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TVR 2018 Nr. 13

Fehlende Passivlegitimation im Klageverfahren betreffend Verantwortlichkeit; Unzulässigkeit eines Parteiwechsels.


§ 4 Abs. 1 VerantwG, § 64 Ziff. 4 VRG, Art. 83 Abs. 4 ZPO


1. Die fehlende Passivlegitimation einer eingeklagten Amtsstelle im Klageverfahren betreffend Verantwortlichkeit des Staates (i.c. Forderung von Schadenersatz wegen Eigentumsverletzung in Form eines Verkaufs von im behaupteten Eigentum der Klägerin stehender Pferde im Rahmen einer öffentlichen Versteigerung) führt zur Ab-weisung der Klage (E. 2).

2. Ein Antrag auf Wechsel der Parteibezeichnung käme, nachdem es sich bei der Beklagten um eine Behördenstelle und beim Kanton Thurgau um ein eigenständiges Gemeinwesen handelt, einem Parteiwechsel im Sinne von Art. 83 ZPO gleich, der jedoch nur mit Zustimmung der Gegenpartei zulässig wäre (E. 3.4).


Im Rahmen eines tierschutzrechtlichen Verfahrens wurden im August 2017 auf dem Betrieb von A durch das Veterinäramt des Kantons Thurgau zahlreiche Tiere, darunter 93 Pferde, beschlagnahmt. Diese Pferde wurden in der Folge im Zentrum Z untergebracht und, ebenfalls auf Veranlassung des Veterinäramtes, am 17. August 2017 öffentlich versteigert. Mit einer gegen das Veterinäramt des Kantons Thurgau gerichteten verwaltungsrechtlichen Klage vom 16. August 2018 gelangte B an das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und liess folgenden Hauptantrag stellen: „Es sei die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin CHF 38‘175.00 zu bezahlen.“ Zur Begründung wurde im Wesentlichen geltend gemacht, das Veterinäramt habe zu Unrecht drei in ihrem Eigentum stehende Pferde, die für sehr kurze Zeit zu Deckzwecken bei A gewesen seien, versteigert. Das Verwaltungsgericht weist die Klage ab.

Aus den Erwägungen:

2.
2.1 (…)

2.2. Mit ihrer Klageschrift vom 16. August 2018 stellte die Klägerin das Rechtsbegehren, es sei die Beklagte zu verpflichten, ihr Fr. 38‘175.-- zu bezahlen. Als Beklagte wurde im Rubrum der Klageschrift ausdrücklich das „Veterinäramt, Spannerstrasse 22, 8510 Frauenfeld“ bezeichnet. Die Klägerin stützt sich dabei auf das VerantwG und begründet ihre Klage damit, dass die Beklagte im Rahmen der Versteigerung der 93, auf dem Betrieb von A beschlagnahmten Pferde auch drei Tiere in ihrem Eigentum veräussert habe, wodurch ihr ein Schaden von Fr. 38‘175.-- entstanden sei.

2.3. Gemäss § 4 Abs. 1 VerantwG haftet „der Staat“ für den Schaden, den eine mit öffentlichen Aufgaben betraute Person in Ausübung amtlicher Verrichtungen einem Dritten dadurch zufügt, dass sie dessen Rechte verletzt. Primäres Haftungssubjekt gemäss dieser Bestimmung ist somit der Staat bzw. der Kanton Thurgau. Der Kanton tritt dabei als einheitliches Haftungssubjekt auf. In Anspruch genommen wird damit nicht eine bestimmte Dienststelle, die möglicherweise für den Schaden verantwortlich ist, sondern der Kanton. Es handelt sich somit um eine primäre und ausschliessliche Kausalhaftung des Staates. Die Haftung knüpft zwar an ein schädigendes Verhalten eines Beamten an; eine direkte Haftpflichtbeziehung besteht aber nur zum Gemeinwesen (vgl. zum Ganzen: Uhlmann, Schweizerisches Staatshaftungsrecht, Zürich/ St. Gallen 2017, S. 33, Rz. 56, sowie Gross, Schweizerisches Staatshaftungsrecht, 2. Aufl., Bern 2001, S. 82 und 210).

