Skip to main content

TVR 2019 Nr. 2

Interkantonale Doppelbesteuerung, Verlustverrechnung bei reinen Immobiliengesellschaften mit Kapitalanlageliegenschaften


Art. 127 Abs. 3 BV


1. Bei der interkantonalen Steuerausscheidung bestehen unterschiedliche kantonale Praxen betreffend die Verrechnung von Verlusten bei reinen Immobiliengesellschaften mit Kapitalanlageliegenschaften. Die Praxis des Kantons Thurgau, wonach bei reinen Immobiliengesellschaften Verluste aus Spezialsteuerdomizilen durch den Sitzkanton zu übernehmen sind und ein negatives Ergebnis des Sitzkantons im Verhältnis der positiven Ergebnisse auf die anderen Steuerdomizile zu verlegen ist, verstösst per se nicht gegen das Doppelbesteuerungsverbot (E. 3).

2. Bei reinen Immobiliengesellschaften sind Verluste aus Spezialsteuerdomizilen durch den Sitzkanton zu übernehmen. Ein negatives Ergebnis des Sitzkantons ist im Verhältnis der positiven Ergebnisse auf die anderen Steuerdomizile zu verlegen (E. 4).


Die A AG mit Sitz im Kanton Aargau ist eine reine Immobiliengesellschaft mit Kapitalanlageliegenschaften in mehreren Kantonen. Im Steuerjahr 2013 besass sie im Kanton Thurgau Liegenschaften und wies für diese Reingewinne von total Fr. 1‘086‘038.-- aus. Aus den Kantonen B, C und D resultierten im Steuerjahr 2013 Verluste in Höhe von insgesamt Fr. 1‘383‘176.--. Die A AG beabsichtigte gemäss interkantonaler Steuerausscheidung 2013, die Verluste in den Kantonen B, C und D quotal auf die übrigen Kantone zu verlegen. In der Steuerveranlagung 2013 vom 20. April 2015 übernahm die Steuerverwaltung des Kantons Thurgau zwar den in der interkantonalen Steuerausscheidung 2013 für den Kanton Thurgau ausgewiesenen Gewinn laut Jahresrechnung (vor interkantonaler Verlustverrechnung) in Höhe von Fr. 1‘086‘038.--, berücksichtigte jedoch keine quotal zugewiesene Verlustübernahme. Die gegen diese Steuerveranlagung erhobene Einsprache wies die Steuerverwaltung ab, wobei sie den steuerbaren Reingewinn neu auf Fr. 1‘141‘534.-- und das steuerbare Kapital auf Fr. 3‘956‘818.-- festsetzte (entsprechend der interkantonalen Steuerausscheidung 2013 des Kantonalen Steueramts Aargau vom 5. Mai 2015); eine quotale Verlustübernahme berücksichtigte sie nach wie vor nicht. Den gegen diesen Entscheid erhobenen Rekurs wies die Steuerrekurskommission ab, soweit sie darauf eintrat. Das Verwaltungsgericht weist die gegen diesen Entscheid erhobene Beschwerde ebenfalls ab.

Aus den Erwägungen:

3.
3.1 Die Beschwerdeführerin macht im Wesentlichen geltend, das Vorgehen des verfahrensbeteiligten Amts bzw. der Vorinstanz verstosse gegen Art. 127 Abs. 3 BV.

3.2 Laut Art. 127 Abs. 3 Satz 1 BV ist die interkantonale Doppelbesteuerung untersagt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts liegt eine gegen Art. 127 Abs. 3 BV verstossende Doppelbesteuerung vor, wenn eine steuerpflichtige Person von zwei oder mehreren Kantonen für das gleiche Steuerobjekt und für die gleiche Zeit zu Steuern herangezogen wird (aktuelle Doppelbesteuerung) oder wenn ein Kanton in Verletzung der geltenden Kollisionsnormen seine Steuerhoheit überschreitet und eine Steuer veranlagt, zu deren Erhebung ein anderer Kanton zuständig ist (virtuelle Doppelbesteuerung). Ausserdem hat das Bundesgericht aus dem verfassungsmässigen Verbot der Doppelbesteuerung abgeleitet, dass ein Kanton einen Steuerpflichtigen nicht deshalb stärker belasten darf, weil er nicht im vollen Umfang seiner Steuerhoheit untersteht, sondern zufolge seiner territorialen Beziehungen auch noch in einem anderen Kanton steuerpflichtig ist (BGE 132 I 220 E. 2.1 mit Hinweisen).

3.3 Der Argumentation der Beschwerdeführerin ist vorab entgegenzuhalten, dass das Vorgehen des verfahrensbeteiligten Amts und der Vorinstanz bzw. die entsprechende Praxis des Kantons Thurgau an sich keineswegs zu einer Verletzung von Art. 127 Abs. 3 BV führt. Diesbezügliche Probleme ergeben sich einzig aus dem Umstand, dass die Praxis betreffend die Verrechnung von Verlusten bei reinen Immobiliengesellschaften mit Kapitalanlageliegenschaften nicht in allen Kantonen gleich ist und vorliegend insbesondere unterschiedliche Praxen der Kantone Thurgau und Aargau bestehen, was (wenn die jeweiligen Steuerveranlagungen unangefochten bleiben) bei der Beschwerdeführerin zu einem Ausscheidungsverlust führt. Welcher Praxis der Vorzug zu geben ist, hat das Bundesgericht, soweit ersichtlich, bislang nicht entschieden.

