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TVR 2016 Nr. 10

Nachweis der Revisionsgründe


§ 70 VRG, Art. 328 Abs. 1 lit. a ZPO


Die Revisionsklägerin hat den Nachweis zu erbringen, dass sie die Beweise oder Tatsachen, auf die sie sich betreffend Vorliegen eines Revisionsgrundes beruft, nicht im ordentlichen Verfahren beibringen konnte. Dabei muss es ihr objektiv unmöglich gewesen sein, die Tatsache oder das Beweismittel im Erstverfahren einzubringen.


Mit Schreiben vom 29. September 2015 gelangten die Eheleute Z an die Flurkommission der Gemeinde M und verlangten die Einhaltung der flurrechtlichen Grenzabstandsbestimmungen entlang ihrer gemeinsamen Grenze zu Liegenschaft Nr. X im Eigentum der F. Die Flurkommission M entschied am 14. Januar 2016, dass die Klage der Nachbarn geschützt und F verpflichtet werde, entlang der gemeinsamen Grundstücksgrenze die bezeichneten Pflanzungen mindestens auf das zulässige Maximalmass (doppelter Grenzabstand) zurückzuschneiden und so unter Schnitt zu halten, dass dieses Mass ständig eingehalten wird. Zudem wurde F verpflichtet, entlang der gemeinsamen Grundstücksgrenze zu Z bis 30. April 2016 die grenzüberragenden Äste zurückzuschneiden. In der Rechtsmittelbelehrung wurde F darauf hingewiesen, dass gegen diesen Entscheid innert 20 Tagen beim DIV Rekurs erhoben werden könne. Der Entscheid nennt als Versanddatum den 15. Januar 2016. Gemäss den Sendungsinformationen der Post wurde der Entscheid am 15. Januar 2016 aufgegeben und F bzw. ihrem Rechtsvertreter am 19. Januar 2016 zugestellt. Die Rechtsmittelfrist verstrich jedoch unbenutzt, sodass der Entscheid der Flurkommission M am 9. Februar 2016 in Rechtskraft erwuchs. Am 18. Februar 2016, also zehn Tage nach Ablauf der Rechtsmittelfrist gegen den Entscheid der Flurkommission M vom 14. Januar 2016, liess F ein Revisionsbegehren bei der Flurkommission M stellen und beantragte, das Revisionsbegehren gutzuheissen. Die Flurkommission M wies das Revisionsbegehren vollumfänglich ab. Gegen diesen Entscheid liess F beim DIV Rekurs erheben, welcher abgewiesen wurde. Dagegen liess F beim Verwaltungsgericht Beschwerde erheben, das ebenfalls abweist.

Aus den Erwägungen:

2.
2.1
2.1.1 Nach § 70 VRG gelten für die Revision die Bestimmungen der Zivilprozessordnung sinngemäss. Die Vorschriften über die Revision finden sich in der ZPO in Art. 328 ff. Das Revisionsgesuch ist innert 90 Tagen seit Entdeckung des Revisionsgrundes schriftlich und begründet einzureichen (Art. 329 Abs. 1 ZPO). Die Revision ist subsidiär, das heisst, sie ist nur zulässig, wenn gegen einen Entscheid kein ordentliches Rechtsmittel mehr ergriffen werden kann (Fedi/Meyer/Müller, Kommentar zum Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege des Kantons Thurgau, Basel 2014, § 70 N. 2). Durch den Verweis in § 70 VRG auf die Normen von Art. 328 ff. ZPO kommen diese lediglich sinngemäss und damit als kantonales Recht zur Anwendung.

