TVR 2013 Nr. 21
Baubewilligungspflicht für Witterungs- bzw. Hagelschutzanlagen
Der Bau einer Witterungs- bzw. Hagelschutzanlage für Tafelkirschen in der Landschaftsschutzzone bedarf einer Baubewilligung.
T und K sind Pächter der Parzelle Nr. 1074 in der Politischen Gemeinde G. Die Parzelle liegt gemäss dem gültigen Zonenplan der Gemeinde in der Landschaftsschutzzone. Auf der Parzelle haben T und K Tafelkirschkulturen angepflanzt, wofür sie in den Jahren 2011/2012 entsprechende Hagelschutz- und Witterungsschutzanlagen errichteten. In der Folge gelangte L, Eigentümer eines ca. 100 m südlich der Parzelle Nr. 1074 gelegenen Einfamilienhauses in der Gemeinde R, mit einem Schreiben an den Gemeinderat G. Darin bemängelte er, dass die Hagelschutz- und Witterungsschutzanlagen ohne Baubewilligung erstellt worden seien. Der Gemeinderat G entschied, dass die Hagelschutznetzanlagen auf den besagten Parzellen keiner behördlichen Baubewilligung bedürften. Gegen diesen Entscheid erhob L Rekurs beim DBU, das diesen guthiess. Gegen diesen Entscheid gelangten T und K an das Verwaltungsgericht, das abweist.
Aus den Erwägungen:
2.
2.1 Die Grundsätze der Raumplanung werden vom Bund festgelegt (Art. 75 Abs. 1 BV). Art. 22 RPG bestimmt sodann, dass Bauten und Anlagen nur mit behördlicher Bewilligung errichtet oder geändert werden dürfen. Aus dieser Bestimmung ergibt sich, dass baubewilligungspflichtige Bauten und Anlagen Begriffe des Bundesrechts sind. Die Kantone dürfen den Kreis dieser Bauten und Anlagen nur näher ausführen oder gar ergänzen, jedoch nicht einschränken. Sie können also Bauten und Anlagen, die nach Bundesrecht einer Baubewilligungspflicht bedürfen, nicht von der Bewilligungspflicht ausnehmen (Ruch, in: Aemisegger/Moor/Ruch/Tschannen [Hrsg.], Kommentar zum Bundesgesetz über die Raumplanung, Zürich 1999/2010, Art. 22 Rz. 4). Handelt es sich also beim Anlagenbegriff von Art. 22 Abs. 1 RPG um einen bundesrechtlichen Begriff, so stellt sich zunächst die Frage, ob die umstrittene Witterungsschutzanlage gestützt auf diese Bestimmung von Bundesrechts wegen einer baurechtlichen Bewilligung bedarf. Nur wenn dies zu verneinen wäre, könnte allenfalls geprüft werden, ob das kantonale Recht grundsätzlich strengere Anforderungen an die Baubewilligungspflicht stellt. Wird die Bewilligungspflicht gestützt auf Art. 22 RPG bejaht, bleibt kein Raum für eine anderslautende kantonale Regelung, so dass sich eine weitere Prüfung erübrigt (vgl. hierzu Urteile des Bundesgerichts 1C_12/2007 vom 8. Januar 2008, E. 2.2, und 1A.202/2003 vom 17. Februar 2004, E. 3.1).
2.2 Zum Begriff der Bauten und Anlagen nach Art. 22 RPG wird in BGE 139 II 134 E. 5.2 ausgeführt, was folgt:
„Bauten und Anlagen gemäss Art. 22 Abs. 1 RPG sind jene künstlich geschaffenen und auf Dauer angelegten Einrichtungen, die in fester Beziehung zum Erdboden stehen und geeignet sind, die Vorstellung über die Nutzungsordnung zu beeinflussen, sei es, dass sie den Raum äusserlich erheblich verändern, die Erschliessung belasten oder die Umwelt beeinträchtigen. Massstab dafür, ob eine bauliche Massnahme erheblich genug ist, um sie dem Baubewilligungsverfahren zu unterwerfen, ist die Frage, ob mit der Realisierung der Baute oder Anlage im Allgemeinen, nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge, so wichtige räumliche Folgen verbunden sind, dass ein Interesse der Öffentlichkeit oder der Nachbarn an einer vorgängigen Kontrolle besteht. Die Baubewilligungspflicht soll es mithin der Behörde ermöglichen, das Bauprojekt in Bezug auf seine räumlichen Folgen vor seiner Ausführung auf die Übereinstimmung mit der raumplanerischen Nutzungsordnung und der übrigen einschlägigen Gesetzgebung zu überprüfen. Als Bauten gelten nach der bundesgerichtlichen Praxis auch Fahrnisbauten, welche über nicht unerhebliche Zeiträume ortsfest verwendet werden“ (vgl. auch BGE 123 II 256 E. 3).
