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TVR 2015 Nr. 27

Zuständigkeit und Verfahrensordnung bei Klagen aus Zusatzversicherungen zur sozialen Krankenversicherung; Beweismass und Beweislastverteilung


Art. 12 Abs. 3 KVG, § 69 Abs. 1 Ziff. 3 VRG, Art. 8 ZGB


1. Zuständig für Klagen aus Zusatzversicherungen zur sozialen Krankenversicherung ist das kantonale Versicherungsgericht (E. 1.1). Dabei bildet die ZPO die massgebliche Verfahrensordnung (E. 1.2).

2. Ist eine Krankentaggeldversicherung als Schadenversicherung ausgestaltet, setzt der Eintritt des Versicherungsfalls einen Schaden (Erwerbsausfall oder eine Arbeitsunfähigkeit im Haushalt) voraus. Dabei gilt das herabgesetzte Beweismass der überwiegenden Wahrscheinlichkeit. Die Beweislastverteilung regelt die Folgen der Beweislosigkeit (E. 3 und 4).


Z schloss bei der G per 1. November 2012 die Zusatzversicherung Sekunda für Haushalt-Arbeitsunfähigkeit in Folge eines Unfalls ab. Am 10. Dezember 2012 erhielt die G von Z ein Arbeitsunfähigkeitszeugnis, mit welchem eine Arbeitsunfähigkeit von 100% vom 2. Mai 2012 bis 30. November 2012 wegen Unfalls bestätigt wurde. Daraufhin informierte G Z, dass die Versicherung erst ab 1. November 2012 abgeschlossen worden sei und somit keine Deckung bestehe. Am 5. Mai 2013 reichte Z in der Folge ein ausgefülltes Unfallformular mit Unfalldatum vom 18. März 2013 ein, worin eine Treppensturz geltend gemacht wurde. Gemäss Arztbericht von Dr. med. S war Z dadurch in ihrer Haushaltsführung eingeschränkt. Die G leistete Taggeldzahlungen für die Hausarbeitsunfähigkeit, stellte diese jedoch per 30. Juni 2013 auf Anraten ihres Vertrauensarztes hin ein. Am 29. August 2014 erhob Z Klage und beantragte, die G sei zu verpflichten, ihr bis und mit März 2014 Taggelder von insgesamt Fr. 12‘925.-- nebst Zins zu 5% seit 1. Dezember 2013 (mittlerer Verfall) zu entrichten.
Nachdem das Versicherungsgericht die Akten der E Krankversicherung beigezogen und Dr. R und Dr. S Fragen zum Gesundheitszustand von Z und den erfolgten Behandlungen gestellt hatte, weist es die Klage ab.

Aus den Erwägungen:

1.
1.1 Zusatzversicherungen zur sozialen Krankenversicherung nach KVG unterstehen gemäss Art. 12 Abs. 3 KVG [in der bis 31. Dezember 2015 geltenden Fassung, vgl. neu Art. 2 Abs. 2 Satz 2 des Bundesgesetzes betreffend die Aufsicht über die soziale Krankenversicherung [KVAG, SR 832.12]; nachträgliche Anmerkung im Rahmen der TVR-Aufarbeitung) dem VVG. Das Bundesgericht subsumiert kollektive Krankentaggeldversicherungen wie alle weiteren Taggeldversicherungen unter den Begriff der Zusatzversicherung zur sozialen Krankenversicherung (Urteil des Bundesgerichts 4A_47/2012 vom 12. März 2012 E. 2). Nachdem das Bundesgericht Streitigkeiten aus Versicherungsverträgen regelmässig als Streitigkeiten aus Konsumentenverträgen bezeichnet (Entscheid des Bundesgerichts 4A_695/2011 vom 18. Januar 2012 E. 3.1), ergibt sich die örtliche Zuständigkeit aus Art. 32 Abs. 1 lit. a ZPO. Die Klägerin hat Wohnsitz im Kanton Thurgau. Die Kantone können gestützt auf Art. 7 ZPO ein Gericht bezeichnen, welches als einzige kantonale Instanz für Streitigkeiten in diesem Gebiet sachlich zuständig ist. Im Kanton Thurgau liegt die Zuständigkeit beim Verwaltungsgericht als Versicherungsgericht (§ 69a Abs. 1 Ziff. 3 VRG).

