TVR 2017 Nr. 8
Frauenhäuser und Opferhilfeansprüche, Legitimation
Ob das Frauenhaus als Adressat der angefochtenen Verfügung zu betrachten und somit beschwerdelegitimiert ist, erweist sich im vorliegenden Fall als unklar. Ein Frauenhaus als juristische Person kann nicht Opfer im Sinne des OHG sein. Ein Frauenhaus ist nicht zur Drittbeschwerde „pro Adressat“ legitimiert. Ob das Frauenhaus als Adressat der angefochtenen Verfügung zu betrachten und somit beschwerdelegitimiert ist, erweist sich im vorliegenden Fall als unklar. Ein Frauenhaus als juristische Person kann nicht Opfer im Sinne des OHG sein. Ein Frauenhaus ist nicht zur Drittbeschwerde „pro Adressat“ legitimiert.
Am 15./19. März 2017 stellte die Stiftung Frauenhaus A namens und im Auftrag von B und deren Tochter C ein Gesuch um längerfristige Hilfe gemäss Art. 16 und 13 Abs. 2 OHG und machte einen Betrag von Fr. 14‘160.-- geltend. Mit Schreiben vom 16. März 2017 teilte das DJS dem Frauenhaus mit, dass dem Gesuch nicht entsprochen werden könne. Nach Beizug weiterer Akten hielt das DJS an seiner Auffassung fest und erliess auf Verlangen des Frauenhauses am 5. Mai 2017 einen beschwerdefähigen Entscheid, mit dem es das Gesuch abwies. Das Verwaltungsgericht weist die hiergegen erhobene Beschwerde der Stiftung Frauenhaus A ab, soweit es darauf eintritt.
Aus den Erwägungen:
2.
2.1 Zur Beschwerde legitimiert ist, wer durch einen Entscheid berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung hat sowie jede durch ein Gesetz dazu ermächtigte Person, Organisation oder Behörde (§ 62 i. V. mit § 44 VRG). Auslegung und Praxis zur Legitimation im kantonalen Verfahren, mithin für das Berührtsein sowie das schutzwürdige Interesse, folgen dabei grundsätzlich jener zum Bundesrecht und das Verwaltungsgericht verlangt praxisgemäss ein besonderes Berührtsein (Fedi/Meyer/Müller, Kommentar zum Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege des Kantons Thurgau, Basel 2014, § 44 N. 3). Es stellt sich die Frage, ob die Beschwerdeführerin diese Voraussetzungen erfüllt. Beim Adressaten eines individuell-konkreten Entscheids ist das Erfordernis des Berührtseins in der Regel ohne weiteres gegeben (Fedi/Meyer/Müller, a.a.O., § 44 N. 7).
2.2 Der angefochtene Entscheid enthält kein eigentliches Rubrum. Insgesamt geht daraus nicht zweifelsfrei hervor, ob die Vorinstanz davon ausging, die Beschwerdeführerin handle ausschliesslich als Vertreterin von B, oder ob sie davon ausging, die Beschwerdeführerin handle zusätzlich auch in eigenem Namen. So führt die Vorinstanz in lit. A des Sachverhalts aus, die Beschwerdeführerin habe das Gesuch im Namen und Auftrag von B und ihrer Tochter gestellt, was mit den Angaben im entsprechenden Antragsformular übereinstimmt. Allerdings wird die Beschwerdeführerin im angefochtenen Entscheid explizit als Gesuchstellerin (und B als Betroffene) bezeichnet, was dafür sprechen könnte, dass die Vorinstanz die Beschwerdeführerin zusätzlich auch als Adressatin ihres Entscheids betrachtete. Für diese Möglichkeit spricht auch die Tatsache, dass die Vorinstanz der Beschwerdeführerin nicht nur ein Exemplar des Entscheids zuhanden der von ihr vertretenen B zugestellt hat, sondern ein Doppel des Entscheids der Beschwerdeführerin „für sich“ hat zukommen lassen. Vor diesem Hintergrund kann nicht abschliessend beurteilt werden, ob die Beschwerdeführerin als Adressatin des angefochtenen Entscheids zu betrachten ist und somit ohne weiteres zur Beschwerdeerhebung legitimiert war. Wie nachstehend dargelegt wird, hat dies auf ihre Ansprüche im Ergebnis vorliegend jedoch keinen Einfluss.
