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TVR 2013 Nr. 29

Unentgeltliche Rechtspflege und Rechtsschutzversicherung


Art. 61 lit. f ATSG, Art. 29 Abs. 3 BV, § 81 VRG


Soweit eine vertragliche Deckung durch eine Rechtsschutzversicherung vorgesehen ist, mangelt es an der Bedürftigkeit der gesuchstellenden Person. Dies trifft aber erst dann zu, wenn die Rechtsschutzversicherung die entsprechenden Leistungen zugesichert hat. Verweigert diese hingegen die Kostengutsprache und ist ihre Leistungspflicht klar oder überwiegend wahrscheinlich nicht gegeben, so ist die unentgeltliche Rechtspflege zu bewilligen. Wurde die Leistungspflicht allerdings wegen schuldhafter Verletzung der vertraglichen Pflichten durch die gesuchstellende Person oder ihren Rechtsvertreter verwirkt, besteht kein Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege.


Mit Verfügung vom 4. Januar 2013 sprach die Suva N eine Invalidenrente aufgrund eines Invaliditätsgrades von 34% zu. Die von N gegen diese Verfügung erhobene Einsprache wies die Suva mit Entscheid vom 20. März 2013 ab. Dagegen liess N beim Versicherungsgericht Beschwerde erheben und stellte gleichzeitig das Gesuch, es sei ihm „umfassend“ die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren und es sei RA B zu seinem unentgeltlichen Rechtsvertreter zu bestellen. Das Versicherungsgericht tritt nicht auf das Gesuch um unentgeltliche Prozessführung ein und weist das Gesuch um unentgeltliche Rechtsverbeiständung ab.

Aus den Erwägungen:

2. Der Begriff der unentgeltlichen Rechtspflege umfasst die unentgeltliche Prozessführung einerseits und die unentgeltliche Rechtsverbeiständung anderseits. Gemäss Art. 61 lit. a ATSG i.V. mit Art. 1 UVG ist das Verfahren vor dem kantonalen Versicherungsgericht betreffend Leistungen der obligatorischen Unfallversicherung für die Parteien grundsätzlich kostenlos. Soweit der Beschwerdeführer mit seinem Begehren auch um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung ersucht, kommt ihm daher von vornherein kein Rechtsschutzinteresse zu, weshalb darauf nicht eingetreten werden kann.

3.
3.1 Gemäss Art. 61 lit. f ATSG wird der beschwerdeführenden Person, wo die Verhältnisse es rechtfertigen, ein unentgeltlicher Rechtsbeistand bewilligt. Voraussetzung hierfür ist, dass die Person bedürftig ist und das Verfahren nicht als aussichtslos oder mutwillig erscheint (§ 81 Abs. 1 VRG, Art. 29 Abs. 3 BV). Soweit eine vertragliche Deckung durch eine Rechtsschutzversicherung vorgesehen ist, mangelt es an der Bedürftigkeit der beschwerdeführenden Person. Dies trifft aber erst dann zu, wenn die Rechtsschutzversicherung die entsprechenden Leistungen zugesichert hat (TVR 2008 Nr. 12, E. 4b; Urteile des EVG U 66/04 vom 14. Oktober 2004, E. 8.3, und U 297/00 vom 17. November 2000, E. 3a). Verweigert diese hingegen die Kostengutsprache und ist ihre Leistungspflicht klar oder überwiegend wahrscheinlich nicht gegeben, so ist die unentgeltliche Rechtsverbeiständung zu bewilligen. Wurde die Leistungspflicht durch schuldhafte Verletzung der vertraglichen Pflichten durch die beschwerdeführende Person oder ihren Rechtsvertreter verwirkt, ist das Gesuch um unentgeltliche anwaltliche Verbeiständung abzuweisen (vgl. dazu auch Entscheide des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen AHV-H 2008/1 vom 15. August 2008, E. 3, und IV 2006/274 vom 23. April 2008, E. 5.2).