1.2 Massgebliche Verfahrensordnung für Streitigkeiten aus der Zusatzversicherung zur sozialen Krankenversicherung bildet die ZPO, wobei die Klage direkt beim Gericht anhängig zu machen ist (BGE 138 III 558 E. 3.2 und 4.6). Das Gericht darf einer Partei nicht mehr und nichts anderes zusprechen, als sie verlangt, und nicht weniger, als die Gegenpartei anerkannt hat (Art. 58 ZPO). Es stellt den Sachverhalt von Amtes wegen fest (Art. 247 Abs. 2 lit. a i. V. mit Art. 243 Abs. 2 lit. f ZPO), erhebt von Amtes wegen Beweis (Art. 153 i. V. mit Art. 247 Abs. 2 lit. a ZPO und Art. 243 Abs. 2 lit. f ZPO) und bildet seine Überzeugung nach freier Würdigung der Beweise (Art. 157 ZPO).

2. (…)

3. Gemäss Art. 8 ZGB hat, wo es das Gesetz nicht anders bestimmt, derjenige das Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen, der aus ihr Rechte ableitet. Demgemäss hat die Partei, die einen Anspruch geltend macht, die rechtsbegründenden Tatsachen zu beweisen, während die Beweislast für die rechtsaufhebenden bzw. rechtsvernichtenden oder rechtshindernden Tatsachen bei der Partei liegt, die den Untergang des Anspruchs behauptet oder dessen Entstehung oder Durchsetzbarkeit bestreitet. Diese Grundregel kann durch abweichende gesetzliche Beweislastvorschriften verdrängt werden und ist im Einzelfall zu konkretisieren. Sie gilt auch im Bereich des Versicherungsvertrages (BGE 130 III 321 E. 3.1). Ist eine Krankentaggeldversicherung als Schadenversicherung ausgestaltet, setzt der Eintritt des Versicherungsfalls einen Schaden - namentlich einen Erwerbsausfall (oder vorliegend eine Arbeitsunfähigkeit im Haushalt) - voraus. Dabei gilt das herabgesetzte Beweismass der überwiegenden Wahrscheinlichkeit. Die Beweislastverteilung regelt die Folgen der Beweislosigkeit. Die Beweislast für den Nachweis einer Arbeitsunfähigkeit im Haushalt obliegt vorliegend somit grundsätzlich der Klägerin. Diese hat mithin (mit dem Beweismass der überwiegenden Wahrscheinlichkeit) zu beweisen, dass sie nach dem 1. Juli 2013 immer noch aufgrund des Unfalls vom 18. März 2013 in ihrer Haushaltstätigkeit eingeschränkt war und somit weiterhin Anspruch auf Taggelder hat (Entscheid des Bundesgerichts 4A_25/2015 vom 29. Mai 2015 E. 3.1). Daran ändert nichts, dass die Beklagte bis Ende Juni 2013 Taggelder ausbezahlt hat. Gelangt ein Gericht dagegen in Würdigung der Beweise zum Schluss, eine Tatsachenbehauptung sei bewiesen oder widerlegt, ist die Beweislastverteilung gegenstandslos (Entscheid des Bundesgerichts 4A_25/2015 vom 29. Mai 2015 E. 3.2).