3. Geht man davon aus, dass die Beschwerdeführerin Adressatin des angefochtenen Entscheids ist und sie diesen gestützt auf diese Adressatenstellung anficht, ist ihre Beschwerdelegitimation zu bejahen, und es ist auf ihre Beschwerde einzutreten. In diesem Fall ist aber, zumal die Beschwerdeführerin vor Verwaltungsgericht nicht als Vertreterin von B und deren Tochter auftritt, davon auszugehen, dass sie Ansprüche in eigenem Namen geltend macht. Derartige Ansprüche stehen ihr jedoch nicht zu. Denn Ansprüche auf Opferhilfe hat gemäss Art. 1 Abs. 1 und 2 OHG jede Person, die durch eine Straftat in ihrer körperlichen, psychischen oder sexuellen Integrität unmittelbar beeinträchtigt worden ist sowie der Ehegatte oder die Ehegattin des Opfers, seine Kinder und Eltern sowie andere Personen, die ihm in ähnlicher Weise nahestehen. Juristische Personen werden vom OHG nicht erfasst, da sie nicht über eine körperliche, geistige oder sexuelle Integrität verfügen (Zehntner in: Gomm/Zehntner, Opferhilfegesetz, 3. Aufl. Bern 2009, Art. 1 N. 26). Da es der Beschwerdeführerin an der Opferqualität fehlt, hat sie von vornherein keinen Anspruch auf Opferhilfeleistungen, den sie im eigenen Namen geltend machen könnte (vgl. dazu Urteil des Bundesgerichts 1A.271/1999 vom 20. Juli 2000 E. 1d betreffend Art. 2 aOHG). Soweit also auf ihre Beschwerde eingetreten wird, ist diese abzuweisen.
4. Geht man davon aus, dass die Beschwerdeführerin nicht Adressatin des angefochtenen Entscheids ist, ist ihre Legitimation nach den für eine Drittbeschwerde geltenden Regeln zu beurteilen. Die Legitimation Dritter setzt neben dem Bestehen eines tatsächlichen, beispielsweise wirtschaftlichen Interesses am Inhalt der streitigen Verfügung voraus, dass eine hinreichende Beziehungsnähe respektive eine Betroffenheit von genügender Intensität vorliegt. Bei der Beurteilung der Intensität der Betroffenheit ist danach zu unterscheiden, ob das Rechtsmittel gegen eine den Verfügungsadressaten begünstigende Verfügung gerichtet ist (Drittbeschwerde „contra Adressat“) oder ob es, wie vorliegend, zu dessen Gunsten (Drittbeschwerde „pro Adressat“) erhoben werden soll (BGE 130 V 560 E. 3.4 f.). Wenn im letzteren Fall der Verfügungsadressat selbst kein Rechtsmittel ergreift, kommt die Legitimation des Dritten ausserhalb förmlicher gesetzlicher Anerkennung nur in Betracht, wenn der Dritte ein selbstständiges, eigenes Rechtsschutzinteresse an der Beschwerdeführung für sich in Anspruch nehmen kann. Der Umstand, dass jemand Gläubiger des Verfügungsadressaten ist, genügt bei der Drittbeschwerde „pro Adressat“ nicht, um das schutzwürdige Interesse und damit die Beschwerdelegitimation zu begründen. Ein faktisches (wirtschaftliches) Interesse an einer Abänderung der Verfügung ist diesfalls zwar gegeben. Die notwendige Beziehungsnähe liegt jedoch nur vor, wenn der Drittperson durch die streitige Verfügung ein unmittelbarer Nachteil entsteht. Die Gläubigereigenschaft allein reicht dafür nicht aus (BGE 130 V 560 E. 3.5 mit Hinweisen). Da die Beschwerdeführerin nicht gesetzlich zur Beschwerdeerhebung ermächtigt ist und ihr Interesse einzig in ihrer Gläubigereigenschaft betreffend die B gewährten Leistungen besteht, mangelt es ihr an der Beschwerdelegitimation für eine Drittbeschwerde „pro Adressat“, weshalb auf ihre Beschwerde (sollte sie nicht als Adressatin des angefochtenen Entscheids betrachtet werden; vgl. dazu E. 3 vorstehend) nicht eingetreten werden kann.
Entscheid des Verwaltungsgerichts VG.2017.77/E vom 29. November 2017