwerdeführern ebenfalls nicht in Frage gestellt.
Demgegenüber erachten die Beschwerdeführer im vorliegenden Fall eine Ungleichbehandlung von Quellensteuerpflichtigen einerseits und Steuerpflichtigen, die in der Schweiz von vornherein der ordentlichen Veranlagung unterliegen, andererseits bei interkantonalem Wohnsitzwechsel während des Jahres als gegeben.

2.2 Art. 38 Abs. 4 StHG sieht Folgendes vor: Verlegt eine nach den Art. 62, 33 und 34 Abs. 2 StHG (= der Quellensteuer unterliegende Personen) steuerpflichtige natürliche Person innerhalb der Schweiz ihren Wohnsitz oder Aufenthalt, so steht dem jeweiligen Wohnsitz- oder Aufenthaltskanton das Besteuerungsrecht im Verhältnis zur Dauer der Steuerpflicht zu. Für nicht der Quellensteuer unterliegende natürliche Personen legt demgegenüber Art. 68 Abs. 1 StHG fest, dass bei einem Wechsel des steuerrechtlichen Wohnsitzes innerhalb der Schweiz die Steuerpflicht aufgrund persönlicher Zugehörigkeit für die laufende Steuerperiode im Kanton besteht, in welchem der Steuerpflichtige am Ende dieser Periode seinen Wohnsitz hat; Art. 38 Abs. 4 StHG wird in Satz 3 dieser Bestimmung ausdrücklich vorbehalten.

2.3 In erster Linie zu prüfen ist die Frage, inwiefern die Regelung von Art. 38 Abs. 4 StHG bzw. Art. 69 Abs. 1 Satz 3 StHG mit den Vorgaben des FZA vereinbar ist.
Nach Art. 2 FZA werden die Staatsanghörigen einer Vertragspartei, die sich rechtmässig im Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei aufhalten, gemäss den Anhängen I, II und III nicht aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit diskriminiert. Dieses Diskriminierungsverbot gilt gemäss Anhang 1 zum FZA gleichermassen für Arbeitnehmer, Selbständige und Dienstleistungserbringer. Es verbietet jede Ungleichbehandlung aufgrund der Staatsanghörigkeit. Verboten sind sowohl direkte (bzw. offene) als auch indirekte (bzw. versteckte) Unterscheidungen aufgrund der Staatsangehörigkeit. Somit ist eine Ungleichbehandlung nicht nur dann unzulässig, wenn sie ausdrücklich an die Staatsangehörigkeit anknüpft, sondern auch dann, wenn das Differenzierungskriterium ausserhalb der Staatsangehörigkeit liegt (z.B. Geburtsort, Wohnsitz, Muttersprache), aber dennoch faktisch zu einer Ungleichbehandlung aufgrund verschiedener Staatsangehörigkeiten führt. Im Steuerrecht ist insbesondere das Verbot der Ungleichbehandlung aufgrund von unterschiedlicher Ansässigkeit von grosser Bedeutung (vgl. Hinny, das Diskriminierungsverbot des Personenverkehrsabkommens im Schweizer Steuerrecht, in: IFF Forum für Steuerrecht 2004, S. 172 f.).
Nach Art. 21 Abs. 1 FZA bleiben die Bestimmungen der bilateralen Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Schweiz und den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft von den Bestimmungen dieses Abkommens (das heisst des FZA) unberührt. Gemäss Abs. 2 von Art. 21 FZA ist keine Bestimmung dieses Abkommens so auszulegen, dass sie Vertragsparteien daran hindert, bei der Anwendung ihrer Steuervorschriften eine Unterscheidung zwischen Steuerpflichtigen zu machen, die sich insbesondere hinsichtlich ihres Wohnsitzes nicht in vergleichbaren Situationen befinden. Sodann bestimmt Abs. 3 von Art. 21 FZA, dass keine Bestimmung dieses Abkommens die Vertragsparteien daran hindert, Massnahmen zu beschliessen oder anzuwenden, um nach Massgabe der Bestimmungen der nationalen Steuergesetzgebung einer Vertragspartei oder der zwischen der Schweiz einerseits und einem oder mehreren Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft andererseits geschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen oder sonstiger steuerrechtlicher Vereinbarungen die Besteuerung sowie die Zahlung und die tatsächliche Erhebung der Steuern zu gewährleisten oder die Steuerflucht zu verhindern.
Weiter hielt das Bundesgericht in BGE 136 II 241 (Pra 11/2010, Nr. 124) fest, dass das Diskriminierungsverbot von Art. 2 FZA und Art. 9 Abs. 2 Anhang I FZA direkt anwendbar ist und den entgegenstehenden Bundesvorschriften der direkten Bundessteuer und der Steuerharmonisierung vorgehe. In jenem (vorliegend nur teilweise einschlägigen) Fall hielt das Bundesgericht fest, es verstosse gegen das Diskriminierungsverbot, wenn einem Quellenbesteuerten jene Abzüge vorenthalten werden, welche einem ordentlich Besteuerten zustehen. Ausgangspunkt war - wie im Falle der Beschwerdeführer - Art. 9 Abs. 2 Anhang I FZA, wonach ein Arbeitnehmer und seine Familienangehörigen die gleichen steuerlichen und sozialen Vergünstigungen wie die inländischen Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen geniessen.