4.
4.1 (…)

4.2 Die Beklagte hat vorliegend bis 30. Juni 2013 in Übereinstimmung mit ihren allgemeinen und besonderen Versicherungsbedingungen gestützt auf die Arbeitsunfähigkeitszeugnisse von Dr. S Taggeldleistungen erbracht. Am 3. Juli 2013 teilte sie der Klägerin hingegen mit, dass eine Verlängerung der Arbeitsunfähigkeit für Hausarbeiten nicht mehr gerechtfertigt sei und somit sinngemäss, dass weitere Arbeitsunfähigkeitszeugnisse von Dr. S nicht mehr anerkannt würden. In der Folge ist somit vom Gericht zu beurteilen, ob die eingereichten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ab Juli 2013 - zusammen mit den übrigen Unterlagen - mit dem Beweismass der überwiegenden Wahrscheinlichkeit eine Arbeitsunfähigkeit zu 100% bis Ende Februar 2014 und von 50% im März 2014 zu belegen vermögen. Hingegen bestätigt Dr. S in seiner Stellungnahme vom 28. Mai 2015 explizit, dass die von ihm attestierten Arbeitsunfähigkeiten auch für körperliche Tätigkeiten im Haushalt gelten würden.

4.3 In seinen Arbeitsunfähigkeitszeugnissen nennt Dr. S lediglich den Grund Unfall. Weitere Ausführungen enthalten die Zeugnisse nicht. Am 14. Mai 2013 führte Dr. S unter Diagnosen eine „Kontusion LWS und HWS sowie Os Sacrum“ an. In seiner Stellungnahme vom 28. Mai 2015 zuhanden des Gerichts bestätigte Dr. S die Diagnosen Kontusion (Prellung) von Wirbelsäule (Rücken), Nacken, Steissbein und Becken. Sichtbare Unfallfolgen wie z. B. Hämatome oder Blessuren habe er keine feststellen können. Wenn der Vertrauensarzt am 22. Mai 2015 sinngemäss feststellte, dass Prellungen nach drei Monaten nicht mehr zu einer Arbeitsunfähigkeit führen dürften, so erscheint dies ohne weiteres als nachvollziehbar. Schlimmere Verletzungen und äusserliche Anzeichen, die auf einen massiven Sturz hinweisen würden, hat Dr. S gerade nicht festgestellt. Grund für die lange Dauer der attestierten Arbeitsunfähigkeit waren - gemäss Dr. S - anhaltende Schmerzen, die sich trotz medikamentöser und physikalischer Therapie offenbar nur sehr langsam gebessert haben. Inwieweit diese lange Dauer der Genesung auf das eigentliche Unfallereignis vom 18. März 203 zurückzuführen ist, ergibt sich aufgrund der Ausführungen von Dr. S nicht. Dr. S war denn auch nicht bekannt, dass die Klägerin aufgrund eines Autounfalls am 2. Mai 2012 mit Commotio der HWS und rapider Verschlechterung des vorbestehenden cervicalen Syndroms beidseits bei Dr. med. R in Behandlung war und von ihm vom 2. Mai 2012 bis 30. November 2012 zu 100% krankgeschrieben wurde. Ebenso wenig war Dr. S bekannt, dass die Klägerin schon vor dem Autounfall wegen rheumatischer Schmerzen im OS Bereich in Behandlung war und seit 2009 Medikamente einnahm; unter anderem auch wegen depressiven Verstimmungen. In Unkenntnis dieser Vorgeschichte hat Dr. S die geklagten Beschwerden offenbar vollumfänglich auf den Unfall vom 18. März 2013 zurückgeführt.

