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TVR 2013 Nr. 39

Heimbedürftigkeit


Art. 25 a ELV


Der ersatzlose Wegfall einer Kindesschutzmassnahme infolge Eintritt der Mündigkeit führt nicht automatisch zum Wegfall der Heimbedürftigkeit. Die Heimbedürftigkeit setzt voraus, dass die versicherte Person auf eine Betreuung in einer heimähnlichen Institution angewiesen ist.


H, geboren 1993, stand unter Beistandschaft, lebte seit Oktober 2008 bei einer Sozialpädagogischen Pflegefamilie und bezog seither Ergänzungsleistungen zur IV-Kinderrente zur IV-Rente seines Vaters. Am 1. September 2011 wurde die Beistandschaft rückwirkend per Eintritt der Mündigkeit von H aufgehoben; eine neue Massnahme wurde nicht angeordnet. H wohnte weiter bei der Pflegefamilie. Mit Verfügung vom 27. März 2012 berechnete das Amt für AHV und IV den EL-Anspruch von H rückwirkend per 1. August 2011 neu, sprach ihm tiefere Ergänzungsleistungen zu und forderte zuviel ausgerichtete Ergänzungsleistungen in Höhe von Fr. 37'325.-- zurück. Die hiergegen erhobene Einsprache wies das Amt für AHV und IV mit Entscheid vom 20. Juni 2012 ab. Das Versicherungsgericht heisst die Beschwerde von H in dem Sinne gut, als es den Einspracheentscheid aufhebt und die Sache zu weiteren Abklärungen an das Amt für AHV und IV zurückweist.

Aus den Erwägungen:

3.
3.1 Zunächst ist zu prüfen, ob der Beschwerdeführer auch nach Eintritt der Mündigkeit mit Wegfall der Beistandschaft als „dauernd oder längere Zeit in einem Heim lebend“ zu betrachten ist.

3.2 Gemäss Art. 25a Abs. 1 ELV gilt als Heim jede Einrichtung, die von einem Kanton als Heim anerkannt wird oder über eine kantonale Betriebsbewilligung verfügt. Es ist unbestritten, dass die Pflegefamilie des Beschwerdeführers diese Anforderungen grundsätzlich erfüllt. Fraglich ist, ob bei ihm nach Erreichen des Mündigkeitsalters mit Wegfall der Beistandschaft nach wie vor eine „Heimbedürftigkeit“ besteht. Gemäss Jöhl (Ergänzungsleistungen zur AHV/IV, in: Meyer [Hrsg.], Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht, Band XIV, Soziale Sicherheit, 2. Aufl., Basel/Genf/München 2007, Kap. J, N. 109 S. 1709) reicht die Unfähigkeit der versicherten Person, einen eigenen Haushalt zu führen, für sich allein nicht aus, um eine Heimbedürftigkeit zu begründen. Neben der objektiven Unmöglichkeit, einen eigenen Haushalt zu führen, beinhaltet die Heimbedürftigkeit zusätzlich die Notwendigkeit, weitergehende Leistungen wie etwa Betreuung, Pflege usw. auf Abruf zur Verfügung zu haben. Die Heimbedürftigkeit setzt voraus, dass der Beschwerdeführer selber auf eine Betreuung in einer heimähnlichen Institution angewiesen ist (TVR 2008 Nr. 33, E. 4c).

3.3 Der Beschwerdeführer war im Oktober 2008 von seinen Eltern in Zusammenarbeit mit der Vormundschaftsbehörde A in die Pflegefamilie eingewiesen worden. Als Gründe für die Einweisung waren „Betreuung/Erziehung/Schul-Ausbildung“ angegeben worden. In den (allgemeinen) Aufnahmebestimmungen war die Rede von langfristigen Aufenthalten (mindestens zwei Jahre; bis Schul- oder Berufsabschluss möglich). Das Bestehen einer Kindesschutzmassnahme wurde nicht als Erfordernis betrachtet, auch wenn in den (allgemeinen) Aufnahmebestimmungen davon ausgegangen wurde, dass eine solche in der Regel bestehen dürfte. Beim Beschwerdeführer bestand im Einweisungszeitpunkt tatsächlich eine Kindesschutzmassnahme, dies in Form einer Beistandschaft. Diese wurde durch die mittlerweile zuständige Vormundschaftsbehörde B am 1. September 2011 rückwirkend mit Eintritt der Mündigkeit des Beschwerdeführers aufgehoben bzw. fiel weg. Auf die Einweisung in die Pflegefamilie wurde dabei aber nicht zurückgekommen. Hierbei ging die Vormundschaftsbehörde davon aus, dass der Beschwerdeführer weiterhin in der Pflegefamilie bleiben würde.

3.4 Der ersatzlose Wegfall der Kindesschutzmassnahme führt nicht automatisch dazu, dass nicht von einem Heimaufenthalt des Beschwerdeführers ausgegangen werden kann, waren vormundschaftliche Massnahmen doch für die Platzierung des Beschwerdeführers in der Pflegefamilie von vornherein nicht vorausgesetzt. Entscheidend ist vielmehr, ob beim Beschwerdeführer nach wie vor von einer Heimbedürftigkeit ausgegangen werden kann. Diese Frage lässt sich aufgrund der bestehenden Aktenlage nicht abschliessend beantworten. Dem Beschluss der Vormundschaftsbehörde B vom 1. September 2011 kann entnommen werden, dass sich der Beschwerdeführer während des Aufenthalts in der Pflegefamilie gut entwickelt hat. Er absolviere eine Lehre als Maler. Der Beruf gefalle ihm. Er habe gute Noten und plane, sich im Anschluss an die Lehre weiterzubilden. Diese Aussagen sprechen eher gegen eine Heimbedürftigkeit. Allerdings ist zu beachten, dass diese Aussagen in der Annahme getroffen wurden, der Beschwerdeführer werde (bei gesicherter Finanzierung) weiterhin von seiner Pflegefamilie „umfassend betreut“. Dabei werde er im Laufe des Jahres lernen müssen, ein selbstständiges Leben zu führen. Die Beiständin zeigte sich überzeugt, dass der Beschwerdeführer „mit der Unterstützung seiner Pflegefamilie“ seinen Weg ins Erwachsenenleben finden werde. In ihrem Schreiben vom 31. Mai 2012 hielt sie fest, anlässlich der Standortbestimmung im März 2011 sei entschieden worden, dass der Beschwerdeführer die Unterstützungsmassnahmen in der Pflegefamilie weiterhin bis zum Lehrabschluss benötige. Die Vormundschaftsbehörde zweifle nicht an der Notwendigkeit der Platzierung, stelle sich aber auf den Standpunkt, dass er in der Pflegefamilie so gut begleitet werde, dass auf die Errichtung vormundschaftlicher Massnahmen verzichtet werden könne.
Insgesamt lässt sich damit nicht zuverlässig beurteilen, ob beim Beschwerdeführer über das 18. Altersjahr hinaus bis zum Lehrabschluss tatsächlich noch eine Heimbedürftigkeit besteht oder nicht. Die Sache ist daher an den Beschwerdegegner zurückzuweisen, damit er dies abklärt und den EL-Anspruch des Beschwerdeführers anschliessend neu berechnet.

Entscheid VV.2012.256/E vom 21. November 2012

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