3.2 Der Beschwerdeführer ist bei der V-Versicherungsgesellschaft rechtsschutzversichert. Diese verweigerte mit Schreiben vom 29. April 2013 die Kostengutsprache für das vorliegende Beschwerdeverfahren, weil der Beschwerdeführer sich wiederholt nicht an das korrekte Vorgehen im Schadenfall gehalten habe. Gemäss Art. 11 lit. c AVB sei der Versicherte verpflichtet, vor Mandatierung eines unabhängigen Rechtsvertreters ihre Zustimmung einzuholen. Darauf sei der Beschwerdeführer bereits schriftlich sowie auch telefonisch aufmerksam gemacht worden. Verletze der Versicherte diese Obliegenheit, könne sie ihre Leistungen verweigern, wenn die Verletzung den Umständen nach nicht unverschuldet sei (Art. 11 lit. c AVB). Bereits im Januar 2011 habe der Beschwerdeführer einen Rechtsvertreter ohne Rücksprache mit der V mandatiert. Auch dem damaligen Rechtsvertreter sei keine Kostengutsprache erteilt worden.

3.3 Nach Art. 11 lit. c AVB verpflichtet sich der Versicherte unter anderem, keinen Rechtsvertreter zu beauftragen, ohne die Zustimmung der V eingeholt zu haben. Kommt der Versicherte dieser Verpflichtung nicht nach, kann die V ihre Leistungen verweigern, sofern die Verletzung den Umständen nach nicht unverschuldet ist (Art. 11 lit. c AVB). Wie die V in ihrem Schreiben vom 29. April 2013 dargelegt hat, wusste der Beschwerdeführer - auch bereits aus einem früheren Fall - von seiner Pflicht zur Einholung der Zustimmung der V vor Mandatierung eines Rechtsvertreters. Indem er RA B ohne Rücksprache mit der V mandatierte, verletzte er die vorgenannte Pflicht nicht unverschuldet. In Anbetracht dieser Sach- und Rechtslage ist davon auszugehen, dass die V ihre Leistungspflicht zu Recht verneint hat. Dies wird auch vom Rechtsvertreter des Beschwerdeführers nicht bestritten. Folglich hat der Beschwerdeführer die Leistungspflicht der V durch schuldhafte Verletzung seiner Pflicht verwirkt, weshalb die Bedürftigkeit zu verneinen und somit das Gesuch um unentgeltliche Rechtsverbeiständung abzulehnen ist. Es geht nicht an, dass der Staat für die Anwaltskosten aufzukommen hat, wenn der Beschwerdeführer auf pflichtwidrige Weise den Ausfall der Versicherungsdeckung und damit die Verweigerung der Kostengutsprache selbst verursacht hat.
Daran ändert auch der vom Beschwerdeführer geltend gemachte Grundsatz, wonach die Ursache der Mittellosigkeit keine Rolle spielt und verschuldensunabhängig ist, nichts. Denn vorbehalten bleiben Fälle von Rechtsmissbrauch, das heisst solche, in denen der ablehnende Entscheid der Rechtsschutzversicherung allein auf ein als rechtsmissbräuchlich einzustufendes Verhalten der beschwerdeführenden Person zurückzuführen ist (Urteil des EVG U 297/00 vom 17. November 2000, E. 3c mit Verweis auf BGE 104 Ia 34 E. 4; Meichssner, Das Grundrecht auf unentgeltliche Rechtspflege [Art. 29 Abs. 3 BV], Basel 2008, S. 76). Vorliegend verweigerte die V ihre Leistungspflicht aufgrund der Pflichtverletzung durch den Beschwerdeführer gestützt auf Art. 11 lit. c AVB. Nachdem der Beschwerdeführer von seiner Pflicht gewusst und diese schuldhaft verletzt hat und darüber hinaus dieselbe Pflichtverletzung bereits einmal im Januar 2011 begangen hatte, ist sein Verhalten als rechtsmissbräuchlich zu bezeichnen.
Zu beachten ist zudem, dass der Versicherte im Falle einer Nichtanmeldung des Schadensfalles bei der V auch gewisse Nachteile vermeiden kann, so insbesondere eine allfällige Kündigung der Police durch die V (vgl. Art. 14 AVB). Derartige Nachteile dürfte ein Versicherter auch vermeiden können, wenn ihm die Leistungen der Rechtsschutzversicherung zufolge schuldhafter Verletzung der AVB verweigert werden. Es ist jedoch nicht Sinn und Zweck des Instituts der unentgeltlichen Rechtspflege, den Versicherten in den Genuss einer unentgeltlichen Rechtsvertretung kommen zu lassen, er aber gleichzeitig mögliche Nachteile aus der Police der Rechtsschutzversicherung vermeiden kann, mit denen er im Falle einer ordnungsgemässen Anmeldung des Schadenfalls hätte rechnen müssen. Auch insofern erscheint der Tatbestand des Rechtsmissbrauchs als erfüllt.
Die unentgeltliche anwaltliche Verbeiständung ist somit bereits aus diesem Grunde nicht zu gewähren.

