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TVR 2013 Nr. 28

Kein Rechtsanspruch auf Rückweisung zur einvernehmlichen Bestimmung einer Gutachterstelle; Kostenpflicht des BeschwerdeverfahrensArt. 43 ATSG, Art. 69 Abs. 1bis IVG, Art. 72bis IVV


Art. 43 ATSG, Art. 69 Abs. 1bis IVG, Art. 72 bis IVV


1. Ein Rechtsanspruch auf einvernehmliche Bestimmung der Gutachterstelle besteht nicht.

2. Die Bestimmung der Gutachterstelle und die Bestellung der Gutachter ist Bestandteil des Verfahrens zur Beurteilung des Leistungsanspruchs. Das Beschwerdeverfahren ist entsprechend kostenpflichtig (Art. 69 Abs. 1bis IVG).


R meldete sich im Juni 2007 zum Bezug von IV-Leistungen für Erwachsene an. Mit Verfügung vom 18. März 2009 verneinte die IV-Stelle einen Anspruch von R auf eine Invalidenrente. Am 11. Februar 2011 meldete sich R erneut zum Leistungsbezug für Erwachsene an. Mit Verfügung vom 1. Juli 2011 wies die IV-Stelle das Leistungsbegehren ab. Die gegen diese Verfügung erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht mit Urteil vom 11. Januar 2012 in dem Sinne gut, dass die Verfügung vom 1. Juli 2011 aufgehoben und die Sache an die IV-Stelle zurückgewiesen wurde, damit sie, nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen, über den Anspruch von R neu verfüge.
Die IV-Stelle teilte R am 12. März 2012 mit, es werde eine interdisziplinäre medizinische Abklärung in den Bereichen Allgemeine Innere Medizin, Rheumatologie und Psychiatrie durchgeführt. Nach weiterer Korrespondenz teilte die IV-Stelle RA X, dem Rechtsvertreter von R, am 14. Mai 2012 mit, die Aufträge für das polydisziplinäre Gutachten würden in einer Internet-Plattform (SuisseMED@P) erfasst. Es sei vorgesehen, dass die Gutachterstelle, nachdem sie die Akten der IV erhalten habe, der IV-Stelle die Personen mitteile, welche an der Begutachtung teilnehmen. Anschliessend werde eine entsprechende Mitteilung erlassen, damit die versicherte Person diese kenne. Mit Schreiben vom 24. Juli 2012 machte RA X geltend, das ABI stehe mehr als jedes andere Begutachtungsinstitut in der öffentlichen Kritik, womit mindestens der Anschein der Befangenheit vorliege. Das Einigungsverfahren sei noch nicht abgeschlossen. Im Sinne der anzustrebenden einvernehmlichen Gutachtenseinholung würden drei Begutachtungsinstitutionen (ZMB, Basel; BEGAZ, Binningen; MEDAS Ostschweiz, St. Gallen) vorgeschlagen. Am 27. Juli 2012 wurde RA X aufgefordert, die Vereinbarung der Termine zwischen der Gutachterstelle und R zu veranlassen. Sein Schreiben enthalte keine substantiierten Ausstands- oder Ablehnungsgründe. Eine am 30. August 2012 erfolgte Nachfrage der IV-Stelle beim ABI ergab, dass keine Terminvereinbarung stattgefunden hatte. Am 22. Oktober 2012 hielt RA X daran fest, dass begrüsst würde, wenn einem seiner drei Vorschläge für eine Gutachterstelle einvernehmlich zugestimmt würde. Am 30. Oktober 2012 wurde RA X aufgefordert, mit dem ABI einen Termin zu vereinbaren. Am 5. November 2012 teilte RA X in der Folge mit, mit dem ABI sei telefonisch Kontakt aufgenommen worden. Entsprechend werde nun die schriftliche Mitteilung betreffend die Gutachterstelle erwartet. Am 5. November 2012 informierte das ABI R über den Eintrittstermin, das Untersuchungsprogramm und die abklärenden Ärzte. Am 27. November 2012 orientierte die IV-Stelle R zudem via RA X über die konkreten Abklärungen.
Gegen diese Mitteilung liess R am 7. Dezember 2012 Einwand erheben. Mit Zwischenverfügung vom 14. Dezember 2012 teilte die IV-Stelle mit, an der Abklärungsstelle werde festgehalten.
Gegen diese Verfügung gelangte R am 30. Januar 2013 beschwerdeweise ans Versicherungsgericht und beantragte namentlich, es sei die Sache zur einvernehmlichen Gutachtensanordnung, an die Verwaltung zurückzuweisen; eventualiter sei die geplante Abklärung in einer der drei von ihm vorgeschlagenen Gutachterstellen vorzunehmen. Das Versicherungsgericht weist die Beschwerde ab.

