TVR 2013 Nr. 41
Insolvenzentschädigung, arbeitgeberähnliche Stellung bei VereinArt. 51 Abs. 2 AVIG
Ein Anspruch auf Insolvenzentschädigung ist im vorliegenden Fall zu verneinen, da dem Ehemann der Gesuchstellerin als Präsident des Vereinsvorstands aufgrund massgeblicher Einflussnahmemöglichkeiten insbesondere im Zusammenhang mit der Geschäfts- und Rechnungsführung arbeitgeberähnliche Stellung zukam.
B stellte am 30. Juni bzw. 16. Juli 2012 Antrag auf Insolvenzentschädigung für offene Lohnforderungen gegenüber der X. Über diese wurde im August 2012 der Konkurs eröffnet. Mit Verfügung vom 7. August 2012 verneinte die Arbeitslosenkasse einen Anspruch auf Insolvenzentschädigung. Sie begründete dies damit, dass der Ehemann von B Präsident des Vorstands des Vereins X sei. Als mitarbeitende Ehegattin einer Person, die in ihrer Eigenschaft als Mitglied eines obersten betrieblichen Entscheidgremiums die Entscheidungen des Arbeitgebers bestimmen oder massgeblich beeinflussen könne, besitze B keinen Anspruch auf Insolvenzentschädigung. Die hiergegen erhobene Einsprache wies die Arbeitslosenkasse mit Entscheid vom 20. September 2012 ab. Das Versicherungsgericht weist die von B erhobene Beschwerde ebenfalls ab.
Aus den Erwägungen:
2. Die Insolvenzentschädigung wird in Art. 51 ff. AVIG geregelt. Keinen Anspruch auf Insolvenzentschädigung haben Personen, die in ihrer Eigenschaft als Gesellschafter, als finanziell am Betrieb Beteiligte oder als Mitglieder eines obersten betrieblichen Entscheidgremiums die Entscheidungen des Arbeitgebers bestimmen oder massgeblich beeinflussen können, sowie ihre mitarbeitenden Ehegatten (Art. 51 Abs. 2 AVIG).
3.
3.1 Vorliegend umstritten und zu prüfen ist, ob die Voraussetzungen gemäss Art. 51 Abs. 2 AVIG erfüllt sind oder nicht.
3.2 Die Motivation zum Erlass von Art. 51 Abs. 2 AVIG ist darin zu erblicken, dass der Urheber der Insolvenz billigerweise nicht als schutzwürdig gelten kann. Art. 51 Abs. 2 AVIG verwirklicht insoweit das „Verursacherprinzip“, wonach derjenige, der für einen Schaden verantwortlich ist, selbst dafür einzustehen hat (Burgherr, Die Insolvenzentschädigung, Zürich/Basel/Genf 2004, S. 40).
3.3 Nach der Rechtsprechung stimmt der Personenkreis nach den gleichlautenden Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG und Art. 51 Abs. 2 AVIG überein, weshalb die zur ersten Bestimmung entwickelte Rechtsprechung auch auf Art. 51 Abs. 2 AVIG anwendbar ist. Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG bezweckt vor allem die Missbrauchsbekämpfung. Nach der Rechtsprechung zu Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG ist es nicht zulässig, Angestellte in leitenden Funktionen allein deswegen generell als nicht anspruchsberechtigt zu qualifizieren, weil sie für einen Betrieb zeichnungsberechtigt und im Handelsregister eingetragen sind. Vielmehr muss bei Arbeitnehmern, bei denen sich auf Grund ihrer Mitwirkung im Betrieb die Frage stellt, ob sie einem obersten betrieblichen Entscheidungsgremium angehören und ob sie in dieser Eigenschaft massgeblich Einfluss auf die Unternehmensentscheidungen nehmen können, jeweils geprüft werden, welche Entscheidungsbefugnisse ihnen auf Grund der internen betrieblichen