2.4 Den Beschwerdeführern ist darin zuzustimmen, dass nicht allein die zur Diskussion stehenden landesrechtlichen Normen (d. h. Art. 38 Abs. 4 StHG bzw. Art. 58 Abs. 1 StHG) abstrakt zu beurteilen sind, sondern vielmehr anhand des konkreten Falles geprüft werden muss, ob die Anwendung der einschlägigen Rechtssätze zu einer Diskriminierung im Sinne des FZA führt. Ausschlaggebend kann daher nicht sein, ob in einem umgekehrten Fall ein Quellensteuerpflichtiger gegenüber dem ordentlich veranlagten steuerpflichtigen Ausländer oder Schweizer profitieren würde. Massgebend ist vielmehr das Ergebnis im konkreten Fall; das heisst, es ist zu prüfen, wie es sich verhalten würde, wenn ein ordentlich Veranlagter ebenfalls im September 2008 von A, Kanton Thurgau, nach D, Kanton Zürich, umgezogen wäre.
Im vorliegenden Fall führt die Pro-rata-temporis-Besteuerung der Beschwerdeführer aufgrund ihres Wohnsitzwechsels während des Jahres von A nach D im Vergleich zu einer nicht der Quellensteuerpflicht unterliegenden Person, die bei einem entsprechenden Wohnsitzwechsel für das Jahr 2008 nur in D bzw. im Kanton Zürich besteuert worden wäre, unbestrittenermassen zu einer zusätzlichen Steuerbelastung von ca. Fr. 3'200.--, was bei einem Gesamtsteuerbetrag von ca. Fr. 19'500.-- einer steuerlichen Mehrbelastung von rund 17% entspricht. Diese zusätzliche Steuerbelastung kann mithin nicht als unerheblich bezeichnet werden.
Damit muss von einer indirekten Ungleichbehandlung bzw. Diskriminierung im Sinne von Art. 9 Abs. 2 des Anhangs I bzw. Art. 2 FZA ausgegangen werden. Diese Bestimmungen sind gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung direkt anwendbar (BGE 136 II 241). Auch eine indirekte Ungleichbehandlung, die nicht direkt an die Staatsangehörigkeit anknüpft, fällt unter das Diskriminierungsverbot des FZA. Zumindest im Falle der Beschwerdeführer kommt der Quellensteuer offensichtlich auch nicht primär Sicherungscharakter zu, der die Ungleichbehandlung gegenüber ordentlich Besteuerten unter Hinweis auf Art. 21 Abs. 3 FZA rechtfertigen könnte. Bei der zwingend durchzuführenden nachträglichen ordentlichen Veranlagung stellte sich vorliegend einzig die Frage, in welchem Umfang die Rückerstattung der bereits bezogenen Quellensteuer ausfallen wird. Unbestrittenermassen ist sowohl bei einer alleinigen Besteuerung im Kanton Zürich, als auch bei einer anteilsmässigen Besteuerung Thurgau/Zürich ein Teil der bereits bezogenen Quellensteuer an die Beschwerdeführer zurückzuzahlen. Von einem (zu sichernden) Steuernachbezug kann dementsprechend nicht die Rede sein.
Auch die von der Vorinstanz angeführten verwaltungsökonomischen Gründe rechtfertigen die Ungleichbehandlung nicht. So ist nicht nachvollziehbar, weshalb der Verwaltungsaufwand lediglich bei einer Pro-rata-temporis-Steuerpflicht vertretbar sein soll, eine Steuerpflicht aufgrund des Wohnsitzes am Stichtag per Ende Jahr aber einen unzumutbarem Mehraufwand zur Folge haben soll, der gar die praktische Durchführbarkeit der Ausländerbesteuerung in Frage stellen würde.
Auch in der Analyse der Schweizerischen Steuerkonferenz SSK vom 3. November 2010 zu den Urteilen des Bundesgerichts 3C_319/2009 vom 26. Januar 2010 und 2C_33, 2C_34 und 2C_35/2010 vom 4. Oktober 2010 sowie zum Verwaltungsgerichtsentscheid des Kantons Neuenburg vom 2. Juni 2010 (betreffend Ungleichbehandlung zwischen Quellenbesteuerten und ordentlich besteuerten Personen in der Schweiz) hat die SSK unter Ziff. 3.3 lit. h (S. 8 des Berichts) ein Ungleichbehandlungspotential unter anderem auch bei einer anteiligen steuerlichen Zugehörigkeit von Quellenbesteuerten zu den betroffen Kantonen bei unterjährigem Wohnsitzwechsel innerhalb der Schweiz (Benachteiligung gegenüber ordentlich besteuerten Personen, welche in einen Kanton mit tiefem Steuerniveau umziehen) erkannt.
Entgegen der Auffassung der Vorinstanz bzw. der Steuerverwaltung ist aus den dargestellten Gründen auch vorliegend von einer Verletzung des Diskriminierungsverbots im Sinne von Art. 2 FZA und Art. 9 Abs. 2 Anhang FZA auszugehen.