Aus den Erwägungen:

2.
2.1 In BGE 137 V 210 formulierte das Bundesgericht die Anforderungen an polydisziplinäre medizinische Entscheidungsgrundlagen. Dabei kommt den Rahmenbedingungen der Auftragsvergabe eine grosse Bedeutung zu. So erfolgt die Vergabe der MEDAS-Begutachtungsaufträge (neu) fortan nach dem Zufallsprinzip. Auf der Grundlage des auf den 1. März 2012 in Kraft getretenen Art. 72bis IVV hat das BSV das Zuweisungssystem „SuisseMED@P“ etabliert, dem alle Begutachtungsinstitute angeschlossen sind, welche über eine entsprechende Vereinbarung mit dem BSV verfügen. Ist eine Gutachterstelle nach diesem System benannt, so kann die versicherte Person materielle Einwendungen gegen eine Begutachtung an sich (etwa mit dem Einwand, es handle sich um eine unnötige Second Opinion), gegen Art oder Umfang der Begutachtung (beispielsweise die Auswahl der medizinischen Disziplinen) oder gegen bezeichnete Sachverständige (etwa betreffend deren Fachkompetenz) erheben. Weiter können formelle Ausstandsgründe gegen Gutachterpersonen geltend gemacht werden.

2.2 Für Sachverständige gelten grundsätzlich die gleichen Ausstands- und Ablehnungsgründe, wie sie für Richterinnen und Richter vorgesehen sind. Da sie nicht Mitglied des Gerichts sind, richten sich die Anforderungen zwar nicht nach Art. 30 Abs. 1 BV, sondern nach Art. 29 Abs. 1 BV. Hinsichtlich der Unparteilichkeit oder Unbefangenheit kommt Art. 29 Abs. 1 BV indessen ein mit Art. 30 Abs. 1 BV weitgehend übereinstimmender Gehalt zu (Urteil des Bundesgerichts 9C_273/2009 vom 14. September 2009, E. 3.3). Befangenheit ist demnach anzunehmen, wenn Umstände vorliegen, die geeignet sind, Misstrauen in die Unparteilichkeit zu wecken (BGE 132 V 93 E. 7.1).

3. Dass eine Begutachtung stattzufinden hat, wurde vom Versicherungsgericht bereits entschieden. Die Begutachtung an sich ist also nicht zu beurteilen.

4. Der Beschwerdeführer beantragt in erster Linie, es hätte eine einvernehmliche Gutachtensanordnung erfolgen müssen.

4.1 Das Bundesgericht hat für die Gutachtensvergabe bei MEDAS-Begutachtungen Automatismen nach dem Zufallsprinzip verlangt (BGE 137 V 210 E. 3.1). Diese Mechanismen wurden in der Zwischenzeit in der Form der Zuteilplattform SuisseMED@P installiert. Die Zuteilung erfolgte im vorliegenden Fall über diese Plattform. Das stellt zwischenzeitlich auch der Beschwerdeführer nicht mehr in Frage.

4.2 Entgegen der vom Beschwerdeführer vertretenen Auffassung ist eine Rückweisung zur einvernehmlichen Bestimmung einer Gutachterstelle nicht angezeigt. Anders zu entscheiden würde bedeuten, den vom Bundesgericht angestrebten Ausschluss der Einwirkung seitens der Verwaltung auf die Auswahl der Gutachterstelle zu unterlaufen. Mit einem Eingriff in das Zuteilungsverfahren durch Einigungen würde zudem die Kapazität einzelner Abklärungsstellen eingeschränkt, was betreffend Zuteilungswahrscheinlichkeit im Resultat einen Eingriff ins Verfahren der anderen, sich dem Zufallsprinzip stellenden Versicherten bedeuten würde. Selbst wenn trotz dieser Bedenken davon ausgegangen würde, ein Konsens über die Bestellung der Gutachterstelle sei erstrebenswert (so zumindest im Grundsatz auch BGE 137 V 210 E. 3.4.2.6), würde darauf aber jedenfalls kein Rechtsanspruch bestehen. Das Bundesgericht hat denn auch klargestellt, dass bei mangelndem Konsens über die Gutachtensstelle nicht mehr wie bisher bloss eine Mitteilung an den Versicherten erlassen werden könne, sondern eine anfechtbare Zwischenverfügung zu ergehen habe. Ein Differenzbereinigungsverfahren, welches so lange durchzuführen wäre, bis eine Einigkeit über die zu beauftragende Stelle erreicht wäre, hat das Bundesgericht zu keiner Zeit als erforderlich bezeichnet. Da vorliegend zusätzlich erstellt ist, dass zwischen den Parteien keine Einigkeit über die Wahl der Gutachterstelle erreicht werden könnte (die Vorschläge des Beschwerdeführers wies die Beschwerdegegnerin zurück), erweist sich die Bestimmung derselben durch einseitige Anordnung des Versicherungsträgers selbst dann als richtig, wenn angenommen würde, ein Einigungsverfahren wäre grundsätzlich durchzuführen.