4.
4.1 Gemäss der Thurgauer Steuerpraxis (StP 2 Nr. 23 Ziff. 9.2) sind bei reinen Immobiliengesellschaften - eine solche ist die Beschwerdeführerin - Verluste aus Spezialsteuerdomizilen durch den Sitzkanton zu übernehmen. Ein negatives Ergebnis des Sitzkantons (nach Berücksichtigung der verrechenbaren Vorjahresverluste und nach Verlustübernahme der Spezialsteuerdomizile) ist im Verhältnis der positiven Ergebnisse auf die anderen Steuerdomizile zu verlegen. Diese Praxis ist mit Art. 127 Abs. 3 BV ohne weiteres vereinbar.

4.2 Aus dem Verweis auf das KS 27 (= von der Schweizerischen Steuerkonferenz erlassenes Kreisschreiben 27 vom 15. März 2007) vermag die Beschwerdeführerin nichts zu ihren Gunsten abzuleiten. Abgesehen davon, dass dieses Kreisschreiben für das Gericht nicht bindend ist (vgl. Urteil des Bundesgerichts 2C_722/2007 vom 14. April 2008 E. 3.1 mit Hinweisen), haben sowohl das verfahrensbeteiligte Amt als auch die Vorinstanz nachvollziehbar dargelegt, dass es auf reine Immobiliengesellschaften gar keine Anwendung findet. Denner/Frey haben in ihrem Aufsatz Interkantonale Verlustrechnung bei Immobiliengesellschaften, Erfahrungen aus der Praxis - Anwendbarkeit des SSK-Kreisschreibens 27 (vgl. SteuerRevue Nr. 4/2010 S. 274 ff.) denn auch darauf hingewiesen, dass die Praxisauffassung der einzelnen Kantone heterogen sei und grosse Meinungsunterschiede bezüglich der Behandlung einzelner Spezialfälle bestünden. Der Kanton Thurgau ist nicht der einzige Kanton, der sich gegen die Anwendung des KS 27 auf Immobiliengesellschaften ausspricht.

4.3 Nach den Regeln zur Abgrenzung der gegenseitigen Steuerhoheiten im interkantonalen Doppelbesteuerungsrecht werden Kapitalanlageliegenschaften von juristischen Personen ausserhalb des Sitzkantons grundsätzlich dem Kanton der gelegenen Sache zur ausschliesslichen Besteuerung zugewiesen. Das gilt für das Kapital und den Ertrag aus der laufenden Bewirtschaftung von Kapitalanlageliegenschaften wie auch für den Gewinn (Wertzuwachs und Buchgewinn) aus der Veräusserung solcher Liegenschaften. Vom Liegenschaftsertrag sind die Gewinnungs- und Betriebskosten objektmässig absetzbar (BGE 132 I 220 E. 3.1). Der Liegenschaftskanton ist grundsätzlich allein befugt, den Grundstückertrag und -gewinn (Wertzuwachs) zu besteuern. Doch sind dem Liegenschaftskanton insofern Grenzen gesetzt, als er auf die Situation der Unternehmung bzw. der Privatperson und deren Leistungsfähigkeit Rücksicht nehmen muss. Diesem Umstand wird gemäss StP 2 Nr. 23 Ziff. 9.2 Rechnung getragen, indem ein negatives Ergebnis des Sitzkantons im Verhältnis der positiven Ergebnisse auf die anderen Steuerdomizile zu verlegen ist. Solange bei Übernahme der Verluste durch den Sitzkanton jedoch kein negatives Ergebnis resultiert, besteht kein Anlass, die Verluste quotal auf die einzelnen Spezialsteuerdomizile zu verteilen. Diese Auffassung vertritt auch Locher (Locher, Einführung in das interkantonale Steuerrecht, 4. Aufl., Bern 2015, S. 91 f.). Wie das verfahrensbeteiligte Amt in seiner Vernehmlassung vom 25.?August 2017 unter Hinweis auf Matteotti (in: Zweifel/Beusch/Mäusli-Allenspach [Hrsg.], Kommentar zum Interkantonalen Steuerrecht, Basel 2011, § 34 N. 4) zutreffend dargelegt hat, käme es zu einem (nicht wünschenswerten) Methodenmix, wenn die Verlegung der Verluste quotal erfolgte, währenddem der Gewinn in den einzelnen Kantonen objektmässig ermittelt wird.

Entscheid des Verwaltungsgerichts VG.2017.109/E vom 7. Februar 2018

Das Bundesgericht hat eine dagegen erhobene Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit Urteil 2C_285/2018 vom 5.?November 2019 abgewiesen.

JavaScript errors detected

Please note, these errors can depend on your browser setup.

If this problem persists, please contact our support.