Zwischenentscheid VV.2013.119/Z vom 3. Juli 2013

Das Bundesgericht hat eine gegen diesen Entscheid erhobene Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit Urteil 8C_607/2013 vom 28.November 2013 abgewiesen.

Aus den Erwägungen des Bundesgerichts:

6.3. Werden die Kosten durch eine Rechtsschutzversicherung getragen, fehlt die Bedürftigkeit (RKUV 2001 Nr. U 415 S. 91 E. 3a, U 297/00; Urteil U 66/04 vom 14. Oktober 2004, E. 8.3; Biaggini, Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Zürich 2007, N. 32 zu Art. 29 BV). Vorliegend bestand für das vorinstanzliche Verfahren grundsätzlich eine Kostendeckung durch eine Rechtsschutzversicherung, welche - auch gemäss Ansicht des Beschwerdeführers - die Kostenübernahme rechtmässig verweigerte. Der Versicherte hat seinen bestehenden, vermögensrechtlichen Anspruch auf Kostenübernahme durch sein eigenes, wiederholt gegen Art. 11 lit. c AVB der Rechtsschutzversicherung verstossendes Verhalten, worauf ihn die Versicherung vorgängig bereits mündlich wie schriftlich (…) aufmerksam gemacht hatte, verloren. Das Verhindern der tatsächlichen Kostengutsprache der Rechtsschutzversicherung durch (bewusstes) Zuwiderhandeln gegen ihre Allgemeinen Vertragsbedingungen und damit der Verzicht auf ein liquides Aktivum im Vermögen (vgl. Ackermann, Aktuelle Fragen zur unentgeltlichen Vertretung im Sozialversicherungsrecht, in: Schaffhauser/Kieser [Hrsg.], Sozialversicherungsrechtstagung 2010, S. 156) ist mit der Entäusserung der Vermögenswerte bei hängigem Verfahren gleichzusetzen. Das Verhalten des Beschwerdeführers steht dem Schutzzweck der Bestimmungen über die unentgeltliche Rechtspflege (…) entgegen. Die vorinstanzliche Verweigerung der unentgeltlichen Verbeiständung wegen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens verletzt somit kein Bundesrecht, wobei fraglich ist, ob der Beschwerdeführer durch den selbst herbeigeführten Verlust eines liquiden Vermögensaktivums überhaupt die Anspruchsvoraussetzung der prozessualen Bedürftigkeit erfüllt (vgl. zu dieser Frage: Meichssner, a.a.O., S. 77, und bezüglich des Grundrechts auf Hilfe in Notlagen: Urteil des Bundesgerichts 8C_962/2012 vom 29. Juli 2013, E. 3.3 [mittlerweile publiziert in BGE 139 I 218]).

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