2.4 Die Klägerin hat mit ihrer Klage vom 16. August 2018 ausdrücklich das Veterinäramt des Kantons Thurgau als Beklagte eingeklagt und ihr gegenüber die Schadenersatzforderung geltend gemacht. Bei der Beklagten handelt es sich jedoch lediglich um eine Dienst- bzw. Behördenstelle. Diese hat zwar die Veräusserung/Versteigerung der betreffenden Pferde veranlasst. Sie stellt aber kein Haftungssubjekt im Sinne des VerantwG dar. Als Haftungssubjekt nach VerantwG wäre wohl in erster Linie der Staat Thurgau anzusehen, der mit der Klage vom 16. August 2018 gemäss dem darin formulierten Rechtsbegehren aber nicht in Anspruch genommen bzw. eingeklagt wurde. Ein von der Klägerin gestützt auf das VerantwG geltend gemachter Schadenersatzanspruch besteht somit von vornherein nicht gegenüber der Beklagten.

2.5 Das Verfahren der verwaltungsrechtlichen Klage richtet sich zwar gemäss § 69, soweit die §§ 64 bis 68 VRG keine Vorschriften enthalten, sinngemäss nach den Bestimmungen über die Beschwerde (das heisst nach den §§ 56 bis 63 VRG). Aufgrund des Verweises in § 62 VRG gelten die Bestimmungen über den Rekurs (§§ 44 bis 53 VRG) sowie die allgemeinen Verfahrens­vorschriften (§§ 5 bis 27 VRG) ebenfalls sinngemäss (vgl. Fedi/Meyer/Müller, Kommentar zum Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege des Kantons Thurgau, Basel 2014, § 69 N. 1). Weil das Klageverfahren vor dem Ver­waltungsgericht als einziger Instanz mehr dem Zivilprozess als dem Rekurs- oder Beschwerdeverfahren gleicht, ist der Verweis auf das Beschwerdeverfahren nicht ohne weiteres verständlich. Immerhin sind die ergänzenden Vorschriften jedoch nur „sinngemäss“ anwendbar. Beispielsweise ist § 44 VRG (betreffend die Rechtsmittellegitimation als Eintretensvoraussetzung) nicht auf das Klageverfahren übertragbar, da ein vorinstanzlicher Entscheid fehlt. Im Klageverfahren geht es - wie im Zivilprozess - vielmehr um die Aktiv- bzw. Passivlegitimation der Parteien. Der Kläger muss berechtigt sein, das eingeklagte Recht oder Rechtsverhältnis in eigenem Namen dem Beklagten gegenüber geltend zu machen. Sinngemäss und subsidiär sind daher auch die Bestimmungen der ZPO beizuziehen (vgl. Fedi/Meyer/Müller, a.a.O. § 69 N. 2). Wer als Kläger bzw. Beklagter auftreten muss, damit eine Klage durchdringen kann, ist eine Frage des materiellen Rechts. Für die prozessuale Zulässigkeit der Klage ist es hingegen unerheblich, ob dem Kläger der behauptete Anspruch materiell zusteht oder nicht; die Sachlegitimation ist im verwaltungsgerichtlichen Klageverfahren keine Sachurteilsvoraussetzung. Die fehlende Sachlegitimation bzw. der fehlende Rechtsanspruch führt nicht zu einem Prozessurteil (vgl. Jaag, in: Griffel [Hrsg.], Kommentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich [VRG], 3. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2014, § 83 N. 4). Im Zivilprozessrecht (welches für die sich vorliegend stellende Frage der Passivlegitimation der Beklagten sinngemäss und subsidiär anwendbar ist) erfolgt die Beurteilung der Sachlegitimation in einem Sachentscheid. Fehlt die Passivlegitimation, so ist die Klage durch einen Sachentscheid abzuweisen (vgl. Steck/Brunner, in: Spühler/Tenchio/ Infanger [Hrsg.], Basler Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, a.a.O., Art. 236 N. 16 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung).

