TVR 2013 Nr. 37
Vermögensverzicht, Ermittlung des Verkehrswerts beim Verkauf einer Liegenschaft aus finanzieller Not
Art. 11 Abs. 1 lit. g ELG, Art. 17 Abs. 5 ELV
Eine Verzichtshandlung liegt vor, wenn der Anspruchsberechtigte ohne rechtliche Verpflichtung oder ohne adäquate Gegenleistung auf Einkünfte oder Vermögen verzichtet hat. Eine Gegenleistung ist als gleichwertig zu betrachten, wenn ihr Wert mindestens 90% des Werts der Leistung beträgt. Bei der entgeltlichen oder unentgeltlichen Entäusserung eines Grundstücks ist zur Prüfung, ob ein Verzicht vorliegt, der Verkehrswert massgebend. Für dessen Ermittlung ist grundsätzlich auf den Mittelwert zwischen dem Steuerwert und dem Gebäudeversicherungswert abzustellen. Daran ist auch festzuhalten, wenn der Verkauf wegen drohender Hypothekenkündigung erfolgte. Fehlt es an einer adäquaten Gegenleistung, spielt es keine Rolle, ob der Verkauf aus einer finanziellen Not heraus erfolgt ist oder nicht.
S, geboren 1941, meldete sich am 14. November 2011 zum Bezug von Ergänzungsleistungen an. Mit Verfügung vom 5. Juni 2012 verneinte das Amt für AHV und IV einen Anspruch auf Ergänzungsleistungen, da es im Zusammenhang mit diversen Liegenschaftsverkäufen bzw. -schenkungen seit 1997 ein Verzichtsvermögen von über Fr. 500'000.-- ermittelt und unter Berücksichtigung des daraus resultierenden hypothetischen Zinsertrags einen Einnahmenüberschuss errechnet hatte. Die hiergegen erhobene Einsprache hiess es mit Entscheid vom 31. August 2012 teilweise gut. Es rechnete S ein hypothetisches Vermögen von Fr. 53'900.-- (2011) bzw. Fr. 43'900.-- (2012) an und ermittelte für die Zeit vom 1. November bis 31. Dezember 2011 einen monatlichen Ergänzungsleistungsanspruch in Höhe von Fr. 425.-- und ab 1. Januar 2012 einen solchen von Fr. 617.--. Das Versicherungsgericht weist die von S hiergegen erhobene Beschwerde ab.
Aus den Erwägungen:
2.2 Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung wird das Vorliegen eines Verzichtstatbestands im Sinne von Art. 11 Abs. 1 lit. g ELG davon abhängig gemacht, ob eine Vermögenshingabe ohne rechtliche Verpflichtung und ohne adäquate Gegenleistung erfolgt war. Zur Beurteilung, ob eine adäquate Gegenleistung für das verzichtete Vermögen vorliegt, ist auf das Verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung zur Zeit der Entäusserung abzustellen (vgl. BGE 113 V 190 E. 4c). Eine Verzichtshandlung liegt vor, wenn der Anspruchsberechtigte ohne rechtliche Verpflichtung oder ohne adäquate Gegenleistung auf Einkünfte oder Vermögen verzichtet hat (BGE 131 V 329 E. 4.2 mit Hinweisen). Ist ein einmal bestehendes Vermögen nicht mehr vorhanden, so trägt der Leistungsansprecher die Beweislast dafür, dass es in Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung oder gegen adäquate Gegenleistung hingegeben worden ist (BGE 121 V 204 E. 6 mit Hinweisen). Die beiden Voraussetzungen sind nicht kumulativ, sondern alternativ zu verstehen (BGE 131 V 329 E. 4.4). Eine Gegenleistung ist als gleichwertig zu betrachten, wenn ihr Wert mindestens 90% des Werts der Leistung beträgt (BGE 122 V 394 E. 5a). Anders als ein für die Berechnung der Ergänzungsleistung massgeblicher Vermögensverzicht darf eine als Folge eines gehobenen Lebensstandards eingetretene Vermögensverminderung nicht Anlass zu einer Anrechnung eines hypothetischen Vermögens geben (Urteil des Bundesgerichts 9C_934/2009 vom 28. April 2010, E. 4.2 mit Hinweisen). Für die Annahme einer Verzichtshandlung im Sinne von Art. 11 Abs. 1 lit. g ELG ist nicht erforderlich, dass beim Verzicht der Gedanke an Ergänzungsleistungen tatsächlich eine Rolle gespielt hat (Urteil des Bundesgerichts 9C_934/2009 vom 28. April 2010, E. 5.1 mit Hinweis auf BGE 131 V 329 E. 4.4). Es ist also nicht wesentlich, dass sich die versicherte Person über die sozialversicherungsrechtlichen Konsequenzen ihres Tuns im Klaren war.
Bei der entgeltlichen oder unentgeltlichen Entäusserung eines Grundstücks ist zur Prüfung, ob ein Verzicht vorliegt, der Verkehrswert massgebend. Dieser gelangt nicht zur Anwendung, wenn von Gesetzes wegen ein Rechtsanspruch auf den Erwerb zu einem tieferen Wert besteht (Art. 17 Abs. 5 ELV). Angesichts dessen, dass aktuelle Verkehrswertschätzungen in aller Regel fehlen, ist gemäss der konstanten Praxis des Beschwerdegegners, welche vom Bundesgericht wiederholt geschützt wurde (vgl. unter anderem den Entscheid 8C_849/2008 vom 16. Juni 2009, E. 6.3.4), für die Ermittlung des Verkehrswerts auf den Mittelwert zwischen dem Steuerwert und dem Gebäudeversicherungswert abzustellen.
3.
3.1 Im angefochtenen Einspracheentscheid wurde im Zusammenhang mit der Schenkung an den Sohn T sowie im Zusammenhang mit den Verkäufen der Liegenschaften A und B ein Vermögensverzicht angenommen.
3.2 Der im Zusammenhang mit der Schenkung angerechnete Vermögensverzicht wird von der Beschwerdeführerin zu Recht anerkannt.
3.3 In Bezug auf die beiden fraglichen Liegenschaftsverkäufe macht die Beschwerdeführerin im Wesentlichen geltend, diese seien nicht freiwillig, sondern unter drohender Hypothekenkündigung erfolgt. Zudem sei die Gegenleistung adäquat gewesen. Dem kann nicht gefolgt werden. Wie oben dargelegt, reicht es zur Anrechnung eines Vermögensverzichts aus, dass keine adäquate Gegenleistung erfolgt ist. Fehlt es an einer adäquaten Gegenleistung, spielt es also keine Rolle, ob der Verkauf aus einer finanziellen Not heraus erfolgt ist oder nicht. Eine rechtliche Verpflichtung zu den entsprechenden Verkäufen bestand nicht. Ebenso wenig relevant ist in diesem Zusammenhang, ob an Familienmitglieder oder an Dritte verkauft wurde. Für die Beurteilung, ob eine adäquate Gegenleistung erfolgt ist, ist bei Liegenschaftsentäusserungen auf den Verkehrswert abzustellen. Der Beschwerdegegner hat diesen praxisgemäss gestützt auf den Mittelwert zwischen dem Steuerwert und dem Gebäudeversicherungswert ermittelt. Dieses Vorgehen ist nicht zu beanstanden, wie das Bundesgericht wiederholt bestätigt hat.
Entscheid VV.2012.321/E vom 17. April 2013