4.3 Schliesslich ist festzuhalten, dass die Beschwerdegegnerin dem Beschwerdeführer bzw. seinem damaligen (und auch nunmehrigen) Vertreter bereits am 12. März 2012 mitgeteilt hatte, dass eine nach dem Zufallsprinzip ausgewählte Fachstelle mit der Untersuchung beauftragt werde. Gegen diese Mitteilung wurden innert Frist keine Einwendungen erhoben. Auch im Schreiben des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers vom 8. Mai 2012 wurde nicht beanstandet, dass kein Einigungsverfahren stattgefunden habe. Dieser Einwand wurde erstmals am 24. Juli 2012 erhoben. Ein derartiges Verhalten verdient keinen Rechtsschutz. Wenn der Beschwerdeführer das Fehlen eines Einigungsverfahrens hätte beanstanden wollen, so wäre er gehalten gewesen, dies nicht erst mit mehrmonatiger Verzögerung mitzuteilen. Dem Begehren des Beschwerdeführers kann auch unter diesem Gesichtspunkt nicht gefolgt werden.

5. Der Beschwerdeführer stellt zusätzlich die Unabhängigkeit des ABI in Frage. Die Gutachterstelle stehe in der Dauerkritik. Dies spreche dafür, dass die Beschwerdegegnerin sich die naheliegende Geneigtheit dieser Institution, eher zugunsten der Versicherung zu entscheiden, im vorliegenden Fall zu Nutze machen wolle.

5.1 Die Behauptung, die Beschwerdegegnerin wolle sich mit nach dem Zufallsprinzip ausgewähltem Institut eine für sie im Resultat günstige Begutachtung sichern, überzeugt schon deshalb nicht, weil das Institut gemäss den glaubhaften Angaben der Beschwerdegegnerin, an deren Richtigkeit zu zweifeln keinerlei Anlass besteht, nach Massgabe von Art. 72bis IVV ausgewählt wurde. Das Verfahren der Auftragsvergabe für polydisziplinäre Gutachten via SuisseMED@P richtet sich nach dem Handbuch im Anhang V des Kreisschreibens des BSV über das Verfahren in der Invalidenversicherung (KSVI, Stand 1. Februar 2013). Diese Auslosung schliesst geradezu aus, dass die Beschwerdegegnerin ergebnisorientiert hätte eine Gutachterstelle auswählen können, welche ein aus Sicht der Versicherung günstiges Abklärungsergebnis hätte erwarten lassen.

5.2 Allein der Umstand, dass es - wie vom Beschwerdeführer geltend gemacht - in der Vergangenheit zu Unregelmässigkeiten im ABI gekommen sein soll, oder die Tatsache, dass das Institut gegenüber dem Bundesgericht auffallend wenig Angaben geliefert haben soll, lassen zudem keineswegs darauf schliessen, dass die mit der Begutachtung des Beschwerdeführers beauftragten Ärzte befangen oder voreingenommen wären. Die Vorbringen des Beschwerdeführers sind nicht geeignet, die Unabhängigkeit der mit seiner polydisziplinären Abklärung betrauten Ärzte in Frage zu stellen. Objektivierbare Zweifel an deren grundsätzlichen fachlichen Eignung bringt der Beschwerdeführer keine vor. Solche Gründe werden weder gegen Dr. A, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, noch gegen Dr. B, Facharzt für Allgemeine Innere Medizin, und auch nicht gegen Dr. C, Facharzt für Allgemeine Innere Medizin und Rheumatologie, vorgebracht. Mangels substantiierter Ausstands- oder Ablehnungsgründe erweist sich die Beschwerde auch unter diesem Gesichtspunkt als unbegründet. Lediglich der Vollständigkeit halber ist im Übrigen darauf hinzuweisen, dass gerade der - gemäss Darstellung des Beschwerdeführers - ans Institut gerichtete Vorwurf, dasselbe würde möglichst zugunsten der Auftrag gebenden Versicherungen entscheiden, eher befürchten lassen könnte, das Institut würde künftig dazu tendieren, gegenteilig zu entscheiden, um sich dem Vorwurf möglichst nicht noch einmal aussetzen zu müssen. Die unbestrittene Integrität der mit der Begutachtung betrauten Fachärzte steht der Annahme einer entsprechenden Gefahr aber entgegen.

6. Die Beschwerde erweist sich damit als unbegründet. Gemäss Art. 69 Abs. 1bis IVG ist das Beschwerdeverfahren vor dem kantonalen Versicherungsgericht in Streitigkeiten um die Bewilligung oder Verweigerung von IV-Leistungen kostenpflichtig. Die Bestimmung der Gutachterstelle und die Bestellung der Gutachter ist Bestandteil des Verfahrens zur Beurteilung des Leistungsanspruchs. Das Beschwerdeverfahren ist entsprechend kostenpflichtig. Die nach dem Verfahrensaufwand festzulegenden Kosten von Fr. 700.-- sind dem Beschwerdeführer als unterliegende Partei aufzuerlegen.

Entscheid VV.2013.34/E vom 10. April 2013

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