Struktur zukommen. Hievon ausgenommen hat das EVG (heute Bundesgericht) einzig die mitarbeitenden Verwaltungsräte, da diese unmittelbar von Gesetzes wegen (Art. 716 - 716b OR) über eine massgebliche Entscheidungsbefugnis im Sinne von Art. 31 Abs. 1 lit. c AVIG verfügen. Weiter hat das EVG sodann dargelegt, dass Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG vor allem an der faktischen Möglichkeit zur Einflussnahme anknüpft. Diese wird zwar bei einem Verwaltungsrat begriffsnotwendig vorausgesetzt, bei leitenden Angestellten auf tieferen Ebenen der Organisation jedoch häufig durch entsprechende Umschreibung des Aufgaben- und Kompetenzbereichs eingeschränkt. Wo dabei im Einzelfall die Grenze zwischen dem obersten betrieblichen Entscheidungsgremium und den unteren Führungsebenen verläuft, lässt sich anhand formaler Kriterien allein nicht beurteilen. So kann etwa aus einer Prokura oder anderen Handlungsvollmachten (Art. 458 ff. OR) schon deshalb nichts Zwingendes hinsichtlich Stellung und Einflussmöglichkeit innerhalb des betreffenden Betriebs abgeleitet werden, weil davon wesensgemäss nur das Aussenverhältnis beschlagen wird. Gleich verhält es sich mit dem Status des Direktors (vgl. Art. 718 Abs. 2 OR), dessen Kompetenzbereich unmittelbar durch das Gesetz ebenfalls nur in Bezug auf die Vertretung (Art. 718a OR), nicht aber hinsichtlich der eigentlichen Geschäftsführung (Art. 716b OR) umrissen wird. Zwar gehen mit solchen Stellungen in aller Regel vergleichbare Kompetenzen im Innenverhältnis einher, doch kann aus ihnen allein, ohne Bezugnahme auf den gegebenen statutarischen oder vertraglichen Rahmen und die gelebten Verhältnisse, keine massgebliche Beeinflussung der Willensbildung des Betriebs abgeleitet werden. Das Mass der Entscheidungsbefugnis ist nicht abschliessend nach formalen Kriterien, sondern anhand der konkreten Gegebenheiten zu ermitteln. Diese zu Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG ergangene Rechtsprechung ist gleichermassen anwendbar, wenn zu beurteilen ist, ob ein Versicherter zum Personenkreis zählt, der nach Art. 51 Abs. 2 AVIG vom Insolvenzentschädigungsanspruch ausgeschlossen ist, da in beiden Fällen die Frage nach der tatsächlichen Möglichkeit zur Einflussnahme auf die Willensbildung des Betriebs und dem Mass der Entscheidungsbefugnis im Vordergrund steht (Urteil des EVG C 261/01 vom 17. Mai 2002, E. 4b mit Hinweisen).
3.4 Die X war ein Verein im Sinne von Art. 60 ff. ZGB. Gemäss § 21 der Statuten oblag dem Vorstand die Geschäftsführung des Vereins. Er entschied in allen Angelegenheiten, die statutarisch nicht der Mitgliederversammlung vorbehalten waren und war für das Rechnungswesen des Vereins verantwortlich. Er verfügte über die durch die Budgetgenehmigung beschlossenen Mittel und konnte in Ausnahmefällen in eigener Kompetenz Überschreitungen von maximal 20% für einzelne Budgetpositionen beschliessen. Laut § 26 der Statuten kam dem Präsidenten des Vorstands bei Stimmengleichheit der Stichentscheid zu. Gemäss § 28 der Statuten erfolgte die Rechnungsführung durch ein vom Vorstand zu bestimmendes Vorstandsmitglied. Sie konnte auch an eine qualifizierte Drittperson oder eine Firma übertragen werden.
