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TVR 2017 Nr. 30

Rückerstattung von Sozialhilfeleistungen, Zumutbarkeit


§ 19 Abs. 2 SHG


Für die Rückerstattung von (rechtmässig bezogenen) Sozialhilfeleistungen ist die Zumutbarkeit von Rückzahlungsraten in Höhe von Fr. 100.-- pro Monat bei einem monatlichen Überschuss von Fr. 442.60 knapp gegeben.


A ist Mutter der am 19. März 1999 geborenen Tochter T. Vom 11. Mai 1999 bis 31. März 2003 wurde sie von der Politischen Gemeinde G mit Sozialhilfeleistungen in Höhe von insgesamt Fr. 34‘504.45 unterstützt. Mit Verfügung vom 28. Juli 2016 verpflichtete sie A zur Rückerstattung der bezogenen Sozialhilfeleistungen in Form von monatlichen Raten in Höhe von Fr. 100.--. Einen von A erhobenen Rekurs wies das DFS mit Entscheid vom 10. November 2016 ab. Das Verwaltungsgericht weist eine dagegen von A erhobene Beschwerde ebenfalls ab.

Aus den Erwägungen:

2.2
2.2.1 Nach § 19 Abs. 2 SHG ist derjenige, der nach dem vollendeten 18. Altersjahr Unterstützungsbeiträge bezogen hat, zur Rückerstattung verpflichtet, soweit dies zumutbar ist. Erben haften bis zur Höhe ihrer Erbschaft. Der unbestimmte Rechtsbegriff der Zumutbarkeit im Sinne von § 19 Abs. 2 SHG ist auslegungsbedürftig. Dabei ist einerseits von der systematischen Einordnung dieser Bestimmung im Gesetz auszugehen, andererseits nach dem Sinn und Zweck dieser Bestimmung zu fragen (TVR 1996 Nr. 28, E. 2a). In Bezug auf die Rückerstattungspflicht bestehen je nach Kanton unterschiedliche Regelungen, was aufgrund der Kompetenzzuweisung in Art. 26 ZUG nicht gegen übergeordnetes Recht verstösst. Einige Kantone kennen das grundsätzliche Prinzip der Nichtrückerstattung rechtmässig erhaltener Sozialhilfe, ausser wenn ein ungewöhnlicher Vermögensanfall eintritt. In anderen Kantonen sind die Voraussetzungen für die Rückerstattung unterschiedlich, teilweise wird auf die Zumutbarkeit, teilweise auf die günstigen Verhältnisse verwiesen (vgl. Vogel, Rechtsbeziehungen, in: Häfeli [Hrsg.], Das Schweizerische Sozialhilferecht, Luzern 2008, S. 190 f.). In den Richtlinien der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS-Richtlinien) wird mit Bezug auf die Zumutbarkeit namentlich empfohlen, dass aus späterem Einkommen in der Regel keine Rückerstattung verlangt werden soll. Dort, wo die gesetzlichen Grundlagen die Rückerstattung aus Erwerbseinkommen zwingend vorsehen, empfehlen die SKOS-Richtlinien, eine grosszügige Einkommensgrenze zu berücksichtigen und die zeitliche Dauer der Rückerstattungen zu begrenzen, um die wirtschaftliche und soziale Integration nicht zu gefährden (vgl. Kapitel E.3.1 der SKOS-Richtlinien 12/10, S. E.3-2).

2.2.2 Gemäss dem thurgauischen Sozialhilferecht (§ 19 Abs. 2 SHG) sind Fürsorgeleistungen eher zurückzuerstatten, als dies bei einer Regelung der Fall wäre, die „günstige wirtschaftliche Verhältnisse“ voraussetzt (TVR 2007 Nr. 36, E. 3a). In der Lehre wird ausgeführt, dass die Zumutbarkeit nicht gegeben sei, wenn die Rückerstattung mit einiger Wahrscheinlichkeit zu einer erneuten Bedürftigkeit des Pflichtigen und seiner Familie führen würde. Einkünfte, die nur wenig über dem Existenzminimum lägen, vermöchten die Rückerstattungspflicht noch nicht auszulösen, weil dadurch die Motivation zur Selbsthilfe untergraben würde. Dieser Grundsatz gilt auch für das thurgauische Sozialhilferecht (vgl. TVR 2007 Nr. 36, E. 3a, mit Verweis auf Wolffers, Grundriss des Sozialhilferechts, Bern 1993, S. 178 f.). Mit anderen Worten kann die Rückerstattungspflicht erst beginnen, wenn sich die wirtschaftliche Lage der unterstützten Person grundlegend verbessert hat. In diesem Rahmen hat sich das Ermessen der Sozialhilfebehörde zu bewegen.