2.1.2 (…)

2.2 Art. 328 ZPO nennt die möglichen Revisionsgründe. Abs. 1 dieser Bestimmung, die hier einzig infrage kommt (Art. 328 Abs. 2 ZPO behandelt die Revisionstatbestände nach Urteilen des EGMR), lautet wie folgt:

„ Eine Partei kann beim Gericht, welches als letzte Instanz in der Sache entschieden hat, die Revision des rechtskräftigen Entscheids verlangen wenn:

a) sie nachträglich erhebliche Tatsachen erfährt oder entscheidende Beweismittel findet, die sie im früheren Verfahren nicht beibringen konnte; ausgeschlossen sind Tatsachen und Beweismittel, die erst nach dem Entscheid entstanden sind;
b) (…);
c) (…).“

Von den soeben aufgezählten Gründen kommt vorliegend einzig Art. 328 Abs. 1 lit. a ZPO infrage.

2.3
2.3.1 Zu prüfen ist demnach, ob die Flurkommission M und mit ihr auch die Vor­instanz zu Recht davon ausgegangen sind, die Beschwerdeführerin habe keine nachträglich erhebliche Tatsachen erfahren oder entscheidende Beweismittel gefunden, die sie im früheren Verfahren nicht hätte beibringen können. Zu beachten ist dabei auch die Frage der objektiven Beweislast, das heisst, die Frage, wen die Folgen der Beweislosigkeit treffen. Diese richten sich sowohl unter der Herrschaft der Untersuchungs- als auch der Verhandlungsmaxime in erster Linie nach dem materiellen Recht und subsidiär nach dem allgemeinen Verfahrensgrundsatz von Art. 8 ZGB. Demnach trägt auch im Verwaltungsverfahren grundsätzlich derjenige die Folgen der Beweislosigkeit, der aus der unbewiesen gebliebenen Tatsache hätte Rechte ableiten können (TVR 2014 Nr. 14, E. 3.3.1).

2.3.2 Das Gesetz verlangt von den nachträglich entdeckten Tatsachen und Beweismitteln, dass sie im früheren Verfahren nicht beigebracht werden konnten. Es müssen entschuldbare Gründe für die Nichtvorlegung von Tatsachen und Beweismitteln vorgelegen haben. Der Revisionsklägerin muss es objektiv unmöglich gewesen sein, die Tatsache oder das Beweismittel im Erstverfahren einzubringen. Dabei ist das Verhalten der Revisionsklägerin am Verhalten einer durchschnittlich sorgfältigen Prozesspartei zu messen. Ob eine Partei den Prozess nachlässig geführt hat, muss in Würdigung der konkreten Einzelfallumstände geprüft werden. Die Revision darf nicht dazu dienen, die Unterlassungen in der Prozessführung wiedergutzumachen (Herzog, in: Spühler/Tenchio/Infanger [Hrsg.], Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2. Aufl., Basel 2013, Art. 328 N. 50 f.).

2.3.3 Die Beschwerdeführerin behauptet nicht, dass sie das Urteil 5D_80/2015 vom 7. September 2015, die nachträglich eingereichten Luftaufnahmen aus den Jahren 1966 und 1972 oder die Schätzung der Waldbesitzerkorporation Q nicht bereits im ordentlichen Verfahren oder wenigstens bis zum 8. Februar 2016 (Ablauf der Rechtsmittelfrist) hätte beibringen können. Sie macht vor allem geltend, dass der Flurkommission diese Beweismittel bzw. diese Rechtsprechung im ordentlichen Verfahren nicht bekannt oder bewusst gewesen seien. Das ist aber überhaupt nicht massgeblich. Die Beschwerdeführerin muss den Nachweis erbringen, dass sie selbst die Beweise oder Tatsachen, auf die sie sich beruft, nicht früher beibringen konnte. Einen solchen Beweis erbringt sie nicht einmal ansatzweise. Abgesehen davon könnte ihr dieser Beweis auch gar nicht gelingen. Schon in ihrer Eingabe vom 14. Oktober 2013 machte die Beschwerdeführerin das Alter der Pflanzungen und Bäume zum Thema, in dem sie ausführte: „Bei Planzungen und Bäumen, welche Jahrzehnte schon in derselben Höhe und am selben Ort stehen, sehe ich keine Kompromisslösung (…).“ Die Beschwerdeführerin hätte daher sowohl im ersten als auch im zweiten flurrechtlichen Verfahren längstens die Möglichkeit gehabt, Abklärungen über das Alter der Bäume zu tätigen und die entsprechenden Beweise in Form von Fotos und Privatgutachten, die nun erst im Revisionsverfahren beigebracht werden, einzureichen. Soweit die Beschwerdeführerin geltend macht, die Privatgutachten (Baumbeurteilung A vom 22. Februar 2016; Altersbestimmungen von B vom 23. Februar 2016) und die elektronische Nachricht von C vom 15. Februar 2016 seien erst am 22., 23. respektive 15. Februar 2016 entstanden, so ist zu vermerken, dass Tatsachen und Beweismittel, die erst nach dem Entscheid entstanden sind, keinen Anspruch auf Revision geben (Art. 328 Abs. 1 ZPO).