2.5 Damit ist nicht weiter zu prüfen, inwiefern die Anwendung der Art. 38 Abs. 4 StHG und Art. 68 Abs. 1 StHG auch eine Verletzung des Gleichbehandlungsgebots von Art. 8 Abs. 2 BV und/oder des Diskriminierungsverbots gemäss Art. 25 Abs. 1 DBA-Deutschland darstellt, nachdem die Beschwerde bereits aufgrund der Verletzung des im FZA statuierten Diskriminierungsverbots gutzuheissen ist.

2.6 Wie erwähnt, ist die Aufteilung der Steuerhoheit auf den Kanton Zürich (ab Oktober 2008) einerseits und auf den Kanton Thurgau (bis und mit September 2008) andererseits nicht bestritten. Allein aufgrund der Verletzung des Diskriminierungsverbots des FZA besteht vorliegend keine Veranlassung, an dieser zeitlichen Aufteilung der Steuerhoheit etwas zu ändern, zumal die Beseitigung der Folgen dieser Verletzung auch auf andere geeignete Weise, mithin durch Anwendung des jeweiligen Steuertarifs, bewerkstelligt werden kann. Die Beschwerde erweist sich jedenfalls als begründet und ist unter Aufhebung des angefochtenen Rekursentscheids vom 3. Dezember 2012 gutzuheissen. Die Beschwerdeführer werden durch die zuständige Steuerbehörde des Kantons Thurgau (für das Steuerjahr 2008) bis und mit September 2008 für die Staats- und Gemeindesteuern neu zu veranlagen sein, dies allerdings unter Anwendung der für die Gemeinde D bzw. den Kanton Zürich geltenden Steuertarife. (…)

Entscheid VG.2013.1/E vom 5. Juni 2013

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