2.2.3 Für die Bemessung der Unterstützung finden zwar gemäss § 2a Abs. 1 der Verordnung des Regierungsrates zum Gesetz über die öffentliche Sozialhilfe (SHV, RB 850.11) die SKOS-Richtlinien in der Regel Anwendung (mit den Konkretisierungen in der SHV). Eine Verpflichtung der Gemeinde aus übergeordneter Gesetzgebung, die SKOS-Richtlinien auch bei der Prüfung der Zumutbarkeit der Rückzahlung heranzuziehen, besteht aber nicht (TVR 2007 Nr. 36 E. 3a). Das Fürsorgeamt des Kantons Thurgau hat für die Rückerstattung von Sozialhilfeleistungen Richtlinien erlassen, die von der Vorinstanz am 8. April 2009 genehmigt wurden (nachfolgend „Richtlinien“; abrufbar unter http://www.sozialamt.tg.ch/xml_58/internet/de/application/d10206/f10265.cfm). Auf Seite 8 ff. dieser Richtlinien werden in Ziff. 3 Kriterien und Positionen auf der Einnahmen- und Ausgabenseite aufgeführt, die der Beurteilung der Zumutbarkeit einer Rückerstattung von Sozialhilfeleistungen dienen. Richtlinien wenden sich zwar grundsätzlich an die Durchführungsstellen und sind für das Gericht nicht verbindlich. Entsprechende Richtlinien soll das Gericht aber bei seiner Entscheidung berücksichtigen, sofern sie eine dem Einzelfall angepasste und gerecht werdende Auslegung der anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen zulassen. Ein Gericht soll daher nicht ohne triftigen Grund von Richtlinien abweichen, wenn diese eine überzeugende Konkretisierung der rechtlichen Vorgaben darstellen. Insofern wird dem Bestreben der Verwaltung, durch interne Weisungen eine rechtsgleiche Gesetzesanwendung zu gewährleisten, Rechnung getragen (vgl. Urteil des Bundesgerichts, 8C_75/2014 vom 16. Juli 2014 E. 6.2 mit weiteren Hinweisen).

2.3 (Feststellung, dass auf der Einnahmenseite von einem Nettolohn der Beschwerdeführerin von Fr. 4‘321.-- pro Monat auszugehen ist)2