2.6 Nachdem die Beklagte kein Haftungssubjekt im Sinne des VerantwG darstellt und ein Schadenersatzanspruch der Klägerin ihr gegenüber nicht geltend gemacht werden kann, fehlt es der Beklagten an der Passivlegitimation. Aufgrund der sinngemäss und subsidiär anwendbaren Bestimmungen der ZPO (Fedi/Meyer/Müller, a.a.O., § 69 N. 2) ist auch vorliegend zufolge der fehlenden Passivlegitimation der Beklagten ein Sachurteil (und nicht ein Prozessurteil bzw. ein Nichteintretensentscheid) zu erlassen (vgl. hierzu auch Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Appenzell Ausserrhoden vom 26. September 2007 in der Ausserrhoder Gerichts- und Verwaltungspraxis, AR GVP 19/2007 Nr. 2270, E. 2, sowie Entscheid des Kantonsgerichts Graubünden ZFE 02 2 vom 12. Mai 2003 in: PKG 2003, S. 39 ff., E. 3). Die Klage vom 16. August 2018 ist daher abzuweisen.

3.
3.1 - 3.3 (…)

3.4 Nicht entsprochen werden kann sodann auch dem von der Klägerin mit Eingabe vom 11. September 2018 gestellten Antrag, es sei als Beklagte ausdrücklich der Kanton Thurgau zu bezeichnen (…). Dieser Antrag käme, nachdem es sich bei der Beklagten um eine Behördenstelle und beim Kanton Thurgau um ein eigenständiges Gemeinwesen handelt, einem Parteiwechsel im Sinne von Art. 83 ZPO gleich. Gemäss Art. 83 Abs. 4 ZPO ist ein Parteiwechsel (ohne Veräusserung des Streitobjekts) jedoch nur mit Zustimmung der Gegenpartei zulässig; besondere gesetzliche Bestimmungen über die Rechtsnachfolge bleiben dabei vorbehalten. Dies wiederum bedeutet namentlich, dass derjenige, der eine „falsche“ (nicht passivlegitimierte) Partei eingeklagt hat, diese nicht einfach durch die „richtige“ (passivlegitimierte) Partei ersetzen kann, wenn die übrigen Beteiligten bzw. die Gegenpartei diesem Parteiwechsel nicht zustimmt (vgl. Graber, in: Spühler/Tenchio/Infanger [Hrsg.], Basler Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, 3. Aufl., Basel 2017, Art. 83 N. 84). Eine derartige Zustimmung zu einem Parteiwechsel liegt vorliegend klarerweise nicht vor. Dem Antrag gemäss Ziff. 2 der Eingabe vom 11. September 2018 kann daher bereits unter diesem Gesichtspunkt nicht stattgegeben werden. Auch eine bloss formelle Berichtigung der Parteibezeichnung ist sodann nur möglich, wenn die Identität der Partei von Anfang an eindeutig feststand, und lediglich deren Benennung fehlerhaft oder ungenau war; andernfalls liegt der untaugliche Versuch eines Parteiwechsels vor (Graber, a.a.O., Art. 83 N. 34 mit weiteren Hinweisen). Bei der Beklagten (Veterinäramt) und dem Staat Thurgau kann nicht von der Identität der Partei ausgegangen werden. Wie dargestellt handelt es sich bei der Beklagten um eine Behördenstelle und beim Kanton Thurgau um ein eigenständiges Gemeinwesen. Entsprechend ist der Antrag der Klägerin um Bezeichnung der Beklagten mit „Kanton Thurgau“ als untauglicher Versuch eines Parteiwechsels zu qualifizieren und folglich auch deshalb abzuweisen.

Entscheid des Verwaltungsgerichts VG.2018.99/E vom 21. November 2018

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