2.3 Die vorliegend zu prüfende Hagel- und Witterungsschutzanlage besteht aus in den Boden gerammten, mit Sicherungsseilen fixierten und mit Drähten verbundenen Betonträgern, auf die das Hagelschutznetz aufgespannt wird. Im Reifestadium werden die Kirschbäume zusätzlich mit einer darunter aufgespannten Regenschutzfolie abgedeckt, um zu verhindern, dass die reifen Früchte bei Regen aufplatzen. Mit Seitenschutzfolien wird der für den Ertrag ebenfalls wichtige Vogelschutz sichergestellt. Die Hagelschutznetze werden während der Vegetationsperiode (nach dem Abblühen der Bäume bis nach der Ernte) für sechs Monate, die Regenschutzfolie je nach Kultur für rund zwei Monate aufgespannt. Das etwa vier Meter hohe Gerüst soll während 30 Jahren (für zwei Baumgenerationen) zum Einsatz kommen.
Die Anlage schützt die Kirschbäume und -früchte nicht nur vor schädlichen Witterungseinflüssen, sondern verhindert auch, dass wildlebende Tiere auf das Areal gelangen. Zudem werden weitere Schädlinge oder etwa der Befall mit Feuerbrand reduziert.
2.4 Die Parzelle Nr. 1074 liegt gemäss dem gültigen Zonenplan der verfahrensbeteiligten Gemeinde in der Landschaftsschutzzone. Diese bezweckt gemäss Art. 24 des Baureglements der Gemeinde G die dauernde Erhaltung der ausgeschiedenen Gebiete in ihrer natürlichen Schönheit und Eigenart. Bauten und Anlagen sind nur erlaubt, wenn sie zur Wartung oder Bewirtschaftung des Gebietes notwendig sind. Für zulässige Bauten gelten die Vorschriften der Landwirtschaftszone.
2.5 Die Hagelschutz- und Witterungsschutzanlagen beschlagen auf der Parzelle Nr. 1074 eine Fläche von etwa 0.6 ha. Damit prägen sie den am Abhang zwischen R und G noch vorhandenen, nach den Vorgaben des Richtplans auf längere Frist von einer Überbauung frei zu haltenden Grüngürtel. Obwohl die Netze und Folien im Winterhalbjahr zusammengerollt werden und - wie die schlanken Betonpfeiler in den Kirschbaumkulturen - kaum mehr sichtbar sind, fallen sie im Sommerhalbjahr als von menschlicher Hand geschaffene Gebilde trotz dezenter Farbgebung wegen ihrer Dimensionen im offenen Raum auf. Sie sind besonders im nördlichen Bereich der Parzelle Nr. 1074, wo die Anlage bis an das Wohngebiet von G vorstösst, auch immissionsrechtlich relevant. Die in Frage stehende Anlage ist zumindest während der Vegetationsperiode äusserlich wahrnehmbar. Unmittelbare Auswirkungen auf die Nachbarschaft sind bei ihr nicht von vornherein auszuschliessen. Möglichen Betroffenen und der zuständigen Behörde muss daher die Gelegenheit gegeben werden, das Vorhaben präventiv auf die Verträglichkeit mit den relevanten Vorschriften zu überprüfen bzw. allfällige Einwendungen in einem ordentlichen Baubewilligungsverfahren geltend zu machen. Hinzu kommt, dass die vorliegend zu beurteilende Anlage auf der Parzelle Nr. 1074 in der Landschaftsschutzzone steht, wo Eingriffe entsprechend heikel sind. Es ist offensichtlich, dass die hier zu beurteilende Anlage auf der Parzelle Nr. 1074 über einen nicht unerheblichen Zeitraum Auswirkungen auf ihre Umgebung hat, weshalb sie grundsätzlich in einem allfälligen Baubewilligungsverfahren zu prüfen ist. Zwar ist dies vorgängig nicht mehr möglich, da die Anlage bereits steht. In diesen Fällen ist jedoch praxisgemäss ein nachträgliches Baubewilligungsverfahren durchzuführen. Die Vorinstanz hat daher zu Recht entschieden, dass für die Hagelschutzanlage auf der Parzelle Nr. 1074 ein Baubewilligungsverfahren durchzuführen ist.
Entscheid VG.2013.58/E vom 30. Oktober 2013