2.4 Zu prüfen ist weiter die Ausgabenseite.
2.4.1 (…)

2.4.2 Gemäss den erwähnten Richtlinien ist als anerkannte Ausgabe als Erstes der Grundbedarf für den Lebensunterhalt gemäss den SKOS-Richtlinien zuzüglich 50% zu zählen (vgl. S. 9 der Richtlinien). Unbestritten ist, dass die Tochter der Beschwerdeführerin fremdplatziert ist bzw. sich aktuell stationär in der Klinik K aufhält. (…) Die Beschwerdeführerin wohnt somit gegenwärtig alleine in der Wohnung an der R-Strasse X und führt damit einen Ein-Personen-Haushalt. Der Grundbetrag für einen solchen beträgt gemäss den SKOS-Richtlinien (…) Fr. 986.-- und nicht Fr. 755.-- (vgl. Kapitel B.2.2 der SKOS-Richtlinien 12/16, S. B.2.4). Unter den gegebenen Umständen ist es nicht gerechtfertigt, für die Bemessung des Grundbedarfs von einem Zwei-Personen-Haushalt auszugehen und entsprechend der Äquivalenzskala einen „Abschlag“ vorzunehmen bzw. lediglich die Pauschale für eine Person von Fr. 755.-- zu berücksichtigen. Ein entsprechender Abschlag beim Grundbedarf ist mithin nur so lange legitim, als der Haushalt tatsächlich gemeinsam geführt wird. Eine gemeinsame Führung des Haushaltes liegt nur dann vor, wenn die Haushaltsfunktionen (Wohnen, Essen, Waschen, Reinigen, Telefonieren usw.) gemeinsam ausgeübt und finanziert werden, wobei es ausreicht, dass mindestens wichtige Haushaltsfunktionen gemeinsam ausgeübt und finanziert werden (vgl. Wizent, Die Sozialhilferechtliche Bedürftigkeit, Zürich/St. Gallen 2014, S. 297 f. mit weiteren Hinweisen). Eine derartige gemeinsame Haushaltsführung liegt weder bezüglich der sich in einem stationären Aufenthalt befindlichen Tochter der Beschwerdeführerin noch hinsichtlich einer Drittperson vor, nachdem das Untermietverhältnis mit einer solchen mittlerweile aufgelöst wurde. Beim Grundbedarf für den Lebensunterhalt ist somit von einem Ein-Personen-Haushalt auszugehen, was gemäss den SKOS-Richtlinien einer Grundbedarfs-Pauschale von Fr. 986.-- pro Monat entspricht. Entsprechend den Richtlinien für die Rückerstattung von Sozialhilfeleistungen (S. 9) ist ein Zuschlag von 50%, das heisst von Fr. 493.-- (50% von Fr. 986.--), miteinzuberechnen, woraus ein Grundbedarf von total Fr. 1‘479.-- resultiert.

2.4.3 - 2.4.9 (Anrechnung der Aufwendungen für Mietkosten [inkl. Nebenkosten] von Fr. 1‘390.--, der monatlichen Prämien für die obligatorische Krankenpflegeversicherung der Beschwerdeführerin und ihrer Tochter T von Fr. 422.70, von Krankheitskosten von durchschnittlich Fr. 138.40, eines Beitrags an die Heimkosten der Tochter T von Fr. 100.--, eines durchschnittlichen monatlichen Betrags von Fr. 15.85 für die Haftpflichtversicherung, eines durchschnittlichen Steuerbetrags von Fr. 47.45, eines Elternbeitrages [für den Aufenthalt der Tochter T in der Pflegefamilien P] in Höhe von Fr. 185.-- und von Erwerbsunkosten in Höhe von Fr. 100.-- pro Monat)

2.5 (…) Insgesamt ergeben sich somit anrechenbare Ausgaben von Fr. 3‘878.40 (…).

2.6 Bei Einkünften von (mindestens) Fr. 4‘321.-- und anrechenbaren Ausgaben von Fr. 3‘878.40 ergibt sich ein monatlicher Überschuss von mindestens Fr. 442.60. Gemäss Ziff. 3.2, S. 9, der Richtlinien zur Rückerstattung von Sozialhilfeleistungen sind allfällige Ratenzahlungen in der Regel in Höhe des hälftigen Einnahmenüberschusses festzulegen. Auf Ratenzahlungen unter Fr. 100.-- ist zu verzichten. Mit dem Überschuss von Fr. 442.60 erscheint die Zumutbarkeit von monatlichen Rückzahlungsraten von Fr. 100.-- noch als gegeben (vgl. TVR 2007 Nr. 36, E. 3c, wo die Zumutbarkeit einer monatlichen Rückzahlung von Fr. 100.-- bei einem Überschuss von Fr. 419.-- pro Monat als zumutbar erachtet worden war, sowie TVR 2009 Nr. 29, E. 3.2.2, gemäss welchem ein monatlicher Rückzahlungsbetrag von Fr. 250.-- bei einem monatlichen Überschuss von Fr. 500.-- „als ohne weiteres zumutbar“ qualifiziert wurde). (…)

Entscheid des Verwaltungsgerichts VG.2016.166/E vom 29. März 2017

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