4.4 Anlass zu Zweifeln an der Richtigkeit der Vorbringen der Klägerin gibt jedoch vorab der zeitliche Ablauf der Ereignisse. So war die Klägerin ab 2. Mai 2012 bis 30. November 2012 aufgrund des Autounfalls und dessen Folgen zu 100% krankgeschrieben. Während dieser Arbeitsunfähigkeit schloss sie per 1. November 2012 die Taggeldversicherung bei der Beklagten ab und machte sogleich (rückwirkend) Arbeitsunfähigkeiten vom 2. Mai 2012 bis 30. November 2012 geltend. Am 12. Dezember 2012 teilte ihr die Beklagte diesbezüglich mit, dass kein Leistungsanspruch bestehe, da das Ereignis vor dem Versicherungsbeginn eingetreten sei. Am 2. April 2013 erfolgten sodann eine erneute Unfallmeldung mit bescheinigten Arbeitsunfähigkeiten vom 18. März 2013 bis 31. März 2014, nachdem die Klägerin ihren Hausarzt gewechselt hatte. Gemäss Ziff. 5 lit. a der besonderen Bedingungen der Versicherung Sekunda (BBV) beträgt die maximale Dauer eines Taggeldes 365 Tage bei einer Wartefrist von 15 Tagen gemäss den Versicherungsausweisen. Anfang April 2014 wären somit die Taggeldleistungen ausgelaufen. Ab 1. April 2014 war die Klägerin gemäss Dr. S wieder voll arbeitsfähig, obwohl bis Ende Februar 2014 noch eine vollständige Arbeitsunfähigkeit bestanden haben soll. Auch Dr. S bezeichnete die lange Arbeitsunfähigkeit - in Unkenntnis der Vorakten von Dr. R - als ungewöhnlich. Die Beklagte führt zudem zu Recht aus, dass eine vollständige Arbeitsunfähigkeit - oder vorliegend eine solche von mindestens 70% gemäss den BBV - im Haushalt nur bei einem massiven Gesundheitsschaden gegeben sein kann, der die versicherte Person daran hindert, auch leichte Tätigkeiten im Haushalt auszuführen, nachdem sie dort ihre Arbeiten etappenweise erledigen und frei einteilen kann (Entscheid des Bundegerichts I 595/03 vom 30. Juli 2004 E. 3.2.1). Bei einem derartigen Beschwerdebild wäre aber zumindest eine vorübergehende Hospitalisation und/oder stationäre Rehabilitation zu erwarten gewesen. Die Behandlung der Klägerin erschöpfte sich aber in maximal zwei Konsultationen pro Monat bei Dr. S sowie medikamentösen und physikalischen Therapien. Unter diesen Umständen ist verständlich, dass die Beklagte die geltend gemachten vollständigen Arbeitsunfähigkeiten während mehr als elf Monaten in Folge des Sturzereignisses vom 18. März 2013 in Frage gestellt hat. Zwar hätte die Beklagte einen Case Manager beauftragen können, um die Arbeitsunfähigkeit im Haushalt zu beurteilen. Zudem wäre es ihr auch frei gestanden, die Klägerin durch einen Vertrauensarzt abklären zu lassen. Dafür bestand aufgrund der Versicherungsbedingungen und des VVG jedoch keinerlei Verpflichtung.

4.5 (…) Von einem nachträglich eingeholten Gerichtsgutachten könnte zudem kein Aufschlusswert erwartet werden. Der Gutachter müsste sich nicht nur darüber aussprechen können, ob, in welchem Umfang und bis wann die Klägerin im Haushalt in ihrer Arbeitsfähigkeit eingeschränkt war, sondern auch beurteilen, ob diese Einschränkungen vollumfänglich auf den Treppensturz vom 18. März 2013 zurückzuführen sind oder auch teilweise oder sogar ganz durch den vorher erlittenen Autounfall und die vorbestehenden rheumatischen Gesundheitsprobleme ausgelöst wurden. Da der Sachverhalt bereits zwei Jahre zurückliegt, sind von einem solchen Gutachten keine schlüssigen Antworten zu erwarten. In antizipierter Beweiswürdigung (BGE 122 V 157 E. 1d) kann daher auf die Einholung eines solchen Gutachtens verzichtet werden. In Würdigung der vorliegenden Beweise gelangt das Gericht zum Schluss, dass die Arbeitsunfähigkeiten ab Juli 2013 nicht mit dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit belegt und auf das versicherte Ereignis vom 18. März 2013 zurückzuführen sind. Somit greift die Beweislastverteilung von Art. 8 ZGB und die Klägerin hat die Folgen der Beweislosigkeit zu tragen.

Entscheid des Versicherungsgerichts VV.2014.214/E vom 9. September 2015

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