Vor diesem Hintergrund hat die Beschwerdegegnerin im angefochtenen Entscheid zu Recht ausgeführt, dass dem Ehemann der Beschwerdeführerin als Präsident des Vorstands massgebliche Einflussnahmemöglichkeiten zukamen, dies insbesondere aufgrund der dem Vorstand oblegenen Geschäfts- und Rechnungsführung. Diese Möglichkeit zur Einflussnahme wurde noch dadurch verstärkt, dass die Buchhaltung durch die Y AG erledigt wurde, bei welcher der Ehemann der Beschwerdeführerin als Präsident fungiert und die Beschwerdeführerin selbst Mitglied des Verwaltungsrats ist. Die Möglichkeit der Einsichtnahme in die Bücher eines Betriebs stellt gemäss Burgherr, a.a.O., S. 40 und 45, ein Indiz für eine massgebliche Einflussnahme dar. In der Botschaft zur zweiten Teilrevision des AVIG vom 29. Dezember 1993 wurde zu Art. 51 Abs. 2 AVIG denn auch festgehalten (BBl 1994 I 361 f.), gemäss geltender Rechtsprechung im Bereich des Betreibungs- und Konkursrechts könnten Personen, die innerhalb der Gesellschaft eine gewisse Unabhängigkeit genössen, deren Stellung sich daher derjenigen eines Betriebsinhabers annähere, nicht in den Genuss des Konkursprivilegs gelangen, selbst wenn zwischen ihnen und dem Konkursiten ein Arbeitsvertrag bestehe. Diese Personen hätten im Gegensatz zu den gewöhnlichen Arbeitnehmenden sowohl Einfluss auf Geschäftsgang und Firmenpolitik sowie Einsicht in die Bücher, würden daher von akuter Insolvenz des Arbeitgebers nicht überrascht und bedürften daher keines besonderen Schutzes. Mit Art. 52 Abs. 1 AVIG werde der geltenden Rechtsprechung Rechnung getragen. Der Umstand, dass die Lohnforderung der Beschwerdeführerin - im Gegensatz zur Lohnforderung des anderen Mitarbeiters der X - vom Konkursamt in der dritten Klasse kolloziert wurde, spricht entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin klar dafür, dass das Konkursamt von einer arbeitgeberähnlichen Stellung der Beschwerdeführerin bzw. ihres Ehemanns ausgegangen ist, was auf Seite 3 des Kollokationsplans auch unmissverständlich zum Ausdruck kommt. Diese Beurteilung erscheint den Umständen angemessen. Ein Blick in die Buchhaltungsunterlagen zeigt denn auch, dass die Beschwerdeführerin bzw. ihr Ehemann offenkundig mit dem Eintritt des Konkurses rechnen mussten. Hierbei drängt sich einem die Frage auf, ob die von der Beschwerdeführerin ausgeübte Stelle als kaufmännische Leiterin auch dann in diesem Pensum und zu diesem Lohn besetzt gewesen wäre, wenn es sich hierbei nicht um die Ehefrau eines Vorstandsmitglieds gehandelt hätte. So bezog die Beschwerdeführerin, die gemäss Organigramm die kaufmännische Leitung inne hatte, bei einem Beschäftigungsgrad von 70% ein Bruttomonatsgehalt von Fr. 7'050.-- zuzüglich 13. Monatslohn, was umgerechnet auf 100% einen Jahreslohn von Fr. 130'928.60 ergibt. Auch wurde ihr Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst oder auf ein tieferes Beschäftigungsniveau herabgesetzt, obwohl die kaufmännische Leitung bei einem Verein, der im Jahr 2012 nur noch einen Betriebsertrag von Fr. 4'413.95 und auch im Vorjahr von lediglich Fr. 500.-- aufwies, kaum mehr eine so hoch dotierte Stelle erfordert hätte. Vielmehr sind dies doch klare Indizien, dass die Beschwerdeführerin ihre Stelle zu einem solchen Gehalt nur wegen der engen familiären Verbindung zum Präsidenten des Vereins bis zur Konkurseröffnung beibehalten konnte. Wie die Beschwerdeführerin selber darlegt, untersteht die Führung von X der Aufsicht der kantonalen Behörden. Diese Aufsicht erstreckt sich auf die entsprechende fachliche Führung mit einer entsprechenden sozialpädagogischen Leitung, jedoch nicht auf die Prüfung der finanziellen Bereiche des Vereins. Gerade weil eine sozialpädagogische Leitung erforderlich war, bestand deswegen auch ein Arbeitsverhältnis mit dem fachlich entsprechend qualifizierten P. Dieser stand im Gegensatz zur Beschwerdeführerin auch in keiner näheren familiären Beziehung zu einem Entscheidungsträger des Vereinsvorstands und gleichzeitig war seine Beschäftigung gerade wegen den von der Beschwerdeführerin geschilderten Vorgaben erforderlich. Somit wurde er auch mit seiner Forderung, soweit sie zugelassen wurde, vom Konkursamt im Kollokationsplan zutreffend in der ersten Klasse erfasst.
Entscheid VV.2012.343/E vom 13. Februar 2013