2.3.4 Soweit die Beschwerdeführerin auf das Urteil des Bundesgerichts 5D_80/2015 vom 7. September 2015 verweist, ist hierzu Folgendes auszuführen: Vorab ist festzuhalten, dass dieses Urteil vom 7. September 2015 datiert und die Beschwerdeführerin den Nachweis erbringen müsste, dass sie dieses Urteil nicht früher beibringen konnte bzw. dass es früher nicht bekannt war. Am 14. Januar 2016, als die Flurkommission der verfahrensbeteiligten Gemeinde ihren Entscheid fällte, war dieses Urteil aber bekannt und hätte auch der Beschwerdeführerin bzw. ihrem Rechtsvertreter als Anwälte bekannt sein müssen. Sie hätten die Flurkommission ohne Weiteres rechtzeitig darauf aufmerksam machen können. Selbst wenn aber das Urteil des Bundesgerichts erst später ergangen wäre, würde dies daran nichts ändern, denn eine nach Abschluss des Hauptverfahrens aufgetretene Rechtsprechungsänderung oder gar eine Änderung der Rechtslage berechtigt nie zu einer Revision (Herzog, a.a.O., Art. 328 N. 44a). Abgesehen davon bezieht sich das von der Beschwerdeführerin angerufene Urteil auf die Überprüfung der Gerichtspraxis im Kanton Aargau, die offenbar eine dreissigjährige Befristung des Rechts, das Fällen oder das Rückschneiden von Bäumen und Sträuchern zu verlangen, kennt. Dieses Urteil wurde jedoch im Rahmen einer subsidiären Verfassungsbeschwerde gefällt und das Bundesgericht hat die kantonale Gerichtspraxis als nicht willkürlich bezeichnet. Aus dem Urteil kann aber nicht abgeleitet werden, die dreissigjährige Frist sei gesamtschweizerisch und habe damit auch im Kanton Thurgau zur Anwendung zu gelangen. Vielmehr weist die Vorinstanz in E. 3b ihres Entscheids zu Recht auf das Urteil des Bundesgerichts 1P.28/2002 vom 9. April 2002 hin, worin im Rahmen einer staatsrechtlichen Beschwerde § 5 FlGG und die vom Verwaltungsgericht Thurgau dazu entwickelte Praxis im Rahmen der Eigentumsgarantie und der Rechtsgleichheit geprüft und bestätigt wurden. Das Urteil des Bundesgerichts 5D_80/2015 vom 7. September 2015 kann daher nicht angerufen werden, um die bisherige Praxis des Verwaltungsgerichts infrage zu stellen.

2.4 Zusammengefasst ergibt sich somit, dass es der Beschwerdeführerin nicht gelingt, das Vorhandensein eines Revisionsgrundes nachzuweisen, was jedoch Voraussetzung für die Durchführung eines Revisionsverfahrens wäre. Der Entscheid der Vorinstanz, welcher den abweisenden Entscheid der Flurkommission der verfahrensbeteiligten Gemeinde schützt, erweist sich somit als korrekt, weshalb die Beschwerde abzuweisen ist.

Entscheid des Verwaltungsgerichts VG.2016.95/E vom 2. November 2016

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